Aus dem Bundestag: Anhörung Fallpauschalen
Die Krankenhäuser in der Bundesrepublik sind unterfinanziert. Da sind sich die Experten einig. Wer jedoch die Unterfinanzierung beseitigen und auf wessen Kosten dies geschehen soll, darüber gehen die Meinungen der "Experten" weit auseinander, je nachdem, wer den Experten bezahlt.
Aber lesen Sie selbst die Aktuelle Mitteilung des Bundestages über die Anhörung von Gesundheitsexperten zum Antrag der Fraktion DIE LINKE im Bundestag "Krankenhäuser gemeinwohlorientiert und bedarfsgerecht finanzieren", die ich hier ungekürzt wiedergebe:
Diskussion um Fallpauschalen in Kliniken
Gesundheit/Anhörung - 13.04.2016
Berlin: (hib/PK) Die Krankenhausfinanzierung muss nach Ansicht von Gesundheitsexperten ungeachtet der jüngsten gesetzlichen Strukturreform weiterentwickelt werden. Anlässlich einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss am Mittwoch in Berlin über einen Antrag der Fraktion DIE LINKE (18/6326) beklagten Experten, auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen, vor allem ausbleibende Investitionen der zuständigen Länder in die Häuser sowie das fehlende Pflegepersonal.
Umstritten sind die 2003 eingeführten Fallpauschalen, mit denen stationäre Krankenhausbehandlungen abgerechnet werden. Mehrere Experten warnten nachdrücklich vor einer Rückkehr zum Prinzip der Selbstkostendeckung. Dies würde zu Intransparenz und unkalkulierbaren Kosten führen.
DIE LINKE fordert eine Krankenhausreform, die am Gemeinwohl orientiert ist und den Häusern eine bedarfsgerechte Finanzierung ermöglicht. Der wichtigste Schritt zur Verbesserung der Strukturqualität sei mehr Personal. So müsse eine verbindliche Personalbemessung schnellstmöglich eingeführt werden.
Die Unterscheidung zwischen ambulant, stationär und pflegerisch sollte zugunsten einer sektorenübergreifenden Bedarfsplanung überwunden werden. Das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) müsse abgeschafft werden. Der Investitionsstau könne außerdem nicht allein von den Bundesländern behoben werden, hier müsse sich der Bund künftig beteiligen.
Der Bundestag hatte im vergangenen Jahr ein Krankenhausstrukturgesetz (18/5372) verabschiedet mit dem Ziel einer verbesserten Qualität in der stationären Versorgung. Das Gesetz soll auch dazu beitragen, die Zahl der Kliniken in überversorgten Regionen, vor allem in Großstädten, zu reduzieren. Experten bezweifeln jedoch, dass die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder die notwendigen Reformen wirklich angehen.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sieht vor allem die Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung kritisch, lehnt eine Abkehr von den Fallpauschalen aber ab. Ein Verbandssprecher sagte in der Anhörung, wenn es Probleme mit Dieselmotoren gebe, komme auch keiner auf die Idee, wieder auf Pferdefuhrwerke zu setzen. Das DRG-System weise in Hinsicht auf Transparenz und Wirtschaftlichkeit eine "hervorragende Bilanz" aus. Die Wiedereinführung einer Selbstkostendeckung wäre hingegen "nicht zweckmäßig".
Während das Vergütungssystem durch die DRG-Einführung "leistungsorientiert und dynamisch modernisiert" worden sei, zeige sich die "strukturkonservierende Kapazitätsplanung" der Länder überholungsbedürftig. Es sei nicht gelungen, den "überfälligen Abbau von stationären Überkapazitäten einzuleiten".
Auch der Gesundheitsökonom Hartmut Reiners sieht in der Forderung nach einer Rückkehr zum Selbstkostendeckungsprinzip "eher Nostalgie, als eine sachgerechte Perspektive". Das "Prinzip der warmen Betten" habe sich nicht bewährt. Kliniken dürften keine "ökonomiefreie Zone" sein. In der Anhörung wies Reiners darauf hin, dass kein Vergütungssystem ohne Fehlanreize sei.
