Im hannoverschen Marktkirchenturm geht es hoch hinaus - dem Himmel ein Stück näher

Die Marktkirche ist mit ihrem Vorgängerbau St. Georgii die älteste und bedeutendste Kirche Hannovers. Hier der Blick am Alten Rathaus entlang durch die Köbelingerstraße.
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  • Die Marktkirche ist mit ihrem Vorgängerbau St. Georgii die älteste und bedeutendste Kirche Hannovers. Hier der Blick am Alten Rathaus entlang durch die Köbelingerstraße.
  • hochgeladen von Kurt Wolter

In Hannovers Innenstadt gibt es mehrere Aussichtspunkte, von denen aus man die Stadt gut überblicken kann. Natürlich steht an erster Stelle der Turm des Neuen Rathauses, auf dem irgendwann einmal wohl die meisten Hannoveraner waren. Er ist ein gutes Ziel wenn man Besuch von auswärts hat, kann man doch die Stadt von dort oben gut zeigen und erläutern. Leider ist ein Aufstieg über die Treppe aus Sicherheitsgründen schon lange nicht mehr möglich. Aber dafür ist der Schrägaufzug ein Erlebnis.
Aber es gibt andere Aussichtspunkte mit Treppenaufgängen, die allerdings nur zu bestimmten Zeiten oder nur im Rahmen einer Führung erklommen werden können. So die nur halb so hohe Waterloo-Säule, der Turm der Kreuzkirche und eben der der Marktkirche, der bedeutendsten Kirche der niedersächsischen Landeshauptstadt.

Dieser war bereits im Mittelalter das Wahrzeichen der Stadt, war er doch schon von weit her aus dem Umland erkennbar. Wer auf der Via Regia oder einer der alten Handels- oder Poststraßen unterwegs war, konnte in der Weite der Landschaft zunächst die Spitze des Marktkirchenturmes ausmachen, bevor er den Turm der Aegidien-, der Kreuzkirche und nahe dem Ziel die Türme der Stadtbefestigung sah. Und hatte er diese schließlich erreicht und wurde nach Passieren des breiten Wassergrabens über eine der Zugbrücken vom Torwächter für gut befunden, dann durfte er unter dem Fallgitter des Tores in die Stadt eintreten. Doch nicht jeder wurde auch eingelassen, und bei Dunkelheit schon gar nicht.

Die Marktkirche mit dem Marktplatz und dem gegenüberliegenden Rathaus war natürlich der Mittelpunkt der Stadt. Der Handel, wohl schon im Mittelalter weit über die Stadtgrenzen hinaus bis zu ferneren Städten, hatte Hannover, das am überschwemmungssicheren Hohen Ufer lag, einst am Leineübergang entstehen lassen. Er sorgte für Reichtum, und ihm ist es zu verdanken, dass die Marktkirche, deren Vorgängerbau St. Georgii war und auch die Kreuz- und Äegidienkirche erbaut werden konnten, denn diese Vorhaben müssen enorme Geldbeträge verschlungen haben. Aber nicht wenige gut betuchte Bürger zeigten sich damals spendabel.

Etwa Mitte des 14. Jahrhunderts, als die drei Kirchen fast zur selben Zeit in Angriff genommen wurden, hatte Hannover nur 4.000 Einwohner. Deswegen ist es umso erstaunlicher, welch eine Energie dazu notwendig war, die Bauwerke fast zeitgleich zu errichten, was ohne Frömmigkeit und einen starken Glauben nicht funktioniert hätte. Wie viele Ziegel mussten in den Ziegeleien der Leinemasch gefertigt werden, um das mächtige Mauerwerk der Marktkirche entstehen zu lassen. Die Mauern des Turmes sind an ihrem Fuß immerhin vier Meter dick. Mit zunehmender Höhe verjüngen sie sich. Beim Eintreten durch das Kirchenportal kann man deren Wandstärke gut erkennen. Aber dieser massiven Bauweise und auch der des Kirchenschiffes ist es wohl auch zu verdanken, dass die Marktkirche, wie die Kreuz- und die Aegidienkirche auch, den 2. Weltkrieg relativ gut überstanden hat, wurde doch das um sie herumliegende alte Hannover durch die Fliegerangriffe der Alliierten zu 85 Prozent in Schutt und Asche gelegt. Und die Marktkirche war es auch, die nach Kriegsende als eines der drei ersten Gebäude in Niedersachsen wieder aufgebaut wurde. Sie sollte den Bürgern in der schweren Zeit den notwendigen Halt geben.

