Schuld ist immer der Schuldner, oder?

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"Schuld ist immer der Schuldner" so lautet die Überschrift eines Artikels von Heiner Flassbeck am 19.12.2018 au "makroskop". Er schreibt dort: »Es gibt Themen, die den „normalen“ Journalisten unserer „normalen“ Medien offensichtlich heillos überfordern. Das wichtigste davon ist das Thema Schulden«
Es sind jedoch nicht nur die Journalist_innen, die heillos überfordert sind. Politiker_innen von der EU-Ebene bis zu den Kommunen wollen nicht verstehen, wie die moderne Geld- und Konkurrenzwirtschaft funktioniert. Die Debatten in den Gemeindevertretungen und im Kreistag über die Haushalte und die Berichterstattung dazu sprechen Bände. Ab "Heilige Einfalt" mehr dazu.

Beispiel Japan

Man muss nicht viel von Wirtschaft verstehen, um zu begreifen, dass der Hinweis, die Staatsverschuldung von Nationalstaaten sei bei irgendeinem Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes schädlich, ideologischer, neoliberaler Bullshit ist. Ein wenig Buchführung und ein Blick in empirische Daten reicht.

Zum Beispiel: Japan hat weltweit die höchste Staatsverschuldung von über 230 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Gibt es dort Inflation? Nö. Die Notenbank versucht seit Jahrzehnten mit niedrigsten Zinsen die deflationären Tendenzen zu bekämpfen. Gibt es einen Zusammenbruch der japanischen Wirtschaft? Nö. Gibt es ein Misstrauen "der Finanzmärkte"? Nö.

Was ist eigentlich Verschuldung und wie entsteht sie?

Verbindlichkeiten (im Volksmund Schulden genannt) entstehen dann, wenn jemand etwas kauft. In dem Moment in dem der Kaufvertrag unterschrieben ist, hat der Käufer eine Verbindlichkeit und der Verkäufer eine Forderung. Dies geschieht in ein- und demselben Akt.

In der Buchhaltung wird der Kauf als Ausgabe und der Verkauf als Einnahme gebucht. Ein Kauf vermindert das Geldvermögen des Käufers und erhöht das Geldvermögen des Verkäufers um denselben Betrag. Geldvermögen von Wirtschaftssubjekten ist definiert als Summe aus Forderungen zzgl. Zahlungsmitteln, vermindert um die Verbindlichkeiten.

Bei jedem Einzelnen einer Volkswirtschaft kann das Geldvermögen positiv sein (er hat Guthaben), es kann gleich Null sein oder es kann negativ sein, wenn die Verbindlichkeiten den Wert von Forderungen und Zahlungsmitteln überschreiten (er hat Schulden).

Da Kauf und Verkauf immer gleichzeitig stattfinden, sind in der gesamten Volkswirtschaft die Einnahmen immer gleich hoch wie die Ausgaben. Das Geldvermögen jeder Volkswirtschaft ist somit immer gleich Null, genauso wie das (Netto-)Geldvermögen der ganzen Welt.

Volkswirtschaftliche Sektoren

Volkswirtschaften werden in einzelne Sektoren eingeteilt. Haushalte, private Unternehmen, der Staat und das Ausland bilden die vier volkswirtschaftlichen Sektoren. In der Bundesrepublik Deutschland sparten die privaten Haushalte schon immer – heißt: sie haben mehr eingenommen als ausgegeben. Etwa seit dem Jahr 2001 sind auch die privaten Unternehmen in Deutschland (und weltweit) zu Sparern geworden und nehmen mehr ein, als sie ausgeben.

Seit einigen Jahren hat auch der staatliche Sektor in Deutschland einen Einnahmeüberschuss. Nach dem oben Dargelegten muss es aber in Deutschland jemanden geben, der mehr ausgibt, als er einnimmt. Und das ist in der Bundesrepublik das Ausland. Das Ausland verschuldet sich in den letzten Jahren jedes Jahr mit rund 250 Milliarden Euro in Deutschland.

So lange die Bundesrepublik Deutschland weiterhin wie verrückt Waren in alle Welt verkauft und nicht in demselben Maße wie verrückt Waren aus aller Welt bezieht, so lange kann sich an diesem Zustand nichts ändern.

Denn: Wie können bestehende Schulden abgebaut werden? Nur wenn die Gläubiger bei den Schuldnern kaufen!

Denn: Wird eine Rechnung bezahlt, ändert sich an dem Geldvermögen der beteiligten Wirtschaftssubjekte: Nichts. Was mit der Definition von Geldvermögen und dem oben Gesagten ganz leicht nachvollziehbar ist.

Siehe auch: "Makroökonomie für Anfänger: Wer soll investieren? "

Heilige Einfalt…
oder: Denn sie wissen nicht was sie tun!


Ein Kommentar zu den Haushaltsdebatten in den kommunalen Gremien des Landkreises Marburg-Biedenkopf

Sie begreifen das wirtschaftliche Geschehen nur aus einer betriebswirtschaftlichen Einzelperspektive heraus. Sie kennen keine gesamtwirtschaftliche Sichtweise. Sie sehen nicht, dass die Kommunen ein wichtiger Teil des volkswirtschaftlichen Sektors Staat sind. Und missachten obendrein die gesetzliche Vorgabe der Hessischen Gemeindeordnung, mit ihren Haushalten den „Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen“. Zudem ist ihnen das zweistufige Geldsystem offenbar ein Buch mit sieben Siegeln.

Schon höre ich jetzt den geballten Protest gegen diese Anwürfe: Was sollen wir denn tun? Uns sind die doch Hände gebunden. Die Kommunalaufsicht, der Hessische Finanzminister, die Haushaltsverordnung und die Schuldenbremse lassen uns doch gar keine andere Wahl!

Wer zulässt, dass Juristen ohne den Hauch einer Ahnung von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen als Finanz- und Wirtschaftsminister etabliert werden, wer es zulässt – und sogar aktiv fördert -, dass hanebüchener Unsinn in Verfassungen geschrieben wird und wer völlig kritiklos den Hohen Priestern des Monetarismus und der neoklassischen Volkswirtschaftslehre an den bundesdeutschen Hochschulen mit ihren realitätsfremden Modellen folgt, tja, der hat es nicht besser verdient.

Wenn Europa samt Euro auseinanderfliegt werden die ökonomischen Probleme in der Bundesrepublik und im Landkreis gigantisch werden. Die Arbeitslosigkeit wird dramatisch steigen. Die Kinder und Enkelkinder werden wieder einmal fragen: Habt Ihr das alles nicht gewusst?

Dass in einer Geldwirtschaft in der Waren gekauft und verkauft werden, die Einnahmen des einen gleichzeitig die Ausgaben des anderen sind, und umgekehrt? Dass den Verbindlichkeiten des einen gleich hohe Forderungen eines anderen gegenüberstehen? Dass eine Volkswirtschaft als Ganzes nicht sparen kann - jedenfalls kein Geld? Und dass das Nettogeldvermögen auf dieser Erde immer und jederzeit exakt Null ist? Egal ob die Zahlen in den Computern in Euro, Dollar, Yen, Rubel oder wie auch immer denominiert werden?

Denn wenn man das weiß, kann man mit ein wenig Logik und dem eigenen Verstand klar erkennen, dass die herrschende Volkswirtschaftslehre, die die politischen Entscheidungen in dieser Republik von der kleinsten Gemeinde bis hin zu den europäischen Verträgen prägt, nichts als Mumpitz ist. Und bereits jetzt ein großes Unglück für weite Teile Europas und der Welt.


Quelle der Grafik: Makroskop

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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