Sagen aus Hannovers Osten: Schaurige Geschichten über Gespenster, Räuber und alte Kreuzsteine
Es soll im Jahr 1829 geschehen sein. Der Stiefsohn des Windmüllers Caspar Lucas Niemeyer kam von seiner dreijährigen Wanderschaft wieder zurück nach Misburg. Gerade als die Uhr Mitternacht schlug, traf er in seinem Heimatort ein. Aus der alten Croppschen Scheune klang plötzlich ein lautes Gepolter. Später sollte der Müllerssohn erfahren, dass dies nicht das erstes Mal war. Es ächzte und stöhnte in dem alten Gemäuer. Mutig ging der junge Mann zu der Scheune und lugte durch einen Spalt am Tor. Zwei Gestalten waren zu sehen. Sie luden schwere Eisentruhen voller Geld von einem Wagen. Doch Punkt ein Uhr verschwanden die fremden Männer, der Wagen und die Schatztruhen. Die Scheune war wieder still und leer.
Die Geschichte vom Spuk in der Croppschen Scheune gehört zu einer Reihe von alten Legenden, die sich unsere Vorfahren früher am Herdfeuer zuflüsterten. Eine Erklärung für die Geister auf dem Bauernhof hatten die alten Misburger ebenfalls bei der Hand. Die beiden Spukgestalten fanden keine Ruhe, weil sie vor langer Zeit einst Geld aus der Kriegskasse französischer Soldaten gestohlen hatten, die hier auf ihren Marsch nach Russland übernachteten. „Johann Georg Christoph Cropp, dessen Vater das Anwesen gekauft hatte, machte aus der früheren Brinksitzerstelle den schönsten Bauernhof des Dorfes Misburg. So mag wohl mancher Misburger neidisch auf den erfolgreichen Neubauern gewesen sein“, vermutete Helmut Zimmermann als Ursprung der Sage vom gestohlenen Geld.
Der leider schon vor einigen Jahren verstorbene Heimatforscher Zimmermann hat die historischen Archive durchforstet und eine Reihe alter Legenden aus Hannovers Osten aufgespürt. Dazu gehört auch die Story vom schrecklichen Ende des Ritters Mis. Der Name des heutigen hannoverschen Stadtteils Misburg wird von den Historikern auf die um 1300 erbaute Mudzborgh, eine Veste der Bischöfe von Hildesheim, zurückgeführt. Das Volk aber, so fand Helmut Zimmermann heraus, erzählte sich eine andere Geschichte: die Sage von Ritter Mis.
Dieser Mis soll im finsteren Mittelalter auf der Mudzborgh gelebt haben. Um seine Schatzkammer wieder zu füllen, beraubte der Edelmann vorbeiziehende Kaufleute. Der Raubritter lauerte im Misburger Wald den Händlern auf, plünderte sie aus oder sperrte sie ins Burgverlies, um Lösegeld zu erpressen. Dem bösen Treiben machte endlich der Herzog ein Ende. Seine Soldaten zerstörten die Burg und Mis floh mit seinem Knecht in einen unterirdischen Gang. Als aber die Burgmauern niedergerissen wurden, stürzte ein Teil des Ganges ein.
Zwar gelang es dem Knecht, sich und seinen Herrn freizuschaufeln. Mis war jedoch im dunklen Gang wahnsinnig geworden und würgte seinen Diener. Mit letzter Kraft konnte der Knecht ihn abwehren und töten. Seither, so wurde erzählt, nannten die Einwohner zur Erinnerung an den Raubritter ihr Dorf Misburg.
Aber nicht nur die Misburger machten sich Gedanken über den Namen ihres Ortes. Auch die Einwohner des 1304 erstmals urkundlich genannten Dorfes List fabulierten. Viele Jahre dienten eine Magd und ein Knecht treu einem reichen Hannoveraner. Zum Dank schenkte er den beiden ein Stück Ackerland. Dort errichteten die frisch Vermählten einen kleinen Bauernhof. Andere Menschen kamen hinzu, und nach und nach entstand hier ein neues Dorf. Der Ort wurde dann „List“ genannt, weil er „unvermerkt gleichsam mit List erbauet worden“ ist, heißt es.