Beim Bau des Turmes der Kirche im 14. Jahrhundert wurde allerdings das Geld knapp. Deswegen hat er nicht die ursprünglich geplante hohe Spitze erhalten, sondern den wesentlich kleineren Dachreiter, in dem sich die Türmerstube befindet. Doch auch so ist der Turm über 97 Meter hoch geworden, und damit kaum niedriger als der des Neuen Rathauses. Und wenn man vor diesem mächtigen Mauerwerk steht und den Kopf in den Nacken legt, dann ist Staunen angesagt. Und man denkt auch automatisch an die Sage von den beiden Chorknaben, von denen der eine beim Einsammeln von Taubeneiern aus großer Höhe herabgestürzt ist. Doch sein Umhang öffnete sich und er überlebte den Sturz. Aus dem Heimatkundeunterricht der ersten Schuljahre hat vermutlich so mancher diese schöne Geschichte in Erinnerung.

Bevor wir nun den Turm besteigen wollen, sieht man sich natürlich zunächst im Innenraum der Kirche um. Viele Hannoveraner waren wohl oft darin, und natürlich sind es auch die Touristen, die diese, zusammen mit dem Marktplatz und dem Alten Rathaus südlichste Gebäudegruppe der norddeutschen Backsteingotik, besuchen.
Der Raum beeindruckt. Natürlich mit dem roten Ziegelmauerwerk, den mächtigen Säulen und den hohen Kreuzgewölben. Wer das Buch „Die Säulen der Erde“ von Ken Follett gelesen hat, der kann ungefähr nachempfinden, wie es beim Bau der Kirche zugegangen sein mag. Und es ist, wie ich finde, gerade die Schlichtheit und Nüchternheit, die die Schönheit dieses Kirchenschiffes ausmacht. Kein Prunk überbordender Barockkirchen. Nur das Notwendigste, wie zurzeit des Mittelalters. Und das ist es ja eigentlich auch, was dem Verständnis des christlichen Glaubens entspricht. Bescheidenheit, kein Protzen.

