Noch einmal Panoramafreiheit: Ja was darf denn nun fotografiert werden?

Kunst und Architektur im öffentlichen Raum: Dank der Panoramafreiheit darf in Deutschland vieles fotografiert und die Bilder ohne Erlaubnis veröffentlicht werden. Doch Vorsicht: es lauern tückische Fallstricke.
  • Kunst und Architektur im öffentlichen Raum: Dank der Panoramafreiheit darf in Deutschland vieles fotografiert und die Bilder ohne Erlaubnis veröffentlicht werden. Doch Vorsicht: es lauern tückische Fallstricke.
  • hochgeladen von Jens Schade

Wer in Deutschland „outdoor“ fotografiert, stößt schnell an rechtliche Grenzen. Trotz vermeintlich eindeutiger Gesetze ist es gefährlich, sich hier allzu sicher zu fühlen. Die Gerichte (und gerade die höheren Instanzen tun sich hier oft hervor) stehen in vielen Fällen auf Seiten der Eigentümer oder Urheber von abfotografierten Bauwerken und Kunstobjekten. Wenn man stolz seine Bilder ins Internet stellt - etwa bei myheimat -, kann der bis dato heitere Fotografenhimmel schnell mit drohenden Wolken bezogen sein.

Für uns Fotografen in Deutschland hat die sogenannte „Panoramafreiheit“ eine besondere Bedeutung. Gäbe es sie nicht, könnte es ziemliche Probleme geben, wenn wir durch die Straßen wandeln und Gebäude oder Kunstwerke neueren Datums knipsen. Kurz gesagt: die Panoramafreiheit erlaubt uns Fotografen, unter bestimmten Voraussetzungen Kunstwerke (Plastiken, Standbilder aber auch künstlerisch gestaltete Häuser u.ä.) zu fotografieren und diese Bilder auch zu veröffentlichen, ohne dass der Urheber (Architekt, Künstler) uns dies verbieten oder gar Schadenersatz fordern kann. Als Faustregel können wir uns zudem merken, dass dies „meistens“ (also nicht immer) auch hinsichtlich des Eigentümers der fotografierten Sache gilt.

Im Schnelldurchgang bin ich das Rechtsinstitut der Panoramafreiheit in einem früheren Beitrag ja schon einmal durchgehechelt (siehe Links am Ende), allerdings mit dem Fokus auf die Frage, ob uns die bundesdeutsche Panoramafreiheit im Internet überhaupt viel nutzt (ich fürchte nein). Schon damals drohte ich damit, man müsse sich noch einmal gesondert mit einigen in dem früheren Artikel stiefmütterlich behandelten Aspekten der Panoramafreiheit beschäftigen. Und da bereits Bismarck gesagt hat, wer droht, muss auch bereit sein, zur Tat zu schreiten, will ich dies jetzt tun.

Ein kurzer Blick über den Gartenzaun ins Nachbarländle

Die Regelungen zum Urheberrechtsschutz sind von Staat zu Staat unterschiedlich ausgestaltet. Einige Länder haben die Panoramafreiheit rechtlich verankert (etwa BRD, Österreich, Lichtenstein oder die Schweiz; die Niederländer, dat is nu een beetje verwarrend, haben sie, schaffen sie ab und führen sie dann wieder ein), andere Staaten kennen keine Panoramafreiheit (etwa Italien, Frankreich) oder beschränken sie nur auf die Architektur und nicht auf im öffentlichen Straßenraum aufgestellte Kunstwerke (wenn ich es richtig verstanden habe: wohl u.a. Belgien ).

Um überhaupt durchblicken zu können, beziehen sich meine Überlegungen nur auf die deutsche Regelung. Genauer, auf die bundesdeutschen Vorschriften. Aber ein kurzer Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn kann nichts schaden. Damit die ganze Sache nicht ausufert, beschränke ich mich – als historisch Interessierter - auf Staaten, die nach Abschnitt I Art. I § 1 und Abschnitt II, Art. II § 87 der sogenannten Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 (das war Deutschlands erste demokratische Verfassung) als deutsche Länder gelten. Also schauen wir mal, wie neben den Bundesdeutschen die Österreicher, Lichtensteiner und Luxemburger die Sache so handhaben.

