"...Setzt zweimal mit würfeln aus..."
Ein Brettspiel für Kinder mit dem Titel 'Der Völkerkrieg 1914' führt durch eine Sonderausstellung des Heimat- und Geschichtsvereins Kirchhain über Menschen, Schicksale und Ereignisse des 1. Weltkrieges.
In diesem Sommer jährte sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal. Éine Vielzahl von Veranstaltungen und Ausstellungen erinnert an diesen am 1. August 1914 entbrannten Krieg und die vielen Millionen Opfer des Weltenbrandes.
Der Heimat- und Geschichtsverein Kirchhain zeigt anhand von Fotografien, Texttafeln, Feldpostkarten, Orden und dem Ehrenbuch der Stadt Kirchhain was dieser Krieg für die Männer, Frauen und Kinder in und um die Stadt bedeutete.
In den Jahren vor dem Ausbruch des Krieges wurde jede Schulfeier zu einem patriotischen Freudenfest und Kinder spielten bereits in feldgrauen Spielzeuguniformen. Für viele junge Männer war das Militär die 'Schule der Nation' und ein Abenteuer. Die Dienstzeit im Kaiserreich betrug bei der Infanterie zwei Jahre, bei der Kavallerie und Marine drei Jahre. Für viele war es erstmals die Möglichkeit, aus den engen Kreisen Kirchhains und der Familie heraus zu kommen.
Brettspiel 'Der Völkerkrieg 1914'
Die Ausstellung steht unter der Überschrift "1914 Der Krieg - ein Kinderspiel !?". Grund hierfür ist das Brettspiel 'Der Völkerkrieg 1914'. Der Besucher 'schlüpft' beim Betreten der Räume in die Rolle des Spielers, der ohne zu würfeln sich auf dem 'Spielfeld' durch die Ausstellung bewegt.
Spielfeld Nr. 1 - "...dann nimmt jeder seine Figur und stellt sie vor der Nummer 1 des Kriegsschauplatzes auf." Das 'Spiel' beginnt am Bahnhof, wo sich jubelnde Massen am Bahnsteig versammelten, um ihre Lieben zu verabschieden. ... Nach der Mobilmachung rollten durch den Kirchhainer Bahnhof in rascher Folge die Truppentransporte. Bürgermeister Grün schrieb über diese Zeit: 'Es waren herrliche, unvergessliche Eindrücke, wenn man sah, mit welchem Mut und welcher Begeisterung unsere Soldaten in den Kampf zogen.' ...
So lesen wir auf einer der Texttafeln: '...Die jungen Kriegsfreiwilligen von 1914 wuchsen in einer militärischen Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts auf, ohne wirklich eine Ahnung von den verheerenden Wirkungen moderner Kriegswaffen zu haben. ...'. Diese Aussage wird belegt mit einem Auszug aus der Oberhessischen Presse vom 06. August 1914, in dem es heißt: '...Wer holt die erste feindliche Fahne oder Kanone ? Das Ehepaar Th. Kaiser hat 200 Mark für denjenigen, der die erste feindliche Kanone, Maschinengewehr oder Fahne erobert oder sich sonst hervorragend vor dem Feind auszeichnet. ...'
Die anfängliche Euphorie ist nicht von langer Dauer, da die moderne Waffentechnik nicht zu schnellen, siegreichen Erfolgen führt sondern zu einem Stillstand an der Front. Mit der Einführung von Brotmarken im März 1915 wurde auch in der Heimat der Krieg spürbar.
Wir erreichen Spielfeld Nr. 68 und lesen: "Ist verwundet worden und kommt ins Lazarett. Setzt zweimal mit würfeln aus." Hier sind Lazarett-Feldpostkarten aus verschiedenen Kirchhainer Fotoalben zu sehen, die jedoch noch mehr Urlaubsfotos ähneln.
Spielfeld Nr. 82 - "Wird von feindlicher Bombe getroffen und scheidet aus". Der erste Kirchhainer, der 'ausscheiden' musste, war der Schuhmachermeister Karl Schmitt. Er fiel als Gefreiter der 10. Kompanie des Infanterie-Regt. Nr. 83 am 28. August 1914 im Gefecht bei Ioncy. ...Die Nachricht über den Tod eines Kirchhainers wurde von den Einheiten militärisch knapp verfasst und der Ortspolizeibehörde zugestellt. ...Mit der Todesnachricht wurde ein Gedenkblatt verschickt, das in den meisten Fällen Pfarrer Fliegenschmidt überbrachte.
