WTO – NAFTA – ACTA – TAFTA – TTIP: Das geht uns alle an!
Diese Abkürzungen standen bzw. stehen seit über 20 Jahren immer wieder in den Zeitungen, und die meisten haben sich bisher kaum darum gekümmert, worum es in diesen Wirtschaftsabkommen geht. Dabei ist das durchaus nicht egal, denn Verträge mit diesen und anderen Kürzeln beeinflussen auf die Dauer das Leben jedes Einzelnen von uns.
All diese Verhandlungen und Abkommen haben eines gemeinsam: Sie werden ohne Beteiligung der Öffentlichkeit (und das sind wir alle, die wir auch die Hauptbetroffenen sind oder sein werden) ausgehandelt und beschlossen. Die Parlamente – die einzig legitimierten Vertreter dieser Öffentlichkeit – erhalten die Verträge als Paket mit oft über 1.000 Seiten zwei Tage vor der Abstimmung, und dann sollen sich die Abgeordneten auch noch ihre eigene Meinung bilden. Die Verhandelnden stecken seit Jahren tief in der Materie, und der einzelne Abgeordnete hat überhaupt keine realistische Chance, zu überblicken, über was er da abstimmen soll. Die Abgeordneten des EU-Parlaments entscheiden dann oftmals nach nationalen Vorgaben, und die nationalen Parlamente verbergen ihre Ahnungs- und Hilflosigkeit hinter den Entscheidungen des EU-Parlaments. Leichtes Spiel für die Fraktionseinpeitscher im Rahmen des „Fraktionszwangs“, die grundgesetzliche Gewissensfreiheit der Abgeordneten zu unterlaufen.
Die World Trade Organization (WTO) gibt es seit 1994 als Zusammenschluss mehrerer Vorläuferorganisationen. Die Teilnehmer streben den Abbau von normativen Handelshemmnissen und von Zöllen mit dem Ziel eines möglichst umfassenden weltweiten Freihandels an. Bis zu einem endgültigen Ergebnis dürfte es aber noch länger dauern; es ist bei rund 160 staatlichen Mitdiskutanten auch nicht so bald zu erwarten.
Die Starken stärker, die Schwachen schwächer
Die North American Free Trade Association (NAFTA) trat im selben Jahr in Kraft. Sie umfasst die Staaten USA, Kanada und Mexiko. Der Handel zwischen diesen drei Ländern hat sich in diesen 20 Jahren verdreifacht. Am meisten verdienen daran bis heute vor allem grosse Konzerne, die ihre Produkte ohne wesentliche Einschränkungen im gesamten Geltungsbereich verkaufen dürfen. Kleinere Unternehmen haben formal die gleichen Rechte, wurden aber an den Rand gedrängt, und Hauptverlierer sind bis heute die mexikanischen Kleinbauern, die den grossen Agrarfabriken der nördlichen Nachbarn nichts entgegenzusetzen hatten und haben, und regional in Mexiko tätige Klein- und Mittelbetriebe. Zwar gingen in den USA und Kanada entgegen ersten Befürchtungen nur wenige Arbeitsplätze verloren, dafür aber stieg die Zahl neuer prekärer Jobs im Niedriglohnland Mexiko wegen der Verlagerung des Produktionszuwachses der Konzerne aus dem Norden an. Arbeitnehmerrechte und Umweltschutzaspekte spielten in diesem Abkommen zunächst keine Rolle, Ergänzungen in dieser Hinsicht wurden erst unter Präsident Clinton nachverhandelt. Bevölkerungswachstum, höhere Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft und im Kleinunternehmertum in Mexiko erhöhten den Druck auf die Grenzen nach Norden, deren Zäune und Mauern im Gegenzug immer höher wurden. Das führte vor allem im Grenzgebiet zu einer starken Zunahme des Schmuggels von Rauschmitteln aller Art in die USA, weil ein Arbeitsplatz bei einem der grossen Drogenkartelle wenigstens ein Einkommen versprach. Über die sozialen Folgen gab es in den letzten Jahren immer wieder Einiges zu lesen.