In der BRD ist die Panoramafreiheit in § 59 Abs. 1 UrhG geregelt. Dort heißt es: „Zulässig ist, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Graphik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Bei Bauwerken erstrecken sich diese Befugnisse nur auf die äußere Ansicht.“

§ 54 Abs. 1 des österreichischen Bundesgesetzes über das Urheberrecht lautet auszugsweise: „Es ist zulässig, 5. Werke der Baukunst nach einem ausgeführten Bau oder andere Werke der bildenden Künste nach Werkstücken, die dazu angefertigt wurden, sich bleibend an einem öffentlichen Ort zu befinden, zu vervielfältigen, zu verbreiten, durch optische Einrichtungen öffentlich vorzuführen und durch Rundfunk zu senden und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen; ausgenommen sind das Nachbauen von Werken der Baukunst, die Vervielfältigung eines Werkes der Malkunst oder der graphischen Künste zur bleibenden Anbringung an einem Orte der genannten Art sowie die Vervielfältigung von Werken der Plastik durch die Plastik.“

In Art. 29 Abs. 1 des entsprechenden Gesetzes in Lichtenstein steht unter der Überschrift „Werke auf allgemein zugänglichem Grund: „ Ein Werk, das sich bleibend an oder auf allgemein zugänglichem Grund befindet, darf abgebildet werden; die Abbildung darf angeboten, veräußert, gesendet oder sonst wie verbreitet werden.“

Wir sehen, es handelt sich um durchweg um ähnliche Regelungen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Bei uns legen die Richter die Vorschrift nur zu Lasten der Fotografen enger aus.

Zum Abschluss noch die einschlägige Vorschrift aus Luxemburg. Hier ist die Rechtslage leider etwas anders. Hat auch historische Gründe. Bismarck warf Luxemburg ebenfalls aus Deutschland heraus. Zwar wollten die Luxemburger zunächst gern weiterhin Deutsche sein (sie hatten damals den Wahlspruch "Mir wëlle bleiwen waat mir sinn“ (Wir wollen bleiben, was wir sind). Leider erfüllten erst die Nazis diesen Wunsch und trieben den Luxemburger diesen Gedanken dann gründlichst aus. Verständlicherweise wollten nach dem Zweiten Weltkrieg die Luxemburger keine Deutschen mehr sein. Sie lehnten sich verstärkt an Frankreich an und grenzen sich insbesondere dadurch ab, dass ihre Vorschriften ausschließlich in Französisch verfasst sind. Im Art. 10 ihres entsprechenden Gesetzes steht deshalb folgender Satz: „Lorsque l'oeuvre, autre qu’une base de données, a été licitement rendue accessible au public, l'auteur ne peut interdire: 7° la reproduction et la communication d'oeuvres situées dans un lieu accessible au public, lorsque ces oeuvres ne constituent pas le sujet principal de la reproduction ou de la communication.” Puh, und das mir mit meinem Schulfranzösisch, dessen Lerninhalte und damit fast alle Vokabeln in den Tiefen des Gedächtnisses entschwunden sind.

Ich verstehe die Vorschrift so, dass ein Urheber (Autor), die Reproduktion und Kommunikation, d.h. wohl auch das Fotografieren und Veröffentlichen der aufgenommenen Bilder, nur dann dem Fotografen nicht verbieten kann, wenn sein Werk an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort steht und (wichtig!) das abgebildete Werk nicht das Hauptmotiv darstellt. Wird also die Freundin in Luxemburg vor einem Kunstobjekt fotografiert und stellt das Abbild der hübschen Frau eindeutig das Hauptmotiv dar, wäre möglicherweise alles in Ordnung. Ist aber die Freundin, weil der Fotograf so weit zurückgegangen ist, um möglichst viel Umgebung aufs Bild zu bekommen, winzig klein geraten und auf dem Bild kaum noch zu erkennen, würde es kritisch. Aber Vorsicht, ich bin kein Luxemburger, kann also mit meinem Verständnis ebenso falsch liegen. Im Zweifel lieber vor Ort informieren. Was ich in Bezug auf die Luxemburger Regelung übrigens nicht so recht verstanden habe ist, ob sich diese Vorschrift nur auf Kunstobjekte bezieht und Architektur vollständig ausnimmt oder ob sie auch künstlerisch gestaltete Bauwerke mit umfasst. Gut, lassen wir das. Es soll hier ja um § 59 UrhG-BRD gehen. Da gibt es schon Probleme genug. Also zurück in die Bundesrepublik.

