Geschichte der Vogelsiedlung in Hannover Groß-Buchholz
Wer es noch nicht kennt, hier ein Artikel aus dem Archiv:
"Pionier verfasst Chronik der „Vogelsiedlung“
Der Chronist Gerhard Morgenstern hat die Geschichte der „Vogelsiedlung“ in Groß-Buchholz und Misburg zusammengetragen und eine Broschüre verfasst.
Ein von Bombentrichtern übersätes Kornfeld und mittendrin die Fundamente von Bunkern und Flugabwehrkanonen – dies war der Anblick, wie er sich im Frühjahr 1949 am westlichen Kanalufer von Groß-Buchholz bot. Rein gar nichts deutete darauf hin, dass hier einmal die „Vogelsiedlung“ entstehen würde. Gerhard Morgenstern, einer der Siedler der ersten Stunde, hat jetzt eine Broschüre verfasst, in der er die Aufbaujahre dieses Viertels wieder lebendig werden lässt.
In dem vom Krieg verwüsteten Hannover war die Wohnungsnot immens. Das frisch verheiratete Ehepaar Gerhard und Irma Morgenstern zum Beispiel hatte nicht mehr als eine Schlafstelle in einer Küche in Ricklingen. Der gebürtige Sachse gehörte dann zu der vielköpfigen Schar, die nach einer Zeitungsanzeige im Mai 1949 auf dem Acker in Groß-Buchholz zusammenfand. „Alle wollten wir uns hier draußen den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen“, sagt Morgenstern, der damals gerade 22 Jahre alt war.
Das Feld gehörte bis dahin einer Kriegerwitwe und ihrer Schwester. 70 Pfennig kostete der Quadratmeter; die Bunkerflächen indes wurden mit 25 Pfennig pro Quadratmeter berechnet. So kurz nach der Währungsreform hatte kaum jemand große Ersparnisse. Doch an die 30 Siedler wagten den entscheidenden Schritt, und schon im Sommer 1949 war der erste Spatenstich.
Da die Grundstücke offiziell als Gartenland galten, durften darauf eigentlich nur Lauben gebaut werden. Bald begannen viele Bewohner, ihre behelfsmäßige Herberge zu vergrößern. Die Stadt drohte mit Bußgeld oder Abriss. Aber auch ein Aufpasser konnte nichts verrichten, denn kaum war er fort, wurde an der neuen Bleibe wieder etwas dazugebaut. „Um den Kleinkrieg zu beenden, wurde uns vom Bauamt nahegelegt, einen Verein zu gründen“, berichtet Morgenstern. 1952 wurde daher eine Siedlungsgemeinschaft ins Leben gerufen.
Auf den ersten Vorsitzenden Gerhard Morgenstern kam reichlich Arbeit zu. In langwierigen Verhandlungen mit der Stadt ging es um die Versorgung mit Strom und Trinkwasser, um den Bau einer Kanalisation und ähnliches mehr. Auch untereinander haben die Siedler heftig diskutiert. Der guten Nachbarschaft tat dies keinen Abbruch. Unvergessen bleibt ein frühes Silvesterfest: Eine immer größer werdende Schar von Siedlern zog munter von Haus zu Haus. „Beim letzten waren es dann so viele, dass im Wohnzimmer beinahe der Fußboden einbrach“, erzählt Morgenstern.
Auch im Alltag gab es Fortschritte. In der Siedlung, deren Wege mittlerweile nach der Vogelwelt benannt waren, zogen ein Kaufmannsladen und eine Heißmangel ein. Fahrende Händler brachten Brot, Fisch und Fleisch, und vorne an der Hauptstraße eröffnete der Gastwirt Wieter eine Kneipe, die sogleich zum Treffpunkt wurde. Vor ihrer Haustür aber hatten die Siedler weiterhin Schlaglöcher und je nach Wetterlage Staub oder Matsch.
Mit der Pflasterung der ersten Straße hatte sich auch dieses Problem erledigt, und Ende der fünfziger Jahre löste sich der Siedlerverein wieder auf. Doch gegenüber von den Hochhäusern im Roderbruch pflegt man in der „Vogelsiedlung“ bis heute die Gemeinschaft. Allerlei Neuigkeiten verbreitet viermal im Jahr der „Vogelbote“, und erst in diesem September haben die Anwohner ein Wochenende voller Kunst und Musik organisiert.
„Die Geschichte der Vogelsiedlung“ ist bei ihrem Autor Gerhard Morgenstern, Telefon 57 25 30, erhältlich. Die Broschüre kostet fünf Euro einschließlich Porto. Neben einigen Kriegsereignissen aus der Umgebung erinnert sie auch an die alte Misburger Mühle, die einst hier auf dem „Mühlenfeld“ stand."
Gerda Valentin
HAZ 11.11.2010