Meinungsfreiheit
Geschichte eines Leserbriefes
Am 6. Juni brach nahe der ukrainischen Stadt Nowa Kachowka ein wichtiger Staudamm. In den Medien hieß es, eine heftige Explosion habe den Staudamm zerstört und eine große Flutkatastrophe ausgelöst. Meine Lokalzeitung, die Oberhessische Presse (OP) veröffentlichte am 7. Juni zu dem Ereignis einen Kommentar von Eva Quadbeck, Chefredakteurin des RND, „Bei Putin muss man auf alles gefasst sein“ und den Artikel „Eine neue Dimension der Kriegsführung“ von Sven Christian Schulz und Lucie Wittenberg vom RND (Hier Nachlesen)
Nach der Lektüre von Kommentar und Artikel war ich wütend. Und schrieb noch am selben Tag den nachstehenden Leserbrief an die Zeitung:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Bitte veröffentlichen Sie nachstehenden Leserbrief in Ihrer Rubrik "LESER(R)STOFF".
Staudamm Kachowka: Redaktionelle Schnellschüsse
Vorweg: Der Versuch Russlands den Konflikt in der Ukraine mit militärischen Mitteln zu lösen ist zu verurteilen. So wie jeder Einsatz militärischer Mittel ohne UN-Mandat zu verurteilen ist. Die Frage nach der „Schuld“ einzelner Akteure in diesem Konflikt ist müßig. Die Bemühungen sollten darauf gerichtet sein, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Der Artikel „Eine neue Dimension der Kriegsführung“ von Sven Christian Schulz und Lucie Wittenberg vom RND und der Kommentar von Eva Quadbeck, Chefredakteurin des RND, „Bei Putin muss man auf alles gefasst sein“ in der OP vom 7. Juni über die Zerstörung des Staudamms von Kachowka dienen nicht dem Ziel, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Sie sind Propagandaartikel.
Die Russen sind diesen Journalist:innen zu Folge nicht nur Barbaren und Unmenschen sondern auch strunzdumm. Sie beschießen sich permanent selbst und sprengen einen Staudamm in die Luft, damit anschließend ihre eigenen Verteidigungsstellungen meterhoch unter Wasser stehen.
Frau Quadbeck fordert zwischen den Zeilen, den Krieg so lange fortzusetzen, bis der jetzige Präsident Russlands aus dem Amt ausscheidet. Sie lässt offen, wie. Und verschwendet keinen Gedanken daran, was passiert, wenn ein Nachfolger ähnlich nationalistisch eingestellt ist, wie Selenskyj, Klitschko, Melnik & Co.
Immer, wenn bei einem Vorfall der Schuldige bereits feststeht, obwohl der Donner der Sprengladung noch nicht ganz verhallt ist, dann ist etwas ober faul. Auch diesmal, bei der Sprengung des Kachowka-Staudamms, waren sie beim RND ganz fix. Der Nutzen der Sprengung liegt eindeutig auf russischer Seite heißt es in dem Artikel.
Dass der Staudamm durch ukrainischen Beschuss mit HIMARS-Raketen bereits schwer beschädigt war, unerheblich. Dass die russische Regierung ein Schreiben an den UN-Sicherheitsrat schickte, in dem vor der Sprengung des Damms durch Kiew gewarnt wurde, nicht der Rede wert. Dass die Washington Post im Dezember 2022 über konkrete Pläne zur Zerstörung des Damms durch die Ukraine berichtete, Phantasmen eines Putin-Trolls. Dass der gesprengte Damm deutlich näher an den ukrainischen Linien liegt als an den russischen, egal. Dass die Sprengung, die Wasserversorgung auf der Krim womöglich gefährdet, so sind sie halt die Russen. Bösartig und dumm.
„Das Übel der Welt hat seinen Ursprung ausgerechnet in der Arroganz derer, die sich für die Guten halten!“ sagte Papst Franziskus. Recht hat er.
