Sodbrennen / Kurzgeschichte

„Was ist denn nun passiert?“ Der Polizeibeamte nahm seine Mütze ab, wischte sich den Schweiß aus der Stirn und atmete schwer.
Für den wäre es auch gut, wenn er ein paar Kilos weniger auf den Rippen hätte.
„Äähhh, ich weiß auch nicht genau“, sagte ich. „Es ging ja alles so schnell. Ich wollte gerade in den Duty-free-Shop hineingehen, als mir dieser dürre Kerl entgegenkam, mich zur Seite stieß und an mir vorbeigestürmt ist. Ich bin in dieses Regal mit dem Parfum reingefallen. Warum das aber auch am Eingang steht …“. Mann, war das eine Schweinerei gewesen! Ich stank jetzt noch nach einer Mischung aus Chanel Nr.5 und 4711.

Der fette Bulle, er war noch bedeutend dicker als ich, winkte ungehalten ab. Seine Finger sahen aus wie Cocktailwürstchen. Apropos … das nagende Gefühl in meinem Magen konnte nur Hunger sein. Kein Wunder bei dem Stress.
„Das interessiert jetzt nicht. Können Sie den Mann denn nicht genauer beschreiben? Sie sind der Einzige, der ihn aus der Nähe gesehen hat.“ Der Beamte schaute mich aus seinen Schweinsäuglein an.
Zwei Schweineschnitzel gestern Abend waren doch zu viel gewesen. Meine Magensäure kroch mir wie eine Schnecke mit brennender Schleimspur die Speiseröhre hinauf. Ich griff in meine Jackentasche, öffnete das Döschen mit den Säureblockern und nahm zwei heraus.
„Haben Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich? Ich muss meine Tabletten nehmen. Mein Sodbrennen bringt mich um.“
Der Bulle schaute mich entgeistert an. „Sodbrennen!? Mein lieber Mann! Sie sind hier um eine Aussage zu machen. Was geht mich jetzt ihr Sodbrennen an. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Bei einem Raubüberfall zählt jede Sekunde …“
„Ist ja gut. Ich meinte ja nur …“ Ich versuchte mich auf die Situation zu konzentrieren, doch in meinem Mund hatte sich mittlerweile ein zäher Speichelkloß angesammelt, den ich unmöglich wieder runterschlucken konnte. Wohin damit? Mit meiner Konzentration jedenfalls war es vorbei.
So war es immer. Immer wenn ich versuche abzunehmen, weil die Hose mal wieder unangemessen um den Bauch herum spannte, überfallen mich diese Hungerattacken. Überfälle, denen ich nicht widerstehen konnte. Die Folgen davon sind Magenprobleme, teuflisches Sodbrennen und Fixierung genau auf das was ich nicht soll: Essen. Erst wenn die kritische Anfangsphase überstanden ist, gelingt es mir einige überflüssige Pfunde zu verlieren. Leider nicht lange, denn wie durch Zauberhand sitzen die Kilos kurz drauf wieder auf meinen Rippen. Dann geht alles von vorne los. Es ist ein ewiger Kreislauf, dem ich nicht entrinnen kann.
„Ich muss mal auf die Toilette.“
Der Beamte ließ den Mund offen stehen. Er wollte protestieren, aber wenn man muss, dann muss man! Schließlich nickte er resigniert.
In der Toilette ließ ich den Speichelkloß im Waschbecken verschwinden, schluckte meine zwei Säureblocker und schaute mir im Spiegel ins Gesicht. Was ich dort sah, kannte ich zur Genüge. Zwei hellblaue Augen, eingebettet in Fettwülste, zwei feiste Wangen, in denen die Nase verschwand. Der kleine Kussmund, der das Ganze abrundete, tat sein Übriges dazu, dass mir schlecht wurde. Ich übergab mich ins Waschbecken (das kannte ich ja auch schon) und wischte mir den Mund mit den bereitliegenden Papiertüchern ab. Dann ging ich zurück in den Vernehmungsraum.
Mir war jetzt klar, was geschehen musste. So konnte es nun wirklich nicht weitergehen. Ich führte mich hier ja auf wie das totale Weichei. Ich musste die Situation hier beenden, mich im nächsten Fitnessstudio anmelden, eine Ernährungsberatung in Anspruch nehmen, vielleicht sogar eine Gesprächstherapie beginnen.
„Hören Sie“, sagte ich wild entschlossen zu dem Beamten. „Ich kann Ihnen zu dem Täter nichts sagen. Das ging alles so schnell. Das Einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass es ein Mann war. Größe, Kleidung oder Sonstiges habe ich nicht erkennen können. Es tut mir leid.“
Die Schultern des Bullen sanken nach unten. „Gut Herr Kleinheinz. Dann danke ich Ihnen für Ihre Aussage. Auf Wiedersehen.“
Er wies mit seinem rechten Arm zur Tür. Irgendwie fühlte ich mich rausgeschmissen. Egal. Ich hatte ja nun einiges zu tun. Punkt eins Anmeldung im Fitnessstudio … da fiel mir ein: Hatte ich nicht vorhin, als ich aus dem Polizeiwagen stieg, dieses kleine, nette Restaurant gesehen …

© R. Güllich

Bürgerreporter:in:

Rainer Güllich aus Marburg

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