Doch nun kann die Führung beginnen, zu der sich etwa 15 Personen am Informationsstand vorne im Kirchenraum eingefunden haben. Mehr sind nicht möglich, da oben doch alles sehr eng sein soll.
Zunächst erzählt uns die freundliche Führerin in einer groben Übersicht die Geschichte der Marktkirche. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann eine Kirchenführung mitmachen, an der wir auch schon einmal teilgenommen haben.
Anschließend werfen wir einen Blick auf die Bronzetür im Eingangsportal, auf der auf dem linken Flügel Kriegszenen, auf dem rechten Friedenszenen gezeigt werden.
Etwa 50 Meter vor dem Portal, dort wo die Kramerstraße und die Knochenhauerstraße beginnen, wird uns im Pflaster des Marktplatzes eine Metallplatte gezeigt. Wenn man genau auf ihrem runden Mittelpunkt steht, hat man den Vier-Kirchen-Blick. Durch die Köbelingerstraße sieht man geradeso den Turm der Aegidienkirche. Durch die Kramerstraße den der Neustädter Hof- und Stadtkirche und durch die Knochenhauerstraße den der Kreuzkirche. Und ganz nah natürlich der mächtige Marktkirchenturm, der nun bestiegen werden soll.
Dazu führt etwas links vom Portal unter einer alten Grabdenkmalplatte, von denen es mehrere sehenswerte rund um die Kirche am Mauerwerk gibt, eine kleine Treppe hinauf. Gleich hinter der sonst verschlossenen Tür führt eine Wendeltreppe nach oben. Und die hat es in sich, denn sie ist eng, steil und hat besonders hohe Trittstufen. Nach 20 Höhenmetern erreichen wir durch einen kleinen Gang das Dachgewölbe, und das ist ein absoluter Höhepunkt der Führung. Wie oft hat man von unten aus dem Kirchenraum zu den hohen Kreuzgewölben hinaufgeschaut. Nun befindet man sich über ihnen und betritt einen großen Raum, der einem sonst verborgen bleibt. Und groß ist dieser, im Querschnitt dreieckig, wirklich. Immerhin etwas über 60 Meter lang, knapp 20 Meter breit und von der Dachtraufe bis zum Dachfirst rund 20 Meter hoch. Während sich im Bodenbereich die Rundungen der vielen Kreuzgewölbe befinden, zeigt sich nach oben hin ein Holzgerüst aus unzähligen Balken. Senkrechte Stützbalken, waagerechte und Diagonalbalken. Sie tragen das Gewicht der weiten Dachflächen. Wenn schon für ein durchschnittliches Fachwerkhaus etwa 30 Eichenstämme benötigt wurden, wie viele müssen es dann erst für dieses Gewirr gewesen sein. Die Balken sind alt und haben sogar den Krieg überstanden. Im Mittelalter, vor über 600 Jahren, wurden die Bäume dazu in Hannovers Stadtwald, der Eilenriede, geschlagen.
Auf Stegen kann der gesamte Dachraum, der Gewölberaum genannt wird, betreten werden. Natürlich geht man bis zu dessen anderen Ende und auch durch eines der Seitenschiffe. Und man ist beeindruckt von diesem Raum, der außerhalb von Führungen in ewiger Dunkelheit liegt.
Zurück, geht es nun in den Turm hinein. Auch der Blick dort hinauf beeindruckt. Quadratisch im Grundriss, führt an den Innenwänden eine Metalltreppe hinauf. Einigermaßen schwindelfrei sollte man schon sein, und ebenso eine einigermaßen gute Kondition haben. Insgesamt müssen etwa 350 Treppenstufen erstiegen werden.
Von oben in den großen Raum hinunterblickend sieht man den Absatz, an dem einst eine Zwischendecke eingezogen war. Auch erkennt man am Mauerwerk Kriegsspuren. Wie Tränen laufen an einer Stelle schwarze Verfärbungen am Mauerwerk hinunter, vermutlich durch Bombenabwürfe entstanden.
Weiter geht es in das nächste Stockwerk. Auch dort gibt es ein Skelett. Nicht aber aus Holzbalken, sondern aus Metallstreben bestehend. Wir haben die Glockenstube erreicht. Und hier hängen sie, die Klangkörper, die wir so oft gehört haben, meist ohne es wahrzunehmen. 12 sind es an der Zahl. Die Marienglocke, die Morgenglocke, der Große David, die Taufglocke, die Ewigkeitsglocke und die anderen. Die größte von allen aber ist die Christus- und Friedensglocke. Mit über 10 Tonnen Gewicht ist sie die schwerste Glocke Norddeutschlands. Ihr Schlagton ist e°. Mit einem Gummihammer darf jeder einmal, der möchte, dagegen schlagen. Natürlich gibt sie dann nur einen bescheidenen Ton von sich. Den wirklichen möchte man nebenstehend auch nicht hören, wenn man auf den riesigen Klöppel blickt, der einmal hinuntergefallen sein soll. Er wird ohrenbetäubend sein. Schöner sind da die Glockenklänge, die man vormittags um 10 Uhr an jedem siebten Tag der Woche vernimmt, wenn überall die Gottesdienste beginnen. Sie erzeugen ein Sonntagsgefühl. Und am schönsten sind die Klänge wohl zu Weihnachten, wenn sie den Heiligabend einläuten. Dieses Geräusch gehört zu diesem Tag ebenso dazu wie die Weihnachtsgeschichte, ein Tannenbaum und brennende Kerzen.
