MoVe 35: Marburg bewegen
Gibt es einen Bürgerentscheid?
In dem Artikel „Move 35 – Marburg bewegen“ habe ich die Ereignisse rund um das neue Verkehrskonzept der Stadt Marburg bis Juni 2023 skizziert. Das Konzept trägt dem Wunsch vieler Menschen Rechnung, in Marburg eine Verbesserung der Mobilität und der Lebensqualität zu erreichen.
In einem Antrag an die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg (StVV) der grünen Fraktion heißt es zutreffend:
»Ein Mehr an Lebensqualität im öffentlichen Raum, eine gute Erreichbarkeit der Stadt und aller ihrer Teile mit allen Verkehrsträgern, gut ausgebaute Verkehrswege, ein gutes ÖPNV-Angebot sowie mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer*innen sind grundlegende Zielsetzungen, die von der überwiegenden Mehrheit der Marburger*innen geteilt und im Rahmen derer Verbesserungspotenziale gesehen werden. Dies hat der mehr als drei Jahre andauernde Prozess zur Erarbeitung von MoVe35 gezeigt.«
Dennoch versuchte die „Autofraktion“ unter tatkräftiger Mithilfe der Fraktion CDU/FDP/BfM und der Lokalpresse ein Bürgerbegehren gegen das Konzept ins Leben zu rufen. Die für ein Bürgerbegehren notwendigen Unterschriften wurden erfolgreich gesammelt. Das war unstrittig. Strittig hingegen, ob der Text des Bürgerbegehrens den Vorschriften der hessischen Gemeindeordnung entsprach.
Am 24. November 2023 fasste die StVV mit Mehrheit diesen Beschluss:
»Das „Bürgerbegehren zur Sicherung der verkehrlichen Zugänglichkeit unserer Stadt Marburg“ wird als unzulässig zurückgewiesen«
Die Vertreter der Koalition aus Grünen, SPD und Klimaliste hatten in der Debatte vor der Abstimmung ihre Entscheidung ausführlich begründet. Soweit so normal.
Dann kam der Knall
Der Marburger OB Dr. Thomas Spies (SPD) trat ans Rednerpult und verkündete zur Überraschung aller Anwesenden, dass ein Vertreterbegehren (1) über Move 35 auf den Weg gebracht werden soll. Helle Aufregung im Saal. Jubel und Freude bei der CDU und deren Verbündeten. Blankes Entsetzen in den Reihen der Koalition. Von heruntergefallenen Kinnladen, über Blicke die töten könnten, bis zu lautstarken Wortgefechten vor dem Saal, reichten die Reaktionen der düpierten Koalitionäre.
Die Krönung des Alleinganges war die Aussage des OB, die StVV möge sich auf einen rechtssicheren Text für das Vertreterbegehren einigen. Wohl wissend, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit bei diesem umstrittenen Thema nur sehr schwer zustande kommt. Eine eigene Formulierung legte er damals noch nicht vor. Der OB erschwerte einen Konsens, als er im Januar 2024 einen eigenen Vorschlag für den Text der Öffentlichkeit präsentierte:
»Sind Sie dafür, dass die Stadtverwaltung die Umsetzung der im Mobilitätskonzept ›MoVe35‹ vorgeschlagenen Maßnahmen unter Bürgerbeteiligung vorbereitet und diese Maßnahmen der Stadtverordnetenversammlung zum Beschluss vorlegt?«
Dabei erläuterte er, laut Sonntag-Morgenmagazin:
»Ein »Ja« als Gesamtergebnis beauftragt die Verwaltung, die 77 Maßnahmen auf Umsetzbarkeit zu prüfen. Diese sollen dann unter Bürgerbeteiligung vorbereitet und der Stadtverordnetenversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
Bei »Nein« als Ergebnis wird auf eine Gesamtstrategie für die Mobilitätsentwicklung verzichtet. Maßnahmen werden dann als Einzelentscheidungen vorbereitet und nach gesetzlicher Vorgabe (Nahverkehrsplan, Straßenverkehrsordnung, etc.) oder tatsächlicher Notwendigkeit (Sicherheit, Klimawandelfolgenanpassung, Anpassung an Mobilitätsverhalten, etc.) durch die Gremien beschlossen und gegebenenfalls umgesetzt.«
Sachstand Donnerstag 15. Februar 2024:
Es gibt einen offiziellen Formulierungsvorschlag der Grünen Fraktion, der sich im Verfahren befindet. Er lautet:
„Sind Sie dafür, dass das im Rahmen von MoVe35 beschlossenen Ziels einer Halbierung des PKW-Verkehrs zugunsten anderer Verkehrsmittelnutzungen weiterhin verfolgt wird?“
Diesem Vorschlag hat sich die CDU/FDP/BfM inzwischen angeschlossen. Damit in Verbindung steht ein weiterer Antrag der Grünen „Umsetzung der Maßnahmen aus MoVe35 unter intensiver Beteiligung der Bevölkerung“. Darin wird festgestellt, dass in der StVV eine große Einigkeit hinsichtlich der Notwendigkeit der Umsetzung verkehrspolitischer Maßnahmen zur Verbesserung der Erreichbarkeit mit allen Verkehrsträgern besteht und die überwiegende Zahl der im Rahmen von MoVe35 vorgeschlagenen Maßnahmen sinnvoll sind. Daher wird der Magistrat beauftragt, eine grundsätzliche Strategie zur Beteiligung der Bevölkerung sowie der Ortsbeiräte bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen des MoVe35 zu erarbeiten.
Es gibt noch zwei weitere Vorschläge in der Diskussion. Ein Vorschlag der SPD-Fraktion, der lautet:
»Sind Sie dafür, den Anteil der in Marburg mit dem Auto zurückgelegten Wege bis 2035 um 50 Prozent zu reduzieren, und nicht nur um 25 Prozent?«
Und aus der Zivilgesellschaft von Psychologists&Psychotherapists for Future der Vorschlag:
»Sind Sie dafür, dass in Marburg verkehrspolitische Maßnahmen (Ausbau des ÖPNV und der Fahrradinfrastruktur, Umverlagerung von Parkraum) ergriffen werden, um eine Verbesserung der Lebensqualität (höhere Luft- und Aufenthaltsqualität sowie Klimaschutz und anpassung), zu erzielen?«
Vorentschieden wird die Frage am Dienstag den 20. Februar um 19.00 Uhr auf der Sitzung des Haupt-, Finanz- und Wirtschaftsausschusses im Sitzungssaal der StVV in der Barfüßerstraße 50. Die Entscheidung dann in der Sitzung der StVV am Freitag, den 24. Februar ab 16.30 Uhr an gleicher Stelle.
Die Zusammenstzung der StVV:
CDU/FDP/BfM 17, Bündnis 90/Die Grünen 14, Sozialdemokratische Partei Deutschlands 14, Marburger Linke 7, Klimaliste Marburg 4, Alternative für Deutschland 1, Piratenpartei 1, Unabhängiger Grüner 1
Das sind zusammen 59 Sitze. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt daher 40 Stimmen.
(1) Ein Vertreterbegehren ist ein Bürgerbegehren, das von der Gemeindevertretung mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden kann. § 8 b Hessische Gemeindeordnung (HGO)
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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