Helmut Schmezko: Die Probleme der Politik ändern sich, die Lösungsmethoden bleiben die gleichen

Helmut Schmezko | Foto: E. Brunhöber
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Helmut Schmezko (72) ist seit 2008 Ehrenbürgermeister von Lehrte. Im Oktober 1972 wurde der damals 32-Jährige Bürgermeister von Lehrte – damit war er Niedersachsens jüngster Bürgermeister. Nicht ohne Stolz erzählt er, dass die Lehrter ihn insgesamt achtmal in dieses Ehrenamt wiedergewählt haben.
Von 1968 bis 2008 saß er für die SPD im Lehrter Rat, dessen Vorsitzender er von 2003 bis 2008 war. Der damalige Landrat Karsten Hoppenstedt verlieh ihm 1984 stellvertretend für den Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz für seine ehrenamtlichen Verdienste bei der Stadt und der DLRG. Von 1975 bis 2002 war Schmezko Rektor von Lehrtes Schule An der Masch.
Im myheimat-Interview erzählt er von zwei Lehrtern, denen in der Stadtgeschichte eine wichtige Rolle zukommt: Hermann Manske und August Bödecker.

Herr Schmezko, vor drei Jahren haben Sie Ihre politischen Ämter abgegeben. Vermissen Sie den politischen Rummel eigentlich?

Ich vermisse den politischen Rummel nicht, weil alles seine Zeit hat, wie viele schon gesagt haben. 40 Jahre Kommunalpolitik und davon 27 im Bürgermeisteramt sind genug. Die Probleme der Politik ändern sich zwar ständig, dennoch sind die Lösungsmethoden ziemlich gleich, weil sich Fähigkeiten und Charaktereigenschaften der jeweils handelnden Personen sehr ähneln, das heißt, man weiß aus Erfahrung, wer wie entscheiden wird, sodass der Reiz verloren geht. Macht und Einfluss hat man genossen und auch gepflegt, aber auf die Dauer wird auch das langweilig.
Es gibt so schöne Dinge außerhalb der Politik zu tun, die bisher vernachlässigt werden mussten. Diese werden jetzt gepflegt und aufgearbeitet, weil zum Beispiel viele lesenswerte Bücher früher aus Zeitmangel einfach in das Regal gestellt wurden. Die Gesundheit hat auch profitiert, weil der Erfolgsdruck und die Nervenbelastung nicht mehr vorhanden sind. Man hat sich ja doch für alles verantwortlich gefühlt.

Hermann Manske und August Bödecker kommt in der Geschichte Lehrtes eine wichtige Rolle zu. Auch in der heute begegnen sie den Lehrtern immer wieder, z. B. durch die Manskestraße und den August-Bödecker-Platz. Warum war Hermann Manske wichtig für Lehrte und wieso starb er als armer Mann?

Hermann Manske war ein außergewöhnlicher Unternehmer, der in Lehrte nicht nur viele Arbeitsplätze geschaffen und soziale Wohltaten vollbracht hat, er hat auch mit seinem persönlichen Lebensstil und seiner weltweiten Anerkennung internationales Flair in unsere kleine Stadt gebracht. Welche Kleinstadt hatte damals (um 1900) eine Pferderennbahn und ein Gestüt mit zahlreichen Pferden. Sogar auf der Berliner Pferderennbahn Hoppegarten kannte man den Namen Manske und den seines Lieblingspferdes Nordstern. Damit war auch der Name Lehrte bei den Pferdesportfreunden deutschlandweit bekannt.
Hermann Manske hat frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und die technische Entwicklung auf dem Sektor der Zementherstellung studiert sowie seine Schlüsse daraus gezogen. So entwickelte er ein neues Verfahren für die Zementherstellung, für das er eine Goldmedaille auf der Weltausstellung in Chicago erhielt. Der Zementbedarf war auf der ganzen Welt und besonders im neu gegründeten Deutschen Reich sehr groß, sodass er gleich drei Fabriken gründete (Lehrte, Misburg und Anderten).
Welche Bedeutung die Lehrter Politik diesem Unternehmer beimaß, kann man daran erkennen, dass ihm schon zu Lebzeiten die Ehre zuteilwurde, seinen Namen auf einem Straßenschild zu sehen. Das drückte die Dankbarkeit der Stadt für die Schenkung des Krankenhauses aus. Sein aufwändiger Lebensstil, seine Großzügigkeit, aber auch seine Miteigentümer haben zu seinem wirtschaftlichen Niedergang beigetragen. Sie warfen ihm Unfähigkeit vor, weil er die neuen Zeichen der Zeit und die wirtschaftliche Situation nicht richtig erkannt hätte.
Seine Fabriken waren hoch verschuldet, sie mussten fusionieren, und man entmachtete den Gründervater, verstieß ihn sogar aus dem Aufsichtsrat. Schließlich war er 1905 kein Aktionär des Unternehmens mehr, das er einst gegründet hatte. Über sein Vermögen schwebte das Konkursverfahren. Er musste von da an sehr kleine Brötchen backen. Trotzdem baute er 1907 seine vierte Zementfabrik in Höver, war dort Chef, wurde aber im Jahr 1910 vom Aufsichtsrat als Vorstand abgesetzt. Die Gründung einer fünften Fabrik in Lehrte scheiterte, und so brach er 1910 seine Zelte in der Stadt ab, die ihm zu Glanz, Ruhm und Reichtum verholfen hatte.
Da ergab sich die Verbindung zu einer anderen Unternehmerpersönlichkeit aus Lehrte, zu August Bödecker, der teilweise Manskes Mobiliar versteigerte. Seinen Wohnort verlegte Manske dann nach Hannover und später nach Dassel im Solling. Dort starb er fast 80-jährig nach langem Leiden, ohne ein großes Vermögen hinterlassen zu können.
Ohne Hermann Manske wäre die Geschichte der Stadt Lehrte sehr viel ärmer, und es hätte in unserer Stadt nie ein Krankenhaus gegeben, denn das gehörte eigentlich in die benachbarte Kreisstadt Burgdorf.

