Landgericht Offenburg
Urteil gegen 23-jähriger Bulgaren wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Ein 23-jähriger Bulgare, der seit seinem elften Lebensjahr in Straßburg lebt, arbeitete am 30.09.2022 in einer Kehler Bar als Barkeeper. Gegen 22.00 Uhr kam ein weiterer 37-jähriger Bulgare in die Bar, der nach Angaben des späteren Angeklagten schon in der Vergangenheit deshalb negativ aufgefallen sei, weil er mit einem Küchenmesser dort Leute bedroht habe.
Dieses Mal ging es wohl um herabwürdigende Postings des 37-jährigen Opfer in Facebook gegen Freunde des Angeklagten, worin er unter anderem mit „ich werde Eure Kinder f…“ gedroht haben soll. Der Angeklagte bat gegen 22.03 Uhr an jenem 30.09.2022 den 37-jährigen vor das Lokal in Kehl zu kommen. Dort hat er ihn wohl mit seinen Postings in Facebook konfrontiert und selbigem ein Hausverbot erteilt. Dann will er ihn am Ohr gezogen haben und habe ihn weggeschubst. Hierbei sei der 37-Jährige durch den Schubser unglücklich nach hinten auf den Boden gefallen. Er war kurz benommen, was möglicherweise mit dessen hohen Alkoholkonsum zu tun haben könnte, er hatte bereits mehrere Bier und Johnny-Walker-Whiskey intus. Sofort habe ihn der Angeklagte notfallmässig versorgt. Er half ihm sogar auf. Passanten oder Nachbarn riefen die Polizei.
Der am Einsatzort eingetroffene PHM Pel. habe mit dem 37-Jährigen gesprochen und keinerlei Verletzungen im Gesicht oder am Kopf festgestellt. Der 37-Jährige habe sich hiernach unauffällig bis morgens um 4.00 Uhr in anderen Lokalitäten in Kehl aufgehalten und dort weiter Alkohol konsumiert. Danach sei er nicht in seine eigene Wohnung, sondern die es Bruders und der Schwägerin gegangen, wo er sich zunächst in der Küche auf den Boden hinlegte, um später in ein Bett im Nebenraum zu wechseln. Nachdem es ihm am Vormittag des 01.10.2022 schlecht ging, hat sein Neffe die Polizei angerufen und um einen Rettungswagen gebeten. Der 37-Jährige kam ins Ortenauklinikum in Kehl wo er ins Koma gelegt wurde und einige Tage später in Folge von Nierenversagens verstarb.
Der Angeklagte wußte angeblich nichts vom weiteren Verlauf und war inzwischen nach Bulgarien verreist, um der Oma bei einer Operation beizustehen. Die Staatsanwaltschaft hat hieraufhin einen Europäischen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Er wurde am 05.11.2022 in Bulgarien festgenommen und am 22.12.2022 nach Offenburg überstellt. Er wurde zu den vier Verhandlungen aus der Untersuchungshaft in die Verhandlung vorgeführt.
Anlässlich der Beweisaufnahme hat die erste große Strafkammer am Landgericht Offenburg zunächst eine Litanei an türkischen und bulgarischen Zeugen vernommen, die jahrelang als arbeitssuchend in Kehl leben, wie sie selbst erklärten, aber bis auf den Neffen des Verstorbenen nicht Deutsch konnten. Eine Dolmetscherin war für die Bulgaren bestellt worden.
Bis auf einen Zeugen war keiner bei dem Vorfall am 30.09.22 dabei. Sachdienliches konnte seiner Aussage jedoch nicht entnommen werden. Die Aussagen der anderen Zeugen waren grundsätzlich unbrauchbar, weil sie auf Hörensagen gründeten. Der Bruder des Verstorbenen erklärte, dass die beiden sechs- und achtjährigen Kinder des Verstorbenen nunmehr von der 72-jährigen Oma in Bulgarien aufgezogen würden, der auch das Sorgerecht übertragen sei. Bevor er den Zeugenstuhl verließ beschimpfte er den Angeklagten des Mordes an seinem Bruder, der nach seiner Ansicht auch das Leben der gesamten Familie zerstört habe.