Spielfeld Nr. 100 - "Wer zuerst in die Stadt, welche vor der Räumung durch den Feind in Brand gesteckt wurde, eindringt, ist Sieger." Auf den von der Propaganda beschworenen sauberen, ehrenvollen Feldzug, fielen kurz nach dem Einmarsch in das neutrale Belgien erste dunkle Schatten. Zwischen August und Oktober 1914 kamen in Belgien 5521 Zivilisten durch Hinrichtungen und zielgerichtete Zerstörung von Ortschaften ums Leben. ...Original Bekanntmachung der 5. Armee aus der Landsturmdruckerei Montmedy (Lothringen) unweit der belgischen Grenze: 'Im Wiederholungsfalle wird außer der Bestrafung des Täters die Stadt selbst zur Rechenschaft gezogen.'
Auch wenn wir nun das 'Spielfeld' verlassen, so hat die Ausstellung doch noch viele beklemmende Informationen, wie z. Bsp. die Geschichte eines Grabmals oder auch das Foto eines ersten Schuljahres aus dem Jahr 1901. Über das Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges aus Kirchhain berichtet eine Texttafel: 'Bereits im Juni 1919 fasste der Magistrat den Beschluss ein Ehrenmal für die Gefallenen Kirchhainer Soldaten des Ersten Weltkriegs zu errichten. ...Erst mit der Spende zweier vor dem Krieg in die USA ausgewanderter Kirchhainer, der Juden Carl und Louis Stern, war die Finanzierung gesichert. ...Zahlreiche Entwürfe zur Gestaltung des Ehrenmals wurden vorgestellt. Letztlich entschied man sich für den des Marburger Architekten Rumpf. Die von einer Urne gekrönte Säule trägt auf drei Seiten die Namen der 99 Gefallenen. Gebaut wurde das Denkmal von dem Kirchhainer Bildhauer Stück, ...Mit der Einweihung der Ehrensäule am 21. August 1921 wurden auch die Arbeiten am Anna-Park abgeschlossen...'
Die Ausstellung macht deutlich, dass die Exponate mit sehr viel Engagement und vor allem Liebe zum Detail zusammengetragen und aufgebaut wurden. Es ist eine einzigartige Dokumentation über die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges für die Bewohner von Kirchhain und der ganzen Umgebung. Die Ausstellung schließt zwar offiziell am 28.09.2014 ihre Pforten, jedoch werden in der Tagespresse weitere Öffnungstermine bekannt gegeben.
Zur Eröffnung der Ausstellung wurde ein Gedicht von Erich Kästner vorgetragen, das ich hier zum Ende meines Berichtes noch gerne wiedergeben möchte:
Primaner in Uniform
Der Rektor trat, zum Abendbrot,
bekümmert in den Saal.
Der Klassenbruder Kern sei tot.
Das war das erste Mal.
Wir saßen bis zur Nacht im Park
und dachten lange nach.
Kurt Kern, gefallen in Langemarck,
saß zwischen uns und sprach.
Dann lasen wir wieder Daudet und Vergil
und wurden zu Ostern versetzt.
Dann sagte man uns, daß Heimbold fiel.
Und Rochlitz sei schwer verletzt.
Herr Rektor Jobst war Theolog
für Gott und Vaterland.
Und jedem, der in den Weltkrieg zog,
gab er zuvor die Hand.
Kerns Mutter machte ihm Besuch.
Sie ging vor Kummer krumm.
Und weinte in ihr Taschentuch
vorm Lehrerkollegium.
Der Rochlitz starb im Lazarett.
Und wir begruben ihn dann.
Im Klassenzimmer hing ein Brett
mit den Namen der Toten daran.
Wir saßen oft im Park am Zaun.
Nie wurde mehr gespaßt.
Inzwischen fiel der kleine Braun.
Und Koßmann wurde vergast.
Der Rektor dankte Gott pro Sieg.
Die Lehrer trieben Latein.
Wir hatten Angst vor diesem Krieg.
Und dann zog man uns ein.
Wir hatten Angst. Und hofften gar,
es spräche einer Halt!
Wir waren damals achtzehn Jahr,
und das ist nicht sehr alt.
Wir dachten an Rochlitz, Braun und Kern.
Der Rektor wünschte uns Glück.
Und blieb mit Gott und den andern Herrn
gefaßt in der Heimat zurück.
Bürgerreporter:in:Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain |
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