Statt eines Nachrufes: Erinnerungen an eine bedeutende Fotografin aus Döhren

Große Fotografin aus Döhren: Hildegard Wegner verstarb am 9. Februar.
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Döhren hat eine bedeutende Künstlerin verloren. Die Fotografenmeisterin und Puppenmacherin Hildegard Wegner verstarb am 9. Februar 2014.

Vielen Döhrenern ist sie bekannt. 1971 kam sie in den Stadtteil und eröffnete in der Fiedelerstraße, ein paar Schritte neben dem damaligen Fotofachgeschäft Wolter (vielleicht erinnert sich der eine oder andere: die Ehefrau des Herrn Wolter betrieb auf der rechten Seite des Ladenlokals auch ein Handarbeits- und Strickwarengeschäft) ihr Fotostudio. Einen Fotografen gab es zwar schon früher in Döhren. Er hatte sein Studio (Atelier Hartmann hieß es, glaube ich) ebenfalls in der Fiedelerstraße, direkt an der Einmündung zur Hildesheimer Straße über dem Optikergeschäft gehabt, dort wo heute Rechtsanwälte sich mit Gesetzbüchern beschäftigen. Doch mit Hildegard Wegner kam Fotokunst in den Stadtteil, auch wenn sich die Fotografin selbst bescheiden nur als Handwerkerin sah.

Anfang der 80ger Jahre des vorigen Jahrhunderts stellte ich in einer Serie im Maschseeboten die „Künstler in unserem Stadtteil“ vor. In der Dezemberausgabe des Maschseeboten 1983 war Hildegard Wegner das Ziel meiner journalistischen Bemühungen. Statt eines Nachrufes soll hier zum Gedenken an die große Künstlerin noch einmal der längst vergessene Artikel in Erinnerung gerufen werden:

Hildegard Wegner macht Fotos, die den Menschen zeigen

„Fotografie ist ein Handwerk, keine Kunst“, meint Hildegard Wegner, Fotografenmeisterin in Döhren. „Oberstes Ziel ist es, die Wünsche des Kunden zu treffen.“ Doch gerade die Bilder der Fotografin Wegner zeigen, dass Fotografie mehr sein kann, als „nur“ ein Handwerk.

Seit 1971 betreibt Fotografin Wegner ihr Fotostudio in der Fiedelerstraße. Die Fotografie wählte sie zu ihrem zweiten Beruf. 1951 bestand sie die Gesellenprüfung im Fotografenhandwerk. Die Gründung einer Familie, die Geburt eines Sohnes und zweier Töchter führten zur Unterbrechung der Berufslaufbahn. Erst 1968 legte Hildegard Wegner vor der Handwerkskammer in Hannover ihre Meisterprüfung ab. Seither bezeugen zahlreiche Ausstellungen und Preise für Porträt- und Kinderfotografie ihr Können.

„In erster Linie mache ich gerne Porträts“, erzählt die Fotografenmeisterin. Ihr zweiter Schwerpunkt liegt bei Spezialarbeiten wie Montagen, Verfremdungen und Retuschen. Im Angebot ihres Studios sind auch die beliebten „Fotos von anno Dazumal“. Hildegard Wegner hat dafür eine Reihe von nostalgischen Kostümen im Schrank hängen. Wer möchte, kann sogar ein scherenschnittartiges Silhouettenfoto mit nach Hause nehmen. Oft stehen bei Hildegard Wegner noch Fotoaktionen im Rahmen von Altstadt- und Straßenfesten neben der alltäglichen Arbeit auf dem Programm. Und seit sieben Jahren wirkt die Fotografin regelmäßig bei der Infa mit. Schwarzweißbilder werden von Hand noch im Atelier entwickelt. Acht jungen Menschen bietet dabei Hildegard Wegner einen Arbeitsplatz im Labor und im Studio.
Ungewöhnlich ist das Schaufenster des Fotostudios. Hildegard Wegner hat den Mut, auf ausdruckslose geschönte Puppengesichter in der Dekoration zu verzichten. „Ich bevorzuge Fotos, die den Menschen zeigen“, erläutert die Fotografenmeisterin ihre Bildauswahl. Inspiriert fühlt sich Wegner bei ihren Arbeiten durch den Grafiker Heinz Kanitz, der im selben Haus wohnt wo auch ihr Atelier beheimatet ist.

