Kirchhainer Geschichte erwandern!!

Unser Stadtführer, Herr Harald Pausch !
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Am Freitag, d. 24. März 2017, fand um 16.30 Uhr ein Myheimat-Treffen in Kirchhain statt.

Einem jeden ist bekannt: "Für ein gutes Gericht benötigt man gute Zutaten, die bestens aufeinander abgestimmt sein müssen." Auf dem 'Speiseplan' des Myheimat Stammtisches Marburg und Umgebung stand am Freitag, d. 24. März 2017, das 'Gericht': Stadtführung in Kirchhain. Die 'Zutaten' standen pünktlich um 16.30 Uhr auf dem Marktplatz bereit, und zwar:
- sehr interessierte Bürgerreporterinnen und Bürgerreporter
und
- Sehenswürdigkeiten von Kirchhain. Für die 'Verarbeitung' zeichnete der Stadtführer, Herr Harald Pausch, verantwortlich. Er bewies sein Geschick alles bestens aufeinander abzustimmen und sorgte durch kleine Anekdoten für die richtige 'Würze'.

Über Kirchhain, die Wohn- und Marktstadt im Ohmtal, am Nordrand des Amöneburger Beckens, mit derzeit etwa 9.000 Einwohnern in der Kernstadt, kann man viel lesen - viel eindrucksvoller und vor allem nachhaltiger ist das selbst erfahrene (erwanderte) während einer Stadtführung. Unser Stadtführer, Herr Pausch, berichtete zunächst anhand einiger Jahreszahlen über die Entwicklung des Dörfchens Werploh bis zur heutigen Stadt Kirchhain:
1146 - Erste Angaben über das Dorf Werploh
1238 - Der Name Kirchhain erscheint zum ersten Male in einer Urkunde des Klosters Kalden
1352 - Kirchhain wird urkundlich als Stadt genannt
1529 - Wahrscheinlicher Besuch Dr. Martin Luthers in der Stadt (auf dem Wege zum Religionsgespräch mit Zwingli in Marburg)
ca. 1533 - Bau des Rathauses
1612 - Neubau des "Blauen Löwen" in der Borngasse
1819 - Abbruch der Torbefestigungen
1821 - Mit der neuen Kreiseinteilung für Kurhessen wurde Kirchhain zur Kreisstadt mit den früheren Ämtern Amöneburg, Kirchhain, Neustadt und Rauschenberg (5 Städte und 37 Gemeinden) erhoben
1850 - Eröffnung der Main-Weser-Bahn (Teilstrecke: Marburg-Kassel)
1900 - Eröffnung der Ohmtalbahn: Kirchhain-Homberg (Oberhessen) - Burg- und Niedergemünden
1914 - Eröffnung der Wohratalbahn
1932 - Ende der Kreisstadtfunktion

Marktplatz

An alten Gebäuden sind oftmals Jahreszahlen zu erkennen, die den Betrachter schon ein wenig die Geschichte des Gebäudes erahnen lassen. Was jedoch genau dahinter steckt, bleibt oft verborgen. Uns blieb es jedoch nicht verborgen, da Herr Pausch recht eindrucksvoll an Beispielen die Gebäudeveränderungen erläuterte.
Das heutige Gebäude Am Markt 5 (Uhrengeschäft Kalweit) war von 1856 bis zum Verkauf im Jahre 1907 im Besitz der israelitischen Synagogengemeinde. Im Vordergrund stand ein Wohnhaus während sich die Synagoge im Hof befand.
Im Jahre 1559 wird am Marktplatz das städtische "Weinhaus" errichtet. Während der Jahrmärkte diente das Erdgeschoss den Tuchmachern als Verkaufsraum und Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Fachwerk verputzt.

Rathaus

Das historische Rathaus ist an sich schon ein Blickfang aber mit Hilfe der Erklärungen und Fotos unseres Stadtführers wurden die baulichen Veränderungen im Laufe der letzten Jahrhunderte deutlich. Das Wahrzeichen der Stadt Kirchhain wurde ca. im Jahre 1533 erbaut. Im Erdgeschoss befand sich ursprünglich einmal eine Halle, die zunächst als Markt- und Festhalle diente und in der später die städtischen Feuerspritzen und Löschgeräte aufbewahrt wurden. Ungefähr 100 Jahre lang wird die an der Nordwand des Rathauses einst vorhandene Holztreppe gewesen sein, bevor sie im Jahre 1562 durch den auch heute noch vorhandenen massiven Treppenturm mit seiner steinernen Wendeltreppe ersetzt wurde.

