Das Naturschutzgebiet Alte Leine im Wandel der Jahreszeiten- Grünanlagen und -gebiete in und um Hannover
Die Leine kennt jeder Hannoveraner. Und natürlich alle diejenigen, die in ihrem Einzugsgebiet, von der Quelle im thüringischen Leinefelden bis nach Schwarmstedt, wo sie etwas nördlich davon in die Aller mündet, leben. 281 Kilometer ist der Fluss lang. Doch südlich von Hannover zwischen Koldingen und Wülfel gibt es einen Leinearm, der wohl nur den Wenigsten bekannt ist. Das ist die Alte Leine.
Nachdem sich das Eis der letzten Eiszeit vor 10.000 bis 40.000 Jahren zurückgezogen hatte, bildete sich das Urstromtal der Leine. Südlich von Hannover, in der Leineaue, hatte sich der Fluss in vielen Mäandern und verschiedenen Armen seinen Weg gesucht. So gab es bei Koldingen zwei große Arme, heute die Leine und die Alte Leine, die sich dann bei Laatzen wieder vereinigten. Und das ganze Tal war auf einer Breite von etwa eineinhalb Kilometern bis zu den steilen Uferterrassen hin, die man bei Koldingen, Reden und Harkenbleck besonders gut erkennen kann, ein sumpfiges Gelände. Aus unserer heutigen Sicht wohl eine Auenlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Doch für die damaligen Bauern war sie das natürlich nicht. Für sie war es alles andere als leicht zur gegenüberliegenden Seite zu gelangen, zumal es immer wieder Hochwasser gab, die die wenigen Übergangswege dann vollkommen abschnitten. Besonders im Frühjahr, wenn im Harz die Schneeschmelze eingesetzt hatte.
Im späten Mittelalter beeinflusste der Mensch den Flusslauf jedoch. Er trennte Flusswindungen ab, die langsam verlandeten. Die Fließgeschwindigkeit der Leine wurde dadurch höher. Und so kam es dann, dass der einstige westlichere Hauptlauf zum Nebenarm wurde, bevor er schließlich von den Bauern ganz abgetrennt wurde. Den Namen Alte Leine behielt er aber bis heute. Und auch die Alte Leine wäre, wie andere Arme auch, zum Beispiel der im Sundern bei Hemmingen, der sich aber als Auwald erhalten hat, verlandet. (Siehe auch: Die Mausoleumsruine Graf Carl von Altens im Naturschutzgebiet Sundern). Doch soweit sollte es dann doch nicht kommen, wurde doch die Alte Leine weiterhin mit Wasser versorgt. Das kam und kommt aus dem Koldinger Mühlengraben, dem Fuchsbach, der ab Pattensen Schille genannt wird, die das Deister-Vorland entwässert und dem Arnumer Landwehrgraben. Aber das Wasser reichte nun nicht mehr aus, um die Wassermühlen anzutreiben, und auch die Kahnfahrt musste eingestellt werden.
Auch wenn die Alte Leine nur ein kleines Flüsschen ist, so bildet sie doch zwischen Koldingen und Wilkenburg und Wülfel nichts desto weniger eine eindrucksvolle Naturlandschaft, die, 1999 unter Naturschutz gestellt, einen kleineren Bereich des größeren Naturraumes Südliche Leineaue ausmacht, der sich von Ruthe bis nach Döhren erstreckt und der heute 1000 Hektar umfasst. Auf einer Gebietslänge von rund dreieinhalb Kilometern, windet sich die Alte Leine in vielen Schlingen so durch die Landschaft, dass sie eine Länge von 12 Kilometern erreicht. Ihren Anfang nimmt sie heute dort, wo südlich von Reden in einem kleinen Wäldchen der Koldinger Mühlengraben und der Fuchsbach zusammenfließen. Gleich darüber erkennt man aber noch, von knorrigen Kopfweiden eingerahmt, das alte Bett der Alten Leine, in dem sich der Koldinger Mühlengraben auf einem kurzen Stück nicht selten so richtig breit macht. Weiter windet sich der Fluss in der Mitte zwischen Harkenbleck am linken Talrand und Grasdorf am rechten Talrand entlang. Nicht weit vor Wilkenburg kommt noch der Arnumer Landwehrgraben dazu. Gleich hinter der Ziegenbocksbrücke, einen halben Kilometer vor der Wilkenburger Straße, mündet die Alte Leine schließlich in die Leine.
