Erinnerungen rund um die Nicolaus-Kirche im alten Lehrter Dorf
Verwitterte Grabsteine erinnern an alten Friedhof / Bauern gaben Ackerland auf Treu und Glauben :Keine Vorrechte mehr auf dem Opferkamp
Es ist keine Seltenheit, dass bei Erdarbeiten in Nähe der St.-Nicolaus-Kirche verblichene Knochen ans Tageslicht kommen, Reste eines menschlichen Skeletts. Schon in früheren Jahren hatte man dort geborstene Totenschädel und anderes Gebein ausgegraben. Überbleibsel, die die Polizei nicht interessieren, sondern die auf einen alten Friedhof hindeuten, der im Laufe von über hundert Jahren vollständig von der Bildfläche verschwunden ist. Einige dieser “Fundstücke” hatte der am 3. Dezember 2007 verstorbene Wilhelm Behre, scherzhaft auch als Glöckner von St. Nicolaus apostrophiert, im Kirchturm aufbewahrt. Wo sie jetzt geblieben sind, mögen die Götter wissen.
Einige aufpolierte Grabsteine im Gemäuer der alten Dorfkirche und die Reihengräber auf dem Opferkamp erinnern an diesen Gottesacker, auf dem die Freien Lehrter Bauern rund 500 Jahre lang ihre Toten bestatteten. Wie in einem Corpus bonorum der ev.luth. Matthäusgemeinde nachzulesen ist, mussten früher die Bewohner des Fleckens Lehrte ihre Verstorbenen im Nachbarort Steinwedel begraben. Das war besonders im Winter und zu Zeiten, in denen die Aue Hochwasser führte, mit großen Schwierigkeiten verbunden. Manchmal wurden die Toten wochenlang im Dorf aufgebahrt, da nur eine schmale Furt durch den Fluss zur benachbarten Mutterkirche führte. Erst als die bereits 1302 urkundlich erwähnte Lehrter Kapelle am 16. Februar 1352 Pfarrkirche wurde, durften die Freien in St. Nikolaus Taufen abhalten und sich einen eigenen Friedhof anlegen, der nach rund 500 Jahren laut Kirchenregister vom 1. Januar 1858 wieder für geschlossen erklärt wurde. Übrig geblieben ist auch jener Grabsteine, der im Schatten der alten Dorfkirche steht und folgende Inschrift trägt:
“Hier ruht Heinrich Riechelmann, Sohn des Gastwirts Riechelmann und dessen Ehegattin Dorothea geb. Roggen, geboren am 13. Januar 1816 erreichte nur das Alter von 24 Jahren -–denn im kräftigsten Alter bei blühender Gesundheit nahm ihn ein Unglücksfall, der Schlag eines Pferdes, durch eine tödliche Verletzung des Kopfes am 17. Mai 1841 von dieser Erde weg. Um ihn trauern die Tiefbetrübten Eltern, zwei zärtliche Schwestern und eine liebende Braut, die ihm dieses setzet.”
Bereits sechs Jahre zuvor - am 1. Juli 1852 - hatte die Dorfgemeinschaft vier Morgen und 96 Quadratruthen wertvollen Ackerlandes – das sie Opferkamp nannten – an die Kirche für den neuen Friedhof abgetreten. Dafür hatte der ehemalige Feldprediger Georg Friedrich Ludwig Möller, der vom 10. Armeekorps in Schleswig-Holstein als Pastor noch Lehrte gekommen war, den Reihenstellenbesitzern auf Treu und Glauben versichert, dass sie gemäß ihrer Hutungsrechte fortan ihre Toten auf dem Opferkamp bestatten dürften, ohne je einen Pfennig Nutzungsgebühr dafür zahlen zu müssen.
Inzwischen hat sich auf dem Opferkamp einiges geändert, was die meisten der ehemals 52 nutzungsberechtigten Reihenstellenbesitzer und auch die gleichberechtigten 11,5 Brinksitzer noch immer ein wenig wurmt. Angesichts der Raumnot auf den Friedhöfen und den enorm gestiegenen Grundstückspreisen sah sich die Friedhofsverwaltung im Einvernehmen mit der Kirchengemeinde Ende der 70er Jahre gezwungen, den Lehrter Bauern das ihnen für alle Ewigkeit auf Treu und Glauben zugesagte Nutzungsrecht zu revidieren. Fortan gilt auch für sie der so genannte Beweinkauf, eine zeitgemäße Friedhofsordnung. Diese besagt, dass die einst nutzungsberechtigten Bauern nunmehr für den Ankauf von Grabstellen wie jeder andere zur Kasse gebeten werden und nach Ablauf der Belegungsfrist erklären müssen, ob sie sich neu einkaufen möchten oder die Grabstätte einebnen lassen wollen.
Allerdings machten die Reihenstellenbesitzer zur Bedingung, dass jene Jahrhunderte alten Dokumente erhalten bleiben sollten, die in Stein gemeißelt die Lebensgeschichte so manchen freien Lehrters erzählen, wie jene des Barthold Molsen, der als Hauptmann des Freien-Fähnleins Lehrte Anno 1709 im Alter von 29 Jahren sein Leben ließ. Dieser Grabstein steht jetzt übrigens im Portal der Matthäuskirche. lrl
Bürgerreporter:in:Lothar Rolf Luhm aus Lehrte |
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