Halten wir fest, ein fremdes Werk (die Frage, was überhaupt ein Werk ist - nicht jedes Gebäude ist auch künstlerisch im Sinne des Urheberrechts gestaltet – habe ich ja in meinem ersten Beitrag zur Panoramafreiheit schon angesprochen) dürfen wir nach § 59 UrhG fotografieren, wenn es sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet.

Bleibend oder nicht bleibend, das ist hier die Frage

Das Tatbestandsmerkmal „bleibend“ in § 59 UrhG kann schon zu ersten Schwierigkeiten führen. Wann ist etwas bleibend? Nur so viel: Es dürfte wohl allein auf den Willen des Urhebers ankommen, ob dieser sein Werk dauerhaft (dann bleibend) oder nur vorübergehend (dann nicht bleibend im Sinn des Gesetzes) präsentieren möchte. Die Haltbarkeit oder Beständigkeit seines Bau- oder Kunstwerkes selbst ist dann ohne Bedeutung. Wer sich für dieses Aspekt näher interessiert sei auf das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 24. Januar 2002 - I ZR 102/99 –(verhüllter Reichstag) verwiesen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Entscheidung der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal vom 09.11.2004 (Az.: 6 O 209/04). Die Frankenthaler Richter meinen in diesem Urteil, dass es nicht allein auf die Widmung des Künstlers ankomme. Ausschlaggebend sei vielmehr der Zweck, zu dem das Kunstwerk an einem öffentlichen Ort aufgestellt wurde. Folgerichtig kamen sie dann zu dem Schluss, wenn ein Künstler sein in einer Gartenanlage aufgestelltes Kunstwerk selbst als „work in progress“ bezeichnet, handele es sich um eine Aufstellung mit offenen Ende, mithin steht das Kunstwerk bleibend dort.

Der öffentliche Raum im Urheberrecht

Die nächste Tatbestandsvoraussetzung des § 59 UrhG lautet „an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen“. Die Werke müssen sich also am öffentlichen Straßenraum befinden., aber nicht zwangsläufig auch im öffentlichen Straßenraum stehen. Die Lichtensteiner sind da etwas genauer. Dort heißt es in Art. 29 Abs. 1 „an und auf öffentlichen Grund“, gemeint sein dürfte aber das gleiche.

Jetzt sind wir endlich bei der zentralen Frage dieses Beitrags angelangt. Was ist denn nun eigentlich unter einem „öffentlichen Weg, Straße oder Platz“ zu verstehen, an dem sich das frei zu fotografierende Werk befinden muss?

In den juristischen Standardkommentaren zum Urheberrecht (etwa dem Dreyer / Schulze) wird ausgeführt, dass ein öffentlicher Weg, Platz oder Straße dann vorliegt, wenn dieser Weg bzw. Straße oder Platz für jedermann frei zugänglich ist und im Gemeingebrauch steht; dies soll auch für privates Gelände, wie Privatwege und Parks, gelten, wenn sie für jedermann frei zugänglich sind.

An sich ist damit alles beantwortet. Aber, was der Urheber uns verbieten kann und was nicht, ist eine Sache, was der Eigentümer uns verbieten kann, eine andere, Und schon sind wir bei einer Falle für Fotografen. In § 59 UrhG sind nur die Rechte des Urhebers eingeschränkt, nicht die des Eigentümers.

