Wer besser scheißt, wird eher gesund

»Kurfürstin Sophie war allen einschlägigen Biografien zufolge eine außergewöhnliche und humorvolle Persönlichkeit«, schreibt Johann-Günther König in seinem Buch.
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  • »Kurfürstin Sophie war allen einschlägigen Biografien zufolge eine außergewöhnliche und humorvolle Persönlichkeit«, schreibt Johann-Günther König in seinem Buch.
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Sind verbale Griffe ins Klo unter der Tarnkappe des Inkognito nur heutzutage ein Phänomen menschlicher Identitätskrisen? Oder entspricht der laxe Umgang mit der Fäkalsprache insgeheim einem urmenschlichen Grundbedürfnis? Ist das Vulgäre also etwas Archaisches? Quasi aus Wonne und Wohlbehagen über eine gelungene Entleerung oder aus Groll über einen höllischen Leibdruck? Aufschluss könnte verblüffenderweise ein erfrischender, aber nicht ganz manierlicher Briefwechsel zwischen einer hannoverschen Kurfürstin und einer französischen Herzogin geben.

Der ziemlich unverblümten Korrespondenz aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert hat der Bremer Autor Johann-Günther König in seinem jüngsten Buch »Das große Geschäft – Eine kleine Geschichte der menschlichen Notdurft« endlich die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Auch wenn dies im welfenhörigen Hannover durchaus nicht nur spaßig aufgenommen werden könnte. Wer mag diese hannoversche Ikone sein? Ihre Marmorstatue in den Herrenhäuser Gärten ist den Eingeborenen von der Leine zumeist schon seit Kindesbeinen ein Begriff.

Im Zeitalter des Sonnenkönigs von Versailles pflegte die Kurfürstin einen regen Gedankenaustausch zwar nicht mit der First, aber immerhin mit der Second Lady im damals absolutistischen Frankreich. Sophies Nichte, die legendäre Liselotte von der Pfalz, heiratete Herzog Philipp I. und stieg damit nicht nur zur Herzogin von Orléans auf. Ihr Gatte war der Bruder des Königs. So oblagen der Schwägerin von Ludwig XIV. auch hohe Verpflichtungen am französischen Hof. Tante Sophie, mit der Liselotte seit Kindesbeinen vertraut war, blickte ebenfalls grandios über den Tellerrand: So stand sie an der zweiten Stelle der englischen Thronfolge. Doch erst ihrem Sohn Georg Ludwig war es als Georg I. vergönnt, auch in London zu herrschen. Tante und Nichte waren zu damaligen Zeiten europäischer Hochadel pur.

Über ihren Briefwechsel und vor allem zwei Abhandlungen über die Notdurft ist viel gefachsimpelt worden. Ein Historiker hatte in einer offenherzigen Schilderung Lieselottes sogar nachgezählt und darin »über dreißigmal das Wort Scheiße in allen möglichen Abwandlungen« vorgefunden, wie König erzählt. Den legendären Brief und die Antwort aus Hannover selbst konnte der Bremer Autor aber erst nach einer akribischen Spurensuche ausfindig machen. Auf dem Weg dorthin stieß er in den Altersaufzeichnungen »Siebzig verweht« des Schriftstellers Ernst Jünger auf dessen bemerkenswertes Urteil: »Eine Fäkalorgie zwei hochintelligenter, auch kultivierter Frauen, von denen die Herzogin die derberen Züge trägt. Sie ist auch die Anstifterin. Noch volles, üppiges Barock. Offenbar eine Verdrängung – ist die Vordertür verriegelt, drängt es zu der hinteren heraus.«

Also schrieb die Herzogin von Orléans ihrer Tante am 9. Oktober 1694 nach Hannover, wofür hier nur Platz für einen kurzen Auszug ist:
»Sie sind in der sehr glücklichen Lage scheißen zu gehen, wann immer Sie wollen; scheißen Sie also, so viel Sie mögen. Für uns hier ist es nicht so; ich bin hier gezwungen, meinen Scheißhaufen bis zum Abend zu behalten; es gibt keinen Kackstuhl in den Häusern an der Waldseite. Ich habe das Pech, eines davon zu bewohnen, und folglich den Kummer, hinauszugehen um zu scheißen, was mich ärgert, weil ich gern in Ruhe scheiße, und ich scheiße nicht in Ruhe, wenn sich mein Arsch nicht auf etwas setzen kann. Und im übrigen sieht uns jeder scheißen; da laufen Männer, Frauen, Mädchen, Jungen, Pfarrer und Schweizer [Gardemitglieder] vorbei; daran sehen Sie, dass es kein Vergnügen ohne Mühe gibt und dass ich mich, wenn man nicht scheißen würde, in Fontainebleau wie der Fisch im Wasser fühlte.
Es ist sehr ärgerlich, dass meine Freuden von Scheißhaufen unterbrochen werden; ich wünschte, derjenige, der als erster das Scheißen erfunden hat, könnte nur mit Prügeln scheißen, er und seine ganze Sippe! […] Kann es sein, dass man nicht leben kann ohne zu scheißen? Seien Sie bei Tisch in der besten Gesellschaft der Welt, wenn Sie scheißen müssen, müssen Sie scheißen gehen. Seien Sie in Gesellschaft eines hübschen Mädchens oder einer Frau, die Ihnen gefällt, wenn Sie scheißen müssen, müssen Sie scheißen gehen oder verrecken. Ach verdammtes Scheißen! Ich wüsste nichts Hässlicheres als zu scheißen.«

