München 2012 - Ein Sommermärchen
„Ja, was machst du denn hier?“ – „Ich bin hier Athletensprecher, ich muss gleich auf die Bühne. Und was machst du hier?“ – „Ich bin mit der Band Tintenfisch da.“
Wir sind in den Katakomben der Münchner Olympiahalle; in einer knappen Stunde beginnt die Abschlussfeier der Nationalen Special Olympics Sommerspiele 2012. Markus Protte, Athletensprecher von Special Olympics Bayern und Sportler der SG-Handicap Nördlingen, ist schon ein bisschen nervös, außerdem hat er – für seine Verhältnisse – viel zu wenig gegessen, aber als er den Arbeitskollegen Manuel aus den Nördlinger Lebenshilfe Werkstätten trifft, halten sie ein Pläuschchen als wäre gerade Mittagspause an einem ganz normalen Arbeitstag.
Rückblick. Vor vier Tagen machte sich eine 21köpfige Gruppe vom Integrativen Sportverein SG-Handicap Nördlingen auf den Weg nach München mit zwei Bussen, jeweils von der Firma Heuchel und den Lebenshilfe Werkstätten zur Verfügung gestellt. In München wurden dann am Montagabend in der Olympiahalle die Spiele feierlich eröffnet. Markus durfte mit Paul Breitner den Special Olympics Eid sprechen. Wie über 5000 weitere Athleten haben er und seine SG-Handicap Teamkollegen bei ihren Wettbewerben dieses Motto verfolgt: Lasst mich gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, lasst mich mutig mein Bestes geben.
Die Woche stand unter der Flagge des Sports – und der inklusiven Macht des Sports; Miteinander, gemeinsam, behindert und nichtbehindert, schlichtweg: zusammen. Inklusion wird von den teilnehmenden Sportvereinen und Institutionen gelebt. Der Integrative Sportverein aus Nördlingen und die Band Tintenfisch aus Möttingen, in der geistig behinderte ehemalige Schüler der Hermann-Keßler Schule zusammen mit Profimusikern musizieren, sind gelungene Beispiele dafür. Jedoch, so muss man leider sagen, beschränkt sich der inklusive Gedanke meist auf Familienangehörige und enge Freunde von geistig behinderten Menschen.
Dabei kann es so schön sein; denn selbst wenn die Besucherzahlen gering ausfallen – die Special Olympics Athleten, wissen wie man sich feiert. Und wenn niemand da ist, der den „Letzten“ über die Ziellinie jubelt, klatscht und brüllt man eben selbst für ihn oder sie – auch wenn es der „Gegner“ ist. Oder man geht einfach gleich gemeinsam durchs Ziel. Beobachten konnte man das zum Beispiel im Dantestadion, wo die Leichtathletikwettbewerbe ausgetragen wurden. In einer vermeintlich schwächeren Leistungsgruppe bei der 4x400 Meter Staffel bemerkte ein Athlet, dass zwei seiner Freunde der anderen Staffeln noch nicht gewechselt hatten. Ohne sie laufen? Kommt gar nicht in Frage, der Athlet wartet einfach auf die beiden anderen und lachend gehen sie gemeinsam weiter um schließlich zu dritt ins Ziel zu gehen. Sicherlich nicht einfach für die Kampfrichter, aber solche Momente machen die Special Olympics aus; sie berühren jeden der Anwesenden und brennen sich in deren Erinnerung ein.
Freilich handeln nicht alle Athleten so. Für die Nördlinger Staffel gab es nur ein Ziel: Gold. Bereits im Klassifizierungslauf hatten die vier Läufer eine phänomenale Zeit erreicht, niemand glaubte, dass dies noch zu toppen sei. Aber sie schafften es. Martin Leiminger, Werner Fickel und Markus Protte fielen Schlussläufer Mickel Schwab um den Hals als er nach 4 Minuten und 28 Sekunden den Staffelstab vor Freude schreiend über die Ziellinie trug. Ein gefundenes Fressen für die zahlreichen anwesenden Fotografen und Kameraleute, denn feiern können die vier wie die Profis. Die anderen Staffeln gratulieren und lassen beeindruckt verlauten „Diese Nördlinger sind so hart“.
