Der Marburger Tiergarten Teil III / Die Flucht vor dem Wasserbüffel

Die Flucht vor dem Wasserbüffel (wir unter dem Tisch)

Wie gesagt, gab es im Tiergarten auch einen asiatischen Wasserbüffel. Der hatte ein dunkles, fast schwarzes Fell und war stärker als eine Kuh. Er hatte mächtige, Furcht einflößende Hörner an beiden Seiten des Kopfes. Auf dem Kopf hatte er einen dicken, schwarzen Wulst aus Horn und Haaren , der wie eine Mütze aussah. In seiner Heimat in Asien gehen ihm sogar die Tiger aus dem Weg. In dem für ihn kalten deutschen Klima konnte er im Winter nicht im Freigehege bleiben. Es gibt in seiner Heimat zwar eine Regenzeit, aber keinen kalten Winter und schon gar keinen Schnee. Im Tiergarten gab es zwar ein warmes Haus, aber das Problem war, wie man den Büffel dorthin bringen könnte, weil der nicht so zahm wie eine Kuh war und sich nicht an der Hand führen ließ. Hinter dem Holzzaun fühlte er sich sicher, aber wenn er raus kam, wollte er einen Fluchtabstand zum Menschen halten und er wäre sicherlich weggerannt. Trotzdem musste er in den warmen Stall gebracht werden.
Das geschah an einem kühlen Herbsttag, an dem ich mit meiner Schwester im Tiergarten war, um Brotreste abzugeben. Da niemand zu sehen war, haben wir die Brotreste im Futterraum abgelegt und wollten mit unserem Handwä gelchen durch den Tiergarten nach hause gehen. Da meine Schwester nur ganz selten mit in den Tiergarten ging, haben wir uns noch im Affenhaus umgeschaut, wo auch noch andere Tiere waren. Die Affen langweilten sich an einem so kühlen Tag, weil keine Besucher kamen und ihnen Leckerbissen gaben. Deshalb waren sie froh, uns zu sehen und empfingen uns mit fröhlichen Gekreische. Sie sprangen in Käfig herum und balgten sich. Wir merkten nicht, wie die Zeit verging und was draußen inzwischen vorbereitet wurde. Nichts Böses ahnend, begaben wir uns auf den Heimweg. Wir wunderten uns zwar, dass die Pferdewagen in einem großen Bogen mitten auf dem Hof standen, ahnten aber nichts Böses. Aber als wir um die Kurve gingen, rannte plötzlich auf dem Weg der Wasserbüffel mit gesenkten Hörnern auf uns zu. An seinen Hörnern war ein langer Strick befestigt und jetzt sahen wir ein Stück hinter ihm mehrere Männer (ich weiß nicht mehr, ob es drei oder fünf waren), die sich - den Strick haltend - mit aller Kraft nach hinten stemmten (wie beim Tauziehen), dass die Kieselsteine laut knirschten. Der Wasserbüffel sollte in den warmen Stall gebracht werden. Aber der Strick an seinen Hörnern und die Männer hinter ihm, die uns auch noch etwas zuriefen, was wir nicht verstanden, machten ihn in der für ihn ungewohnten Gegend außerhalb des Gatters nervös. Und als sie auch noch an den Bären und anderen Raubtieren vorbeikamen geriet er in Panik und fing an zu rennen. Die Männer konnten den Büffel kaum bremsen. Wir sahen ihn mit gesenkten Hörnern auf uns zupreschen und hörten das Warngeschrei der Männer. Wir schätzten die Situation für gefährlicher ein, als sie wirklich war und sahen uns im Geist schon von den Hörnern durchbohrt oder in der Luft herum gewirbelt. Uns erfasste die Panik und für Sekunden waren wir vor Schreck wie gelähmt. Wir ließen den Handwagen los, der dann den Abhang herunter rollte und rannten davon. Zunächst wussten wir nicht, wohin wir rennen sollten und flohen zuletzt seitwärts in die geschlossene Gartenwirtschaft von Herrn Hecht, wo wir uns unter den Tischen auf der Terrasse verkrochen. (Siehe Handskizze am Anfang). Das hätte zwar nichts genützt, wenn der Büffel die Tische mit den Hörnern durcheinander gewirbelt hätte. Da unser Po noch unter dem Tisch hervorlugte, bemühten wir uns, ihn einzuziehen. Aber der Büffel hatte andere Sorgen, als uns auf die Gartenterrasse zu folgen. Wir interessierten ihn gar nicht – und schon gar nicht unser Po. Er beachtete uns überhaupt nicht, rannte schnaufend und stampfend an uns vorbei und zog die ächzenden Männer hinter sich her. Da war nicht ganz klar, wer wen beherrschte. Wir haben kaum gewagt, unter den Tischen hervorzuschauen und haben abgewartet, bis der Spuk vorbei gezogen war und es wieder still wurde.
Als die Männer losgingen, um den Büffel in das Stallgebäude zu bringen, hatten sie uns im Affenhaus nicht sehen können und glaubten, dass kein Besucher im Tiergarten sei. Den Hof vor dem Stall hatten die Männer mit Wagen und Balken so abgesperrt, dass der Büffel nur in den Stall laufen konnte. Wir hatten das nur als unordentlich empfunden. Aber wir haben nicht gedacht, dass da etwas Gefährliches im Gange war. Aber wirklich gefährlich wäre es nur geworden, wenn wir auf dem Weg stehen geblieben wären, dann hätte uns der Büffel - auch wenn er das nicht wollte - in seiner Aufregung und Angst umgerannt. Er war nicht darauf aus, uns auf die Hörner zu nehmen, obwohl wir diesen Eindruck hatten. Nur konnte er uns das nicht sagen. Aber wir waren dann doch froh, dass das so glimpflich abgelaufen war.
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Bürgerreporter:in:

Walter Wormsbächer aus Marburg

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