WORTE DER MINNE VON 1886 VON EINEM VEREHRER MEINER GROßMUTTER
Teneriffa. Die Älteren unter uns kennen noch Worte wie Bescheidenheit, Zufriedenheit, Freundschaft, Unschuld, Sanftmut, Zuneigung. Wo sind sie geblieben?
Gestern fiel mir ein kleines Kunstwerk von 1886 in die Hände und ließ mich nachdenklich verweilen. Ein Verehrer schenkte meiner Großmutter zu ihrem 17. Geburtstag eine liebevoll gestaltete Karte, ein kleines Album, das man durch Ziehen an einer Lasche umblättern kann.
Hier folgt nun die romantische Anmache eines Verliebten des 19. Jahrhunderts:
VEREHRUNG:
Laß’ Dir freundlich überreichen duft’ger Blumen Sinngedicht.
Und betracht’s als günstig Zeichen, wenn zuerst die Rose spricht.
Wie im ird’schen Thun und Handeln auch abwechseln Freud’ und Leid.
Du mögst nur auf Rosen wandeln Deine ganze Lebenszeit!
BESCHEIDENHEIT:
Veilchen blühet still verborgen zwischen Moos und Immergrün.
So auch immer frei von Sorgen, mögest Du, o Theure, blüh’n!
Uns’re Freundschaft auch mög’ blühen still verborgen allezeit.
Gleich dem Veilchen, dem verliehen die Natur die Einfachheit!
ZUFRIEDENHEIT:
Wenn die ersten Priemeln wieder Deinen Blick im Lenz erfreu’n,
Senk’ auch in Dein Herz sich nieder neuer Frühlingssonnenschein!
Mag es Herbst, mag’s Winter werden, bleib zufrieden allezeit,
Denn das höchste Glück auf Erden ist doch die Zufriedenheit!
FREUNDSCHAFT:
Das Maiglöckchen auch bereitet oft im Lenze Freude Dir,
Weißt Du nicht was es bedeutet, so erfahre es von mir:
Es bedeutet: Lang’ im Herzen trag’ ich schon Dein lieblich Bild
Und nicht möcht’ ich mir verscherzen Freundschaft, die mir Alles gilt!
UNSCHULD:
Darf ich einen Wunsch nun wagen, den ich lange schon gehegt?
So mag Dir Reseda sagen, was mein Freundesherz bewegt.
Seeleneinheit, Seelengüte, die Dich zierten immerdar,
O, bewahre und behüte sie auch ferner vor Gefahr!
SANFTMUTH:
Weißt Du wohl, daß die Moosrose als Symbol der Sanftmuth gilt?
Welcher Sturm Dich auch umtose, bleibe stets ihr Ebenbild!
Ja, in allen Lebensstürmen bleibe milde, sanft und gut.
Dann wird Gott Dich auch beschirmen, denn Du stehst in seiner Hut!
ZUNEIGUNG:
Gänseblümchen, leicht erkenntlich macht’s durch seine Blüthe sich,
Seine Sprache ist verständlich, darum sprech’ es nun für mich!
Ohne Furcht und ohne Zagen bau auf meinen treuen Sinn,
Gänseblümchen wird Dir sagen, daß ich Dir gewogen bin!
VERGISS MEIN NICHT:
Und nun nimm zum Eigenthume noch ein kleines Sträußchen an;
Anders als mit dieser Blume ich von Dir nicht scheiden kann.
Sicherlich wirst Du verstehen, was dies blaue Blümchen spricht:
Bis auf frohes Wiedersehen, - also sagt’s – Vergißmeinnicht!
Bleibt anzumerken, dass meine Großmutter einen Anderen heiratete.
Ob die Karte zu dick aufgetragen war? Wer weiß?
Natürlich ist es in unseren Augen zu dick aufgetragen; aber wir verfallen immer wieder in den Fehler, historische Ereignisse oder Äußerungen an unseren heutigen Maßstäben zu messen. Wartet ab, bis in 100 und mehr Jahren über Eure heutigen Äußerungen bzw. Sprache geurteilt wird. Schade, dass ich das dann nicht mehr lesen kann.
Damals fand man das schön und wenn ich mich in die Gedankenwelt des bzw. der Verfasser von damals hinein zu versetzen bemühe, finde ich es auch heute noch schön, obwohl ich heute eine Liebeserklärung anders verfassen würde, wenn ich nicht schon zu alt dafür wäre. (82)