Alte Geschichten ranken sich außerdem um eine geheimnisvolle Anlage in der Eilenriede nahe des Lister Turm. Ursprünglich in der Nähe des „Neuen Hauses“ gelegen, wurde 1928 das sogenannte „Rad“ wegen eines Straßenbaues in den Lister Teil der Eilenriede verlegt. Die kreisförmigen Wege bilden eine Art Labyrinth. Tilly’s Soldaten sollen das Rad während der 30jährigen Krieges angelegt haben, weiß eine Sage zu berichten. Eine andere Erzählung nennt Söldner des Herzogs Heinrich des Älteren als Urheber, die 1490 gegen die Stadt Hannover Krieg führten. Eine dritte Sage berichtet, ein Übeltäter habe mit dem Bau der Irrwege vor langer Zeit sein Leben retten können. Wahrscheinlich ist der Ursprung des Rades aber viel, viel älter. In grauer Vorzeit dürfte die Anlage Teil eines Sonnenkultes gewesen sein.
Auch zwei mittelalterliche Kreuzsteine an der Bothfelder Kirche wurden magische Kräfte zugeschrieben. Sie sollen einst den Teufel aus Bothfeld vertrieben haben. Aber die in Kalkstein geschlagenen Kreuze werden auch mit einem Mord in Zusammenhang gebracht. Als die Steine noch inmitten der Felder der Bothfelder Bauern standen, spukte es deshalb dort. Mancher Bauern war sicherlich -nachdem die Steine zur Kirche gebracht worden waren – um eine Ausrede ärmer, wenn er seiner Arbeit nicht nachgekommen war.
Sagenumwoben ist daneben ein Platz im Ahltener Wald. Die Misburger nannten das Gelände den „spanischen Friedhof“. Ein Forstaufseher, so heißt es, fand dort einmal Waffen. Und natürlich gibt es eine Erklärung dafür. Vor viereinhalb Jahrhunderten sollen dort Spanier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Ein Trupp spanischer Soldaten hatte sich danach im Wald versteckt und drangsalierte nachts die Einwohner der umliegenden Dörfer. Doch die so gequälten Bauern entdeckten den Schlupfwinkel der Spanier, als diese ihren Branntweinrausch ausschliefen. Die Landsknechte wurden niedergemacht und in einem Massengrab verscharrt.
Neben fremden Soldaten trieben Räuber ihr Unwesen im Osten von Hannover. So erklärt auch eine Legende den Namen „Grauberg“. Der Hügel im Misburger Wald war eine günstige Stelle für Raubüberfälle. Helmut Zimmermann: „Daher hatten die Fuhrleute stets Angst und Grauen vor dieser Stelle, die man deshalb Grauberg nannte.“ Und nahe dem heutigen hannoverschen Zoo soll einst die Räuberhöhle des berüchtigten Raubmörders Jasper Hanebuth gelegen haben. Hanebuth hatte tatsächlich gelebt und angeblich 19 grausame Morde begangen. Er wurde 1653 durch Zerstoßen seine Glieder mit einem eisenbeschlagenen Wagenrad hingerichtet. Doch den Schlupfwinkel und die Beute des Buchholzer Räubers haben seine Häscher nie gefunden. So entstand schnell eine Legende um das Versteck. Nahe seiner Höhle spannte Hanebuth über einen Weg einen Draht mit einem Glöckchen. Wenn jemand den Draht berührte, wurde Hanebuth durch das Läuten hervorgelockt und zwang den vorbeiziehenden Wanderer, seine Wertsachen herauszugeben. An Hanebuth soll nach einer anderen Sage auch ein in einem weißen Stein geschlagenes Kreuz erinnern, das bis 1725 am Weißekreuzplatz stand (und heute in Form einer Nachbildung wieder auferstanden ist). Doch die überlieferte spätgotische Form des Kreuzes weist auf ein höheres Alter des Denkmals hin. Ein Mordfall als Ursprung des steinernen Kreuzes ist aber nicht auszuschließen. 1725 machte ein gewisser Jakob Brase beim Sandabfahren am Steinkreuz einen grausigen Fund. Er stieß auf ein Kinderskelett.
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Bürgerreporter:in:Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld |
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