Warum sollte jedes Lehrter Schulkind den Namen August Bödecker kennen – wie hat Bödecker Lehrte geprägt?

August Bödecker war ebenso bedeutsam für Lehrte wie Manske, vielleicht noch bedeutsamer, weil die von ihm gegründeten Unternehmen viel länger Bestand hatten bzw. heute noch bestehen, wie die Volksbank und die Zuckerfabrik, inzwischen aufgegangen in der Nordzucker AG. Bödecker war von Haus aus Lehrer, zunächst außerhalb, später aber in Lehrte, an der Schule An der Masch. Da er der jüngste Lehrer war, hatte er gleichzeitig die Aufgabe des Chronisten, der nicht nur über die Geschichte der Schule, sondern auch über die Geschichte der Gemeinde zu berichten hatte. Bödecker war gebürtiger Lehrter und schon durch seine Familie mit der Ortsgeschichte bestens vertraut, sodass die von ihm verfasste Schulchronik weit über den Schulbereich hinausging und Lehrtes Entwicklung genau beschrieb.
Er war auch beflügelt und mitgerissen von der „Gründerzeit“, die nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 begann. Bödecker begleitete interessiert die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimatstadt und wollte dabei auch selbst mitmischen. So ließ er sich im Jahre 1889 mit 51 Jahren vorzeitig in den Ruhestand versetzen und betätigte sich von da an als Unternehmensberater, Auktionator, Makler und Firmengründer.
So war er schon während seiner Lehrerzeit an der Gründung der Zuckerfabrik und der Volks­bank (früher Vorschuss- und Sparkasse) beteiligt. Er fühlte sich besonders dem Lehrter Dorf und der Landwirtschaft verbunden, war lange Zeit Sekretär und später Präsident des Vereins der Landwirte.
Auch die Entwicklung des Kalibergbaus in Lehrte unterstütze er intensiv. Er hatte aber neben seinen wirtschaftlichen Betätigungen sehr früh erkannt, dass man in der Gemeinde Lehrte, ab 1898 Stadt, entscheidenden Einfluss nur bekommen kann, wenn man sich auch politisch betätigt. So wurde er Anführer der dörflichen Bevölkerung, die sich in der „Dorfpartei“ organisierte. Diese wollte den zunehmenden Einfluss der „Bahnhofspartei“ eindämmen, die von den Neubürgern getragen wurde, die im Zuge der Industrialisierung und der Entwicklung des Schienenverkehrs nach Lehrte kamen. Sein politischer Gegenspieler war der Spinnereibesitzer Leopold Laengner, der zum Leidwesen von Bödecker erster Bürgermeister der Stadt Lehrte wurde. Aber August Bödecker gab nicht auf und bekämpfte seinen Kontrahenten mit allen Mitteln, die schließlich im Jahre 1901 zum Erfolg führten, als Laenger sein Amt aufgeben musste.

