Am Mittellandkanal
Ich lebe seit 1949 in Misburg, zuerst mit meinen Eltern und Schwester, später mit Ehefrau und eigenen Kinder, heute solo mit Ehefrau. Unsere erste Wohnung war 1949 ganz in der Nähe des Kurhauses Friedenstal.
Als Kinder spielten wir fast täglich am Kanal, schauten den vorbeifahrenden Schiffen zu. Damals gab es Selbstfahrer, das waren einzeln fahrende Schiffe und dann waren da die Schlepper, diese zogen mehre einzelne Schiffe, die durch Stahltrossen miteinander verbunden waren, hinter sich her. Im Sommer haben wir noch im Kanal geschwommen, obwohl der auch damals nicht ganz sauber war, sprangen von der Brücke in den Kanal, schwammen an die Schiffe ran, fuhren mit den Schiffen mehrere Kanalbrücken weiter, kamen mit uns entgegenkommenden Schiffen wieder zurück. Nicht alle Schiffsführer tolerierten dieses, es war ja gefährlich.
Im Winter, der Schnee blieb damals noch wochenlang liegen, rodelten wir die Kanalböschung herunter, manchmal wären wir fast in das Wasser gefallen. In vielen Jahren war der Kanal im Winter zugefroren, da konnten wir sogar auf dem Eis Schlittschuh laufen.
Manch eine Kanne voll Wasser haben wir aus der damals laufenden Quelle (nähe der Eiche) geholt, da das normale Leitungswasser, aus dem Wasserwerk Waldfriedhof Misburg, zum Kaffe kochen, zumindest für Besucher Misburgs, nicht genießbar war. Dieses Quellwasser war immer ein erfrischendes Getränk, ich habe manchen Schluck davon genossen.
Etwas ist mir noch unangenehm in Erinnerung geblieben. Damals haben die Menschen nicht nur in schönen Wohnungen gelebt, nein, manche lebten in Behelfsheimen, das waren Holzbaracken. Hier in unmittelbare Nähe zur Quelle, lebten Menschen zusammen mit Tieren in solchen Baracken. Eines dieser Tiere war ein Ziegenbock. Ich fuhr damals mit dem Fahrrad 2-mal wöchentlich zum Fußballtraining nach Hannover, musste immer an dieser Baracke vorbei. Es stank dermaßen widerlich, schon 100 m vor bis 100 m nach der Baracke musste ich mir die Nase zuhalten und den Atem anhalten, sonst wäre mir übel geworden. Dieser Ziegenbock hatte aber auch seine Daseinsberechtigung, immer wieder wurden ihm von anderen Menschen Ziegen zugeführt, er sorgte also für deren Ziegennachwuchs. Auch damals war die Ziegenmilch und die daraus gemachte Butter oder Käse sehr nachgefragt.
Wohnungsmäßig habe ich den Mittellandlanal nie weiter als 15 km verlassen. Jetzt als Pensionär, wohne wieder in Sichtweite des Kurhauses Friedenstal, fahre ich fast täglich am Kanal entlang, genieße die Ruhe. Weiter sind am Kanal noch anzutreffen, viele Radfahrer, Jogger, Nordic Walker (dieses ist eine Ausdauersportart, bei der Gehen durch den Einsatz von zwei Stöcken im Rhythmus der Schritte unterstützt wird) und Spaziergänger. Ab und zu schwimmen Schwäne und Enten auf dem Kanal, ihren Nachwuchs präsentieren sie uns dann ganz stolz.
Angler versuchen hier an vielen Stellen ihr Glück. Ich rufen ihnen einmal „Petri Heil!“ zu. Die von den Anglern dort gefangenen Fische würde ich aber nicht verspeisen. Erfreue mich an Sträuchern, Bäumen, Blumen, Gräsern, blühenden Brombeeren, ja es wächst sogar Schilf mit den dazugehörigen Rohrkolben (Lampenputzer).
Nicht so angenehm ist es, wenn sich Alkohohl trinkende Menschen am Kanal aufhalten, leider vergessen sie allzu oft dabei, dass der Kanal eine Ruhezone ist.
Ich schaue den kleinen und großen vorbei fahrenden Schiffen zu. Es fahren hier schnelle und noch schnellere Schiffe. Interessant ist es, wenn die Schiffsführer versuchen sich zu überholen. Dann ist es fast wie auf der Autobahn. Viele hundert Meter fahren sie gleichschnell nebeneinander, keiner will nachgeben. Spätestens wenn ein entgegenkommendes Schiff in Sicht kommt, gibt der klügere nach. Gut dass es den Transportweg Mittellandkanal gibt. Transportiert wird, Kohle, Zement, Schrott, Holz und sogar Rotorblätter für Windkraftwerke.
Die Quelle gibt es schon lange nicht mehr, das ist schade, dafür tritt an einigen Stellen Wasser aus der Böschung. Die Qualität des Hannöverschen Wassers ist ja auch eine viel, viel bessere als vor 60 Jahren. Auch der Geruch des Ziegenbocks ist längst verschwunden, statt der Behelfsheime stehen jetzt dort schmucke Häuser.
Es gibt in Misburg sicherlich viele schöne Plätze, hier am Kanal finde ich es aber am schönsten. Wir leben hier ja nicht am Mississippi, Abenteuer wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn haben wir nicht erlebt, spannend war es früher und ist es auch heute noch.
Bürgerreporter:in:Klaus-Michael Schridde aus Hannover-Misburg-Anderten |
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