Der BGH hat zwar in seinem bisherigen Entscheidungen (siehe mein Beitrag Fotografie und Eigentum) immer wieder betont, dass es ein Recht des Eigentümers am Bild der eigenen Sache nicht gibt und er grundsätzlich das Fotografieren dieser Sache nicht verhindern kann. Der BGH hat auch weiter völlig richtig ausgeführt, Urheberrechtsschutz und Eigentumsschutz seien zwei völlig verschiedene Dinge. Dann schert sich das Gericht indes nicht weiter um seine bisherigen Ausführungen, sondern leitet trotz aller Vorreden doch in einer Parallelwertung zu § 59 UrhG ab, dass der Eigentümer nur dann nicht das Fotografieren (und Verwerten der Fotos) seiner Sache verbieten könne, wenn der Fotograf die Sache eben von einer öffentlichen Straße, Weg oder Platz aus aufgenommen hat, ansonsten schon.

Der große Unterschied: öffentlich ist nicht immer öffentlich

Und hier dürfte der Begriff des öffentlichen Platzes im Urheberrecht und im Eigentumsrecht auseinanderfallen.

Es gibt ja frei zugängliche, im Sinn der Kommentierung zu § 59 UrhG öffentliche Flächen auf Privatbesitz, etwa den Park des Schlosses Sanssouci in Potsdam oder aber unser guter alter Bahnhof ein paar Straßen weiter bei uns vor Ort (oder eben andere Verkehrseinrichtungen wie U-Bahn-Stationen, Flughäfen). Steht dort ein Kunstwerk, kann uns der Urheber das Fotografieren zwar nicht verbieten, der Eigentümer infolge seines Hausrechtes – nach wohl herrschender Meinung der Juristen – kann das aber schon. Das Herrschaftsrecht des Eigentümers reicht danach weiter als das Urheberrecht. Im Rahmen von Fotografie und Eigentum habe ich diesen Punkt ja näher besprochen und will mich hier nicht wiederholen, nur vor einem möglichen Fallstrick warnen (und noch einmal auf das BGH-Urteil zu den Schlossanlagen in Potsdam hinweisen).

Fotografen in der Falle des Richterrechts: Auf die Perspektive kommt es an

Bislang war nur die Rede davon, dass das von uns fotografierte Werk sich an einem öffentlichen Platz befinden, also von der Straße aus zumindest sichtbar sein muss. Jetzt kommt die zweite Falle für Fotografen im bundesdeutschen Recht. Sie steht zwar nicht im Gesetz Aber die - meistens Gerichte lesen trotzdem dort eine weitere Einschränkung hinein (zu einer löblichen Ausnahme komme ich noch).

Es reicht danach nicht aus, dass die fotografierte Sache an einem öffentlichen Platz steht, nein, der Fotograf muss bei der Aufnahmen mit beiden Beinen auch auf dem öffentlichen Weg, Straße oder Platz gestanden haben. Die Nutzung einer Leiter etwa oder gar ein Foto von der Hebebühne eines Hubwagens aus oder die Verwendung eines Hubschraubers (wieso soll der Luftraum eigentlich nicht öffentlich zugänglich sein?) aus ist für die Aufnahme und deren Verwertung in der BRD ebenso tödlich, wie ein Foto etwa aus dem Fenster eines gegenüberliegenden Hauses. In Österreich wird dies demgegenüber nicht so gesehen. Dort darf getrost auch von gegenüber vom Balkon eines anderen Hauses fotografiert werden. Bei uns ist jedoch nach Ansicht vieler Zivilrechtler alles anders. Leider hat der BGH im Hundertwasser-Fall diese Rechtsprechung zementiert (siehe hierzu mein erster Beitrag zur Panoramafreiheit) und es ist zu befürchten, dass die unteren Gerichte dem nun ohne weiteres eigenes Nachdenken folgen werden.