Im direkten Anschluß wurde seine Frau vernommen, die ebenfalls nicht bei der Auseinandersetzung am 30.09.22 dabei war. Sie gab im Widerspruch zu ihrem Ehemann an, dass die beiden Waisenkinder von ihr in Deutschland aufgezogen würden und ihr ganzes Leben durch den Mord des Angeklagten zerstört worden sei. Während ihrer Vernehmung mußte der Vorsitzende Richter Stephan Hofsäß eingreifen und sie zurechtweisen, da sie nicht mal mehr die Dolmetscherin ausreden ließ.
Auch die Vernehmung der Tante, der Schwester und der Mutter des
23-jährigen Angeklagten brachten keine Erhellung des Vorfalls vom 30.09.2022. Auch hier gründeten die meisten Aussagen auf Hörensagen.
Die Behauptung, dass der Verstorbene am Morgen des 01.10.2022 noch zusätzlich Opfer einer weiteren Körperverletzung wurde, ist nicht aufgeklärt worden. Die Aussage der einen Zeugin, die fünf verschiedene Adressen in Kehl angab, war erkennbar alles andere als wahrheitsgemäß. Vermutlich auch deswegen hatte sie mehrfach versucht sich ihrer Vernehmung zu widersetzen, wie deren mehrfache Anrufe im Gerichtssaal erkennbar machten.
Der Angeklagte wurde von allen - auch von seinem Arbeitgeber - als äußerst freundlich, hilfsbereit und zuverlässig beschrieben. Andere Tätlichkeiten hat es von ihm ausgehend nie gegeben.
Während aller vier Verhandlungstage war auch die Rechtsmedizinerin Dr. Vanessa T. anwesend, die im Gegensatz zu anderen Zeugen alles mitanhören durfte, was im Gerichtssaal ausgesagt oder besprochen wurde. In ihrer Vernehmung gab sie an, dass sie den Verstorbenen noch lebend im Ortenauklinikum Kehl begutachtet habe, als dieser im Koma lag und dann auch später obduzierte, als er verstorben war. Er habe nach ihrer Ansicht ein Brillenhämatom gehabt. Auf den gezeigten Bildern durch den Vorsitzenden Stephan Hofsäß sah man jedoch lediglich ein Hämatom um das linke Auge. Sie gab an, der Verstorbene habe ein Schädelhirntrauma erlitten. Er hätte an den Unterarmen und an der Schläfe Schürfwunden aufgewiesen.
Auf Nachfrage des Pflichtverteidigers L. des Angeklagten, ob der Verstorbene an den Folgen des Schubsens durch den Angeklagten am 30.09.2022 verstorben sei, hat sie dies bejaht. Auf weitere Anfrage erklärte sie, dass sie deshalb davon ausginge, weil der Verstorbene keine Hämatome an den Unterarmen oder im Rücken hatte. Niemand fragte nach, ob es Vorerkrankungen beim Verstorbenen gab oder eine weitere Tätlichkeit in jener Nacht gegen ihn verübt wurde, die möglicherweise Grund für seinen Tod ist. Die Sachverständige hatte beinahe fluchtartig den Gerichtssaal verlassen.
Die Kammer hatte sehr eilig zu einem Rechtsgespräch geraten, zu dem leider die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde.
Um 15.30 Uhr wurde die wieder öffentlich zugängliche Verhandlung fortgesetzt, worin erklärt wurde, dass mit dem sich noch in Untersuchungshaft befundenen Angeklagten nunmehr eine Verständigung stattgefunden habe. Nach dieser soll der Angeklagte jetzt eingestehen, dass durch sein Schubsen am 30.09.2022 der Tod des Verstorbenen kausal eingetreten ist. Weiters mußte er sich verpflichten an die Nebenkläger eine Entschädigung von 40.000,00 €, sowie an den Verein Frauen helfen Frauen 3.000,00 € zu zahlen und eine Strafe von 1 Jahr und 9 Monaten zu akzeptieren, die zur Bewährung ausgesetzt würde. Der Angeklagte zeigte sich erstaunt, dass sein Schubsen nunmehr kausal für den Tod sein soll, aber er bestätigte das vom Gericht gewünschte Geständnis, mit der in Aussicht gestellten Aufhebung des Haftbefehls.