Im nächsten Stockwerk sieht man auf das Metallstrebengerüst mit den Glocken von oben herab. Und dort befindet sich in einem Schrank auch das Uhrwerk, das die einzelnen Glocken steuert und ihnen sagt, wann sie zu schlagen haben.
In dieser Etage sollen in früheren Zeiten 20 Menschen gewohnt haben. Im mittelalterlichen Hannover war, begrenzt durch die Stadtbefestigungen, der Wohnraum knapp. Und so wurde wohl jede erdenkliche Fläche zum Wohnen ausgenutzt. Selbst hier oben im Turm in etwa 60 Metern Höhe.
Dann wird es beim Aufstieg enger. Die Dachschrägen beginnen, und eine letzte Treppe führt uns zur höchsten Plattform des Turmes hinauf. Natürlich ist es die Türmerstube, die im Quadrat vielleicht vier mal vier Meter misst. Darüber befindet sich nur noch die hohe Spitze, in die eine Leiter hinaufführt. Hier hängen auch die beiden kleinen Viertelstundenglocken.
Der Turmwächter hatte früher eine wichtige Aufgabe, auch wenn sein Beruf im Mittelalter als ehrlos galt. Er musste Stadt- und Umland immer im Auge behalten und gegebenenfalls vor Gefahren warnen. Das konnten heranziehende Gewitter sein. Natürlich Brände, die nicht selten vorkamen, wurde doch mit Torf geheizt, das über den Schiffgraben vom Altwarmbüchener Moor her kam. Und natürlich konnte die Stadt von Banden bedroht werden, oder sogar von feindlichen Heeren. Hannover konnte allerding nie gewaltsam eingenommen werden. Und es wundert einen nicht, wenn man sich das mittelalterliche Stadtmodell im Neuen Rathaus mit seinen starken Befestigungsanlagen ansieht. Den breiten Wassergräben und der Stadtmauer mit den vielen Türmen, von denen heute nur noch der Beginenturm erhalten geblieben ist. Auch der kann übrigens bestiegen werden. Aber immerhin stehen noch drei Türme der Landwehr, einer vorgeschobenen Stadtbefestigung. Der Pferdeturm, der Döhrener Turm und auch der auf dem Lindener Berg, der in späteren Zeiten zur Windmühle umfunktioniert wurde.
Unsere Führerin öffnet zu jeder Seite eine der Fensterklappen, und so können wir einen Blick auf die Dächer der Stadt werfen. Die Aussicht ist ähnlich wie vom Rathausturm, wenn auch die Perspektive etwas verschoben ist. Der attraktivste Blick ist natürlich der auf das Neue Rathaus, das mit Abstand schönste Gebäude Hannovers. Und direkt nach unten geht der Blick auf das Alte Rathaus, das wir uns mit dem Marktplatz und den schönen Hausfassaden schon zuvor angesehen haben.
Als es auf fünf Uhr zugeht, werden wir von der Führerin vor dem Glockenschlag gewarnt. Und der erste Schlag ist ohrenbetäubend. Er geht durch Mark und Bein. So laut hatte man ihn sich nicht vorgestellt. Die nächsten Schläge sind erträglich, hat sich doch jeder mit den Händen die Ohren fest zugehalten. Und nun kann man sich auch vorstellen, warum Victor Hugos Quasimodo, der Glöckner von Notre Dame, vollkommen taub war.
Mit der Türmerstube sind wir am höchsten Punkt und damit am Ende der Führung angelangt. Die vielen Treppenstufen geht es nun wieder auf den Marktplatz hinunter. Es hat viel Spaß gemacht, und es war hochinteressant. Auch etwas aufregend war es, denn natürlich haben Turmaufstiege und finstere Gemächer, so wie der große Gewölberaum unter dem Dach, einen besonderen Reiz. Und beim nächsten Mal besteigen wir mit einer Führung den Turm der Kreuzkirche oder schließen uns der Führung eines Nachtwächters durch die Altstadt an, ist es doch immer spannend, etwas über die Lebensumstände unserer Vorfahren in früheren Zeiten zu erfahren. Und wenn es dabei noch Gebäude und Bauwerke aus dieser Zeit gibt, ist es umso anschaulicher.

Wer mehr über das frühe Hannover erfahren möchte:
- <a target="_blank" rel="nofollow" href="https://www.myheimat.de/hannover-mitte/kultur/das-alte-hannover-und-wie-es-entstand-d2601398.html">Das alte Hannover - und wie es entstand</a>
- <a target="_blank" rel="nofollow" href="https://www.myheimat.de/hannover-mitte/politik/vor-300-jahren-begann-die-personalunion-der-welfen-mit-grossbritannien-das-kurfuerstentum-hannover-stellte-ueber-einen-zeitraum-von-187-jahren-die-en-d2617956.html">Vor 300 Jahren begann die Personalunion der Welfen mit Großbritannien</a>

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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