Zuhören mitten im Wahlkampf
Zuhören mitten im Wahlkampf
Der Paritätische Mittelhessen lud die Direktkandidat*innen aus Marburg-Biedenkopf zum Kamingespräch
Die Kreisgruppe Marburg-Biedenkopf des Paritätischen Hessen hatte die Direktkandidat*innen des Landkreises zum „Kamingespräch“ in die Festscheune des Hof Fleckenbühl bei Cölbe eingeladen. Gekommen waren Anna Hofmann (DIE LINKE), Marie-Sophie Künkel (CDU), Tamara Reiers (SPD), Jan Schalauske (DIE LINKE) und Louisa Scholz (FDP). Die Parität wählte den intimen und nicht-öffentlichen Rahmen des „Kamingesprächs“, um sich in Ruhe und ohne Mediendruck über die Sozialpolitik in Hessen auszutauschen. Der Parität war es ein wichtiges Anliegen, den Politiker*innen ein realistisches Bild der Situation in den sozialen Institutionen zu zeichnen. Außerdem ging es darum, die Forderungen der 75 paritätischen Mitgliedsorganisationen in Marburg-Biedenkopf zu adressieren: „Wir möchten Ihnen etwas mitgeben von uns für Ihre politische Arbeit – und Ihnen unsere Nöte und Sorgen transparent machen“, erläuterte Claudia Klee, Regionalgeschäftsführerin des Paritätischen Mittelhessen und Moderatorin des Abends, die Grundidee des Kamingesprächs.
Themen des Abends waren u. a. Armut und Armutsbekämpfung, Probleme beim kommunalen Finanzausgleich, Kampf bei der Verteilung von Landesmitteln und Verlust des sozialen Zusammenhalts. Die Politiker*innen nahmen die Gelegenheit wahr, sich von der Basis über die Situation bei den sozialen Trägern informieren zu lassen und hörten vor allem zu. Konsens bestand darin, dass Sozialpolitik mehr denn je lösungsorientiert – und parteiübergreifend – für die Interessen von hilfebedürftigen Menschen agieren muss.
Karin Ackermann-Feulner vom Marburger Bewohnernetzwerk für soziale Fragen informierte die Politiker*innen anhand eines Beispiels aus ihrer Beratungspraxis über versteckte Armut, die entstehe, wenn Menschen ihre Unterstützungsansprüche aufgrund hoher bürokratischer Hürden nicht wahrnehmen können. Ackermann-Feulner konfrontierte die Teilnehmer*innen des Kamingesprächs mit einem zentralen Anliegen des Paritätischen: „Ich fordere sie auf, zu überlegen, wie Sie über Parteigrenzen hinweg Probleme lösen können.“ Die Themen Entbürokratisierung, Unterstützung bei der Wahrnehmung von Hilfen sowie parteiübergreifende Lösungen von drängenden sozialen Fragen zogen sich wie ein roter Faden durch den Abend in der Fleckenbühler Festscheune.
Die anwesenden Direktkandidat*innen nahmen die Gelegenheit wahr, sich abseits vom Wahlkampf einen Eindruck von der Situation der sozialen Träger in Marburg-Biedenkopf zu machen. Einigkeit herrschte darüber, dass Menschen die Ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen können müssen. Tamara Reiers von der SPD bekundete, man müsse verstehen, was eine Hürde sein kann, und nur dann könne man helfen. Reiers sprach aus Erfahrung, da sie selbst einmal als Beraterin bei der Agentur für Arbeit tätig war.
Sebastian Weber vom Kinderzentrum Weißer Stein aus Marburg-Wehrda beschrieb eindrücklich, welche dramatischen Folgen der Verwaltungsstau auf kommunaler Ebene für die soziale Arbeit hat. Am Beispiel des Fehlens einer Rahmenvereinbarung für die Frühförderung machte er deutlich, dass die finanzielle Grundlage für die diesen Bereich nun fehle. Da die Frühförderung aber nicht einfach eingestellt werden könne, finanziere der Träger diese Arbeit aus Rücklagen.
Das ist an diesem Abend nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und sozialen Trägern aufgrund von Personalmangel und Überbürokratisierung defizitär ist. Hinzu kommt, dass die sozialen Träger den Ansturm der Beratungsanfragen kaum bewältigen können, da die Kommunen sich vielerorts aus diesen Aufgaben zurückgezogen haben. So laste die Delegierung von Aufgaben, die mit der Kommunalisierung von Landesmitteln begann, letztlich auf den sozialen Trägern. Diese wiederum kämpfen um ihre finanzielle Absicherung – was angesichts von Inflation, Energiekrise und drohender Streichung von 25 % des Sozialetats im Bundeshaushalt 2024 eine immense Belastung darstellt.
Die Vertreter*innen der Kreisgruppe Marburg-Biedenkopf des Paritätischen machten deutlich, dass sie mit ihrer sozialen Arbeit ein Netz zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft aufspannen und zur Verfügung stellen. Wird dieses fragile Netz durch weitere Einsparungen irritiert, müssen später ungleich höhere Summen für die Lösung der sozialen Folgeprobleme aufgewendet werden.
Sehr deutlich wurde an diesem Abend, dass die Politiker*innen die Empfehlungen aus der sozialen Praxis benötigen, um qualifizierte politische Entscheidungen treffen zu können. Die Quintessenz des Kamingesprächs: Künftig soll es regelmäßige Beratungs- und Austauschtreffen zwischen der Politik und der Parität geben.
Quelle Artikel + Foto Kerstin Ahrens.