Blauer Löwe

Die bisherigen Erläuterungen hatten uns neugierig gemacht und so folgten wir Herrn Pausch bereitwillig über die Markttreppe hinunter in die Borngasse. Hier standen wir gegenüber eines imposanten Fachwerkbaues in dessen Grundmauern sich ein Stein mit einem blauen Löwenkopf befindet. Das Haus entstand im Jahre 1612 und am 12. August 1647 wurde der Romanautor Eberhard Werner Happel als Sohn eines evangelisch - lutherischen Pastors hier geboren. Die Familienwappen von Heinrich Happel und seiner Ehefrau Katharina Volprecht zieren auch heute noch den Torbogen. Der blaue Löwe lag an einem gut befahrenen Handelsweg und bot Fuhrwerken die Möglichkeit zum Wechsel der Pferde und Fahrgäste konnten hier auch übernachten. Als der hessische Landgraf Friedrich im Jahre 1720 König von Schweden wurde, benannte der damalige Besitzer des "blauen Löwen" sein Gasthaus um in "zur Stadt Stockholm".

Königs-Elefant "Jack"

Neben der seit 1792 auch heute noch vorhandenen Gaststätte "Zur Sonne" befand sich bereits Jahre vorher schon die Gaststätte "Zum goldenen Hirsch". Hier gastierte nun seit dem 11. Februar 1863 der kleine Wanderzirkus von Anton Grubhofer mit seinen wenigen Wagen im Hof des Gasthauses. Seine Attraktion war der 22-jährige und 86 Zentner schwere Elefantenbulle "Jack". Am Freitag, d. 13. Februar 1863, war "Jack" jedoch vollkommen verändert und erschien agressiv und unberechenbar zu sein. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht von dem tobenden Tier in Kirchhain und so werden die Stadtväter nervös und bedrängen den Zirkusbesitzer das Tier töten zu lassen. Jäger werden aus der Umgebung und Marburg herbeigeholt und ununterbrochen prasseln Kugeln auf die graue Haut des Tieres. In einer riesigen Staubwolke sinkt Jack auf dem Hof des Gasthauses nieder. Einmal noch strecken sich die Beine aus; ein letztes Zucken geht durch die Hautfalten. Der Elefant ist erlegt. Von drei Pferden durch Matsch und Staub gezogen, treten die Überreste des "berühmten großen Königselefanten Jack aus Indien" ihren Weg nach Marburg an und das Skelett ist heute im Foyer des Fachbereichs in der Karl-v.-Frisch-Straße auf den Lahnbergen zu bestaunen.

In den Gaststätten muss es überhaupt doch recht lustig zugegangen sein und mancher Schabernack wurde dabei erdacht. Herr Pausch wusste von den Hühnern eines Pfarrers zu berichten, die findige Gaststättenbesucher 'zugelaufen' waren und in geselliger Runde verzehrt wurden. Am Hühnerstallt war ein Zettel mit der Notiz angebracht: "Die Augen des Herren wachen überall, nur nicht in Pfarrers Hühnerstall."

Synagoge

Von der ehemaligen jüdischen Synagoge zwischen Römerstraße und der Straße Hinter der Post ist nur noch die Westhälfte erhalten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde in Kirchhain zahlenmäßig stark angewachsen auf schließlich etwa 9% der Gesamtbevölkerung (219 von 2421 Einwohnern). Der Grund für dieses schwunghafte Anwachsen der jüdischen Bevölkerung in Kirchhain ist hauptsächlich in den Kirchhainer Rindviehmärkten zu suchen, die kurz nach dem Jahre 1900 in hoher Blüte standen und damals zu den bedeutendsten der Provinz Hessen-Nassau und des Großherzogtums Hessen zählten. Um dem Marktort Kirchhain näher zu sein, verlegten eine Anzahl der in der Umgebung bisher wohnenden jüdischen Aufkäufer ihren Wohnsitz nach Kirchhain und betrieben von dort aus ihren Handel.
Im Jahre 1899 erwarb die Israelitische Synagogengemeinde das Grundstück Ecke Niederrheinische Straße und Römerstraße und so entstand im Jahre 1905 hier ein Neubau.

Während der Reichspogromnacht wurde die prächtige Inneneinrichtung der Synagoge vollständig demoliert, sämtliche Fenster und Leuchter zertrümmert und das Gestühl herausgerissen. Zeitweise wurden während des Krieges Heu, Stroh und eiserne Rohstoffe hier gelagert und der Ostteil erst 1945/46 abgebrochen.

Hexenturm

Auf unserer Entdeckungsreise durch die Geschichte der Stadt Kirchhain führte uns nun Herr Pausch eigentlich 'auf der alten Stadtmauer' entlang und zwar heute ist es die Straße Hinter der Post. 'Kletterkünste' waren hierbei nicht notwendig, da die letzten Reste der Stadtmauer an dieser Stelle bereits um 1920 entfernt wurden. So gelangten wir in die Fußgängerzone, zum alten Pfarrhaus und zum Hexenturm. Von den Türmen der einstigen Kirchhainer Stadtbefestigung hat sich bis in die Gegenwart nur dieser erhalten. In der Zeit der Hexenprozesse in Kurhessen wurden die der Hexerei beschuldigten bis zu ihrem Prozess in Marburg hier gefangen gehalten. Erwartungsvoll warfen wir einen Blick in den mittelalterlichen Gefängnisraum, um uns dann jedoch schnell wieder erfreulicherem zuzuwenden.

