Geschichtliches aus Döhren-Wülfel: Eine geheimnisvolle Brandserie war der Anfang vom Ende

Der markante Rundbau der Wolle wurde leider abgerissen.
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Auf einem alten Foto sieht er ein bißchen aus wie Karl Marx. Ein langer weißer Rauschebart schmückt Wangen und Kinn, durch die kleine Nickelbrille schauen kluge Augen. Doch sein Kapital war nicht in drei dicken Bänden zusammengefaßt. Er gründete damit ein aufstrebendes Wirtschaftsunternehmen. Johann Georg Ludwig Stelling ist der Vater der Döhrener Wolle. Über 100 Jahre lang bestimmte die Fabrik das Leben in Döhren. Bis 1973 das Ende kam. „Der Coup von Döhren.“ So nannte die Zeitschrift Capital das letzte Kapitel des größten Industrieun-ternehmens im Stadtbezirk. Die „Döhrener Wolle“ schloss für immer ihre Pforten, Architekten der „Neuen Heimat“ planten Luftschlösser, die dann – zum Glück! - doch nicht so gebaut wurden und ein Großaktionär verdiente sehr gut am Tod einer Firma und den Verlust von 740 000 Quadratmetern Arbeitsplätze. Genauer: Er bekam 55 Millionen Mark

Stelling, 1809 in Nienburg geboren, lernte in Bremen den kaufmännischen Beruf. Nach 1850 wirkte er in Han-nover, gründete unter anderem eine Flachsspinnerei und eröffnete 1867/68 in Döhren eine mechanische Woll-wäscherei: die Firma „Georg Stelling. Gräber & Breithaupt“. Wo? Natürlich an der Leine, rund um das Grund-stück der ehemaligen alten Wassermühle mit dem Duvewehr. Die Lage bot einige Vorteile: das Wehr steigerte die Wasserkraft der Leine, der Bahnhof Wülfel an der 1853 eröffneten Eisenbahnstrecke nach Göttingen und Kassel war nicht weit. Mit etwa 20 bis 30 Arbeitern und Angestellten begann es, vier Jahrzehnte später gingen schon 2000 Leute zur Arbeit auf die „Wolle“. Ein eigener Gleisanschluß sorgte später für die Verbindung mit der Eisenbahn. Der Straßenname „An der Wollebahn“ erinnert noch daran. Das Turbinenhaus versorgte die Fabrik mit umweltfreundlichem Strom aus Wasserkraft. Dafür gruben Arbeiter einen kleinen Kanal in der Döhrener Leineinsel und schufen somit eine zweite kleine Insel. Turbinenhaus und Kanal sind geblieben, die künstliche Insel ist inzwischen wieder verschwunden. Die Neue Heimat ließ einen Leinearm zuschütten.

Döhrener Garn wird zum Qualitätsbegriff. Der Aufstieg der Wolle verlangte nach kräftigen Händen, die zu-packten. Im Raum Hannover aber fehlten Arbeitskräfte. So holte die Fabrik ihre Arbeiter zum großen Teil aus dem Eichsfeld und in Döhren wuchs eine neue katholische Gemeinde heran. 1872 wurde die Firma zur Aktien-gesellschaft umgewandelt, 1881 gründete die Wolle die werkseigene Feuerwehr. Der sogenannte “Uhrturm“ erzählt noch heute davon. Im Turm hingen die Schläuche zum Trocknen. Und gegenüber, wo heute chinesisch getafelt wird, standen die Spritzenwagen.

Im Gegensatz zu manch anderen Kapitalisten jener Zeit kümmerte sich die Werksleitung jedenfalls in gewis-semRahmen um ihre Beschäftigten. Neben der werkseigenen Siedlung „Döhrener Jammer“ gab es einen Kolo-nialwaren- und Lebensmittelladen, der seine Waren zum Selbstkostenpreis abgab, eine Werksküche mit Kasino war ebenso wie Badeeinrichtungen für Betriebsangehörige und ihre Familien vorhanden, ein Betriebsarzt kümmerte sich um die Arbeiter. Und es gab eine Bücherei sowie eine eigene Krankenkasse.

Von den Direktoren der Wolle ist wohl Georg Heintze am bekanntesten. Er kam aus einer Amsterdamer Woll-firma und erweiterte den ursprünglichen Wäschereibetrieb um eine Kämmerei. Erfolg wird belohnt. Sehr bald wurde er zum Generaldirektor ernannt (1872 - 1924).

Der zweite Weltkrieg brachte starke Zerstörungen mit sich, Werte von 10 Millionen Mark wurden ein Opfer der Bomben. Doch bereits 1955 waren schon wieder die Produktionzahlen der Vorkriegszeit erreicht. Das Ende der Döhrener Wollwäscherei- und Kämmerei AG ist unrühmlicher. Eine Reihe von Bränden (deren Ursache nie geklärt werden sollte) in den Monaten August bis Oktober 1969 läuteten den Untergang ein. Allein am 28.10.1969 wurden Hallen und Vorräte im Werte von über 20 Millionen Mark vernichtet. Am 23.11.1972 gab die Aktiengesellschaft dann eine kurze Pressemeldung heraus: „Die Kämmerei Döhren AG wird in den nächsten Wochen ihre Produktion in Hannover nach und nach einstellen. Die mit Kunden eingegangenen Kontrakte werden voll erfüllt.“

Spuren der großen Fabrik gibt es nur noch wenige. Außer dem bereits erwähnten Turbinenhaus und den Uhrturm (Baujahr 1909) gibt es noch das Pförtnerhaus (zur gleichen Zeit erbaut), die alte Eisenbahnbrücke der Werksbahn über die Leine (1908), ein Stück des Fabriktores, ein zum Wohngebäude umgestaltetes Lagerhaus und - den Wolle-Widder. Dieses Denkmal war das Wappentier der Wolle. Nach dem Untergang der Fabrik verschwand der Widder erst einmal im Keller des Historischen Museums. Döhren-Freund Günter Porsiel holte in wieder heraus und sorgte für die Rückkehr des Tieres nach Döhren. Ach ja, Porsiel blieb nicht untätig. Er fand auch noch eine alte Uhr aus einer Werkshalle der Wolle. Sie tickt heute am Turbinenhaus und sagt den Döhrenern, was die Stunde geschlagen hat.

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

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