Auszüge aus einem Tagebuch...
Zu Beginn des 2. Weltkrieges standen der deutschen Kriegsmarine über 57 U-Boote zur Verfügung. Ihre Hauptaufgabe im Seekrieg bestand in der Versenkung gegnerischer Konvois und Geleitzüge, um die Zufuhr von Versorgungs- und Kriegsgütern zu unterbinden.
Die deutschen U-Boote waren in neun Bootstypen aufgeteilt (Typ I bis Typ XXIII), die sich vor allem in ihrer Reichweite, technischen Ausstattung und Bewaffnung unterschieden.
Berichten möchte ich über das U-Boot mit der Bezeichnung "U 1019". Es zählt zu dem Bootstyp VII aus der Baureihe C und wurde allgemein als das "Arbeitspferd" unter den deutschen U-Booten bezeichnet. Das Kriegstagebuch beginnt am 22.01.1945 mit folgendem Eintrag:
"22.01.1945 - 20.30 Uhr - Kiel Tirpitzhafen abgelegt."
Am 25.1.1945 erreichte das Boot seinen Stützpunkt in Südnorwegen und so lesen wir im Tagebuch:
"26.1., 27.1., 28.1., 29.1., 30.1., 31.1. - Horten Südnorwegen - Boot zur Schnorchelerprobung, Eigenausbildung, Tieftauchversuch, Reparatur Echolot".
Am 01. Februar wurde "U-1019" nach Kristiansand-Süd verlegt und von hier startete es am 03.02. um 16.50 Uhr zur "1. Unternehmung gem. Auslaufbefehl..." in die Gewässer um England.
Die Eintragungen der nächsten Tage berichten über die Beobachtungen bzw. Geräusche von Schiffen bzw. Flugzeugen. Am 16.02. befindet sich das U-Boot in der See westlich von Schottland und hier finden wir folgenden Eintrag:
"02.00 Uhr - Beginn der Schnorchelfahrt. Schnorcheln wegen der hohen Dünung aus südlicher Richtung nicht möglich... Starkes verqualmen der Diesel.." und
"18.45 Uhr - Dämmerungsbeginn. Auf Sehrohrtiefe. Boot läßt sich in der hohen Dünung schlecht steuern. ...Flugzeug fliegt von Steuerbord achteraus anfliegend ca. 400 m am Heck vorbei. Alarm. Heck kommt raus. Flugzeug fliegt von Backbord wieder an. Auf 16 m Tiefe 3 Fliegerbomben."
Nun folgt im Tagebuch des U-Bootes die Eintragung über Schäden:
"Fahrtregelwiderstand an Backbord-E-Maschine durchgeschmort. Rohr I macht Wasser, entweder Mündungsklappe oder Be- und Entwässerungsleitung in Tauchzelle V undicht. Rohr mit Bordmitteln nicht zu reparieren. Restentwässerungsleitung Rohr I geplatzt."
Während der Weiterfahrt des U-Bootes in den nächsten Tagen in Richtung südwestliche Gewässer vor Irland, sind die Soldaten aus dem Maschinenraum mit den Reparaturarbeiten beschäftigt. Es waren vor allem Schweißarbeiten, die durchzuführen waren.
Das Tagebuch berichtet weiter:
"28.02. - 10.06 Uhr - Boot bei 88 m Tiefe auf Grund gelegt, um nicht gegen den starken Strom anlaufen zu müssen. Wasserbombendetonationen während des ganzen Tages."
Am 02.03.1945 wurde in der Irischen See ein mittlerer Frachter um 06.20 Uhr gesichtet. Der Befehl zum abfeuern eines Torpedos wurde erteilt und wir lesen im Tagebuch:
"06.31 Uhr - Fehlschuß. Ungeklärt. Der Torpedo lief richtig nach Horchpeilung auf die Schrauben des Dampfers zu. Torpedo war 6 Min 45 Sek. als Geradeausläufer zu hören...."
Dieser Tag ist aber noch längst nicht zu Ende und so finden wir nachfolgende Eintragungen:
"15.45 Uhr - Wasserbombenserie von 10 Wasserbomben. Man hörte deutlich das Aufklatschen der Wasserbomben auf die Waseroberfläche. ...
16.35 Uhr - ...M.G.-Schüsse ins Wasser...
17.00 Uhr - Mache Kursänderung um 180 Grad und laufe mit dem Strom nach Süden, dicht über Grund...
19.00 Uhr - Will auf die Bänke nördlich "Tuskar Rock" zu laufen um Bewacher auf flachem Wasser abzuschütteln. Die Ausweichbewegung um 90 Grad wird in kürzester Zeit erkannt, die Suchgruppe folgt...
