Dienst im Bunker führt zu lebenslanger Freundschaft

Namensgebung der Kaserne in Lauda/Baden 1968 | Foto: Zeitungsscan
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  • Namensgebung der Kaserne in Lauda/Baden 1968
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Genau 44 Jahre ist es her, dass fünf junge Männer in die damals noch namenlose Luftwaffenkaserne in Lauda eingezogen sind. Jetzt kehrten sie nicht zum ersten Mal in das von ihnen lieb gewonnene liebliche Taubertal zurück.

Am 1. Juli 1968 war der Bahnsteig in Kirchhain fast leer. Der Schüler- und Berufsverkehr war gerade vorbei. Nur vier Personen waren dort – zwei Liebespaare „knutschten“ sich zum Abschied. Mich hatte ganz kurzfristig noch der Einberufungsbescheid zur Bundeswehr erreicht. Die 7.(AusbStff)/TSLW 2 in Lechfeld, das war mein Ziel – das heißt "7. Ausbildungsstaffel der Technischen Schule 2 der Luftwaffe" am Fliegerhorst Lagerlechfeld, Kaserne Lechfeld-Nord.

Meine Freundin hatte zu meiner Verabschiedung die erste Unterrichtsstunde geschwänzt. Dann kam der Zug in Richtung Kassel. Wir beiden jungen Männer hatten gleich erkannt, dass wir Schicksalsgenossen sind – und so war es auch. Unsere gemeinsame Fahrt sollte über Malsfeld nach Bebra gehen, wo ein Sonderzug für alle neuen Luftwaffenrekruten ins Bayrische auf uns wartete. Mein Weggefährte sollte zur Luftwaffen-Sanitätsausbildung zum Standort Penzing bei Landsberg am Lech einrücken.

Im Frühjahr 1970 habe ich dann den jungen Mann zufällig bei einer Beat-Veranstaltung in der Kirchhainer Markthalle, auch bekannt als „Bullenhalle“, wiedergetroffen. Ganz spontan haben wir unsere Berufspläne geschmiedet und sind dann gemeinsam in unsere Studier-Wohngemeinschaft in Gießen eingezogen. Erstes Staatsexamen, Referendariat, 2. Staatsexamen, 40 Berufsjahre und unsere Freundschaft sind daraus entstanden.

Aber ich will ja von meinen Bunkerkameraden und Freunden erzählen.

Die ersten 3 Monate auf dem Lagerlechfeld waren einer fast rein militärischen Ausbildung vorbehalten. Allerdings gab es gleich zu Anfang einen gnadenlosen Englischtest. Wer hier nicht bestanden hat, landete beim Wachbataillon oder bei einer Flakmannschaft zum Objektschutz wichtiger Einrichtungen.
Ein besonderes Erlebnis war der echte Alarm am 21. August 1968, dem Tag, als die Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einmarschierten und den „Prager Frühling“ niederschlugen. Für ein paar Stunden war es der Ernstfall. Alarm, Raustreten im Kampfanzug und eine kurze Ansprache des Einheitsführers, dass wir so schnell wie möglich die Kaserne verlassen müssen, da Kasernen erste Ziele des Feindes seien. Dann mussten wir unsere privaten Dinge verpacken und mit dem Anhang „Spende an das Rote Kreuz“ versehen, bevor sie in einem Keller des Staffelgebäudes eingeschlossen wurden. Vor dem Ausmarsch ging der Weg noch einmal durch den Speisesaal, um ein EPA (Einsatzration mit Lebensmitteln für einen Tag, Klopapier, Streichhölzer, Wasserentkeimungstabletten) in Empfang zu nehmen. Nach ein paar Stunden klärte sich die Lage und wir marschierten in die Kaserne zurück. Meine Gedanken? „Konnten denn die blöden Russen nicht schon im Juni einmarschieren, da wäre ich noch zu Hause gewesen!“

Den Oktober 1968 über waren wir dann in der 6. (SchüStff)/TSLW 2, einer Schülerstaffel voller Lehrgangsteilnehmer. Dort erlernten wir in einem Übungsbunker den „Datenfluss im 412-L-System“ (dazu später), was sehr theoretisch war und mein gutes Gedächtnis und mein langes Schülerleben trugen dazu bei, dass der Flieger Hamel aus Rauschenberg vor dem Flieger Hammerl aus München Lehrgangsbester wurde.

Was macht man, wenn man nur 90 DM Wehrsold im Monat bekommt? Man kann nicht jedes Wochenende nach Hause fahren und so lernten sich die Kameraden, die von weit weg kamen, automatisch bei gemeinsamen Wochenendunternehmungen besser kennen. So war es irgendwie ganz logisch, dass wir gemeinsam dafür sorgten, dass unsere endgültige Verwendung die an einem heimatnahen Standort wurde.

