Gelber Marienkäfer und Gehstock
Nach den schwülheißen Tagen ist es heute draußen wieder angenehm. Ich greife zum Gehstock, der außen gleich neben der Terrassentür steht und stokele durch unsern kleinen Garten. Hier ist ein Unkraut zu zupfen, dort ein wenig vom verblühten Storchenschnabel auszureißen. Beim Bücken und auf den schmalen Wegen unterstützt mich das dritte Bein.
Ganz wie es ein Kinderreim, nein vielmehr ein Rätsel, erklärt: Was geht morgen auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen?
Das dritte Bein hilft mir nun schon seit einiger Zeit. Es steht deshalb griffbereit neben den Türen, die nach draußen führen. Auf dem Weg zum Einkaufen, ob mit oder ohne “Hackenporsche” ist es ein Bein aus blankem Metall, auf Rezept von der Krankenkasse bezahlt. Im Garten ist es ein Holzbein, urig mit Wandermarken benagelt. Sie erinnerten einst den Altersfreund meiner Mutter, an gemeinsame Ausflüge in Wäldern. Da gibt es also ein, zwei ältere Marken und einige bunte aus den 1970er-Jahren. Ein alter Stocknagel mit dem Schriftzug Grünenplan, ein anderer, fast klassisch mit Hirschgeweih, stammt aus Wilde Mann. Auch farbige, neuere Stocknägel stammen aus dem Harz. Dort 'stokelten' die beiden Alten gern durch die Wälder. So ist also mein hölzerner Gehstock ein ererbtes Erinnerungsstück. Es ist mir nützlich, verhindert aber nicht die unabänderlich nach dem Unkrautzupfen auftretenden Rückenschmerzen, entlastet aber beim Vorbeugen und Bücken deutlich die Kniegelenke
.
Ein Zwicken am Arm lenkt mich plötzlich ab. Eine Mücke? Die zum tödlichen Schlag bereite freie Hand stoppt. Auf dem Arm sitzt ein Marienkäfer. Er ist nicht rot, sondern zitronengelb. Schwarz auf gelben Grund sind oft Warnhinweise!
Dieser Marienkäfer, obwohl gefährlich aussehend, wird mit dem Finger weg geschnipst. Hat er mich etwa für eine fette Blattlaus gehalten. Er bleibt am Leben, landet unfreiwillig im Rosenstrauch. Dort findet er sicherlich seine Beutetiere. Obwohl er offenbar schlecht sehen kann.
So wie ich, trotz Lesebrille. Es sind ja aber seltener Buchstaben, die ich nicht sehen oder finden kann, sondern oft größere Gegenstände. Wie kürzlich, beispielsweise ein kleiner Espresso-Löffel. Es gibt vier davon in unserem Haushalt. Sie liegen normalerweise sauber in einem kleinen Abteil der Besteckschublade im Küchenschrank. Sie sind etwas Besonderes, im Design vom Minimalismus angehaucht. Gestern fehlte einer. Im Abwaschbecken lag er nicht. War er in der Geschirrspülmaschine? Meine Suche begann ergebnislos. So ein schönes Löffelchen ist wertvoll und sicherlich nicht so leicht zu ersetzen. Wo könnte es gelandet sein? Mit einem leeren Joghurtbecher im Eimer für Plastikabfälle. Der befindet sich unter dem Spülbecken, ist schnell durchsucht. Doch er könnte bereits von dort in den Gelben Sack gelandet sein. Der steht im Keller und ist annähernd voll. Ich werde ihn in der Garage ausschütten und durchsuchen, nehme ich mir vor. Welch ein Umstand, der ist doch auch so zu finden. Schwerer als die meisten im Sack befindlichen Teile, müsste er sich nach einem Schütteln unten am Grund des transparenten Sacks erkennen lassen. Beim Schütteln klappert es. Er liegt wohl neben den beiden Marmeladenglasdeckeln, die der Schwerkraft folgend, sich am unten Rand des Sacks zeigen. Nur vom Löffel keine Spur. Ist er klebrig vom Zucker, beim Trinken des süßen Espresso auf der gelesenen Tageszeitung abgelegt, festgeklebt und mit ins Altpapier gewandert? Dann ist er für immer weg. Schade! Ich schaue noch einmal in die Geschirrspülmaschine, er könnte unter dem unteren herausziehbaren Drahtkorb gelandet sein. Ich ziehe ihn vor. Meine liebe Frau warnt, „nicht zu weit, der rutscht leicht raus.“ Vorsichtig fahre ich mit der Hand über den frei sichtbaren Boden des Waschraums. Kein Löffelchen, ist zu fühlen, keins zu sehen. Bedauerlich! Mit dem Verlust werden wir uns abfinden müssen.
Nachmittags wird die Spülmaschine angestellt. Ich nehme mir vor sie abends auszupacken, doch mache Vorhaben geraten bei mir schnell in Vergessenheit. Nicht so bei meiner lieben Frau. Sie denkt an das Auspacken und kommt freudig mit der Nachricht zu mir, der Löffel habe im Besteckkorb gesteckt. Er war also dort, wo er hingehört. Wir haben nun wieder das Löffel-Quartett zurück.
Es ginge also auch ohne Brille, auch ohne Gehstock?
Bürgerreporter:in:Rolf Schulte aus Hildesheim |
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