Sütterlin-Schrift: Die unbekannte Schöne
Da liegt eine Kiste mit alten Briefen auf dem Dachboden, doch man kann sie nicht lesen, auch der genaue Inhalt von Urkunden und Dokumenten oder Omas Poesiealbum bleibt vielen verschlossen. Wer in Chroniken und Kirchenbüchern seinen Vorfahren auf der Spur ist, trifft ebenfalls immer wieder darauf: auf die Sütterlin-Schrift. Umgangssprachlich wird sie die „Deutsche Schrift“ genannt, sie wurde fast ausschließlich in Handschriften verwendet und weist deshalb einen immer persönlich geprägten Formenreichtum auf. Zeitdokumente in Sütterlin- Schrift stellen viele vor die Herausforderung, den Inhalt „zu knacken“.
Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, hat der Kulturkreis Nordendorf auf Initiative von Ingrid Schöniger einen Kurs zum Lesen und Verstehen dieser Schrift organisiert. Als Kursleiterin konnte die 90 jährige Volksschullehrerin und Schriftkennerin Antonie Schäble aus Wemding gewonnen werden. "Ich möchte dafür begeistern, sich mit der Deutschen Schrift zu beschäftigen - es ist ein Kulturgut“ sagt die rüstige Dozentin und zeigte an der Tafel, wie es geht: Das `s` beispielsweise ist störrisch. Es wächst bis auf die Größe eines Großbuchstabens an und rast dann senkrecht hinab bis in Tiefen, in die sonst nur `j `oder `y` kommen. Auch viele andere Buchstaben des Alphabets haben es in sich, etwa das große `M`oder `W`: dekorativ und schrifttechnisch schwung- und anspruchsvoll. Weiter sind bei der Sütterlin-Schrift besondere Buchstabenverbindungen anzutreffen, erklärt Antonie Schäble. Sie verweist auch darauf, dass im Laufe der Zeit Wörter gänzlich aus dem Sprachschatz verschwanden, die für Familienforscher oft von Bedeutung sind fügt das Beispiel „Böttgewandt“ - das sind Betten - an.
Reges Interesse herrschte bei den Teilnehmern, sie drückten für das Entziffern der Sütterlin-Schrift noch einmal die Schulbank, wie etwa Christine Gumpp aus Ellgau. ihr Interesse gilt alten Dokumenten und der Ahnenforschung, derzeit beschäftigt sie sich inhaltlich mit der Geburtsurkunde der Urgroßtante. Anni Fries aus Biberbach war gekommen, um ihre Kenntnisse auffrischen - sie hatte einst die Schrift als Schulkind gelernt. Bei Günter Wagner aus Nordendorf weckte der Kulturkreis-Vortrag „Ahnenforschung“ vom vergangenen Jahr das Interesse, sich mit der Sütterlin-Schrift näher zu beschäftigen. Einige Teilnehmer waren da, „weil es einfach Spaß macht, etwas Neues bzw. Altes zu lernen.“
Einig waren sich am Ende alle, dass die manchmal fremdwirkende, doch sehr schöne Handschrift nicht in Vergessenheit geraten darf. Für Antonie Schäble ist es ein Anliegen, dass dieses Stück deutsche Schrift- und Schreibgeschichte lebendig bleibt - nicht nur, um alte Dokumente inhaltlich zu erschließen.
Info Sütterlin-Schrift: Die Sütterlin-Schrift (benannt nach dem Grafiker Ludwig Sütterlin) wurde 1915 in Preußen eingeführt. Sie begann in den 1920er Jahren, die deutsche Kurrentschrift abzulösen und war dann in einer abgewandelten Form als „Deutsche Volksschrift“ Teil des offiziellen Lehrplans. 1941 wurde sie durch die lateinische Schrift, auch Normalschrift genannt, abgelöst. Nach Kriegsende konnte sie an Schulen wieder gelehrt werden als Zweit- und Schönschrift.
Ich kann die Sütterlin-Schrift nicht lesen, ein paar Wörter kriege ich raus.
Wie hatten diese Schrift in der Schule nicht mehr gelernt.
Viele Grüße aus dem sonnigen Süden
Herbert von Emmendingen