Das war der Nato-Bunker bei Lauda/Baden im Kreis Tauberbischofsheim an der Landesgrenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern, etwa 40 km südlich von Würzburg. Eine Kette dieser Bunker erstreckte sich vom Nordkap bis in die Türkei. Unser Bunker hieß „Luftverteidigungsanlage Gustav“ im offiziellen Sprachgebrauch und für das Telefon mit dem normalen Anschluss im öffentlichen Telefonbuch. Am Militärtelefon und der LOOP (immer geschaltete Leitung zwischen allen süddeutschen Bunkern und Militär-Flugplätzen) waren wir BATMAN. Unser nördlicher Bunker-Nachbar befand sich auf der Wasserkuppe, war nur von der American Air Force besetzt und hieß ROOTER. Der südliche Nachbar war bei Meßstetten auf der schwäbischen Alb und hieß SWEETAPPLE.

Das war der Moment, wo wir Fünf endgültig zusammengekommen sind. Wir wurden Mitglied der A-Crew in der 7./FmRgt 32 (ein paar Monate später umbenannt in 3./FmRgt 32). Diese Kompanie war die Heimat von 3 Crews (A-, B- und C-Crew), die in drei Schichten rund um die Uhr in BATMAN ihren Dienst taten. Dayshift 08.00 – 16.00, Swingshift 16.00 – 24.00 und Nightshift 00.00 – 08.00. Vor jeder Schicht wurden die Soldaten mit einem olivgrünen Bundeswehrbus von der Kaserne in Lauda zum etwa 5 km weit entfernten Bunker bei Königshofen gefahren. Wir fünf Kameraden gehörten zu den nur 15% Wehrpflichtigen dieser Einheit. Unsere Stube war auf dem Flur der A-Crew die letzte ganz hinten links, ich glaube, es war Stube 9.
Der Schichtdienst hatte zwei besondere Vorteile - die Zusatzverpflegung für nachts mit einem halben Hähnchen und einer Tafel Schokolade und einer ganzen Woche frei nach einer Woche Spät-/Nachtschicht und einer Woche Tagschicht am Stück. Die Spätschicht und die Nachtschicht wurde immer von einer Crew besetzt, die dazu geteilt wurde.

So ein Bunker besteht, grob gesagt, aus 3 Stockwerken. Über einen langen Schleusengang erreicht man das Innere. Die Wände sind mit splittersicherem Teakholz verkleidet und alle Leitungen sind nicht fest auf den Wänden montiert, sie sind mit dicken Gummistopfen an den Wänden befestigt. Außerdem ist der Bunker für 30 Tage atombombensicher, so lange reichen Luft und Vorräte. Im untersten Stockwerk stehen riesige Turbinen, die mit Dieselöl Strom erzeugen können.
Im mittleren Stockwerk stehen die PC-Schränke in der Größe von Spinden in einem Saal, der auf seine Temperatur und Luftfeuchtigkeit hin ständig überwacht wird. Dieser Bereich wird von einer Kompanie Techniker aus der Kaserne betreut, der „Maintenance“.
Das Herzstück des Bunkers ist die OPS (=OPERATIONS), ein kinoähnlicher Saal mit vier Reihen von Radarkonsolen.
Die vorderste Reihe, ganz unten, das waren die geheimnisvollen US Army Konsolen für den Einsatz der Boden-Luft- und Boden-Boden-Raketen mit und ohne Atomsprengköpfen.
Die drei Konsolenreihen darüber, die waren unser Reich.
Die unterste Reihe war die SURVEILLANCE. Zum Bunker gehörten in ein paar Kilometern Entfernung Radarantennen und Funkantennen. Das große Rundumsuchgerät unter der Plastikkuppel spürte Radarechos auf, die in dieser Abteilung einen Namen bekamen (2 Buchstaben = Kennung Bunker, der sie eingibt und 3 Zahlen). Das besagte 412-L-System war in der Lage, diese Echos weiterzuverfolgen und bei Bedarf Angriffstaktiken für die Abfangjäger zu berechnen. Das Computer- und Konsolensystem wurde von Ziviltechnikern von GENERAL ELECTRIC betreut. Der Hightfinder war das zweite Radarantennengerät.
In der nächsten Konsolenreihe war die ID zu Hause. Die Kameraden der IDENTIFICATION erhielten von amerikanischen Soldaten aus Frankfurt die Flugpläne der zivilen Luftfahrt durchgesagt und glichen sie mit den Radarechos ab. Bei einem unbekannten Flugobjekt wurde Alarm gegeben. Der FIGHTER ALLOCATOR im Führungsbunker in Börfink am Erbeskopf in der Eifel ordnete dann einen Alarmstart zweier Abfangjäger (damals STARFIGHTER) an.
Das war dann mein Arbeitsbereich, die WEAPONS. Wenn der FA die Maschinen unter die Führung von BATMAN stellte, wurden sie auf dem Radarscope von einem Feuerleitoffizier unseres Bunkers geführt. Ich war sein Gehilfe, ein WEAPONS TECHNICIAN. Ich musste das Wetter parat haben und die Treibstoffmenge überwachen und nach der Mission per Anruf die Maschinen an die Airbase übergeben. Ein WEAOPONS TECH musste auch immer das Logbuch führen und den RADIO MONITOR auf Hilferufe abhören.
Ein nervenaufreibender Job, von den 8 Stunden einer Schicht wechselten sich immer eine Stunde Dienst am Gerät und eine Ruhestunde im BREAKROOM ab.