Wer nun diese wunderbare Natur erkunden möchte, hat verschiedene Möglichkeiten. So zum Beispiel von Grasdorf oder Rethen aus, ist das Gebiet von da doch gut über die Hildesheimer Straße zu erreichen. Ein besser geeigneter Startpunkt für eine Wanderung oder eine Radtour durch das gesamte Gebiet, ist die Leinebrücke an der Wilkenburger Straße in Wülfel. Von dort geht´s an der Leine entlang Fluss aufwärts.
An der Ziegenbocksbrücke trifft man zum ersten Mal auf die Alte Leine, und von dieser kann man sehen, wie sie nach 20 Metern in die Leine einmündet.
Nach einem Wegstück verlässt man den Hauptfluss. Nach rechts, auf Wilkenburg zu, liegen saftige Weiden. Manchmal grasen dort Rinder oder eine Schafherde. Und dahinter schlängelt sich auch die Alte Leine entlang, die dort einst die Wilkenburger Wassermühle antrieb. Bei niedrigem Wasserstand sind im Flussbett sogar noch die alten Fundamentreste erkennbar. Im Hintergrund erkennt man den Deister, der bis Steinkrug auch nicht allzu weit entfernt ist. Und von dort kommt über die Schille und den Fuchsbach sogar etwas Wasser in die Alte Leine.
Zur Linken lässt man währenddessen, hinter dichtem Buschdickicht verborgen und bis auf kleine Lücken darin nur im Winter gut einsehbar, einige Teiche liegen. Ton- und Kiesabbau haben das gesamte Landschaftsbild der Südlichen Leineaue geprägt. Die vielen Teiche und Seen im Leinegebiet ziehen sich inzwischen bis zur Marienburg bei Nordstemmen hin. Sie haben die Landschaft zu ihrem Vorteil stark verändert. Und so ist dieses ganze Gebiet, besonders auch mit den Koldinger Seen, ein bedeutendes Vogelschutz und -zuggebiet. Es gibt seltene Tage, da machen auf Feldern und Wiesen Zehntausende Gänse Station. Einmal konnte ich am Großen Koldinger See rund 80 Silberreiher zählen.
Kiesteiche liegen im Bereich der Alten Leine an ihrer linken Seite (in Fließrichtung gesehen), einstige Tonkuhlen, die nur noch zum Teil erhalten sind, da sie, wenn sie nicht als Fischteiche benutzt werden, im Laufe der Zeit verlanden, an ihrer rechten. Schon im Mittelalter wurden aus Lehm und Ton Ziegel hergestellt. Der Kies, erst im 20. Jahrhundert abgebaut, fand nach dem Krieg für den Aufbau des zerstörten Hannovers Verwendung.
Nachdem der Weg nach links rechtwinklig abgebogen ist und kurz darauf wieder rechtwinklig nach rechts in den Weg „In den Mühlenbreiten“, erreicht man wieder die Alte Leine. Und für das nächste Wegstück hat man hier eine besonders schöne Natur um sich herum. Nach rechts der verwunschen wirkende Lauf des Flusses, nach links der „Lange See“, der am Wiesendachhaus endet.
Wer möchte, kann dort einkehren, ist das Wiesendachhaus doch ein beliebtes Ausflugsziel. Besonders in den Sommermonaten. Gleich rechts des Weges nach Laatzen, dem Bemeroder Bleek, befand sich von 1930 bis 1969 das Freibad des Ortes. Vor dieser Zeit wurde an heißen Sommertagen natürlich in der Leine gebadet. Dort gab es eine Sandbank.
Wir wählen nun nicht diesen geraden Weg nach Laatzen, sondern den kleinen, der um die Freizeitanlage des Wiesendachhauses herumführt. Genau an der Stelle, wo man die Alte Leine wieder verlässt, weil sie nach Wilkenburg hin eine Schlinge bildet, bleibt man vor einem Zaun stehen. Von dort erkennt man, 50 Meter Fluss aufwärts, ein ganz besonderes Bauwerk. Es besteht aus kunstvoll ineinander verflochtenen Ästen und Zweigen, zieht sich mitten durch den Fluss und staut diesen auf. Jeder kann sich wohl denken, wer hier am Werk war. Es ist der Biber, der sich seit dem Jahr 2005 in der Südlichen Leineaue wieder angesiedelt hat. Und das war damals eine ziemliche Sensation. Gerade in dem urwüchsigen Gebiet der Alten Leine hat er beste Lebensbedingungen. Das Weichholz der Weiden und Pappeln schmeckt ihm besonders gut. Und davon mampft er eine ganze Menge, wiegt ein solches Tier doch zwischen 25 und 30 Kilogramm. Damit ist er nach dem Wasserschwein das zweigrößte Nagetier der Welt. Auch benötigt er das Holz für seine Burgen und die Dämme. Mit diesen staut er die Alte Leine so auf, dass sie eine Wassertiefe von etwa 70 Zentimeter erreicht. Diese Tiefe benötigt er, um unter der Wasseroberfläche einen Gang anlegen zu können, der zu seiner Wohnhöhle führt, die er in das Ufer gegraben hat.
