Die Hannoversche Landwehr – Eine spätmittelalterliche Sicherungsanlage im Vorfeld der Stadt
Wenn im späteren Mittelalter ein Reisender in einer Kutsche, zu Fuß oder zu Pferde oder ein Händler mit seinem Fuhrwerk die Stadt Hannover erreichen wollte, konnte er schon aus großer Ferne den himmelhohen Turm der Marktkirche ausmachen. Doch weiter auf die Stadt zu wurde er jäh zum Anhalten gezwungen. Neben einem Wartturm stand er vor einem Schlagbaum der Landwehr, wo er, um eingelassen werden zu können, nach dem Stadtrecht seinen Wegezoll entrichten musste. Vermutlich kehrte er dann nach anstrengender Reise erstmal ein, gab es doch an jedem Wartturm eine Gastwirtschaft, die von dem jeweiligen Krüger betrieben wurde. Erst danach machte er sich die letzten Kilometer durch ein Gartenland mit Feldern, Vieh und Weidewirtschaft und ab dem 16. Jahrhundert den vereinzelten Katen der sogenannten Kosaken, der Köthner mit ihren kleinen Landparzellen, oder auch durch den Stadtwald, der Eilenriede, auf den Weiterweg zur Stadt. Dort wurde er am Tor ein zweites Mal kontrolliert. Nicht jeder aber wurde unter dem Fallgitter eingelassen, und bei Nacht und Nebel schon gar nicht. Doch damit hatte er dann sein Ziel erreicht.
Diese Zeiten sind nun lange vorbei. Heute läuft der Reise- und Handelsverkehr um Hannover herum reibungslos. Aber die Zölle gibt es immer noch, auch als Maut. Sie haben sich nur an die jeweiligen Landes- oder die europäischen Grenzen verschoben. Immer noch gibt es auch einige Reste der Landwehr. Finden kann man sie auf dem Lindener Berg und natürlich in der Eilenriede. Gerade dort haben sie sich zumindest zum Teil erhalten.
Vielleicht ist der eine oder andere Spaziergänger schon einmal an einem der schönen Gräben dort entlanggewandert. Zum Beispiel am Landwehrgraben zwischen dem Döhrener Turm über Bischofshol zum kleinen Kaffee „Kirchröder Turm“ hin. Oder von dort am heutigen Wolfsgraben entlang zum Pferdeturm in Kleefeld, parallel zur Kaulbachstraße mit ihren schönen Villen. Dann ist er dort, ohne es vielleicht zu wissen, auf die Reste der Landwehr gestoßen, denn diese Gräben bildeten sie einst. Auch der ausgetrocknete Inselgraben in der Nähe des Zoos gehört dazu. Und an diesem steht eine Schautafel, die Sinn und Zweck der Landwehr erläutert und in einer Grafik einen Querschnitt durch das Sicherungssystem zeigt.
Damals waren die Gräben deutlich breiter als heute. Zusätzlich waren an ihnen Erdwälle aufgeschüttet, die mit dichten, fast undurchdringlichen Dornenhecken bewachsen waren. So waren sie nicht leicht zu überwinden. Streunendes Gesindel, Holzdiebe oder Wilderer konnten auf diese Art abgehalten werden. Und der Reisende war deswegen auf die bewachten Zollstationen angewiesen. Militärischen Angriffen waren diese Hindernisse allerdings nicht gewachsen. Und gerade zu dieser Zeit gab es viele Fehden, wurden sich doch die Städte ihrer eigenen Stärke immer bewusster. Die Bürgerschaft strebte nach Unabhängigkeit und wollte ihre urkundlich festgehaltenen Rechte gegenüber den eigenen Fürsten durchsetzen.
Einen bekannten Zwischenfall militärischer Art an der Landwehr gab es Ende des 15. Jahrhunderts am Döhrener Turm. Bei einem Überfall des Welfenherzogs Heinrich von Wolfenbüttel wurde der Turm von den Angreifern angezündet und bis auf die Grundmauern zerstört. Mehrere Verteidiger der Landwehr, angeblich sieben, sollen dabei ums Leben gekommen sein. Durch diesen Vorfall entstand die Sage der „Hannoverschen Spartaner“. Ihnen soll ein Kreuzstein, der sich ursprünglich an der Außenwand der Marienkapelle vor dem Aegidientor befand, gewidmet sein. Ansehen kann man sich diesen im Historischen Museum oder als Kopie an der Ruine der Aegidienkirche. Doch ist es nicht gesichert, ob er mit dem damaligen Überfall tatsächlich etwas zu tun hat. Aber es ist um den „Siebenmännerstein“ eben doch eine schöne Legende. Der Turm wurde übrigens nicht lange danach wieder aufgebaut.
Immerhin 10 Warttürme gab es einst, die ständig besetzt waren und die an den Kontrollpunkten standen. Immerhin drei davon haben sich erhalten. Der Döhrener Turm, der Pferdeturm und der Turm auf dem Lindener Berg, der ab 1650 zur Windmühle umgebaut wurde. Der Lister Turm an der heutigen Burckardstraße gehörte ebenfalls dazu. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er abgerissen und 1895 durch einen romantischen Nachbau an etwas anderer Stelle neu errichtet. Er steht übrigens nicht in der List, sondern gehört zum Stadtteil Zoo. Ebenfalls gehört der Döhrener Turm nicht zum Stadtteil Döhren, sondern heute zur Südstadt.
Vermutlich umgab die Landwehr großräumig einmal ganz Hannover, das damals etwa 4.000 Einwohner zählte. Infolge des Lüneburger Erbfolgekrieges reichen ihre Anfänge bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurück. Teilstrecken sollten die Stellung der Stadt gegenüber den Fürsten ausbauen, andere waren auch Grenzmarkierungen gegen das Umland. Und sie dienten, wie schon erwähnt, als Schutz und Kontrolle der Straßen von Holz-, Hude- und Weidenutzung. Nachdem 1341 zunächst die acht Kilometer lange Lüneburger Landwehr, dem einstigen Torfkanal, dem Schiffgraben, zum Altwarmbüchener Moor folgend angelegt wurde, kamen nicht lange danach die anderen Landwehren dazu. Und im Großen Privileg von 1392 erhielt Hannover auch nachdrücklich das Recht, Landwehren anlegen zu dürfen.
Heute lohnt es sich mal auf geschichtlichen Spuren unterwegs zu sein, sich die Türme anzuschauen oder in den Lokalitäten der Landwehr einzukehren, die überdauert haben. Im Biergarten Lindener Turm auf dem gleichnamigen Berg, in Bischofshol, im kleinen Kaffeegarten Kirchröder Turm an der Tiergartenstraße, im Biergarten Lister Turm oder in Steuerndieb (haltet den Dieb) oder dem Lokal Pinkenburg (zurzeit nicht geöffnet) in Buchholz, vor dem ein schöner, ländlicher Brunnen bewundert werden kann. So kann man auch nach Jahrhunderten, denn die Landwehr verlor nach dem Mittelalter so nach und nach ihre Bedeutung, diesen Spuren aus einer längst vergangenen Zeit folgen. Und nicht nur für Historiker ist das interessant, bilden ihre Reste doch auch schöne Ausflugsziele.
Siehe auch: Das alte Hannover - und wie es entstand
Schließe mich Kurt an! Chapeau!