In der Freizeit schnitzt die Fotografin Puppenköpfe und näht Puppenkleider. Auf Ausstellungen war sie mit ihren Puppen ebenso erfolgreich wie mit der Fotografie. Ihr neuestes Werk: Ein mechanischer Leierkastenmann. „Ganz allein habe ich es bei der Technik hier nicht geschafft“, gibt Hildegard Wegner zu. „Geholfen hat mir der Schlossermeister Ehlers und die Firma Schrader.“ In Zukunft möchte sich die Fotografin aber verstärkt mit mechanischen Puppen beschäftigen. Der Drehorgelmann wird also nicht mehr lange allein sein.

Soweit der 30 Jahre alte Text aus der damaligen Serie über Künstler in Döhren.

Zwei Nachfolger - eine junge Fotografin und ein junger Fotograf – übernahmen nacheinander ihr Fotoatelier, hatten allerdings beide kein Glück und mussten sich nach kurzer Zeit wieder verabschieden. Hildegard Wegner selbst widmete sich im Ruhestand dann ihren Puppen, pardon, ihren Kreaturen. Sie legte Wert darauf, die Figuren als „Kreaturen“ zu bezeichnen. Von der Fotografie zog sie sich zurück. Die neuen digitalen Bilderwelten waren nichts mehr für sie, wie Hildegard Wegner mir einmal verriet.

Mit dem Puppenmachen begann die Fotografin ebenfalls schon in den 50ger Jahren. Es entstanden vor allem düstere oder skurrile Szenen. Wahrscheinlich verarbeitete die Künstlerin darin auch Teil ihrer eigenen Biografie. Ihre behütete Kindheit - sie wurde in Winsen/Luhe geboren - fand ein jähes Ende durch den Zweiten Weltkrieg. Von den Eltern getrennt, verschlug es sie über Bremen nach Königsberg, von dort musste sie dann ebenfalls wieder fliehen, kam von einem Krisengebiet ins nächste. Ihr Bruder ist gefallen, der Besitz der Eltern wurde durch eine Luftmine vernichtet, die Eltern verschüttet. In ihrer Biografie heißt es dann weiter (wörtliches Zitat): „1951 heiratete sie Georg Wegner, der gerade aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen war. Als er schwer erkrankte, waren die Nerven seiner Frau nach den zurückliegenden Schreckensjahren der Belastung nicht mehr gewachsen. Sie kam in eine Institution für psychisch Kranke und erlebte die Behandlungen der isolierten Patienten. An ihr selbst wurden Medikamententests durchgeführt. Sie war tagelang ohne Bewusstsein und erwachte in unbeschreiblicher Situation.“

Eine Zeitlang waren die vorderen Räume des Fotoateliers zu einem kleinen Museum umfunktioniert. Hier stellte Hildegard Wegner einen Teil ihrer Kreaturen aus. Der Bezirksrat Döhren-Wülfel wollte sie unterstützen, forderte einen kleinen Wegweiser zu der Ausstellung an der Einmündung zur Hildesheimer Straße. Die Stadtverwaltung schaffte es aber über mehrere Jahre nicht, dieser Bitte nachzukommen. Was jetzt mit ihrem Werk geschieht, vermag ich nicht zu sagen. Es ist zu befürchten, dass die großartige Sammlung ihrer Puppen und ihrer Fotos Döhren verloren gehen wird. Nur eine Figur bleibt sicher im Stadtbezirk. Der Bezirksrat kaufte schon vor einigen Jahren die Figur des Döhrener Einsiedlers Edelbert Aselmann an, die örtliche Gruppe des Heimatbundes nahm sie in ihre Obhut.

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

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