Wenn man die Natur genau beobachtet, erkennt man immer mal wieder Spuren der großen Pelztiere. Das können schmale Trampelpfade sein, die auch zu den Feldern führen, verachtet er doch besonders eine köstliche Maismahlzeit nicht. Natürlich abgenagte Baumstümpfe oder vielleicht sogar eine Biberburg. Die Tiere selber bekommt man normalerweise nicht zu Gesicht, sind sie doch nachtaktiv. Ich hatte das große Glück, einen Biber im Stichkanal am alten Contigelände, der von der Leine zum Lindener Hafen abzweigt, zu sehen, obwohl ich ihn dort nun gar nicht vermutet hätte. Doch als ich die Kamera zückte, hat er mich bemerkt und tauchte leider viel zu schnell ab. Oft wird der Biber mit den kleineren Bisamratten verwechselt. Doch der platte Schwanz, die Kelle, verrät ihn. Und dieser zeigte sich mir bei seinem Abtauchen.
Inzwischen hat sich der Biber sogar im Stadtgebiet von Hannover angesiedelt. Und natürlich freuen wir uns, dass er, vor 200 Jahren ausgerottet, wieder da ist. Vermutlich bis auf einige wenige Landwirte, deren Felder er manchmal gebietsweise überflutet oder auch mit Gängen untergräbt, in die Trecker bei der Feldbestellung einsinken können. Der Biber schafft durch das Aufstauen der Gewässer für viele andere Tiere, Fische, Amphibien und Insekten, neue Lebensräume. Und diese Tiere frisst er nicht, ist er doch ein reiner Vegetarier. Acht Biberreviere konnten inzwischen im Bereich der südlichen Leine bis in Höhe der Marienburg festgestellt werden. Und auch in der nördlichen Leineaue hat er sich angesiedelt.
Hinter dem Wiesendachhaus führt der Weg durch einen kleinen Auwald, der meist mehr oder weniger unter Wasser steht. Nach einem Stück Alte Leine, deren Oberfläche an dieser Stelle vollkommen mit Wasserlinsen bedeckt ist, führt der Weg in eine Weide- und Wiesenlandschaft hinein. Zur Linken geht es dabei an einer ehemaligen Tonkuhle vorbei, die mit ihren Schilfrändern und einem ins Wasser gestürzten Baum einen malerischen Anblick bietet.
Das Grundwasser dieser gesamten feuchten Wiesenlandschaft nach Grasdorf und Rethen hin, wird auch zur Wassergewinnung genutzt. Wer möchte, besucht bei Grasdorf am Wasserwerk den vier Kilometer langen Wasser-Erlebnispfad, der über das nützliche Nass informiert und aufklärt.
Nach einem Stück Weges durch die freie Weidelandschaft biegt nach links ein Weg ab, der zur Leinebrücke nach Laatzen führt. Wir lassen diesen jedoch links liegen und kommen nach zwei rechtwinkligen Kurven auf einen geraden Weg, der parallel an einer langgezogenen Teichlandschaft entlang führt. Bis vor wenigen Jahren konnte man dort in den Ästen der Bäume viele Kormorane ausmachen. Doch die sind verzogen. Dafür kann man sie am nahen Großen Koldinger See mit dem Fernglas gut beobachten. Auf einer kleinen Insel bilden sie eine Kolonie. Die wenigen Bäume sind inzwischen fast entlaubt. Über und über sind sie mit Guano bedeckt. Meistens kann man dort um die 80 bis 100 dieser schwarzen Federtiere zählen, die, zum Teil mit ausgebreiteten Schwingen auf den Zweigen sitzend, ihr Gefieder trocknen.
Einen Aussichtsturm wie am Koldinger See gibt es aber auch hier, und den erreichen wir nun. Von dort blickt man zur einen Seite auf das Dickicht zur Alten Leine hin, zur anderen auf Feuchtwiesen, die häufig unter Wasser stehen. Und natürlich gibt es auch in dieser Landschaft interessante Großvögel zu beobachten. An die unzähligen Graugänse hat man sich längst gewöhnt. Aber über den Anblick von Graureihern, Silberreihern und Störchen freut man sich doch immer wieder. Die Letzteren haben ihr Nest nahe Grasdorf an der Leine. Ein anderes befindet sich bei Döhren in der Nähe unseres Startpunktes etwas nördlich der Leinebrücke, ein drittes in Wülfel am Rande einer Gartenkolonie.
