Picknick mit Hindernissen / Kurzgeschichte
Picknick mit Hindernissen
„Nun beeile dich aber mal, Luisa!“ Die Frau, in dem geblümten Kleid, das ihr wie eine Schleppe hinterherwehte, zog eine große Stofftasche über den Boden. Der Inhalt der Tasche verteilte sich gleichmäßig über den frisch gemähten Rasen. Sie merkte den Verlust ihrer Utensilien nicht.
Servietten, Plastikbesteck, Pappbecher, Porzellanteller, eine Dose Würstchen, eine Tube Senf und weitere Picknickzutaten bildeten eine lange Reihe auf dem Rasen. Es sah aus wie ein schrilles, modernes Stillleben.
„Gabriele! So warte doch. Merkst du nicht, dass du deine ganzen Sachen verlierst?“ Eine Dame in grün, nämlich grüne Hose, grüne Jacke, grüner Hut, wahrscheinlich die sich beeilen sollende Luisa, versuchte die Frau in dem geblümten Kleid zu überholen.
Jens Mackenbertel, seines Zeichens Tierpfleger im Tierpark Schönenwalde, stöhnte. Bitte nicht schon wieder! Kein Stress, kein Krach.
Die Elefantendame Sieglinde brauchte ihre Ruhe. Hochschwanger und damit hypersensibel, war Stress Gift für sie. Schon bei der letzten Trächtigkeit der Elefantenkuh war es beinahe zu einer Fehlgeburt gekommen, weil irgendwelche Jugendliche in der Nähe des Elefantenhauses gemeint hatten, den Nachmittag im Tierpark mit Gejohle und Geschrei verbringen zu müssen.
Jens Mackenbertel, der versucht hatte die Jugendlichen in ihre Schranken zu verweisen, war von seinem Chef, dem Tierparkdirektor Dr. Dr. Eberhardt Bankhuber, davon abgehalten worden. Um die finanziellen Belange des Parks sah es schlecht aus, zahlende Kunden durfte man nicht vergraulen.
Die beiden Damen sammelten die verlorenen Gegenstände ein, breiteten eine große Liegedecke auf der baumbeschatteten Ecke des Elefantenhauses aus und ließen sich sozusagen häuslich nieder.
Wenige Augenblicke später tauchte eine dritte Person auf, die direkt auf die anderen beiden Damen zusteuerte.
„Hallo! Frieda! Da bist du ja!“ Beide Damen winkten, Frieda winkte zurück.
Frieda, angetan in einem weißen Gewand, das sie aussehen ließ wie eine Tonne, ließ ihre, schätzungsweise zwei Zentner, auf die Decke plumpsen.
„Uff, geschafft“, sagte, beziehungsweise brüllte sie mit einer Stimme, die einem General gut angestanden hätte.
Jens Mackenbertel sah im Hintergrund Sieglinde, die Elefantendame, die sich im Freigehege befand, die Ohren anlegen und den Rüssel schwenken. Kein gutes Zeichen.
Er musste etwas unternehmen. Er ging auf die drei Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes zu. „Meine Damen entschuldigen sie bitte. Ich muss Ihnen etwas mitteilen. Unsere Elefantendame Sieglinde ist schwanger. Sie ist ein hochsensibles Tier und reagiert auf Lärm sehr empfindlich. Ich möchte Sie bitten, sich etwas leiser zu verhalten.“
„Uns leiser verhalten! Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen. Wir sind leise!“ Frieda, die Tonnendame brüllte es fast.
Sieglinde, in ihrem Gehege, fing an sich im Kreis zu drehen.
„Verstehen Sie doch. Sieglinde könnte eine Fehlgeburt bekommen.“ Jens Mackenbertel flüsterte es. Seine Mütze, die ihn als Tierpfleger auswies und die er in seinen Händen drehte, geriet in Gefahr zerrissen zu werden.
„Hören sie mal zu, Sie Schlaumeier.“ Die Dame in Grün hatte das Wort ergriffen. „Wir drei, meine Freundinnen und ich sind mehr als einmal schwanger gewesen und keine von uns hat je eine Fehlgeburt gehabt. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass diese Elefantenkuh etwa sensibler, heißt, also auch weiblicher, als wir sein soll?“
Jens Mackenbertel spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. In welche Richtung lief das denn jetzt? Das hatte er ja wohl ganz falsch angefangen.
„Nein, natürlich möchte ich das nicht behaupten. Ich wollte Sie nur bitten sich mit ihrer Decke doch irgendwo anders hinzubegeben. Vielleicht zu den Dromedaren und Lamas, dort hat es auch Schatten.“
„Zu den Kamelen sollen wir?! Was wollen Sie denn damit sagen?“ Der grünen Dame schien Dampf aus den Nasenlöchern zu kommen. Ihre Stimme wurde um einiges lauter.
Sieglinde lief in ihrem Gehege auf und ab und begann zu trompeten. Es hörte sich nicht gerade melodiös an.
„Nein, nein. Sie verstehen mich ja ganz falsch … ich will Sie doch nicht mit den Kamelen vergleichen …“ Jens Mackenbertel wurde immer verzweifelter.
Die Dame im weißen Gewand tippte ihm von hinten auf die Schulter. „Hör’ n Sie mal, Sie Männeken. Wissen Sie was? Hau’ n sie einfach ab und lassen Sie uns in Ruhe.“
Jens Mackenbertel drehte sich zu ihr um und verlor dabei die Elefantendame Sieglinde vollends aus den Augen. Jetzt wurde er aber echt sauer. „Ich soll abhauen! Was glauben Sie denn, wo sie hier sind? Sie sind im Tierpark! Ich bin hier Tierpfleger! Ich gebe hier die Anweisungen.“
Er hörte Sieglinde triumphierend trompeten. Es klang direkt fröhlich. Erstaunt blickte er sich um.
Er traute seinen Augen nicht. Neben Sieglinde, der eben noch schwangeren Elefantendame, stand, wenn auch auf noch wackligen Beinen, ein kleines Etwas, das wie eine Miniaturausführung von Sieglinde aussah. Sie hatte also, während des Streites mit diesen „Damen“ ihr Junges bekommen! Jens Mackenbertel traten Tränen in die Augen.
„Schauen Sie nur“, wandte er sich an die drei Frauen. „Da ist das Elefantenbaby. Es ist doch immer wieder ein Wunder …“ Er schniefte, der Streit war vergessen.
„Oh, wie süß.“
„Allerliebst.“
„Zum Hinknien.“
Die drei Damen waren hin und weg. Von Groll und Ärger keine Spur.
„Meine Damen, es tut mir leid, aber da muss ich jetzt hin … muss schau’ n, ob alles in Ordnung ist.“
„Ach, guter Mann, dürfen wir denn mit? Wenigstens in die Nähe.“ Die Frau in Grün war ganz gerührt.
„Ja, aber nur mit bis an das Gatter. Wir wollen ja die frischgebackene Mutter nicht nervös machen.“ Jens Mackenbertels Stimme klang locker und gelöst.
Auf dem Weg zum Elefantengehege fragte die Frau im weißen Gewand: „Sagen Sie, kann man denn bei Ihnen im Tierpark nicht auch Patenschaften für Tiere übernehmen. Ich meine, ich hätte da so was gelesen …“
Und so kam es, dass Miriam, das kleine Elefantenmädchen, gleich drei Patinnen bekam.
© R. Güllich
Bürgerreporter:in:Rainer Güllich aus Marburg |
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