Interessant ist, dass die NAFTA-Verhandlungen vertraulich zwischen Regierungsvertretern geführt wurden und dass auch die Ansichten und Wünsche der industriellen Lobbies ausführlich gehört wurden, nicht aber die von Arbeitnehmer-, Umwelt-, Verbraucher- und anderen Organisationen. Das Abkommen erlaubt Unternehmen, vor einem nichtöffentlich tagenden Schiedsgericht Staaten auf Schadenersatz zu verklagen, wenn es durch veränderte, neue, zusätzliche oder erstmalige Gesetzgebung einen materiellen Schaden erleidet oder zu erleiden fürchtet. Mitglieder des Schiedsgerichts sind Regierungs- und Unternehmervertreter, nicht aber die anderen oben genannten Organisationen. Zahlen muss dann der Steuerzahler. Bei allen bisherigen Verfahren dieser Art (über 500) weltweit gingen rund 70% zugunsten der klagenden Unternehmen aus, Berufung oder Revision ist nicht vorgesehen.
Unternehmensinteresse geht über gesellschaftliches und individuelles Wohlergehen
Das ACTA (Anti Counterfeiting Trade Agreement), das sich im Wesentlichen mit Produktpiraterie, Urheber- und Verwerterrechten beschäftigte, wurde nach millionenenfachem Protest der europäischen Bevölkerung 2012 vom EU-Parlament abgelehnt, nicht zuletzt deshalb, weil es weniger die Rechte der Urheber (Autoren, Künstler etc.), sondern mehr diejenigen der Verwerter (v.a. der Verlage) schützen sollte. Z.B. wären Kopien einzelner Buchseiten für Schulunterrichtszwecke damit vielfach lizenzgebührenpflichtig geworden: Schulen (und damit der Steuerzahler) zahlen an den Verlag, der davon aber nichts an den Autor weitergeben muss, weil ja von dessen Buch nicht ein einziges mehr verkauft wurde.
Jetzt kommen wir zur aktuellen Situation. Die USA und die EU sowie weitere Staaten (die Schweiz, Liechtenstein, die Türkei, Mazedonien, Island, Norwegen, und Kanada, Mexiko) verhandeln auf dringenden Wunsch der USA und der EU (laut Frau Merkel in Die Welt, 3.2.2013: „Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten“) seit einiger Zeit über ein weiteres Freihandelsabkommen nach dem Vorbild des NAFTA, passend dazu TAFTA (TransAtlantic Free Trade Agreement) genannt, aber noch weitergehend in seinen Auswirkungen. Hier sollen weltumspannende Unternehmen sogar dann ein Klagerecht nach dem NAFTA-Muster erhalten, wenn sie ihren Sitz zwar ausserhalb des Geltungsbereichs haben, aber einen bedeutenden Zweigsitz in einem der Mitgliedsländer unterhalten. Dann hätte z.B. ein australischer Rohstoffkonzern mit einer grossen Europa-Niederlassung in London oder ein indischer Stahlhersteller mit einem europäischen Ableger in Luxemburg das Recht, Deutschland unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen „diskriminierender“ Gesetzgebung zu verklagen – beides übrigens durchaus realistische Konstellationen.1
Die Gesprächsteilnehmer merkten bald, dass sie mit dem Kürzel TAFTA eine höchst unglückliche Wahl getroffen hatten, erinnerte dies doch sehr an das vorhandene und in der Zwischenzeit stark in die Kritik geratene NAFTA. Ohne nähere Begründung tauchte dann im vergangenen Jahr die Bezeichnung TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) auf und ersetzte das vorherige TAFTA. Der Inhalt blieb derselbe.
Normenangleichung = Niveauabsenkung
Nachdem Zölle im Transatlantikhandel kaum noch eine Rolle spielen, geht es im TTIP um den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse, also um die Angleichung von Normen und Regeln. Warum gibt es z.B. immer noch unterschiedliche Zulassungsbedingungen für Autos? Brauchen wir Chlor zur Lebensmitteldesinfektion? Reduziert Genmanipulation wirklich die Ungezieferanfälligkeit, oder löst sie neue Resistenzen aus? Sollen Hormone zur Beschleunigung der Fleischproduktion erlaubt werden? Soll der niedrigere US-Mindestlohn (zur Zeit 7,25 US-Dollar oder rund 5,46 Euro) zum Massstab für die deutsche Mindestlohngesetzgebung werden?
