Vorhöfe zum Paradies - Terenten/SÜDTIROL
Südtirol ist ein herrlicher Flecken Erde, dem zwar innerhalb von knapp 50 Jahren der Tourismus erheblich zugesetzt hat.
Wir haben uns das schöne Südtirol von 1973 bis 1991 jedes Jahr mindestens einmal für 3 Wochen in immer dem selben Dorf, hoch droben im Pustertal - zwischen Franzensfeste und Bruneck. Terenten ein Streudorf mit mehreren Fraktionen am Terenten- und Winnebach auf 1400-1600 Meter Höhe. In der werbewirksamen Statistik mit unwahrscheinlich vielen Sonnentag pro Jahr.
Wir konnten von Jahr zu Jahr die Veränderungen des Dorfes drastisch registrieren, 1973 war noch keine Straße asphaltiert, das Regenwasser sickerte schnell in das Erdreich und durch die für PKWs und Zweiräder unbequemen Straße waren alle Straßen sehr ruhig, nur 5x am tag kam der Linienbus und 2x am Tag der Milchtanker - Jeder Straße ein Wanderweg und jede Begegnung eine wirkliche Begegnung "Grüß Gott" und "Führt'di" -- 1991 dann - jeder größere Regen war mir Schlammrutschen verbunden weil inzwischen sogar die Waldwege "ausgebaut" waren und dabei auch gleich für zwei Fahrtrichtungen geeignet waren. Selbst der 3km lange Anweg zu einer Bergtour war extra für die lauffaulen Autofahrer aus München bis zum Berganstieg asphaltiert, - nun also insgesamt 5km Anlauf auf Autopiste, immer wieder zur Seite springen...
Die mehr und mehr eingeschränkte Gesundheit hatte uns dann von der Sonnenterrasse oberhalb der Rienz ferngehalten.
Wir erlebten das erste soziale Erdbeben, den ersten Konkurs in dem Dorf, - sich auf die Touristen und ihre Ansprüche zu verlassen, hatte die Pleite bewirkt. Die Touristen wollten wohl Telefon und Sauna und Lift und und und - aber als dann der Service auch bezahlt werden sollte, blieben sie einfach weg.
TOURISMUS VERÄNDERT MENSCHEN
Wir erlebten, wie die Einheimischen ihre gesamte Soziale Uhr umstellten, langsam aber stetig. Ging man anfangs am Sonntag zur Messe, die wegen der drangvollen Enge zweimal auf dem Plan stand und traf sich dann am Schluss auf dem Markt zu einem Sonntagsplausch und ging beim Gasser und beim Engl zum Einkaufen, weil der Fußweg von droben schon mit drei Stunden herunter nicht jeden Tag gegangen wurde und dann nach einem guten Glas beim Hasen wieder mit voller Kiepe nach droben - drei bis vier Stunden, die ganze Familie. So war es schon zehn Jahr später damit vorbei, fast jeder Hof hatte seinen kleinen wendigen Trecker oder eines der typisch italienischen DreiRad-Vehikel oder gar einen kleinen PKW, die ersten Jugendlichen knatterten mit den Enduros durch die Landschaft. Der Plausch am Markt entfiel, damit die dörfliche Wochenschau. Wenn in den 70er Jahren keiner sein Haus verriegelte, nur weil er mal außer Haus ging, so war es Ende der 80er Jahre nicht mehr möglich, einfach so in ein Haus zu gehen und jemanden zu besuchen man musste klingeln oder klopfen...
ÖKUMENE
Auch ein andere Miterleben hat uns geprägt. Die ersten Fahrten nach Südtirol erlebte ich aus der Perspektive eines Reiseleiters per Reisebus, organisiert von einer evangelischen Kirchengemeinde. Und zu den drei Wochen Südtirol-Urlaub für die Senioren aus etlichen Orten des südlichen Landkreises war es darum auch ganz selbstverständlich, dass wir sonntags einen Gottesdienst feiern würden. In der Katholischen Kirche? Für mich kein Thema, ich wusste, dass der Priester der Ortsgemeinde auf diese Protestanten aus dem fernen Norden kommen würden. Seit fünf Jahren kommt schon in jedem Jahr eine Familienfreizeit - übrigens bis über die Jahrtausendwende gibt es diese Familien-Touren. Der Gottesdienst wird gefeiert, als Gesangbuch kann auf den ausliegenden Gotteslob zurück gegriffen werden,... und dann mitten drin, kommt immer wieder mal jemand vorbei - schaut man nach, ob wir nicht irgendwie was "falsch" machen? Und dann waren da doch tatsächlich jemand unter uns, der sich beim Segenswunsch bekreuzigt. Ach?! Ja und? Ich wurde nach dem Gottesdienst von einer dieser Spontan-Beobachter angesprochen, „Macht Ihr das auch?“ das zu erklären war gar nicht leicht. Aber als ich dann sagte: da sind auch katholische Christen mit uns zu Gast und sie wollten den Gottesdienst mit uns feiern. - „Oh oh, wenn das der Bischof erfährt!“ - als ich dem Priester das erzählte, musste er unvermittelt schmunzeln. „Protestanten, das ist wie ein kleines Stück vom Teufel, zeigt mal, habt ihr nicht vielleicht doch einen Pferdefuß?“ - Und dann irgendwann, immer mehr Freizeitgruppen kamen aus ganz Deutschland in dieses verträumte Dorf, nahezu alle irgendwie einer Kirchengemeinde zuzuordnen und fast alle aus dem protestantischen Dunstkreis. In der Kirche wurde auf einmal zwischen Juni und September jeden Sonntag ein „evangelisch-ökumenischer“ Gottesdienst gefeiert. Mir selbst war das zunächst gar nicht so bewusst gewesen, bis wir dann einmal Mitte der 80er Jahre ausnahmsweise einen Frühsommer-Urlaub auf der Sonnenterrasse erlebten. Der Priester sprach mich dann beim Einkaufen an, ob ich nicht am kommenden Sonntag den evangelischen Gottesdienst feiern könnte, es hatte sich gar keine Gruppe bei ihm gemeldet, aber im Gottesdienstplan stand nun mal „evangelischer Gottesdienst“ und er hatte längst auch mitbekommen, dass viele Einzelurlauber auch diese Einladung am Sonntag annehmen. Das ist Ökumene, die selbstverständlich und unauffällig lebt und wächst!
Bürgerreporter:in:Christel Pruessner aus Dersenow |
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