Neue kleine Mahnmale gegen das Vergessen
Am 12. Juni 2013 wurden in den hannoverschen Stadtbezirken Buchholz-Kleefeld, Mitte, Linden-Limmer und Vahrenwald-List 18 weitere Stolpersteine für Bürgerinnen und Bürger verlegt, die unter der NS-Diktatur zu leiden hatten.
Vier Verlege-Orte in Linden und List sollen näher betrachtet werden.
Besonders feierlich gedachte man in Linden der Geschwister Lenzberg. Vor deren letztem Wohnsitz Beethovenstraße 10 berichtete die SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Thela Wernstedt, umrahmt von Schülerinnen und Schüler der gegenüber liegenden Integrierten Gesamtschule Linden Sek II, aus dem Leben von Marie und Gertrud Lenzberg, die am 8. August 1938 nach Angaben eines Zeitzeugen durch Freitod aus dem Leben schieden, vermutlich wegen gegen sie gerichtete Aktionen der Nationalsozialisten. Die Beschlagnahme bzw. Arisierung der Steppdeckenfabrik Gebrüder Lenzberg & v. d. Walde, Fössestraße 79, Inhaber: Geschwisterpaar Lenzberg und Bruno v. d. Walde, könnte ein Grund gewesen sein. Marie, geboren 1886, war mosaischen Glaubens (im weiteren Sinne jüdisch), die vier Jahre jüngere Gertrud besaß laut Melderegister die evangelische Konfession (durch Konvertierung?).
Schülerinnen der IGS Linden übernahmen die Patenschaft der Stolpersteine. Dr. Karljosef Kreter, Leiter des Projekts „ Erinnern und Zukunft“, überreichte ihnen eine „Blackbox der Erinnerung“
Nächster Halt: Gabelsbergerstraße 10/List.
Ein Stolperstein für Marie Sternheim. Sie, geboren am 18. Juli 1874 in Hannover, war, wie Marie Lenzberg, Jüdin mosaischen Glaubens. 1934 zog sie in das Altenheim der Heinemannstiftung in Kirchrode. Anfang September 1941 wurde diese Senioreneinrichtung zum Massenquartier für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger umfunktioniert (Ghettoisierung der Juden in “Judenhäuser“). Es war häufig ihre letzte Station vor der Deportation in die Vernichtungslager, siehe auch:
http://www.myheimat.de/hannover-mitte/politik/emmy...
Und so geschah es auch am 15. Dezember 1941 mit Marie Sternheim. „Riga abgeschoben“, so der handschriftliche Vermerk im Melderegister. Zynischer geht es kaum noch. Sie überlebte Riga nicht:
http://www.myheimat.de/hannover-mitte/politik/das-...
Nicht weit entfernt, quasi um die Ecke, wurden vor dem Haus Ferdinand-Wallbrecht-Straße 34 drei Stolpersteine für die jüdischen Schwestern Paula Jacobson (*25.1.1878) und Anna Edersheim (*4.3.1880), beide geborene Redelmeier, sowie Adolf Meyer (*20.6.1859), ebenfalls Jude, verankert. Die Finanzierung übernahm die Hausgemeinschaft Fe-Wa-Str. 34. Man wolle, so deren Sprecher Prof. Dr. Peter Rautmann*, mit den 3 Stolpersteinen den ehemaligen jüdischen Hausbewohnern ein ehrendes Andenken setzen.
*http://www.myheimat.de/hannover-bothfeld/kultur/li...
Leider fällt auch auf dieses Gebäude ein dunkler Schatten. Es wurde in den Jahren 1934-1936 „entjudet“, damals hatte es noch die Hausnummer 18.
Paula Jacobson und Anna Edersheim „verfrachtete“ man in das Haus Podbielskistraße 38. Hier lebten viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, unter anderen auch Ida Danziger, siehe auch:
http://www.myheimat.de/hannover-mitte/kultur/ida-d...
Im April 1939 verließen die Schwestern Deutschland und übersiedelten nach Holland (Anna besaß die holländische Staatsbürgerschaft). Es nutzte ihnen nichts. Am 10. Mai 1940 besetzte Nazi-Deutschland die Niederlande. Im Juli 1943 verließ ein Deportationszug das Sammellager Westerbork mit dem Ziel „Vernichtungslager Sotibor“. Für Paula Jacobson und Anna Edersheim war es eine „Reise“ in den Tod, vermutlich wurden sie noch am Tag ihrer Ankunft (16. Juli) ermordet.
Auch Adolf Meyer, der ursprünglich Abraham Meier hieß, verließ 1934 das Haus Ferdinand-Wallbrecht-Straße 18 und zog in die Steinmetzstraße 11. Nächster Wohnsitz war für ihn, inzwischen mit dem zusätzlichen Vornamen „Israel“ versehen (Jüdinnen bekamen lt. einer Verordnung der Nationalsozialisten vom 31. Januar 1939 den Vornamen „Sara“), die Große Packhofstraße 43. Am 5. September 1941 erfolgte die Zwangseinquartierung in das „Judenhaus Ohestraße 8“. Am 23. Juli 1942 Deportation vom Bahnhof Linden-Fischerhof nach Theresienstadt. Kurz darauf verstarb er im Alter von 83 Jahren.
Letzter Anlaufpunkt war das Haus Richard-Wagner-Straße 22 (alt: 7).
5 Stolperstein-Würfel wurden vom Stolperstein-Initiator Gunter Demnig für das Ehepaar Rudolf und Lilly Herzberg und deren Kinder Nanny, verheiratete Ronsheim, Bernhard und Ruth, verh. Lang einzementiert.
Ihre Schicksale:
Rudolf *1.1. 1881, Groß-Kaufmann und Lilly Herzberg, geb. Cohen *22.1.1886, mussten 1935 ihr Wohnhaus Richard-Wagner-Straße 7 verlassen. Rudolf verbrachte einige Zeit im KZ Buchenwald. Nach einigen Umzügen gelang dem Ehepaar am 1. September 1941 die Flucht mit einem der letzten Auswanderungs-Transporte für Juden. Über Portugal, Kuba, New York ging es nach Südafrika (1970). 1974 verstarb Rudolf in Kapstadt, seine Ehefrau Lilly folgte ihm 7 Jahre später.
Nanny Herzberg *15.3.1908, verh. Ronsheim, gelang 1934 die Flucht nach Südafrika.
Ruth Herzberg *21.6.1909, verh. Lang, verließ 1933 Deutschland. Sie starb 1936 in Tschechien. Ihr Ehemann wurde in Auschwitz ermordet.
Ruths Zwillingsbruder Bernhard emigrierte im Jahr 1933 nach Südafrika. Dort engagierte er sich gegen Apartheid. 1985 übersiedelte Bernhard Herzberg mit seiner Frau nach England und begann im Alter von 82 Jahren zu studieren. Er machte Abschlüsse in „Deutsche Literatur, „refugee studies“ und „Afrikanische Geschichte und Politik“. Als ob es nicht schon genug wäre, mit 96 promovierte er über Apartheid. Zwei Jahre später starb Bernhard Herzberg in London. Was für ein Leben, das aber anders hätte verlaufen können, wenn…)).
Heute leben wieder Juden im Haus Richard-Wagner-Straße 22 , schöner könnte sich kein Kreis schließen.
Danke, Christa und Jürgen. Kisch ist ziemlich weit weg, "Rasender Reporter" gefällt mir schon eher, manchmal ist das so, Jürgen, Du hattest es am Mittwoch erlebt.