Wie kommt Deutschlands höchstes Zivilgericht nun zu dieser Einschränkung? Der Urheber soll nicht übermäßig beschränkt werden, die Ausnahmeregelung wird deshalb eng ausgelegt. Soweit entspricht diese Überlegung durchaus den allgemeinen juristischen Standards. Ausnahmen sind danach immer eng auszulegen. Der BGH gelangt dann weiter zu dem Schluss, dass Werke an öffentlichen Plätzen zwar in gewissem Sinne Gemeingut geworden sind. Der Urheber habe ja der Aufstellung seines Werkes an einem öffentlichen Ort zugestimmt, sein Werk damit in bestimmten Umfang der Allgemeinheit gewidmet (Urteil vom 05.06.2003 –I ZR 192/00 – m.w.N.). Nun beschränkt das Gesetz aber die freie Wiedergabe auf die äußere Ansicht. Hier haben wir den Ansatzpunkt für Juristen, die bösen Fotografen in ihre Schranken zu verweisen. Wie sagte schon Goethe: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter.“

Wer jetzt meint, mit dem Hinweis auf die Außenansicht wollte der Gesetzgeber nur klarstellen, dass Innenaufnahmen ohne Erlaubnis nicht zulässig sind, dürfte zwar richtig liegen, gleichzeitig aber die Argumentationsfähigkeit von Juristen erheblich unterschätzen. Aus dem Begriff „ äußeren Ansicht“ wird gefolgert, dass nur diejenigen Teile eines Werkes fotografiert werden dürfen, die von der öffentlichen Straße aus sichtbar sind. Nun gut, denkt man, dann fotografiere ich den Hinterhof eben nicht. Aber warum darf ich dann nicht etwa eine Leiter benutzen, um einen erhöhten Standpunkt zu erhalten? Weil die meistens Gerichte meinen, aus dem Gesetz ablesen zu können, dass mit äußerer Ansicht nur der Blickpunkt gemeint ist, den ein normaler Bürger ohne Hilfsmittel eben von der Straße aus hat. Ist ein Werk bzw. Gebäude von hier nur aus einer bestimmten Perspektive zu sehen, dann sind alle anderen Perspektiven eben nicht mehr erlaubt. So einfach ist das (BGH, a.a.O.). Diese Auslegung ist zwar mutig, hat sich indes leider durchgesetzt.

