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Die Rose von Jericho / Kurzgeschichte

Die Sonne stand hoch am Zenit. Sie brannte mit glutrotem Licht auf die Erde nieder. Den beiden Reitern, die in ihren Kettenhemden zu verbrennen glaubten, lief der Schweiß in dicken Tropfen von der Stirn. Vor und hinter ihnen gab es nur trockene Steppe mit kargem tot aussehendem Buschwerk.
„Ich glaube wir haben die Orientierung verloren. Oder seid Ihr sicher, dass dies die richtige Richtung zu unserem Zeltlager ist?“ Der größere der Reiter schaute seinem Gefährten in das sonnenverbrannte Gesicht.
„Nein, ich bin mir überhaupt nicht mehr sicher. Ich meinte, das Zeltlager hätte schon vor einer halben Stunde vor uns auftauchen müssen. Doch weit und breit ist kein Zelt oder Standarte am Horizont zu sehen.“ Er schaute seinem Gegenüber hilflos ins Gesicht.
„Kommt“, sagte der Andere. „Lasst uns einen Moment rasten. Auch unseren Pferden wird die Pause gut tun. Wer weiß, wie lange sie uns heute noch tragen müssen.“
Ohne eine Antwort seines Gefährten abzuwarten, schwang er sich von seinem Pferd. Die Ringe seines Kettenhemdes, das er unter seinem Wams trug, klirrten leise. Bevor er sich setzte, band er die Vorderhufe seines Reittieres mit einem Riemen zusammen, die es dem Tier erlaubten kurze Schritte zu tun.
Der andere Reiter tat es ihm gleich und beide nahmen auf dem staubigen, knochenharten Boden Platz. Die abgetriebenen Pferde knabberten an den in der Nähe wachsenden trockenen Büschen.
„Wollt Ihr auch einen Schluck, Ritter Ewald?“ Der Kleinere der Recken griff die Wasserflasche, die er an seinem Gürtel trug, und bot sie seinem Gefährten an.
„Ich danke Euch“, sagte Ewald von Born und griff nach der Flasche. Er nahm einen kleinen Schluck und gab die Flasche zurück.
Richard zu Wald nahm die Flasche entgegen, trank ebenfalls und befestigte das Behältnis wieder am Gürtel.
„Ob unsere Gefährten das Zeltlager schon erreicht haben, oder sollten auch sie in dieser Einöde herumirren?“ Richard schaute Ritter Ewald an.
„Nun, eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Wir sind ja heute Morgen alle versprengt worden, nachdem wir so urplötzlich auf diese Horde von Sarazenen gestoßen sind. Gegen diese Übermacht konnten wir mit unserem kleinen Aufklärungstrupp nicht viel ausrichten. Ich kann noch nicht mal sagen, wie viele von uns im Kampf gefallen sind.“ Ewald von Born schüttelte langsam den Kopf.
„Ich habe Kuno von Ortleben tödlich getroffen vom Pferd stürzen sehen. Ein Pfeil hatte seinen Hals durchbohrt. Auch Dietmar zu Eberforst sah ich geschlagen am Boden. Doch dann konnte ich nichts mehr beobachten. Ich hatte genug damit zu tun meine drei Angreifer abzuwehren und musste dann wie alle Anderen die Flucht ergreifen.“ Richard schaute beschämt zu Boden.
„Es ist nicht unehrenhaft, sein Leben zu retten. Wir konnten nichts anderes tun, als uns zu retten. Gegen diese Übermacht waren wir alle machtlos. Ich hoffe wir treffen möglichst viele unserer Kameraden im Lager wieder.“ Ritter Ewald von Born betrachtete sein Gegenüber ernst.
„Doch nun lasst uns weiter reiten. Wie Ihr wisst, bricht die Dämmerung urplötzlich ein und der Tag ist schon fortgeschritten. Ich möchte nicht im Freien übernachten müssen. Die Nächte hier im Heiligen Land sind gnadenlos kalt. Ich weiß nicht ob wir, so erschöpft, wie wir sind, die nächste Nacht lebend überstehen werden. Lasst uns weiter nach Westen reiten. Wenn mich nicht alles täuscht, müsste in dieser Richtung das Lager liegen.“
Die Ritter bestiegen ihre Pferde und machten sich weiter auf ihren ungewissen Weg.
Zwei Stunden später hatte sich an der Situation der beiden Kreuzritter nichts verändert. Das Gelände war immer noch eben und baumlos. Die Sonne war tiefer gesunken, brannte aber immer noch erbarmungslos auf sie hernieder.
Ritter Ewald hob die Hand und zeigte nach vorn. „Lasst uns anhalten. Es hat keinen Sinn. Wir müssen uns für die Nacht vorbereiten. Seht da vorne den Felsen. Lasst uns in seinem Schutz die Nacht verbringen.“
Sie ritten auf den Felsen zu. Als sie näher kamen, sahen sie unzählige faustgroße, hellbraune Pflanzenbüschel in der Umgegend liegen.
„Sehr gut“, sagte Ewald von Born, „dieses trockene Zeugs kommt uns wie gerufen. Ich denke, dass es gut brennen wird. So können wir uns in der kalten Nacht erwärmen.“
Sie sammelten eine ordentliche Menge der toten Pflanzen ein und schichteten sie, in einer mit der Streitaxt gegrabenen Kuhle, zu einer Feuerstelle auf. Mit Feuerstein und Zunder entfachte nun Ewald von Born die Pflanzenbüschel, die stetig und gleichmäßig abbrannten. Nach kurzer Zeit hatte sich die Kuhle mit glimmender Glut gefüllt. Die Edelleute wickelten sich zu beiden Seiten der Feuerstelle in ihre Decken ein, um so die Nacht zu verbringen. Kaum hatten sie sich hingelegt brach auch schon die Dunkelheit herein.
Innerhalb einer halben Stunde verflüchtigte sich die Tageshitze in der Schwärze der Nacht. Der Boden kühlte ebenfalls schnell aus, nur die Glut in der flachen Grube strahlte noch Wärme ab.
Trotz dieser so schnell veränderten Bedingungen schliefen die beiden erschöpften Kämpen sofort ein. Die ausgelaugten Körper forderten ihren Tribut.