Widerspruch kam vom Sachverständigen Michael Simon von der Hochschule Hannover, der das DRG-System infrage stellt, weil es vielfach nicht kostendeckend sei und letztlich die Verwirklichung der krankenhausplanerischen Ziele gefährde. Dass bislang wenige defizitäre Kliniken geschlossen worden seien, hänge auch mit dem Stellenabbau in der Pflege und Fallzahlsteigerungen zusammen. Dem System der Fallpauschalen liege ein zweifelhafter Wirtschaftlichkeitsbegriff zugrunde. Es sei angebracht, über eine Reform der Krankenhausfinanzierung und die Abschaffung des DRG-Systems nachzudenken.
Nach Auffassung der Gewerkschaft Verdi bietet das jetzige DRG-System einen "Anreiz zum Personalabbau vor allem in den pflegerischen, therapeutischen und hauswirtschaftlichen Berufen". So fehlten in den Krankenhäusern bundesweit 162.000 Stellen, davon allein 70.000 in der Pflege. Besonders ausgeprägt sei die Personalnot im Nachtdienst, was sich negativ auf die Versorgungssicherheit und Qualität auswirke. Durch den Arbeitsdruck werde etwa auch die Hygiene vernachlässigt.
Von "Fehlsteuerungen in der Krankenhausversorgung" spricht der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und sieht die Unterfinanzierung der Kliniken auch mit dem Krankenhausstrukturgesetz nicht nachhaltig gelöst. Gebraucht würden Vorgaben für die Personalbemessung im Pflegedienst. Der Verband fordert eine "erlösrelevante Abbildung von Pflegeleistungen im DRG-System". Auch der GKV-Spitzenverband räumt ein, dass in einigen Klinikbereichen die "Personalausstattung qualitätskritisch" ist.
Nach Angaben des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) unterscheiden sich Krankenhäuser fachlich, organisatorisch, in den Arbeitsabläufen, in den baulichen Grundlagen und auch hinsichtlich der Patienten teilweise erheblich. Somit könne der Personalbedarf krankenhausübergreifend nicht pauschal festgelegt werden.
Der Verband, der die 33 Universitätskliniken dramatisch unterfinanziert sieht, plädiert für alternative Finanzierungsmodelle zur Überwindung des Investitionsstaus und eine Weiterentwicklung des DRG-Systems, um eine angemessene Personalausstattung in den Häusern, auch in der Pflege, sicherzustellen und die strukturellen Unterschiede der Kliniken besser zu berücksichtigen.
Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) sieht in organisatorischen Mängeln einen Grund für die Probleme. Fast alle privaten Kliniken seien in den zurückliegenden Jahren von kommunalen Trägern übernommen worden. Heute seien die Häuser wieder leistungsfähig, weil die neuen Betreiber die Kliniken umorganisiert hätten, Gewinne erwirtschafteten und einen Großteil der Gewinne "in gute Medizin, moderne Infrastruktur sowie in qualifiziertes Personal" reinvestierten. Die Zahl der privat getragenen Krankenhäuser habe sich von 359 im Jahr 1991 auf 695 im Jahr 2014 erhöht.
Der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser macht hingegen den zunehmenden kommerziellen Wettbewerb verantwortlich für die "Misere des Krankenhauswesens". Ein Krankenhaus sei zwar ein Unternehmen, jedoch kein kommerzielles, sondern ein soziales. Der Zweck ergebe sich aus dem Versorgungsauftrag. Dieser Auftrag müsse so sparsam wie möglich erfüllt werden. Bund und Länder seien in der Pflicht, Krankenhäuser durch die Bereitstellung der nötigen Mittel in die Lage zu versetzen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Daher müsse das eigennützige, kommerzielle Interesse am Betrieb eines Krankenhauses ausgeschlossen werden.
Die Krankenhäuser sind in der Krise - eine alltägliche Erfahrung.