21.30 Uhr - Da unter diesen Umständen keine Aussicht auf Schnorchelfahrt besteht, Batterie aber ziemlich leer und Luft sehr schlecht ist, will ich innerhalb der Bänke ein Platz zum Auf-Grund-Legen suchen."
In den nächsten Tagen setzt sich das "Versteckspiel" zwischen U-1019 und seinen Bewachern in der geschilderten Art fort, so dass der U-Boot-Kommandant am 12.03. folgenden Entschluss in das Tagebuch einträgt:
"09.00 Uhr - Halte ein weiteres Operieren in diesem Seegebiet für aussichtslos. Die Horch- und Ortungsbedingungen sind derart gut, dass das Boot fast immer sofort erfasst wird. ...Will den leichten Seegang ausnutzen, um an der irischen Küste zwischen "Tuskar Rock" und "Conningbeg-Feuerschiff" in den Kanal zu laufen. Beabsichtige an die Geleitwege bei Landsend vorzustoßen."
Am 14.03. befindet sich U-1019 in der See südöstlich von Irland und wir lesen folgende Eintragung:
"20.05 Uhr - Auf Gefechtsstation. Auf Sehrohrtiefe. ...
20.10 Uhr - Boot steht mitten in einem Geleitzug großer beladener Frachter und einzelner Tanker. ...Boot steht ungünstig ...muß Ausweichbewegungen machen.
20.27 Uhr - Großer Frachter unmittelbar davor uns zu überlaufen. Schnell auf 20 m gegangen. Beim Einfahren des Sehrores wird dasselbe von Frachter erfaßt und läßt sich nicht mehr einfahren. ..."
Am 15.03.1945 trägt der Kommandant in das Tagebuch von U-1019 ein:
"09.10 Uhr - Boot vom Grunde gelöst. Heimreise nach Norwegen angetreten..."
Grund für diesen Entschluß ist das beschädigte Standsehror sowie Defekte an den Batterien und den Dieselmotoren. Am 09. April 1945 kommt das U-Boot 1019 mit seiner Besatzung um 16.30 Uhr in Trondheim an.
Hier in Trondheim endete auch der Kriegseinsatz von "U 1019" und seiner Besatzung. Ein Geleitzug brachte Boote und Besatzungen in ein Lager nach Südschottland. Am 06.12.1945 wurden die Boote der deutschen Kriegsmarine in der See vor Südschottland gesprengt.
Unter den Besatzungsmitgliedern von "U 1019" war auch der Obergefreite Konrad Reith aus Kirchhain. Nach der Sprengung der Boote kam er zunächst nach England und von dort wurde er Mitte Dezember 1945 nach Cuxhaven gebracht und von hier weiter nach Dachau, wo er am 24.12.1945 um 09.00 Uhr eintraf. In Dachau wurde er am 06.01.1946 entlassen und kam so per Zug wieder in seine Heimatstadt Kirchhain.
Herr Reith hat mir seine Unterlagen dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt. Nach seiner Ausbildung zum Schlosser begann im Jahre 1941 sein Militärdienst. Eingesetzt war er zunächst als Kraftfahrer in Odessa, bevor er im Oktober 1943 zur U-Bootschule nach Neustadt/Holstein abkommandiert wurde. Hier wurde er 4 Monate ausgebildet und kam danach in die Werft der Firma Blohm-Voss nach Hamburg. In der Werft von Blohm-Voss war er bei der Fertigstellung seines U-Bootes "U 1019" hautnah dabei. Nach der Fertigstellung von "U 1019" wurde die gesamte etwa 50-köpfige Mannschaft, in der Ostsee auf dem U-Boot direkt geschult und mit allen Teilen des Bootes vertraut gemacht.
Eine Wiedersehensfeier der ehemaligen Besatzungsmitglieder fand erst nach der deutschen Wiedervereinigung statt. Seither steht Herr Reith jedoch in ständiger Verbindung mit seinen ehemaligen Kameraden. NACHTRAG: Herr Reith ist Anfang August 2012 verstorben.
Die U-Boote wurden auch "Eiserne Särge" genannt und so ist es nicht verwunderlich, das die Verlustquote bei den U-Boot-Männern so hoch wie bei keiner anderen Waffe waren. Von ca. 40.000 U-Boot-Fahrern starben über 30.000 ! (Angaben aus Wikipedia).
Viel Zeit, die ja angeblich "Wunden heilt", ist seit Ende des schrecklichen 2. Weltkrieges vergangen. Mit jedem Jahr wird auch die Zahl der Augenzeugen geringer und so sollte man vielleicht versuchen, die Erinnerungen festzuhalten.
Dank an Herrn Reith für diesen interessanten Einblick.