Hinter der Weapons waren Büros und Briefing-Räume und ein Raum, in dem liefen Tag und Nacht riesige Tonbandspulen mit und zeichneten jedes Wort, das über Funk oder Telefon gesprochen wurde, auf. Deshalb musste man jede Rede mit der Nennung seiner INITIALS beenden – mein HH, im Natoalphabet Hotel Hotel, war nicht gerade sehr wohlklingend. Meine Kameraden Romeo Echo und Whiskey Fox hatten es da besser.
Ganz vorne in der OPS war das große STATUS BOARD mit der Darstellung der Einsatzbereitschaft aller Bunker. Was für eine Aufregung, wenn der Kommandobunker vom Netz gehen musste und plötzlich BATMAN über die LOOP gerufen wurde, sofort diese Aufgabe zu übernehmen!

Dann gab es da noch das hochgradig abgesicherte CRYPTO CENTER. Hier wurden die Codes ausgegeben, mit denen sich Feuerleitoffizier und Fighterpilot gegenseitig identifizierten. Dies Kombinationen wechselten alle 6 Stunden.

Im Herbst 1968 waren wir noch eine gemischte Mannschaft aus Amerikanern und Deutschen in der OPS. Nach einem TACTICAL EVALUATION, einer Überprüfung durch eine hochrangige Natokommision, die ganz plötzlich auftauchte und eine vorbereitete Luftlage und vorbereitete Funksprüche in das System einspielte und die Reaktion von jedem Soldaten in der OPS beobachtete, durften wir von der German Air Force den Bunker alleine betreiben.
Auch die Namensgebung zur TAUBERFRANKEN-KASERNE fiel in unsere Zeit. Auf dem Foto der Zeitung sind wir aber nicht mehr zu sehen, wir stehen links als Ehrenformation im großen Dienstanzug.
Unsere Entlassung war zu Weihnachten 1969.

Die Tauberfranken-Kaserne gibt es nicht mehr und auch der Bunker steht leer. Die Stadt Lauda-Königshofen bemüht sich, in den Kasernengebäuden Firmen anzusiedeln, das Kasernengelände heißt jetzt i-Park.

Mittlerweile verbindet uns eine Freundschaft, die uns schon siebzehn Mal zu mehrtägigen Treffen zusammengeführt hat. Nicht immer ist es das wunderschöne Taubertal zwischen Rothenburg o.d. Tauber und Wertheim am Main mit Lauda, Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim. Wir waren auch schon in Prag und am Steinhuder Meer oder in Lechfeld. Und nicht nur Bundeswehrerinnerungen werden ausgetauscht, so manches private Problem in diesen 44 Jahren wurde besprochen.

Vor wenigen Tagen war unser letztes Treffen.
Dieses Mal reisten wir fünf Kameraden mit unseren Fahrrädern an und erradelten die Gegend zwischen Reicholzheim und Bad Mergentheim mithilfe der radlerfreundlichen Tauberbahn. Natürlich wurde auch der Ortenberg in Lauda erklommen und in einem Lokal in der ehemaligen Tauberfranken-Kaserne – dem jetzigen i-Park - schwelgte man bei gutem Essen in alten Erinnerungen. Genau da, wo früher Kantinenwirt Ötzel seinen Ausschank hatte. Der Bunkereingang wurde nicht besucht, denn vor der endgültigen Schließung des Bunkers war es uns in 2001 gelungen, eine Führung durch „unseren“ Bunker zu bekommen. Erstaunt waren wir damals über die technische Entwicklung. Unsere alten 412-L-Konsolen waren nur noch als museale Erinnerungsstücke aufgestellt.

Eine besondere Erfahrung war die diesjährige Unterkunft in einem Kloster. Kloster Bronnbach liegt im unteren Taubertal bei Reichholzheim, gehört dem Land Baden-Württemberg und wurde zum Zeitpunkt des Kameradschaftstreffens von einem Seminar der Uni Mannheim genutzt.

Bürgerreporter:in:

Hansheinrich Hamel aus Kirchhain

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