Karfreitag und Ostern auf Sardinien
Vor zwei Jahren hatte ich Gelegenheit Ostern in Alghero, einer Stadt auf Sardinien, die etwa doppelt so groß wie Korbach ist, zu verbringen. Das dort übliche Brauchtum ist von einem tiefen Volksglauben geprägt und unterscheidet sich sehr von dem Fest, wie wir es kennen. Ein Auszug aus meinem Reisetagebuch:
"In Deutschland kennen wir den Karfreitag eher als einen stillen Feiertag. Hier in Alghero finden schon die ganze Woche kleine Prozessionen statt, bei denen die Gläubigen feierlich zu verschiedenen Kirchen (allein im Bereich der Altstadt sind es acht) ziehen. Überaus plastische Darstellungen lassen vermuten, dass sie ursprünglich mal entwickelt wurden, um Menschen, die keine Bücher lesen konnten, die biblischen Geschichten nahe zu bringen. Heute am Karfreitag erreichen die Feierlichkeiten ihren Höhepunkt. Mehrere tausend Menschen sind meist mit roten Lichtern unterwegs. Auch die Straßenlaternen sind mit roten Tüchern behangen und illuminieren die Stadt ebenfalls. Rot, die Farbe des Blutes, soll an das Blut Christi erinnern. In die große Kathedrale ist kein Hineinkommen. Auch auf dem Platz davor drängen sich die Menschen. Das Geschehen wird per Video auf eine Großbildleinwand übertragen. Feierlich wird der Corpus vom Kreuz abgenommen um ihn auf einer Bahre zu betten. Dann setzt sich die Prozession der Kreuzabnahme in Bewegung. Vorweg marschiert eine Kapelle, die Trauermusik spielt, und hinter ihr eine endlos erscheinende Kette von Menschen, streng nach Geschlechtern getrennt. Irgendwann kommen zunächst eine Marienstatue, der ein schwarzes Trauergewand umgehängt wurde, und der Jünger Johannes, der nach der Legende als einziger Apostel Jesus bis unter das Kreuz folgte. Noch viel später tragen starke Männer das Kreuz und schließlich den beleuchteten Sarkophag mit der Christusstatue, gefolgt von den Honoratioren der Stadt.
Auch am Ostersonntag ist die Altstadt wieder voller Menschen Als ich die Feierlichkeiten am Karfreitag als den Höhepunkt der Woche bezeichnete, wusste ich noch nicht, was heute auf uns zukommen würde. In zwei Prozessionen werden der auferstandene Christus und die Mutter Gottes auf verschiedenen Wegen durch die Stadt getragen. Bei ihrem Zusammentreffen brandet Beifall auf. Die Schützen feuern aus allen Rohren Salut und aus den Fenstern wird Blütenkonfetti geworfen. Angeführt von einer fröhlich spielenden Musikkapelle, zieht die Prozession weiter durch die Stadt zur Kathedrale. Das Ganze hat etwas vom Charakter eines Volksfestes."
Soweit der Auszug aus meinem Tagebuch. Für meine Frau und mich war vor allem beeindruckend wie locker die Sarden mit religiösen Bräuchen umgehen. Während bei uns kirchliche Prozessionen, falls sie überhaupt noch stattfinden, etwas streng Geordnetes anhaftet, sieht man das dort nicht so eng. Die alles prägende katholische Kirche ist Teil des täglichen Lebens und in alles einbezogen. Umgekehrt wird das normale Leben auch in die Kirche getragen. So ist es bspw. überhaupt kein Problem, während man an der Prozession teilnimmt, eine Zigarette zu rauchen oder endlos mit dem Handy zu telefonieren.