Redaktion lehnt Leserbrief ab
Heute, am Donnerstag, den 15. Juni erhielt ich die Nachricht, dass die Redaktion den Leserbrief nicht veröffentlichen werde, weil die Redaktion einige meiner Behauptungen nicht verifizieren könne. Dazu sei die Redaktion nach dem Presserecht verpflichtet.
Wieder wütend, schrieb ich diese E-Mail an die Redaktion:
Okay, Sie sitzen am längeren Hebel. Das muss ich akzeptieren. An Ihren Begründungen unerwünschte Meinungen zu unterdrücken, sollten Sie noch feilen. Ein Kommentar ist ein Meinungsartikel. Und eine Meinung können Sie nicht verifizieren. Frau Quadbeck wertet und wertet in ihrem Kommentar, ohne dass Sie einschreiten. Und interpretiert in die bekannten Tatsachen die Sichtweise hinein: Ukraine gut. Russland böse. Zudem lässt sie Fakten unter den Tisch fallen.
Sie schreibt "Nach 15 Monaten Krieg Russlands gegen die Ukraine". Diese Behauptung können Sie leicht verifizieren. Sie ist falsch. Kein geringerer als der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellte am 14. Februar 2023 fest:
»In gewisser Weise hat er die NATO nicht verändert. Er hat nur gezeigt, wie wichtig die NATO ist und wie wichtig sie war. Tatsächlich hat die NATO seit 2014 die größte Verstärkung der kollektiven Verteidigung seit einer Generation durchgeführt, denn der Krieg begann nicht erst im Februar letzten Jahres. Er begann im Jahr 2014 [im Orig.: because the war didn’t start in February last year. It started in 2014]. Und das löste eine große Anpassung unseres Bündnisses mit höherer Bereitschaft der Streitkräfte, mit mehr Präsenz im östlichen Teil des Bündnisses, mit mehr Übungen aus.«(https://www.youtube.com/watch?v=Cyy1gPk_8rg&t=103s ab 28:20)
Sie monieren die Aussage in meinem Leserbrief "Sie sind Propagandaartikel". Schauen Sie sich die 10 Regeln der Kriegspropaganda an, lesen sie den Kommentar von Frau Quadbeck und den Artikel von Sven Christian Schulz und Lucie Wittenberg und nehmen Sie für einen kleinen Moment mal die Sichtweise des Papstes ein.
1. Wir wollen den Krieg nicht,
2. Das gegenerische Lager trägt die Verantwortung,
3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel,
4. Wir kämpfen für eine gute Sache,
5. Der Gegener kämpft mit unerlaubten Waffen,
6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich,
7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm,
8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache,
9. Unsere Mission ist »heilig«,
10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.
Sie monieren, meine Aussage "Frau Quadbeck fordert zwischen den Zeilen, den Krieg so lange fortzusetzen, bis der jetzige Präsident Russlands aus dem Amt ausscheidet." Sorry, aber wie interpretieren Sie denn diese Sätze von Frau Quadbeck?
Für die demokratische Welt bleibt die Herausforderung, die Ukraine weiter mit Waffen, Geld und humanitärer Hilfe zu unterstützen und zugleich den Zeitpunkt nicht zu verpassen, zu dem ein Ende des Krieges möglich ist. Das wird wahrscheinlich noch viele Monate, möglicherweise so lange dauern, wie Putin im Kreml herrscht
Ich erspare mir die Mühe, weitere Halbwahrheiten, Fehlinterpretationen oder gar Falschaussagen in dem Kommentar und dem Artikel aufzuzählen. Von den vielen sachlich falschen Tatsachenbehauptungen in den abgedruckten Leserbriefen, die trotzdem veröffentlicht werden, will ich gar nicht reden.
Fakt ist: In meinem Leserbrief gibt es nicht eine falsche Tatsachenbehauptung. Was sich im Laufe der Zeit möglicherweise als falsch herausstellt, ist dass eine "Sprengung" für den Dammbruch ursächlich war. Aber das konnte ich zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht wissen. Die von Ihnen monierten Textstellen sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dennoch drucken Sie den Leserbrief nicht. Schade.
Ich werde Euch über den Fortgang auf dem Laufenden halten.
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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