Kurfürstin Sophie antwortete am 31. Oktober 1694: »Das ist eine vergnügliche Scheiß-Überlegung, die Sie zum Thema Scheißen machen, und es scheint wohl, dass Sie die Vergnügungen nicht wirklich kennen, da Ihnen die des Scheißens nicht bekannt ist; das ist Ihr größtes Unglück, man muss im Leben nie geschissen haben, um das Vergnügen nicht empfunden zu haben, das man hat, wenn man scheißt; denn man kann sagen, von allen Notwendigkeiten, denen die Natur uns unterworfen hat, ist die zu scheißen die angenehmste.
Man sieht kaum Leute, die scheißen, die nicht finden, dass ihr Haufen gut riecht, die meisten Krankheiten bekommen wir nur deshalb, weil wir nicht scheißen, und die Ärzte heilen uns nur dadurch, dass sie uns zum Scheißen bringen, und wer besser scheißt, wird eher gesund, man kann sogar sagen, dass man nur isst, um zu scheißen, und ebenso, dass man nur scheißt, um zu essen, und wenn das Fleisch Scheiße produziert, kann man genauso gut sagen, das die Scheiße Fleisch produziert, da die köstlichsten Schweine die sind, die am meisten Scheiße fressen.
Wird auf den köstlichsten Tischen nicht die Scheiße als Ragout serviert? Bereitet man nicht Braten aus Scheiße vor, aus Schnepfen, aus Sumpfschnepfen, aus Lerchen und anderen Vögeln, und serviert man diese Scheiße nicht als Zwischengang, um den Appetit anzuregen? Die Blutwürste, die Kuttelwürste und die Würstchen, sind das keine Ragouts in Därmen aus Scheiße?
Und die Erde, würde sie nicht steril, wenn man nicht schisse? Denn sie produziert die notwendigsten und köstlichsten Speisen nur mit Hilfe von Haufen und Scheiße; und dabei ist es doch so, dass jeder, der auf sein eigenes Feld scheißen kann, nicht zum Scheißen auf das Feld eines anderen geht. […] Die schönsten Frauen sind die, die am besten scheißen; die, die nicht scheißen, werden trocken und mager und folglich hässlich. Die schönsten Teints bleiben nur durch häufige Einläufe, die einen zum Scheißen bringen, erhalten, wir schulden die Schönheit also der Scheiße.
Die Ärzte schreiben kaum gelehrtere Abhandlungen als über die Scheiße der Kranken. […] Die Kinder, die am meisten in ihre Windeln scheißen, sind am hellsten und molligsten.
Stimmen Sie also zu, dass scheißen die schönste, nützlichste und angenehmste Sache der Welt ist. Wenn Sie nicht scheißen, fühlen Sie sich schwer, widerlich und schlecht gelaunt; wenn Sie scheißen, werden Sie leicht, fröhlich und hungrig. Essen und scheißen, scheißen und essen, das sind die Handlungen, die aufeinander folgen und sich gegenseitig ablösen, und man kann sagen, dass man nur isst, um zu scheißen, wie man nur scheißt, um zu essen. […] Sie waren äußerst schlecht gelaunt, als Sie so gegen das Scheißen gewettert haben; ich kann den Grund dafür nicht erraten, außer dass Sie sicher in Ihre Hosen geschissen haben, weil Ihr Band sich verknotet hatte. Schließlich haben Sie die Freiheit, überall zu scheißen, wenn Sie dazu Lust haben, Sie brauchen auf niemanden Rücksicht zu nehmen, das Vergnügen, das man sich beim Scheißen verschafft, reizt Sie so stark, dass Sie ohne Rücksicht auf den Ort, an dem Sie sich befinden, auf den Straßen scheißen, in den Alleen scheißen, auf den öffentlichen Plätzen scheißen, vor der Tür eines anderen scheißen, ohne sich darum zu kümmern, ob der es gut findet oder nicht, und beachten Sie, dass das Vergnügen für den Scheißer weniger peinlich ist als für die, die ihn scheißen sehen, dass also in der Tat die Annehmlichkeit und das Vergnügen nur beim Scheißer liegen. Ich hoffe, dass Sie nun Ihre Absicht zurücknehmen, das Scheißen in so schlechten Ruf zu bringen, und dass Sie zustimmen, dass man ebenso gern nicht leben würde wie nicht zu scheißen.«

So klug und so vergnüglich ist selten über das große Geschäft philosophiert worden. (Das Buch ist im vergangenen Herbst im Springer zu Klampen Verlag erschienen.)

Bürgerreporter:in:

Clemens Wlokas aus Springe

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