Überhaupt konnte man vor der Hymne „Let Me Win“, die bei den Siegerehrungen gespielt wird, im Dantestadion, im Olympiabad und bei den Radsportwettbewerben häufig die Namen von Sportlern des Integrativen Sportvereins SG-Handicap aus Nördlingen hören. Der Medaillenspiegel kann sich sehen lassen: 15 Goldmedaillen, 5 Mal Silber und 2 Bronzemedaillen, dazu viele weitere gute Platzierungen. So erreichte nicht nur die Leichtathletikstaffel den ersten Platz, auch die Staffel der Schwimmer holte sich Gold – trotz Nasenblutens des Startschwimmers kurz vor Beginn. Aber die Athleten lassen sich durch nichts unterkriegen und brachten schließlich das ganze Olympiabad zum Beben, als Michael Hach, nachdem Alex Schön und Celina Witt angeschlagen hatten, zu Gold schwamm. Von der Tribüne aus übertrafen die anderen SG-Handicap-Schwimmer sich selbst beim Anfeuern ihrer Vereinskameraden. Besonders hervorzuheben ist auch die tolle Leistung von Bernd Hauptmann, der zum ersten Mal für den Integrativen Sportverein als Radfahrer startete und auch gleich eine Bronzemedaille erreichen konnte.
Was jedoch für die meisten Athleten fast noch wichtiger ist als Medaillen und vordere Plätze, ist die gemeinsame Zeit, die sie mit ihren Freunden verbringen können. Und die Aufmerksamkeit, die sie bekommen – leider aber häufig nur während dieser einen Woche. Denn zur tatsächlichen Inklusion von geistig behinderten Menschen in die Gesellschaft bedarf es noch sehr viel mehr. Als Nahestehender von Menschen mit geistiger Behinderung muss man darauf häufig erst von Leuten hingewiesen werden, die zuvor noch nie mit diesem Thema zu tun hatten. Jedoch, und das ist der wahre Schatz den Special Olympics in sich trägt, können solche Veranstaltungen Steine ins Rollen bringen: der Sport und die Erfolge liefern den geistig behinderten Menschen das Selbstbewusstsein und Akzeptanz. Und alle Zuschauer, alle Volunteers, alle Mitarbeiter, alle anwesenden Journalisten – sie können zu Botschaftern werden und gemeinsam Inklusion in die Gesellschaft tragen.
Und schließlich steht dann am Freitagabend Markus, bejubelt von seinen Teamkameraden, nach einer ganzen Woche an Wettbewerben, zahlreichen Interviews und noch mehr Siegerehrungen wieder auf der großen Bühne in der Olympiahalle um gemeinsam mit seinen Co-Moderatoren die Special Olympics National Games 2012 in München für beendet zu erklären.
Leichtathletik:
Daniela Heinz: Gold beim Kugelstoßen (3kg), Gold beim Minispeerwurf, 5. Platz im 100 Meter Lauf
Maria Meyer: Gold im 100 Meter Lauf, Bronze im 1500 Meter Lauf
Ruth Wagner: Silber beim Kugelstoßen (3kg), 7. Platz im 100 Meter Lauf
Werner Fickel: Gold mit der 4x400 Meter Staffel, Silber im 400 Meter Einzellauf, 7. Platz im 1500 Meter Lauf, 5. Platz beim Minispeerwurf
Martin Leiminger - Gold mit der 4x400 Meter Staffel, Gold im 400 Meter Einzellauf, 4. Platz beim Kugelstoßen (4kg)
Markus Protte – Gold mit der 4x400 Meter Staffel, Gold im 400 Meter Einzellauf, Gold im Weitsprung, 7. Platz beim Minispeerwurf
Mickel Schwab - Gold mit der 4x400 Meter Staffel, Silber im 400 Meter Einzellauf, Gold beim Kugelstoßen (4kg), 5. Platz beim Minispeerwurf
Radfahren:
Bernd Hauptmann: Bronze im 500 Meter Zeitfahren, 7. Platz im 1km Zeitfahren
Schwimmen:
Barbara Schuler: 8. Platz bei 100 Meter Freistil, 5. Platz bei 50 Meter
Celina Witt: Gold mit der 4x50 Meter Freistil Staffel, 4. Platz bei 25 Meter Freistil, 5. Platz bei 25 Meter Rücken
Martin Buck: 4. Platz bei 25 Meter Rücken, DQ wegen Zeitunterschreitung bei 25 Meter Freistil
Wolfgang Gunzelmann: Gold mit der 4x50 Meter Freistil Staffel, 5. Platz bei 25 Meter Freistil
Michael Hach: Gold mit der 4x50 Meter Freistil Staffel, Silber bei 50 Meter Freistil
Alexander Schön: Gold mit der 4x50 Meter Freistil Staffel, Silber bei 25 Meter Freistil, 6. Platz bei 25 Meter Rücken