Physikalische Instrumente verhindern vorerst den Bau einer Standseilbahn zum Marburger Schloss – alles schon einmal da gewesen
Ob der Rabbi Ben Akiba tatsächlich vor 2000 Jahren „alles schon mal da gewesen“ gesagt hat oder nicht: Auf jeden Fall triff es für die Marburger Kalamität mit der geplanten Standseilbahn von der Oberstadt zum Schloss zu. Weil die empfindlichen Instrumente des Physikalischen Instituts die Bewegungen der Standseilbahn nicht vertragen, wird die Realisierung des Schrägaufzugs mindestens bis zum Jahr 2025 auf sich warten lassen.
Schon einmal haben komplizierte Messgeräte des Physikalischen Instituts fast die Einführung eines neuen Fortbewegungsmittels in Marburg verhindert: den Bau der elektrischen Straßenbahn in Marburg. Im Jahr 1908, als noch die Pferdebahn gemächlich den Marburger Nahverkehr bediente, wollten die Marburger Bürger unbedingt eine „Elektrische“ haben. So wie es bereit viele andere Städte im Deutschen Reich vollbracht hatten, die ihre Pferdebahnen umgestellt hatten auf elektrischen Betrieb.
Doch in die vehement geführten Diskussionen in Bürgerversammlungen und Ausschüssen der Stadtverwaltung um die Linienführung der neuen „Elektrischen“ platzte ein bedeutsamer Einwand. Der Direktor des Physikalischen Instituts, das damals am Pilgrimstein neben der Frauenklinik angesiedelt war, meldete starke Bedenken an bei einer Linienführung in der Nähe seines Instituts. Diese Einspruch bedeutete vorerst ein unüberwindliches Hindernis zumindest für die geplante Streckenführung der Straßenbahn über den Pilgrimstein oder auch den Steinweg hinauf.
Der Königliche Kurator der Universität – heute entspricht diese Position dem Amt der Präsidentin der Philipps-Universität – schrieb an die Zuständigen der Stadt: „Sollte die Anzeige den Tatsachen entsprechen [gemeint war die geplante Linienführung der „Elektrischen“], so würde ohne ganz besondere Vorkehrungen das magnetische Feld im Physikalischen Institut verderben und sowohl für magnetische und galvanische Messungen unbrauchbar werden.“ Er bat um Aufklärung über die Planungen.
In der Folge entstand ein umfangreicher Schriftverkehr, der in den alten Akten des Stadtarchivs auf über dreißig Seiten nachlesbar ist. Zuerst bezweifelt der Leiter der Marburger Straßenbahn in einem dreiseitigen Schreiben die angeführten Ausführungen des Physikalischen Instituts. Danach werden die Störungen seitens des Kurators immer drastischer beschrieben. Es blieb – immerhin dauert der Streit bis zum Jahr 1911 – der Stadt nichts anderes übrig, als die Kosten für angegebene neue Instrumente zu übernehmen. Die Straßenbahn sollte unbedingt kommen.
Zudem wurde 1909 bekannt, dass die Universität plane, das Physikalische Institut an den Schlossberg zu verlegen. Das ist wieder einer Parallele zu dem heutigen Verfahren. Denn erst der ab etwa dem Jahr 2025 geplante Umzug des Instituts würde die elektromagnetischen Felder der komplizierten physikalischen Messgeräte am Renthof aus dem Spannungsbereich des selbstverständlich elektrisch betriebenen Oberstadt-Schrägaufzugs bringen. Aber 1911 wollte der Magistrat - bei der gleichen Problematik - nicht auf die Realisierung der geplanten Verlegung des Instituts vom Pilgrimstein an den Renthof warten. Man erstattete der Universität die Anschaffung störungsfreier neuer Geräte.
Eine kleine weitere Auseinandersetzung gab es danach noch um die alten Geräte des Instituts. In mehreren Schreiben bat die Stadt um die Übergabe der alten, vom Institut nicht mehr benötigten Geräte. Diese sollten den Marburger Schulen zur Verfügung gestellt werden, damit diese im Physikunterricht entsprechende Messungen durchführen könnten.
Erst im Oktober 1912, zu dieser Zeit fuhr die „Elektrische“ bereits über ein Jahr durch Marburgs Straßen, erhielt die Stadt die alten, aber noch gebrauchsfähigen Geräte. Aber auch zu dieser Angelegenheit kann aus den alten Akten ein Schmankerl nachgetragen werden.
Nach der Schenkung der elektrischen Messinstrumente (Galvanometer, Tangentenbussole usw.) an die Oberrealschule, die deren Direktor Knabe am 23. Oktober 1912 erhielt, protestierte dieser wegen der in seinen Augen unsachgemäßen Verteilung der Spiegelgalvanometer wie folgt: „Eine Bürgerschule kann diesen Apparat gar nicht gebrauchen und auch für das Lyzeum hat er wenig Wert.“ Gleichzeitig bat er um Übergabe dieser Geräte an seine Schule.
Der Direktor der Straßenbahn entsprach der Bitte von Knabe und setzte daraufhin am 8. November 1912 die Verteilung wie folgt fest:
1: Oberrealschule erhält 12 Instrumente (Galvanometer, Tangentenbussole, Magnetometer)
2: Lyzeum erhält 3 Instrumente (Galvanometer, Nobilio Multiplikator)
3: Volksschule Nord erhält 3 Instrumente (wie Lyzeum)
4: Volksschule Süd erhält 2 Instrumente
ist alles machbar