Am Nachmittag des 25.05.2023 ist durch den Vorsitzenden Hofsäß im Namen des Volkes das Urteil verkündet worden:
Demnach wird der Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren (nicht wie am Vortag vereinbart 1 Jahr und 9 Monate) verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Des Weiteren hat er den Hinterbliebenen 40.000,00 €, an den Verein Frauen helfen Frauen 3.000,00 € (in monatlichen Raten à 150,00 € ab Juli 2023) sowie alle Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Haftbefehl wurde erst kurz vor Verhandlungsende aufgeboben.
Die Familie des Verstorbenen mit circa zwölf Beteiligten hat den Sitzungssaal sodann als erste verlassen und wartete vor dem Hauseingang auf den nunmehr Verurteilten. Zum Glück hatte das Gericht dafür gesorgt, dass dieser mit seiner Mutter das Gericht über einen Nebenausgang verlassen konnte.
Als die Dolmetscherin F. das Gerichtsgebäude im Beisein weiterer Zeugen verließ sagte einer der Opferfamilie, er würde jetzt den Angeklagten umbringen, was er auf Nachfrage der Dolmetscherin wiederholte. Auch deren Anwältin Tanja S. hatte dies gehört und gesagt: seien sie vorsichtig, denn die Presse ist noch vor Ort. Morgen könnte das schon in der Zeitung stehen.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Angeklagte eine Körperverletzung durch das Schubsen am 30.09.2022 begangen hat. Hieraufhin ist der später Verstorbene unglücklich gefallen, wie dem Tatvideo entnehmbar war. Der schnelle Fall könnte jedoch mit dessen Alkoholkonsum zu tun gehabt haben. Von Anfang an hatte der Angeklagte zugegeben ihn geschubst zu haben, jedoch bestritten, dass dessen Tod kausal zu seinem Schubsen steht.
Grob fehlerhaft wurde hier gar nicht ermittelt, was mit dem Verstorbenen nach dem Weggang am 30.09.2022 vom Lokal, in welchem der Angeklagte arbeitete, bis zu seinem Eintreffen in der Wohnung des Bruders am Folgetag geschehen ist. Wurde er möglicherweise nochmal Opfer einer anderen Tätlichkeit in jener Nacht? Das Hämatom am Auge, welches laut Aussage des Polizisten Pel. nicht vorhanden war am 30.09.22, könnte ein Indiz darauf sein, dass es in jener Nacht noch andere Vorkommnisse gegen den Verstorbenen gab. Überdies hätte die medizinische Vorgeschichte des Verstorbenen hinterfragt werden müssen, explizit Vorerkrankungen. Dies wurde pflichtwidrig unterlassen.
Das Landgericht hat sich durch den Vergleich mit dem inhaftierten Angeklagten gänzlich seiner Aufklärungspflicht entledigt und ist ohne weitere wissenschaftliche Prüfung schnell der Aussage der Sachverständigen gefolgt, wonach die Kausalität gegeben sei. Pflicht und Aufgabe eines Gerichts ist es einem Angeklagten eine Tat mit aller Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Dieser Pflicht entledigte man sich, in dem man dem Angeklagten zur Abgabe eines solchen Geständnisses überredete. Hier hätte nach dem Grundsatz in dubio pro reo geurteilt werden müssen. Also im Zweifel für den Angeklagten. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Verstorbene aufgrund des Schubsens die schweren zum Tode führenden Verletzungen erlitt, war dem Angeklagten zumindest nicht in den vier öffentlichen Verhandlungen bewiesen worden.
Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden Hofsäß belehrt, dass er gegen dieses Urteil Revision zum Bundesgerichtshof einlegen kann. Für einen gewieften Strafverteidiger dürften mehrere erkennbare Gründe vorliegen, dieses Urteil aufgehoben zu bekommen.
Quelle: Urteil des LG Offenburg vom 25.05.2023, Az. 1 Ks 303 Js 17800/22
Bürgerreporter:in:Marc Bianco aus Kehl |
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