DIN 19712 (1997): Die Kahlschlags-Norm.
Am 30.4. 2009 hat Horst Habeth in seiner Bilderserie Was denkt sich der Marburgerbürger wenn er sowas sieht? die Diskussion über die "Umgestaltung" des Marburger Lahnufers an der Mensa begonnen. Zuletzt hatte sich auch Prof. Dr. Ronald Haselsteiner, führender Experte auf dem Gebiet der Deichkonstruktion, mit einem Kommentar daran beteiligt.
Dieses Jahr nun steht der zweite Bauabschnitt an, die Kettensägen sind sicherlich schon geschmiert!
Ich habe mich in den vergangenen Monaten intensiv bemüht, herauszufinden, wer oder was für dieses Zerstörungswerk verantwortlich ist und in dieser Sache an Ministerpräsident Roland Koch geschrieben. Es antwortete mit Datum vom 9. Juli 2009 die hessische Umweltministerin Silke Lautenschläger. Sie führte aus, daß diese Maßnahmen auf der Basis der "Lahnstudie Marburg" durchgeführt würden und daß "Baumpflanzungen im Bereich des neuen Deiches .. aus technisch zwingenden Gründen nicht akzeptabel" gewesen seien.
Mit "technisch zwingenden Gründen" meint die Frau Staatsministerin sicherlich die Norm DIN 19712 von 1997. Der Text dieser Norm liegt mir nicht vor, um ihn zu bekommen, hätte ich dem DIN 100€ in den Rachen schieben müssen. Doch aus Publikationen im Internet entnahm ich, daß diese vorschreibt, daß auf Deichen keine Bäume wachsen dürfen, nur Grasbewuchs ist gestattet. Begründung: Bäume sorgen zwar für eine Verdübelung des Deichkörpers, schwanken aber im Wind und rütteln am Deichkörper, lockern diesen auf und schaffen Hohlräume, die Undichtigkeiten erzeugen.
Das ist vollkommen richtig - aber: Bäume saugen auch ständig Wasser an und damit Schwebstoffe, die diese Undichtigkeiten wieder ausfüllen, ja sogar zu einer wachsenden Verdichtung des Deichkörpers führen. dies kann man am ehesten am Wurzelraum von an Bächen wachsenden Schwarzerlen beobachten: die Palisadenwurzeln befestigen das Ufer und sind dicht von Erde umgeben, die auch mit der Zeit nicht ausgewaschen wird. Nur ein Besatz von Flußkrebsen, die sich zwischen den Wurzeln Höhlen graben, bringt sie zum Einsturz. Einen ähnlichen Effekt haben Korbweiden: Auf dem beiliegenden Holzstich von Virgil Solis (1514-1562) zu Ovids metamorphosen ist dies schön zu erkennen: Eine am Bach wachsende Weide hält das Erdreich dicht zusammen so, daß der Bach ausweicht und eine Auskolkung am anderen Ufer erzeugt. Ein schöner alter Beweis für die Fähigkeit bestimmter Bäume, das Erdreich am Flußufer zu verdichten und zu befestigen. In Johann Georg Estors "Bügerlicher Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen", Marburg 1757, findet man ein ganzes Kapitel über Flußbewehrungen (Estor war nicht nur Jurist, sondern auch Geograph - siehe meinen Artikel über ihn). Dort hebt er die Notwendigkeit der Bepflanzung der Ufer mit Korbweiden hervor.
Daß ein ausgewachsener geeigneter Baumbestand die beste Lebensversicherung gegen Deichbruch ist, konnte am an dem Ufer-Einsturz in Nachterstedt sehen: Auf Luftbildern erkennt man, daß Zonen mit zusammenhängendem Baum- und Strauchbewuchs so wie sie waren, gleichsam wie ein festes Brett den Hang herabgestürzt sind. Wäre der Hang durchgehend mit Bäumen bepflanzt gewesen, dann würden die 3 Opfer noch leben!
China übernimmt den deutschen DIN-Katalog 1:1. Das heißt diese fatale Norm ist auch in China gültig, in dem Land, das wohl die weltgrößten Probleme mit Deichsicherheit hat. Mir schwant nichts Gutes dabei!
Ich habe alles, was ich gegen diese Norm zusammengetragen habe, dem DIN zugeleitet. Antwort: Fehlanzeige!
Siehe hierzu auch: http://www.myheimat.de/marburg/natur/warum-sind-al...
Bürgerreporter:in:Heinrich Rautenhaus aus Marburg |
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