Nebel waberte in gleichmäßigem Rhythmus sanft über den Boden. Erste Sonnenstrahlen durchbrachen die dunstige Wand und der Niederschlag verflüchtigte sich in wenigen Augenblicken.
Die beiden liegenden Gestalten begannen, sich zu regen. Sie streckten und reckten sich und schlugen ihre Arme um ihren Körper. Die Zähne von Richard zu Wald klapperten hörbar.
„Gut, dass wir ein Feuer machen konnten. Ich glaube ohne die wärmende Glut wäre ich erfroren.“ Er schaute seinen Gefährten mit zusammengekniffenen Augen an.
„Ja, diese unbekannte Pflanze hat uns wohl das Leben gerettet. Ich werde einige dieser Pflanzenballen mitnehmen, um mich an diese Stunde, in der mir mein Leben neu geschenkt wurde, zu erinnern.“ Ewald von Born entfernte sich bei diesen Worten vom Felsen und sammelte einige der bräunlichen Ballen ein. Er verstaute sie in einer der Satteltaschen seines Pferdes.
Die beiden Krieger ließen ihre Rösser die Tautropfen von den dürren Ästen des umliegenden Gesträuchs lecken und machten sich danach wieder auf ihren Weg Richtung Westen.
Es dauerte nicht lange und die Sonne brannte heiß auf die einsamen Reiter hernieder. Es gab davor keinen Schutz. Sie konnten nur darauf hoffen bald das Zeltlager zu erreichen, das in einem grünen Tal mit einem fließenden Gewässer lag.
Nach einer Stunde Wegs wurde das Gesträuch dichter, der Boden nahm eine dunklere Farbe an, einzelne Bäume säumten ihren Weg. Die Gegend wurde fruchtbarer. Nach einer weiteren Stunde senkte sich der Boden ab, ein Tal öffnete sich vor ihnen, einzelne Zeltspitzen waren in der Ferne zu erkennen.
„Unser Lager! Wir haben es geschafft. Wir sind gerettet!“ Ewald von Born drehte sich nach dem hinter ihm reitenden Richard zu Wald um.
Beide gaben ihren Pferden die Sporen und mit einer letzten Anstrengung fielen die Tiere in Galopp. Wenige Augenblicke später ritten die beiden Kämpfer in das Lager ein.
Im nu waren sie von ihren Kampfgefährten, Soldaten und anderen Dienstkräften umgeben. Sie jubelten ihnen zu, hoben sie von ihren Pferde und umringten sie in einem dichten Pulk.
Stille trat erst ein, als ihr Feldherr, Herzog Kasimir von Böhmen, auf dem Platz erschien. Eine Gasse öffnete sich und der Herzog trat auf seine Mitstreiter zu. Kasimir war ein großer Mann, gekleidet in einem Kettenhemd, über dem er ein langes Gewand, mit den darauf gestickten herzoglichen Insignien, trug. Wie immer, wenn er zu sprechen begann, strich er sich mit seiner rechten Hand über seinen dunklen Kinnbart.
„Ewald von Born, Richard zu Wald, ich freue mich sehr, Euch zu sehen. Wir wähnten Euch schon verloren. Waldemar vom Garbstein konnte uns zwar berichten, dass Ihr den Sarazenen entkommen seid, doch als Ihr gestern auch gegen Abend das Lager noch nicht erreicht hattet, nahmen wir Euren Tod als gewiss hin. Bei dem Scharmützel mit Saladins Truppen sind drei unserer tapfersten Männer gefallen. Kuno von Ortleben, Dietmar zu Eberforst und Gero von Wismar. Wir werden uns ihrer immer erinnern. Doch berichtet, was mit Euch geschehen ist.“
