Der Hannibal-Komplex - Oder: Die Mär von rechtsextremen Einzeltätern
Ein Regierungspräsident, der Flüchtlinge unterstützte und mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe förmlich hingerichtet wurde: Der Mord an Walter Lübcke (Christlich Demokratische Union, CDU) im hessischen Kassel zieht weite Kreise. Dass die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hat, von einem besonderen Fall spricht und einen rechtsextremistischen Hintergrund vermutet, zeigt eine Tragweite, die weite Teile des politischen Berlins beschäftigt.
Just zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V. in Tübingen eine Studie mit dem Titel "Der Hannibal-Komplex". In dieser Studie wird ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten beleuchtet und vorgestellt. Studie hier herunterladen.
Der Hannibal-Komplex
In der Einleitung heißt es:
Seit 2017 tauchen immer neue Details über ein militantes, rechtes Netzwerk in der Bundeswehr auf, das Waffendepots anlegte, Feindeslisten anfertigte und sich auf die Ermordung politischer Gegner*innen an einem „Tag X“ vorbereitete. Der Focus berichtete von einem konspirativen „Netzwerk aus circa 200 ehemaligen und aktiven Bundeswehrsoldaten“.
In diesem Zusammenhang fällt immer wieder das Stichwort „Schattenarmee“ – und das wohl zu Recht. Ein ehemaliger Elitesoldat des Kommando Spezialkräfte (KSK), der für dieses Netzwerk angeworben werden sollte, schätzt, es handle sich um einen „harten Kern von 80 bis 100 Personen“, der Waffenlager angelegt habe. Das Netzwerk besteht aus mehreren Zellen, die durch verschiedene Chatgruppen, den Verein UNITER e.V. und dessen langjährigen Vorstand André S. (Deckname: „Hannibal“) miteinander verbunden sind. Und das ist womöglich nur die Spitze des Eisbergs.
Im Zentrum des Netzwerkes steht André S., ein ehemaliger Elitesoldat. Als Führungsperson des Vereins UNITER und Administrator diverser Chatgruppen stand André S. in direktem Kontakt zu sämtlichen Protagonisten des Netzwerks. Darunter fallen der unter Terrorverdacht stehende Soldat Franco Albrecht, eine Gruppe von rechten Preppern und Reservisten in Mecklenburg-Vorpommern und der baden-württembergische Verfassungsschützer Ringo M., ein ehemaliger Polizist, der in der selben Polizeieinheit wie das NSU-Opfer Michele Kiesewetter gearbeitet hat.
Nach Ansicht der Bundesregierung ist das rechte Netzwerk, das auch als Hannibal-Komplex bezeichnet wird, kein Netzwerk, sondern eine Serie von Einzelfällen. Im Folgenden wird gezeigt, dass es sich keineswegs um Einzelfälle handelt, sondern um ein weit verzweigtes, gut organisiertes und hochgefährliches Netzwerk.
Bundesregierung leugnet Netzwerk
Dass es sich bei dem dargestellten Komplex um ein Netzwerk handelt, ist bei näherer Betrachtung vollkommen klar. Über den Verein UNITER, die Chatgruppen und die Person André S. sind alle Personen miteinander verbunden. Die Bundesregierung leugnet diesen Umstand jedoch.
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag antwortete die Bundesregierung: „Dem MAD liegen keine Erkenntnisse vor, dass im Umfeld des KSK rechtsterroristische Netzwerke existieren würden oder im Entstehen begriffen wären. […] Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über das angebliche Bestehen einer derartigen Gruppe.
Während die Einzelaspekte des Netzwerks (z.B. der Fall Franco Albrecht oder die Nordkreuz-Gruppe) durchaus zugegeben werden, werden der Netzwerkcharakter und der Zusammenhang zwischen den Fällen immer wieder ausgeblendet, ignoriert und geleugnet.
Der Mord in Kassel sollte für die Bundesregierung Anlass genug sein, sich die rechtsextremen Gruppen und ihre Beziehungen zu Staatsbediensteten einmal etwas genauer anzusehen.
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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