Die Fleckenbühler: Landkreis in der Pflicht
Die Selbsthilfeeinrichtung „Die Fleckenbühler“ in Cölbe nimmt seit über 30 Jahren Menschen mit Suchtproblemen in jeder Lebenssituation sofort auf. Und dann werden die Menschen auf „Hof Fleckenbühl“ dabei unterstützt, dauerhaft suchtfrei und selbstbestimmt zu leben. Nicht nur der Hessische Rundfunk spricht von einem Erfolgsmodell. Cölbes Bürgermeister Volker Carle nennt die Einrichtung sogar einen „Leuchtturm im Landkreis Marburg-Biedenkopf“.
Da die Menschen, die bei „Die Fleckenbühler“ Hilfe suchen, in aller Regel die Kosten ihres Aufenthaltes nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können, sind sie auf Sozialleistungen angewiesen. Um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und sozialrechtliche Zweifelsfragen einvernehmlich zu klären, trafen „DIE Fleckenbühler“ und der Landkreis als Träger der örtlichen Sozialhilfe und als Optionskommune im SGB II (Hartz IV) eine Vereinbarung über Höhe und Umfang der Leistungen an die Menschen und an die Institution. Die Vereinbarung trat am 1.1.2010 in Kraft.
An diese Vereinbarung fühlen sich Kreisausschuss und der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow (CDU) nicht mehr gebunden. Unter Berufung auf ein Urteil des Landessozialgerichtes Berlin (L 18 AS 3341/14) [mehr Informationen und das Urteil hier] sollen Zahlungen an „Die Fleckenbühler“ ab Oktober eingestellt werden, da die Vereinbarung rechtswidrig sei. Dem Leuchtturm wird der Saft abgedreht.
Dabei ist juristisch völlig offen, ob das Urteil des Berliner Landessozialgerichtes eins zu eins auf „Die Fleckenbühler“ übertragen werden kann. Und: In der Vereinbarung zwischen Landkreis und „Die Fleckenbühler“ steht, dass die Vereinbarung nur dann unwirksam wird, wenn die Aufsichtsbehörde oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Vereinbarung beanstanden. Davon ist jedoch keine Rede.
Die Pressestelle des Berliner Sozialgerichtes überschrieb die Pressemitteilung zum Urteil in der ersten Instanz vom 28. November 2014 – S 37 AS 9238/13: „Kein Hartz IV für Synanon-Bewohner: Jobcenter und Sozialamt streiten um Zuständigkeit für Suchtkranke“. Es geht somit wieder einmal um nichts anderes als um die Frage: Wer ist zuständig? Wer zahlt?
DIE LINKE kritisiert angekündigte Einstellung von Zahlungen
Daher kritisiert die Fraktion DIE LINKE im Kreistag das Vorgehen des Landkreises scharf. Hajo Zeller, Geschäftsführer der Fraktion, sagt: „Die Selbsthilfeeinrichtung arbeitet erfolgreich. Es ist vernünftig und sinnvoll, dass dieses Projekt auch in Zukunft auskömmlich finanziert wird. Daher ist es ein Unding, dass der Landkreis seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung mit „Die Fleckenbühler“ einseitig bricht, ohne eine tragfähige Lösung für die Zukunft präsentieren zu können“.
Völlig unverständlich wird das Vorgehen des Landkreises, wenn das Urteil in Gänze betrachtet wird. Das Landessozialgericht verdonnerte die Behörde dazu, Leistungen der Sozialhilfe (SGB XII) an den Kläger zu zahlen. Sollte das Urteil auch in Marburg-Biedenkopf angewandt werden, wäre dies für den Landkreis ein gewaltiger Schuss ins eigene Knie. Denn die Sozialhilfe zahlt der Landkreis aus der eigenen Tasche, wohingegen die Leistungen nach dem SGB II vom Bund zumindest teilweise ersetzt werden.
Die Neufassung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) macht eine Überarbeitung des Finanzierungskonzeptes ohnehin notwendig. Denn der Begriff „Behinderung“ wird darin neu definiert, ein neues Teilhabeplanverfahren („Leistungen aus einer Hand“) eingeführt, die Eingliederungshilfe neu bestimmt und ab 1.1.2020 wird es eine Trennung von „Existenzsicherung“ und „Eingliederungshilfen“ geben.
Die Fraktion stellt daher in der Sitzung des Kreistages am 7. September zusammen mit der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen den Antrag, dass der Kreisausschuss zusammen mit der Hessischen Landesregierung, dem Träger der überörtlichen Sozialhilfe – das ist der LWV - und der Geschäftsführung von Hof Fleckenbühl eine tragfähige Lösung zur Finanzierung der Selbsthilfeeinrichtung „Die Fleckenbühler“ entwickelt. Bis diese Lösung gefunden und umgesetzt wird, soll die bisherige Regelung über den 30. September hinaus fortgesetzt werden.
Hajo Zeller kommentiert abschließend: „Auf dem Rücken suchtkranker Menschen einen juristischen Grundsatzstreit auszutragen, ist ganz sicher keine gute Idee. Ich appelliere an alle Kreistagsabgeordneten nächsten Freitag zuerst daran zu denken, den betroffenen Menschen weiterhin eine Perspektive zu bieten. Die Abgeordneten von SPD und CDU bitte ich, ihre eigene Koalitionsvereinbarung "Erfolgreich weiter" und deren Präambel ernst zu nehmen und "der besonderen Verantwortung, die aus einer großen Kreistagsmehrheit heraus entsteht" (Zitat Präambel Koalitionsvereinbarung "Erfolgreich weiter"), gerecht zu werden".
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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