Ritter Ewald berichtete von ihrer Flucht und der Übernachtung in der Einöde. Als er die Pflanzenballen erwähnte, mit denen er und sein Gefährte das Feuer genährt hatten, sagte der Herzog: „Ah, so kennt Ihr die Pflanze nicht, die Euch die Nacht hat überstehen lassen. Wie ihr sie beschreibt, kann es nur die Auferstehungspflanze sein. Wenn ihr der ausgetrockneten Pflanze Wasser zugebt, so blüht sie auf und leuchtet hell in einer olivgrünen Farbe. Die Jungfrau Maria hat sie auf der Flucht von Nazareth nach Ägypten gesegnet und die Pflanze wuchs entlang ihres beschrittenen Weges. Sie wird hier in dieser Gegend Handballen der Maria genannt. Sie hat aber auch den bekannteren Namen Rose von Jericho. Dieser Name stammt einer alten Legende nach von Josua ab, der die von Rosen umgebene Stadt Jericho, mit ihrer Hilfe erobert haben soll.“
„Nun“, sagte Ewald von Born, „egal welche Legenden sich um diese Pflanze ranken. Sie hat mir und meinem Gefährten die letzte Nacht gesund überstehen lassen. Ich werde diese Pflanze in Ehren halten, sie mit in die Heimat nehmen und werde sie dort anpflanzen. Sie soll mein Talisman sein.“
„Wie ich schon sagte“, entgegnete der Herzog, „man nennt diese auch Auferstehungspflanze. Mit etwas Wasser könnt Ihr sie zum Blühen bringen, wieder eintrocknen lassen und dann nach einiger Zeit wieder zum Leben erwecken. Sie lebt ewig. Ihr braucht sie nicht einpflanzen.“
Ewald von Born lachte. „Umso besser. So brauche ich keine Angst zu haben, dass die Pflanze im heimischen Boden nicht angeht.
Doch nun möchte ich ein kräftiges Mahl einnehmen. Die gestrigen Abenteuer haben mir doch etwas zugesetzt. Ich muss mich stärken.“
Der Herzog legte vertrauensvoll einen Arm um die Schulter seines Vasallen. „Dann kommt mit Richard zu Wald in mein Zelt. Mein Diener wird uns auftischen. Lasst uns bei Speise und Trank unser Fortführen des Feldzugs besprechen.“ Sie schritten zum Zelt des Heerführers.

Ein Jahr später war der Kreuzzug gescheitert. Viele Edelleute mussten in dieser Zeit ihr Leben lassen. Saladins Heer war nicht zu schlagen gewesen.
Ewald von Born wurde im Kampf schwer verwundet. Er verlor seinen Schwertarm. Im Fieberkampf war er dem Tod näher als dem Leben. Doch er genas nach langer Zeit.
Als sich die Kreuzritter einschifften, um zurück in die Heimat zu segeln, kam mit Ewald von Born auch die Rose von Jericho an Bord und gelangte so ins Abendland.

© R. Güllich

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9 Kommentare

Hallo Christine,
freut mich, wenn Dir die Geschichte gefällt. Steckt viel Herzblut drin.
Gruß
Rainer

DANKE

bei mir "wohnt - lebt" seit über einem Jahrzehnt eine solche Rose :-)
LG Gabriele

Ein Jahrzehnt?! Echt enorm ...
LG
Rainer

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