Es geht auch anders: Ein Urteil, das keinen Bestand haben durfte

Dass die ganze Sache auch anders gesehen werden kann, belegt das Oberlandesgericht (OLG) München in seinem Urteil vom 15.06.2000 (6 U 5629/99). In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsstreit hatte jemand ein urheberrechtlich geschütztes Gebäude aus einem Blickwinkel fotografiert, der sich nicht von der Straße aus bietet. Leser, die meine ersten Ausführungen zur Panoramafreiheit mitverfolgt haben, ahnen es vielleicht schon. Es geht um das das Urteil in der Vorinstanz zum Hundertwasserhaus-Fall. Die Argumentation der Münchener Richter - der der BGH leider nicht gefolgt ist - halte ich für gut durchdacht und dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend. Deshalb soll hier das das OLG selbst zu Wort kommen. Ich zitiere aus dem Urteil:
„Soweit die Literatur (Schricker/Vogel, Urheberrecht, 2. Auflage, § 59, Rn. 7, 9 und 10; Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 8. Auflage, § 59, Rn. 2) auf den Blickwinkel von einer öffentlichen Straße aus abstellt, ist nach Ansicht des Senats der einzige Anhaltspunkt für eine derartige Interpretation in § 59 Abs. 1 Satz 2 UrhG zu finden: "Bei Bauwerken erstrecken sich diese Befugnisse nur auf die äußere Ansicht". Diese Bestimmung wird jedoch, soweit erkennbar, nicht zutreffend interpretiert. Überzeugende Begründungen gibt es nicht. "Werke" an öffentlichen Wegen können Bilder, Plastiken, Brunnenanlagen und ähnliches, also Gegenstände ohne zugängliche Innenräume sein, sowie Bauwerke. Die Bestimmung in Satz 2 stellt hier lediglich klar, dass aus urheberrechtlicher Sicht -- vgl. dazu einerseits und zum Schutz des Eigentums andererseits die beiden zitierten BGH-Entscheidungen -- der Urheber bezüglich seiner Rechte nur verzichtet hat, soweit sie die "äußere Ansicht" betreffen. Diese Regelung war erforderlich, weil sonst auch die Innenräume eines Bauwerks an einer öffentlichen Straße der Ausnahmeregelung des § 59 UrhG unterliegen würden. Eine weitere Einschränkung ist jedoch nicht ersichtlich. Die Regelung erwähnt insbesondere nicht die "äußere Ansicht von der öffentlichen Straße aus". Eine Plastik oder einen Brunnen darf man, soweit ersichtlich, auch nach allgemeiner Meinung aus allen Perspektiven wiedergeben, nicht nur von der Straße aus. Soweit auf die Verwendung von Ferngläsern oder die Überwindung von Zäunen, Mauern oder Hecken sowie auf Luftaufnahmen abgestellt wird, stellt sich die Frage, ob ein solches Gebäude überhaupt an einer öffentlichen Straße liegt. Insofern kann tatsächlich eine einschränkende Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 59 UrhG geboten sein, dergestalt, dass Objekte, die sich hinter einer Hecke oder einem Zaun verbergen oder sich zwar in einem Grundstück befinden, welches -- wie regelmäßig -- an einer öffentlichen Straße liegt, aber so entfernt von dieser, dass zur Ablichtung ein Fernglas oder Teleobjektiv vonnöten ist, eben nicht mehr als an öffentlichen Wegen, Straßen usw. befindlich anzusehen sind. Mit der Wiedergabe der äußeren Ansicht eines Gebäudes an einer öffentlichen Straße hat dies jedoch nichts zu tun: Ein Gebäude z. B. auf einem öffentlichen Platz, wird nur hinsichtlich seiner "äußeren Ansicht" vervielfältigt, wenn es von allen Seiten, auch von oben aus der Luft, fotografiert wird. "Werke, die sich im Freien befinden" (Fromm/Nordemann, 8. Auflage, § 59, Rn. 2) sind in der Tat nicht in § 59 UrhG angesprochen. Auch der innere Sinngehalt von § 59 UrhG spricht für die Interpretation des Senats in mehrfacher Hinsicht: Während das Lichtbild und der Film einer naturgetreuen Wiedergabe verhaftet sind, kann die Malerei oder Grafik sich davon lösen. Letztere Kunstrichtungen können die Perspektive völlig aufheben, verfremden oder aus einem frei gewählten Punkt darstellen. Die diversen Wiedergabearten in § 59 UrhG sind aber gleichwertig. Es wäre also widersinnig, dem Maler und Grafiker einen Wiedergabewinkel zu gestatten, der dem Fotografen verboten wäre. Ein Haus an einer öffentlichen Straße ist von einem öffentlich zugänglichen Turm aus sichtbar, den es möglicherweise zunächst nicht gegeben hat. Eine öffentliche Straße wird zunächst nur einseitig bebaut, später beidseitig und dabei erheblich eingeengt: Es erschiene kurios, hier die Einschränkung der Vervielfältigungsrechte des Urhebers jeweils irgendwelchen Veränderungen im Umfeld der öffentlichen Straße anzupassen, die im Gesetz keinen Niederschlag gefunden haben und die auch sachlich nicht gerechtfertigt erscheinen. Sein Werk bleibt stets an einer öffentlichen Straße, nur der Blickwinkel von dieser aus oder über diese hinweg ändert sich. Dass dies zu einer Veränderung der Vervielfältigungs- und Verbietungsrechte für Dritte führen soll, ist nicht sachgerecht.“

Ein langes Zitat, ja. Aber Recht hatten sie, die OLG-Richter in München. Der BGH sah es jedoch anders. Vielleicht lässt sich das höchste Zivilgericht ja mal - etwa wenn der Senat in anderer Besetzung tagt - doch noch überzeugen und korrigiert seine Rechtsprechung. Dazu müsste sich aber jemand finden, der genügend Geld hat, so einen Rechtsstreit durchzustehen. Und ein bisschen Risikobereitschaft dürfte nicht schaden.

