Wie aus einem lustigen Streich beinahe ein kleines Drama wurde:

Es war noch vor Beginn des 2. Weltkrieges und ich wohnte als Sohn des Schulhausmeisters in meiner Schule. Ich glaube, ich war damals 12 Jahre alt; ganz genau weiß ich das nicht mehr. Der Unterricht endete für meine Klasse 1 Stunde vor Schulende. Ich wollte mir die Bildtafeln, welche die Lehrer für den Unterrich benutzen sollten, und die für mich mein „größtes Bilderbuch“ (!) waren, ansehen und kam dabei am Dienstzimmer des Rektors der Schule vorbei. An der Tür hing ein verglastes Schild mit einem kleinen Holzrahmen, auf dem stand: „Bin dienstlich abwesend“. Während ich es im geheimen wagte, meine Zweifel an dem Wort „dienstlich“ zu hegen, kam mir eine fixe Idee. Ich schnitt einen Streifen Papier aus, der so groß war, wie das Wort „dienstlich“ und malte mit den der Maschinenschrift angepassten Druckbuchstaben das Wort „geistig“ darauf. Das klebte ich mit Spucke auf die Glasscheibe des Schildes, so dass das Wort „dienstlich“ verdeckt war. Jetzt prangte an der Tür des Rektors ein Schild mit der
Aufschrift:
„Bin geistig abwesend“.

Ich glaubte einen lustigen Streich vollbracht zu haben, über den alle lachen würden. Aber als der Herr Rektor zurückkam und das Schild – wie immer - abhängen wollte, entdeckte er die „bösartige Verleumdung“ an seiner Tür. Empört rannte er zum Schulhausmeister – meinem Vater – und zeigte ihm diesen ungeheuerlichen Skandal, die seine Würde als Amtsperson ins Wanken bringen könnte. Solche internen „revolutionären Umtriebe“ konnte man nicht durchgehen lassen. Mein Vater stimmte pflichtgemäß in seine Empörung ein und versicherte dem Rektor, dass er den Übeltäter herausfinden werde. Er ahnte ja nicht, dass das sein ansonsten braver Sohn war. Er ließ sich die Schulhefte von allen Klassen, die in dieser letzten Schulstunde frei hatten, aushändigen, um an Hand von Schriftvergleichen den Übeltäter zu ermitteln. Das musste natürlich erfolglos bleiben, weil ich ja in Druckbuchstaben gemalt hatte. Das hatte ich aber nicht aus krimineller Raffinesse gemacht, sondern nur, damit man meine Änderung möglichst als offizielle Maschinenschrift ansehen sollte. Und in den Schulheften hatte ich natürlich nicht in Druckbuchstaben geschrieben, so dass ich diesen kriminalistischen Ermittlungen in Ruhe entgegen sehen konnte. - Ich hatte davon niemanden – außer meinem Schwager Heini – erzählt. Am Mittagstisch erzählte mein Vater von dieser „Ungeheuerlichkeit“ und schlug auf den Tisch, wobei er beteuerte, dass er den Übeltäter finden werde. (Er hatte die Schriftvergleiche noch nicht durchgeführt.) Mein Schwager, der als Einziger Bescheid wusste, stieß unter dem Tisch mit dem Fuß an mein Schienbein und bemühte sich, nicht zu lachen. – Mir tat das Ganze, das ich doch nur lustig fand, schon wieder leid. Ich wollte ja meinem Vater keine Unannehmlichkeiten und keine zusätzliche Arbeit machen. Erst recht wollte ich dem Herrn Direktor nicht an seiner Würde kratzen. Aber die Erwachsenen sahen das offenbar ganz anders. Aber ich konnte ja jetzt unmöglich sein Vertrauen in seinen braven Sohn enttäuschen, der für ihn selbstverständlich als Täter nicht in Frage kam. So traute ich mich aus verschiedenen Gründen nicht, ihm meine „Untat“ zu beichten. Ich kannte ja auch seinen Jähzorn und eine Tracht Prügel mit dem berüchtigten Rohrstock, wäre mir sicher gewesen. Die Sitten waren eben damals anders als heute. Mein Vater galt, trotz dieser allgemein rauen Sitten, als besonders streng. Unnötige Arbeit war aber in meinen Augen nicht so schlimm, wie blutunterlaufene Striemen. Und so ließ ich den Dingen ihren Lauf. Die Angelegenheit verlief im Sand und mein Vater hat nie erfahren, wer diese „Untat“ begangen hat.

Bürgerreporter:in:

Walter Wormsbächer aus Marburg

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