Wer möchte wandert oder radelt die Harkenblecker Furt entlang, einem wohl sehr alten Leineübergang, der immer mal wieder unter Wasser steht und der zum gleichnamigen Dorf führt. Dort gibt es übrigens eine besonders schöne Kapelle mit der Gruft der Familie von Reden. Am Ende der Furt trifft man wieder auf die Alte Leine, die an dieser Stelle schon wesentlich schmaler geworden ist. Hat man sich auf der Bank mit Blick auf die platte Feldmark nach Harkenbleck und Reden hin etwas ausgeruht oder gesonnt, hat man nun zwei Möglichkeiten. Entweder geht´s zurück zum Aussichtsturm und weiter nach Grasdorf, das mit seinen alten Fachwerkbauernhäusern einen wunderschönen alten Dorfkern hat. Auch hat dort in der Alten Feuerwache der NABU Laatzen seinen Standpunkt, der mit einer kleinen, interessanten Ausstellung über die Natur der Leineaue informiert. Außerdem kann man in einem alten Bauernhaus, dem Café "Am Südtor", mit viel Flair einkehren. Und bis zur Hildesheimer Straße, wenn man die Straßenbahn zur Heimfahrt benutzen möchte, ist es nicht weit.
Man kann aber auch die verschiedenen Wege der weiteren Naturlandschaft Alte Leine nach Koldingen hin nehmen. Zum Beispiel durch die platte Harkenblecker Feldlandschaft. Oder von Grasdorf am westlichen Leineufer am Storchennest vorbei nach Reden, einen uralten Leineübergang. Dabei kommt man, noch an der Leine, dort wo der Weg nach rechts in die Aue abknickt, an einer Stelle vorbei, wo sich zur Linken vor langer, langer Zeit auf einer Erhebung im Sumpfland eine kleine Burg befand, die Retburg. Sie kontrollierte einst den wichtigen Leineübergang. Lange wusste man nicht, wo genau diese Burg lag. Doch anhand von alten Karten und Urkunden hat sie der Heimatforscher Helmut Flohr ausfindig machen und unter seiner Regie sogar Grabungen einleiten können.
Ein Stück weiter trifft man wieder auf die Alte Leine, bevor es durch die Feldlandschaft nach Reden geht, wo der Fuchsbach einmündet. Er bildet nach Pattensen hin ebenfalls eine schöne Landschaft, die auch zum Naturschutzgebiet Alte Leine gehört.
Ein weiterer Weg führt von Grasdorf am östlichen Leineufer entlang, schließlich am Koldinger Holz vorbei, wo das Naturdenkmal einer etwa 350 Jahre alten mächtigen Eiche bestaunt werden kann, ebenfalls nach Koldingen. Und da ist man dann schließlich dort angekommen, wo die Alte Leine einst verlief und wo sie ein Stück nördlich davon bei Reden heute ihren Anfang nimmt. Nahe der Stelle, wo sich auf einem kleinen Plateau einmal die Koldinger Burg befand. Sie existiert längst nicht mehr. Wohl aber das als Schloss im Stil der Weserrenaissance erbaute spätere Amtshaus, das einst Verwaltungsmittelpunkt des Gebietes Koldingen-Lauenburg war.
Damit sind wir nun am Ende einer außergewöhnlich schönen Naturwanderung angekommen. Und das macht eben den Reiz dieses Gebietes aus: Viel Natur, die an den meisten Stellen dieser Landschaft tatsächlich natürlich sein darf. Der verschlungene Flusslauf, dem man zwar nicht folgen kann, dem man aber an verschiedenen Stellen immer wieder begegnet. Die feuchte Auenlandschaft mit den ehemaligen Senken diverser Leinearme, in denen sich bei Überflutungen das Wasser schnell sammelt. Mit der typischen Vegetation der Kopfweiden, der Röhrichtdickichte und dem Flutrasen. Mit einer gut zu beobachtenden Vogelwelt, wofür es sich lohnt, ein Fernglas dabei zu haben. Und auch mit der Historie, die, wenn man einiges darüber gelesen hat, die Tour noch interessanter macht. Das alles und noch viel mehr macht den Reiz dieser wunderbaren Landschaft aus. Es lohnt sich immer mal wieder, darin unterwegs zu sein. Und besonders im Wandel der Jahreszeiten, wirkt sie dann doch immer völlig anders. Die Fotos sollen es dokumentieren.
Siehe auch: Parkanlagen und Grüngebiete in und um Hannover
Wunderbarer Bilderreigen