Prophezeiung der Königlichen Straßenbahn Hannovers ging nicht in Erfüllung

Vor rund 100 Jahren ging einigen Lehrter Bürgern ein Licht auf
Nach Meinung der der Königlichen Straßenbahn bindet Lehrte sich einen Knüppel ans Bein

Von Lothar Rolf Luhm

Das ehemalige Elektrizitätswerk an der Germaniastraße ist in seiner an den Jugendstil angelehnten Bauweise ein durchaus auffälliges Gebäude, das Ausgang des 19. Jahrhunderts von dem Lehrter Maurermeister Strüber nach den Plänen des hannoverschen Architekten Krack errichtet wurde. Spätere Erweiterungen tragen die Handschrift des Lehrter Stadtbaumeisters Max Huguenin. Bis auf den heutigen Tag zeigen sich in den Grundmauern des Hauses keine Risse, obwohl in unmittelbarer Nähe tagein und tagaus Züge aller Art vorbeipoltern. Ein Beweis dafür, dass Meister Strüber damals gute Arbeit geleistet hat. Eigentümer des ehemaligen Werkes, das zwar nicht unter Denkmalschutz steht, aber durchaus schutzwürdig ist, ist derzeit die aus Lehrte nach Braunschweig abgewanderte Nordzucker AG. Doch sie hat zu ihrem eigenen Nutzen mehrfach versichert, das Haus vorerst nicht dem Erdboden gleich zu machen, wie in den vergangenen Monaten einige andere, die der Bevölkerung lieb und teuer waren.
Vergilbte Schriften brachten es an den Tag
Bei der Sichtung von rund einem halben Zentner vergilbter Schriftstücke in altdeutscher Handschrift wird deutlich, dass Gemeindevorsteher Leopold Laengner ein richtiges Schlitzohr gewesen sein muss, was er bereits bei der Erschließung der Ringstraße auf eigene Kosten und den Verkauf seiner dort angrenzenden Grundstücke zur anschließenden Bebauung bewiesen hat. Bevor der Magistrat den Auftrag zum Bau des Elektrizitätswerkes vergab, ließ Laengner sich Gutachten von Professoren und Kostenvoranschläge verschiedener Firmen vorlegen, unter anderem von der Elektrizitäts-Gesellschaft Hildesheim, von der Berliner Elektrizitäts-Gesellschaft, von der Helio-Aktiengesellschaft Ehrenfeld/Köln und auch von den Städtischen Elektrizitätswerken Pforzheim. Dabei ging es ihm nicht nur um Profit, sondern auch um Sicherheit. So forderte er von dem für die technische Einrichtung zuständigen Körting-Ingenieur Krone, dass die Baugenehmigung nur unter der Bedingung erteilt werde, wenn das zu errichtende Gebäude auch eine feuerfeste Eindeckung erhalte. Laengner spielte alle gegeneinander aus, mit dem Ziel, gute Arbeit für wenig Geld zu bekommen. Immerhin sprang bei der Endabrechnung für die inzwischen zur Stadt gewordenen Gemeinde ein Nachlass von 4500 Goldmark heraus und einiges nicht genau Bezeichnetes mehr.
Klare Entscheidung für Körting
Damals prophezeite mit einem Brief vom 4. November 1897 die Direction der Straßenbahn der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover, die sich vergeblich um einen Auftrag bemühte hatte, dem Gemeindevorsteher Leopold Laengner, dass Lehrte sich mit dem Bau eines Elektrizitätswerkes einen dicken Knüppel ans Bein binden würde, den es dann jahrelang mit sich herumschleppen müsste. Mehrfach hatten die Hannoveraner den Lehrter Magistrat gedrängt, sich der hannoverschen Stromversorgung anzuschließen, zumal die Straßenbahn-Direction plante, in Sehnde eine Elektrizitäts-Nebenstelle einzurichten. Arrogant behaupteten sie, die Lehrter seien viel zu finanzschwach, um sich so etwas leisten zu können. Der Lehrter Magistrat und das Bürgervorsteherkollegium ließen sich nicht beeindrucken und belehrten den großen Nachbarn eines Besseren. Am 12. August 1897 erhielt die in Körtingsdorf bei Hannover beheimatete Firma Gebr. Körting, Elektrische Maschinen und Gasmotorenbau, den Zuschlag zur Errichtung eines Elektrizitätswerkes in Lehrte.
Anfangs wollten die Körtinwerke das geplante Werk mit zwei Gasdynamos zu jeweils 35 PS auszurüsten, die mit Kohle beheizt und jeweils 43200 Watt erzeugen sollten. Für Privathäuser –Lehrte hatte damals rund 65oo Einwohner –waren 900 Glühlampen vorgesehen und weitere 100 für eine Straßenbeleuchtung. Zwei Bogenlampen und 24 Glühlampen sollten die Centrale ausleuchten. Darüber hinaus waren elf Lampen für Pferdekarren geplant – mit Batteriebeleuchtung etwa ? Das war nicht zu ergründen.
90.000 Goldmark reichten nicht aus
Alles in allem hatte Ingenieur Krone für die Erstausstattung rund 90 000 Goldmark an Kosten errechnet. In der späteren Schlussrechnung tauchten die Summen von 118.000 Mark und 122.200 Mark auf, in denen vermutlich Baukosten und technische Einrichtung zusammengefasst waren.
Doch die Stromverssorgung der Stadt brachte auch gelegentlich Ärger mit sich. Da beschwerten sich ortsansässige Handwerker Anno 1925, dass Monteure des Werkes unter der Hand Arbeiten „unsachgemäß“ und viel billiger verrichten würden als sie selbst es könnten. Darüber hinaus würde das E-Werk elektrisches Zubehör verkaufen, das auch in den hiesigen Geschäften zu bekommen seinen- allerdings zu angemessenen Preisen.
Keine Angst vor dem „Fluch“ aus Hannover
Im Laufe der Jahre machte „der Fluch“ der Straßenbahn Hannover aus dem Jahre 1897 der Stadt doch mehr als geplant zu schaffen, zumal die ständige Modernisierung immer teurer wurde und die Erzeugung von Gleichstrom sich nicht als rentabel erwies. Im November 1952 wurde von Rat und Verwaltung einmütig beschlossen, Anlagen und Einrichtungen des städtischen Elektrizitätswerkes an die Hannoversche Stromversorgungs-Aktiengesellschaft zu verkaufen, die fortan Lehrte über eine Überlandleitung mit Strom versorgte. Vier Jahre später wurden dann auch das Gebäude veräußert, in dem zeitweise auch die Massey Ferguson Hanomag residierte. Inzwischen hat die Helmstedter avacon die Stromversorgung für Lehrte übernommen und sich damit den von der Straßenbahn Hannover prophezeiten „Knüppel ans Bein gebunden“. Und wie es
heißt, kommt sie damit gut zurecht.

Bürgerreporter:in:

Lothar Rolf Luhm aus Lehrte

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