Für alle anderen gilt: Als Fotograf muss man, um keine Urheberrechtsverletzung zu begehen, selbst auf der öffentlichen Straße stehen, wenn man fotografiert. Das gilt auch, wenn einem Eigentümer der fotografierten Sache nicht auf die Füße getreten werden soll. Im Bemühen, das Eigentum umfassend vor Fotografen zu schützen, wurde hier von der Rechtsprechung mit einem Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Eigentümers oder Besitzers dieselbe Einschränkung (Blickwinkel von der öffentlichen Straße aus) außerhalb des Gesetzes durch Richterspruch zum Quasi-Gesetz erhoben.

Nächste Fotografenfalle: illegale Hilfsmittel

Es kommt also auf die Perspektive an, die sich ohne Hilfsmittel ergibt. Aber was ist diese Normalperspektive. Ein besonders hohes Stativ wäre wohl schon ein unzulässiges Hilfsmittel. Und was ist mit einem Teleobjektiv? Im Urteil vom 09.12.2003 hat der BGH (VI ZR 373/02) in der Begründung einige unzulässige Hilfsmittel aufgezählt. Das Teleobjektiv kommt in dieser Liste vor, jedenfalls dann, wenn mit seiner Hilfe die Privatsphäre ausgespäht werden würde. Ich befürchte, ein besonders hoch ausfahrbares Stativ, mit dessen Hilfe Bilder über die Köpfe hinweg aufgenommen werden können, würden die Richter auch in die Schublade „unzulässiges Hilfsmittel“ einordnen. Aber wie ist es eigentlich, wenn ein Fotograf die Kamera nur mit seinen Armen hochhält? Dank der praktischen dreh- und schwenkbaren Displays an modernen Kameragehäusen lassen sich heute relativ einfach Fotos aus einer erhöhten Perspektive aufnehmen. Wird hier der drehbare Mini-Bildschirm in Verbindung mit dem Fotografenarm schon zum verbotenen Hilfsmittel? Urteile zum Kopfschütteln sind jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Das verunstaltete Pferd

Zum Abschluss noch ein eher seltener Aspekt im Urheberrecht, der aber möglicherweise im Falle eines Falles sich dann doch zu einem Problem entwickeln kann.

§ 14 UrhG verbietet die Entstellung des eigentlichen Werkes. Und da wir eben beim Einsatz von besonderen Objektiven waren. Nur mal zum drüber nachdenken: Was ist eigentlich, wenn wir mit Fischauge oder Superweitwinkel fotografieren und damit unser Motiv nicht mehr so abbilden, wie es das Auge gewohnt ist? Entstellen wir mit einem solchen Foto bereits das aufgenommene Objekt?

Spannend wird es auch, wenn andere das Werk verunstalten, etwa ein Standbild oder Gebäude sagen wir, mit hässlichen Plakaten beklebt oder mit Graffiti „verziert“ haben. Wir fotografieren das Ganze (das geht ja noch) und machen dann aber etwas Böses. Wir veröffentlichen dieses Foto beispielsweise auf myheimat. Verbreiten wir damit bereits eine verbotene Entstellung des Kunstwerkes? Wenn ja, könnte uns der Künstler belangen.