Annapark

Der Annapark befindet sich in Kirchhain direkt an einer stark befahrenen Innenstadtstraße. Hinter den ihn teilweise umgebenden Mauern der alten Stadtbefestigung, findet der Besucher eine Oase der Ruhe. Auf einer Fläche von 14.139 qm befinden sich hier Ruhebänke, Kinderspielgeräte, Boulebahnen und die Ehrenmale für die Gefallenen und Vermissten der Kriege 1870/71, des 1. und des 2. Weltkrieges.
Dieser Platz ist für Beerdigungszwecke nur 71 Jahre - von 1828 bis 1899 - beansprucht worden. Im Jahre 1913 unterbreitete der Bierbrauereibesitzer Bopp in Marburg der Stadt Kirchhain den Vorschlag, den früheren Friedhof vor dem Brießelstor zu einem Park umwandeln zu lassen. Zu den Ausführungskosten wollte dann Herr Bopp den Betrag von 5.000 Mark der Stadt übergeben und einen weiteren Betrag von 10.000 Mark stiften. Dankbar nahmen die damaligen Körperschaften von Kirchhain den Vorschlag und die Verpflichtung an und gaben in Erinnerung an die aus Kirchhain stammende Ehefrau des Stifters der neu zu schaffenden Anlage den Namen "Annapark". ... Die Gartenarchitekten Gebrüder Siesmayer in Frankfurt a. M. lieferten die Pläne für das Wegenetz, die zu schaffenden Rasenflächen und die weitere Ausgestaltung. ..., durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges wurden die Arbeiten unterbrochen und konnten erst nach Ende des Krieges fertiggestellt werden.

Gillhof

Wir verlassen nun den Annapark und erreichen den Gillhof, der im sogenannten "Dörfchen" sich befindet.
Es ist ein ehemaliger Deutsch-Ordens-Hof, der als Mittelpunkt der Verwaltung der Güter, zur Erhebung der Einkünfte und zur Ausübung der Gerichtsbarkeit diente. Nach der Aufhebung des Deutschen-Ordens zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wechselten die Besitzer mehrmals. Das Haus fand u.a. auch Verwendung als Sitz zweier Landräte des ehemaligen Kreises Kirchhain.

Aber auch in einem anderen Zusammenhang steht der Gillhof im Mittelpunkt. In dem Roman "Der Krähenbaum" von Mathias Schröder, wird über Kindheitserlebnisse im Kriegsjahr 1944 in "Werflo" erzählt. Die Hauptfiguren leben in dieser Zeit auf dem Gillhof. "Werflo" ist der ursprüngliche Name von Kirchhain.

Stadtkirche

Unser Weg führte uns nun über eine Treppe hinauf zur Stadtkirche. Sie thront auf dem höchsten Punkt der Stadt Kirchhain und überragt alle Gebäude der Stadt. Der heutige Kirchenbau stammt aus dem 15. Jahrhundert. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Orgel durch J.A. Heynemann, Laubach, erneuert und in der Zeit von 1929 bis 1936 erfolgte eine Renovierung der Stadtkirche und der Anbau des Chores. Kaum hatte uns Herr Pausch das Kirchenfenster im Altarraum, den Taufstein und die verschiedenen Grabsteine erklärt, sagte er: "...nun wartet auf sie noch ein ganz besonderer Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes: wir steigen im inneren des Kirchturms hinauf bis zu einer Aussichtsplattform direkt unterhalb der Kirchturmuhr !" So stiegen wir zunächst die Steinstufen empor, um dann über Holztreppen die Aussichtsplattform zu erreichen. Es war ein überwältigender Blick und wahrlich der Höhepunkt des Tages.

So endete ein 1 1/2-stündiger Gang durch die Geschichte der Stadt Kirchhain, der uns neue Erkenntnisse über Kirchhain vermittelte wodurch wir die Stadt nun mit anderen Augen sehen. Wir danken auf diesem Wege unserem Stadtführer, Herrn Harald Pausch, für diese aussergewöhnliche Führung - DANKE !!

Das Treffen der Bürgerreporterinnen und Bürgerreporter in Kirchhain endete mit einem gemeinsamen Abendessen in der Gaststätte Hessischer Hof. Bedanken möchte ich mich auch bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie für die netten Kommentare in den Berichten von Volker Beilborn, Amadeus Degen und Karl-Heinz Töpfer. Hier sind die Berichte und Fotos zu finden:

https://www.myheimat.de/marburg/freizeit/myheimat-...

https://www.myheimat.de/kirchhain/kultur/myheimat-...

https://www.myheimat.de/kirchhain/kultur/mit-myhei...
https://www.myheimat.de/kirchhain/kultur/schattens...
https://www.myheimat.de/kirchhain/freizeit/bilder-...

Bürgerreporter:in:

Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain

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