Wie hat sich Lehrte entwickelt? Was hat die Entwicklung positiv beeinflusst, was hätte Lehrte erspart bleiben können?

Da Lehrte ursprünglich nur ein Eisenbanknotenpunkt war und niemand die Entwicklung einer Stadt um das Kreuz herum plante, waren die Auswirkungen dramatisch, als immer mehr Menschen in diesen Ort zogen, um in den neu entstandenen Firmen Arbeit zu finden. Sie zogen in einen Ort, der dafür keinerlei Infrastruktur bot: Es gab keine Straßen, keine öffentlichen Einrichtungen, keinen ausreichenden Schulraum. Das ging Jahrzehnte so weiter, wurde sogar unterbrochen durch die beiden Weltkriege, in denen man die verkehrsgünstige Lage der Stadt ausnutzte, in der aber kaum entwicklungsfördernde Maßnahmen ergriffen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es besonders schlimm, als sich in kurzer Zeit die Einwohnerzahl fast verdoppelte, weil der Flüchtlingsstrom viele Menschen hierher brachte. So waren die Aufgaben der Stadtväter nach 1945 vorgezeichnet: Wohnraum und Schulraum schaffen sowie die öffentlichen Einrichtungen erweitern, um den Menschen, so gut es ging, ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Erst in den sechziger Jahren konnte man Luft holen und die entscheidenden Aufgaben der Infrastruktur angehen. Bis dahin waren fast alle Bahngleise nur mit Schranken gesichert. Es gab nur eine Unterführung, die so schmal war, dass zwei LKW nicht gleichzeitig passieren konnten.
So kam es, dass von da an – etwa 1965 – Verkehrsmaßnahmen an erster Stelle standen. Mehrere Unterführungen und ein neuer Fußgängertunnel wurden gebaut, und als Höhepunkt wurde sogar eine ganze Eisenbahnstrecke aus der Stadt herausgelegt. Parallel dazu kam es zur Ausweisung neuer Gewerbegebiete, die Arbeitsplätze brachten und Lehrte Gewerbesteuereinnahmen bescheren, um die uns manche Stadt beneidet. Neben all diesen Maßnahmen musste im Jahre 1974 die Gebietsreform bewältigt werden, die den Zusammenschluss mit neun Dörfern bedeutete. Es gab wieder eine neue Aufgabe zu lösen, denn die Ortschaften pochten auch auf ihre Rechte und auf ihre Chance, sich weiterzuentwickeln. Im Ergebnis kann man feststellen, dass Lehrte auf allen Gebieten attraktiver geworden ist, was auch am Zuzug weiterer Einwohner abzulesen ist. Bei alldem war die Verkehrslage der Stadt zugleich Segen und Fluch: Die fünf Eisenbahnlinien und das Autobahnkreuz haben zu vielen Firmenansiedlungen geführt, gleichzeitig brachte diese Entwicklung aber auch immer mehr Verkehr, vor allem LKW-Verkehr in die Stadt.
Was hätte Lehrte erspart bleiben können? Aus heutiger Sicht waren die Diskussion und der Kampf um das „Güterverkehrszentrum“ völlig überflüssig, denn es gibt ein solches bis heute nicht und wird es wohl auch in Zukunft nicht mehr geben. Die geplante Mega-Hub-Anlage ist etwas ganz anderes und steht bisher nur auf dem Planungspapier. So manch anderer Streit im Rat der Stadt hätte uns auch erspart bleiben können, aber sich darüber heute noch aufzuregen, lohnt sich nicht. Man sollte seine Gedanken und seine Kraft viel besser auf die Zukunft konzentrieren.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch einen Blick auf Lehrte heute werfen: Was macht Lehrte lebenswert? Was kann besser werden?

Was Lehrte lebenswert macht, müssen die Lehrter selbst beantworten. Aber wenn man die Lehrter reden hört, gibt es fast immer nur Kritik. Im Einzelgespräch erfährt man aber dann doch, dass man hier gern wohnt oder hierher gezogen ist, weil Lehrte alles bietet, was eine Stadt unserer Größenordnung bieten kann: schöne Wohngebiete, alle Schularten, ein Sportangebot von großer Vielfalt, ein Kulturangebot, das sich sehen lassen kann, Arbeitsplätze in der Stadt oder in Hannover, das nur zwölf Minuten Eisenbahnfahrt von Lehrte entfernt ist. Inzwischen ist auch das Einkaufen bequemer geworden, wobei die neueste Entwicklung abzuwarten ist.

myheimat-Team:

Annika Kamissek aus Bad Münder am Deister

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