Diese und viele andere Fragen stehen zur Diskussion an. Es ist absehbar, dass allfällige Einigungen wohl auf dem niedrigsten gemeinsamen Niveau stattfinden werden, weil nur diejenigen, die von geringeren Anforderungen profitieren, nämlich Vertreter der Grossunternehmen beiderseits des Atlantiks, mit am Tisch sitzen dürfen, während jene, deren Interesse höhere Standards sind (Verbraucher, Gewerkschafter, Umweltschützer usw.) kaum gehört werden. Neueste Zahlen besagen, dass zwar Lobbyisten von 119 Industrieverbänden und Grossunternehmen an den Verhandlungen teilnehmen, aber nur 11 Vertreter der „Gegenseite“ angehört wurden.
Zum Beispiel könnten öl- und gasförderwillige Fracking-Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland klagen, wenn nicht mehr das veraltete (Bundes-)Bergrecht, sondern die strikteren (Landes-)Umweltgesetze zur Zulassungsgrundlage würden, denn dann könnten ihnen ja bereits „eingeplante“ Gewinne entgehen...
Und was ist von den Wachstumsargumenten zu halten? Die EU-Kommission spricht von ca. 160.000 neuen Jobs – wohlgemerkt: nicht von qualifizierten Arbeitsplätzen! – in Deutschland als Folge des TTIP-Abkommens. Wo und in welchen Branchen, wird nicht erklärt, und ob andere Arbeitsplätze in anderen Branchen und anderen Mitgliedsländern verloren gehen, wird ausgeklammert. Das Bruttoinlandsprodukt der EU betrug 2012 knapp 13 Billionen Euro, rund 30 Prozent mehr als zehn Jahre früher; das jährliche Wachstum, jeweils bezogen auf das Vorjahr, lag bei etwas über einem Prozent jährlich. EU-Kommissar de Gucht verspricht in seiner Pressemitteilung vom 14. Juni 2013 zwischen 0,5 und einem Prozent zusätzlichem Wachstum pro Jahr, was einem Zuwachs im Durchschnittseinkommen einer europäischen Familie von 545 Euro pro Jahr entspreche. Wie er auf diese Zahlen kommt, sagt er nicht, und in einem Fernsehinterview vor wenigen Tagen kam er ins Stottern, als er nach dem Realitätsgehalt seiner Prozentangaben gefragt wurde.
Die Frage, wer am meisten von einem solchen Abkommen haben wird, kann heute erst spekulativ beantwortet werden, aber viele Anzeichen aus dem Umfeld der Verhandlungen deuten auf eine sehr starke Schlagseite in Richtung Unternehmensgewinnmaximierung – und damit letzten Endes weiterer Vermögenskonzentrationen – hin. Warum werden diese Verhandlungen geheim geführt? Im Sinne der Demokratie und der Allgemeinheit wäre jemand, der die geheimen Absprachen oder Teile davon publik macht, ein Whistleblower, sehr hilfreich.
Damit sind wir bei der immer noch vorherrschenden Wachstumsideologie, an der fast alle unsere Politiker aus Angst vor der Mehrheit der wenig veränderungsbereiten und unwilligen Wählern festhalten. Frau Merkel ist das beste Beispiel für dieses phantasielose „Weiter-so“.
Die Zeiten, in denen qualifizierte Arbeitsplätze durch Wachstum geschaffen werden konnten, sind spätestens seit Anfang der 90er Jahren vorbei. Wir müssen weg von der Quantität und hin zur Qualität, und das geht nur über bessere Bildung und Ausbildung: bessere Schulen, durchlässigeres Bildungssystem, mehr und besser ausgebildete Lehrer usw. Das ist, zusammen mit der Einladung und Integration arbeitswilliger und leistungsbereiter Einwanderer, Grundvoraussetzung für unsere Zukunft.
Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.
Wer sich für Diskussionen über Themen wie dieses und für Politik auf jeder Ebene interessiert, ist herzlich eingeladen, uns, die Piratenpartei, auf unserem Stammtisch an jedem ersten Montag im Monat um 20 Uhr im Restaurant Plaka, Hannoversche Str. 68 in Isernhagen-Altwarmbüchen, zu besuchen. Ausserdem ist jeder Interessent bei unserem wöchentlichen Aktiventreffen in 30167 Hannover, Haltenhoffstr. 50a, an der Endhaltestelle der Linie 11 (Innenhof, 1. Etage) willkommen: jeden Donnerstag 19 Uhr.
Bürgerreporter:in:Hans Lauterwald aus Isernhagen |
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