Und genau dies ist jemanden passiert, der eine „bleibend“ auf einer öffentlichen Grünfläche aufgestellte Zementgußplastik fotografierte und das Foto dann veröffentlichte. Denn, so schildert der Tatbestand des Urteils des Landgerichts Mannheim vom 14.02.1997 (Az. 7 S 4/96), die ursprünglich einfarbige Plastik wurde wiederholt von Unbekannten bemalt, mit Schriftzügen versehen oder in sonstiger Weise verändert. Es handelte sich um das Standbild eines Pferdes. Deshalb ist dieser Fall unter den Begriff des „Freiburger Holbein-Pferdes“ bekanntgeworden. Mit der Veröffentlichung der erlaubter maßen angefertigten Fotografie wurde das geschützte Urheberrecht des Künstlers verletzt. Jedenfalls sahen die Landrichter in Mannheim dies so. „Durch die Vervielfältigung und das Verbreiten der Fotografien des veränderten Holbein-Pferdes hat der Beklagte das Urheberpersönlichkeitsrecht der Kläger zu 2 bis 4 verletzt. Insoweit ist unerheblich, ob die Veränderungen von ihm vorgenommen wurden oder ohne sein Zutun von unbekannten Dritten“, heißt es in der Entscheidung und weiter. „Nach dem Zweck des § 14 UrhG liegt vielmehr eine Entstellung stets vor, wenn die Veränderung bewirkt, dass wesentliche Züge des Werks eine andere Färbung oder Tendenz erhalten (v. Gamm, Urheberrecht, § 14, Rdn. 8 mit weiteren Nachw.). Nach diesen Kriterien zeigen die Lichtbilder, die der Bekl. hergestellt, vervielfältigt und verbreitet hat, jeweils Entstellungen des Holbein-Pferdes. Dieses wirkt im Original allein durch seine schlichte Form, die das Kindlich-Unbeholfene und Staksige eines Fohlens vermittelt. Die von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder des Beklagten zeigen demgegenüber das Holbein-Pferd jeweils in einer auffallenden, meist grellfarbigen, bunten Bemalung und z. T. zusätzlich mit Werbung, politischen Parolen oder Symbolen, Piktogrammen und ähnlichem mehr versehen. So gestaltet wirkt das Pferd gerade nicht mehr nur durch die bloße Formgebung, vielmehr wird jeweils versucht, durch das Hinzufügen einer Bemalung oder ähnlichem eine bestimmte, mehr oder minder originelle, komische Wirkung zu erzielen. Durch die Vervielfältigung und Verbreitung von Fotografien der so entstellten Figur hat der Beklagte das Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt. Zwar hat er an den Entstellungen, die an der Figur selbst vorgenommen worden sind, nicht mitgewirkt. Die vom Bekagten vertriebenen Postkarten, Kalender und Bücher führen jedoch dazu, dass das veränderte Werk einem Personenkreis zugänglich gemacht wurde, der ansonsten keine Kenntnis davon erlangt hätte. Die mit der Entstellung des Werks bewirkte Beeinträchtigung wurde mithin durch den Beklagte vertieft.“

So schnell kann man mit dem Gesetz in Konflikt kommen! Eine mögliche Ausnahme sehen die Mannheimer Richter - möglicherweise - nur dann, wenn Fotografien des entstellten Werks im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen veröffentlicht werden, etwa wenn in einer Zeitung über die Bemalungen des Holbein-Pferdes durch Dritte berichtet und in diesem Zusammenhang zur Illustration eine Fotografie des in entstellender Weise bemalten Pferds abgedruckt wird.

Zum Abschluss noch eine weitere Warnung: Die Panoramafreiheit nach § 59 UrhG schützt uns nur bei einer Veröffentlichung in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Veröffentlichung via Internet ist aber nicht auf Deutschland beschränkt. Das kann durchaus mal zu Problemen führen. In meinem ersten Beitrag zum Thema Panoramafreiheit habe ich mich schwerpunktmäßig mit dieser Frage beschäftigt. Zum Nachlesen:
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...

Wer sich für das Thema Fotografie und Eigentum interessiert, den darf ich auf meinen myheimat-Beitrag dazu (in drei Teilen) hinweisen:

Teil 1: Fremde Sachen, eigenes Foto - Darf ich anderer Leute Eigentum einfach so fotografieren?
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Teil 2: Eigene Fotos - fremde Sachen: eine Gratwanderung mit Stolperfallen
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Teil 3: Ferienhäuser und Saunen mit Persönlichkeit
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...

Zu guter Letzt: Niedergeschrieben habe ich meine Gedanken und Überlegungen zu den aufgeworfenen Fragen. Der Beitrag gibt nur meine Einschätzung wieder. Um Richtigkeit habe ich mich bemüht, kann dafür aber keine Gewähr übernehmen. Eine Rechtsberatung kann dieser Beitrag nicht ersetzten. Außerdem hoffe ich, dass trotz der aufgezeigten rechtlichen Probleme niemand die Freude am Fotografieren und dem „Mit-dabei-sein“ etwa auf myheimat oder anderen Internet-Portalen verloren hat.

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

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