Fotorecht: Wenn ein Sofa im Bild zum Rechtsstreit führt
Kunstwerke – dazu gehören Fotografien - sind geschützt. Klar, das wurde im Rahmen der Reihe zum Thema Fotorecht bereits ausführlich dargestellt. Geschützt bedeutet auch, kein anderer darf ein fremdes Werke einfach vervielfältigen und kopieren. Also: nicht ungefragt Repros von fremden Fotos anfertigen und veröffentlichen. Aber man kann ja ein Foto außerdem dadurch praktisch kopieren, in dem man das Motiv haarklein nachstellt. Es liegt auf der Hand, das geht eigentlich ebenfalls nicht. Wenn alles so eindeutig wäre, gäbe es wohl auch keine juristischen Auseinandersetzungen. Doch wann wird schon einmal eine Aufnahme wirklich eins zu eins nachgestellt und neu fotografiert? Zumeist wird doch lediglich eine Idee aufgegriffen und ein mehr oder weniger „ähnliches“ Bild aufgenommen. Wo liegt hier die Grenze zwischen verbotenen und erlaubten Tun?
Ein anderer Fall: Auch wenn - der Autor dieser Zeilen kommt aus der niedersächsischen Landeshauptstadt, man möge ihm das örtlichen Beispiel verzeihen - etwa das hannoversche Neue Rathaus schon von Generationen von Fotografen von der Südseite am anderen Ufer des Maschteiches aus aufgenommen wurde: wer sollte einen verbieten, sich ebenfalls hier hinzustellen und noch ein Foto von diesem Anblick zu machen? Das Urheberrecht der anderen Fotografen vor einem kann dem doch eigentlich nicht entgegenstehen! Sonst dürfte man bestimmte Sehenswürdigkeiten gar nicht mehr neu fotografieren.
Grundlegend bin ich diesen Fragen bereits in einem früheren Beitrag meiner Serie zum Thema „Fotorecht“ nachgegangen. Interessierte Leser seien auf diese Ausführungen verwiesen.
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
Heute soll zur Ergänzung dieses Artikels ein aktueller Fall des Landgerichts Köln geschildert werden. Die Richter aus der Rheinmetropole hatten sich mal wieder mit Abgrenzungsfragen beschäftigen müssen: Wann wird ein Bild schon kopiert, wann nur eine nicht geschützte Idee aufgegriffen? Wie schwierig im Einzelfall die Abgrenzung sein kann, zeigt gerade mal wieder dieser Fall. Bei sechs der streitigen Bildern gewann der klagenden „Erst-Fotograf“, bei den übrigen sechs Bildern bekam der „Zweit-Fotograf“ Recht (Urteil vom 12.12.2013, Az. 14 O 613/12).
Bei dem Kläger - eben als „Erst-Fotograf“ bezeichnet - handelt es sich um einen Fotokünstler. In seinem Werk nehmen Arbeiten einen wichtigen Platz ein, in denen die unterschiedlichsten Personen auf oder mit einer roten Couch in ungewöhnlicher Umgebung fotografiert wurden. Jetzt kam ein anderer Fotograf (der Zweitfotograf) - eigentlich genauer: eine Werbeagentur - auf die Idee, Fotos für eine Werbekampagne zu erstellen, auf denen in ungewöhnlicher Umgebung Personen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen mit einer blauen Couch abgebildet wurden. Unserem Fotokünstler gefiel das ganz und gar nicht. Er sah sein Werk verwendet und klagte. In der Klage vertrat er die Auffassung, seine Serie "Rote Couch" erfülle bereits als solche die Kriterien einer persönlichen geistigen Schöpfung, weil sie einheitliche prägende Merkmale aufweise. Die Kampagne "Blaue Couch" der Beklagten übernehme diese charakteristischen Gestaltungsmerkmale der Originalserie. Zudem würden auch die einzelnen Bildkompositionen des Klägers durch die einzelnen Fotos der Kampagne der Beklagten verletzt.
Hinsichtlich des geltend gemachten Urheberschutzes für eine Fotoserie mit einem Sofa als Möbelstück mochten die Kölner Richter dem Kläger nicht folgen. „Bei den entstanden Arbeiten des Klägers mit dem wiederkehrenden Motiv der roten Couch und den weiteren damit im Zusammenhang stehenden, jeweils - je nach thematischem Bezug - variierenden Merkmalen seines fotografischen Werks, wie es in der Klageschrift im Einzelnen aufgezählt und erläutert wird, handelt es sich nicht um ein eigenständiges urheberrechtliches Werk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG“, heißt es in der Entscheidung. Und weiter: „Der Kläger sieht sein künstlerisches Konzept in der Tradition der sog. "ready mades", wie sie u.a. von Marcel Duchamps zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründet wurde. Bei solchen "ready-mades" - wie hier des wiederkehrenden Motivs einer roten Couch als solcher - ist der Urheberrechtsschutz nicht gegeben, da die Auswahl des Gegenstandes für sich alleine genommen noch keine persönliche geistige Schöpfung nach § 2 Abs. 2 UrhG darstellt. Die bloße Präsentation eines Gegenstandes als Kunstwerk führt nicht zum Urheberrechtsschutz. Die einzelnen Fotografien/Bilder stellen jeweils in sich abgeschlossene Einzelstücke dar, die für sich stehen können, ohne einen unmittelbaren Bezug zueinander zu haben. Die rote Couch ist tatsächlich das einzige verbindende Element. Dieses fotografische Gesamtschaffen kann daher auch nicht etwa mit einer Kunstaktion, Performance oder Installation in ihren Einzelbestandteilen gleichgesetzt werden. Maßgebend ist der kreative Gedanke, durch Versetzen eines Alltagsgegenstandes - hier einer Wohnzimmercouch - in eine auf den ersten Blick unwohnlich anmutende Umgebung in Verbindung mit den jeweils abgebildeten Menschen dennoch ein Gefühl des "zu Hause-Seins" zu evozieren oder die Couch kontrastiv in eine Landschaft zu stellen. Diese gestalterische Grundidee ist jedoch keinem Sonderrechtsschutz zugänglich (OLG Köln, Urteil v. 15.02.2012, 6 U 140/11 - Die blaue Couch), sondern nur ihre konkrete gestalterische Umsetzung in den jeweiligen Einzelbildern.“
Und da sah das Gericht tatsächlich bei der Hälfte der stritten Bilder eine Verletzung des Urheberrechtes des Klägers. Zuvor wird aber noch einmal grundlegend festgestellt: „Es erweist sich als urheberrechtlich zulässig, aus einem Lichtbildwerk die gemeinfreien Elemente zu übernehmen. Dazu zählen regelmäßig die Wahl eines bestimmten Motivs oder einer bestimmten Perspektive sowie der Einsatz einer bestimmten fotografischen Technik. Durch die Übernahme solcher Elemente werden keine Rechte des Urhebers des benutzten Werkes verletzt.“ Für das obige Beispiel mit dem Neuen Rathaus gilt damit: Jeder kann sich hier an den Ufer des Teiches hinstellen und den Sitz des Oberbürgermeisters fotografisch einfangen, ohne die Urheberrechte der früheren Fotografen zu verletzen.
Doch so einfach ist die Sache in der Praxis dann doch wieder nicht. Denn das ist nur der Grundsatz. Und wir wissen aus vorangegangenen Beiträgen zum Thema Fotorecht, „grundsätzlich“ bedeutet bei Juristen immer, es kann auch mal ganz anders sein. Das LG Köln weiter: „Sind dagegen die Auswahl des Motivs und der Bildausschnitt sowie die Perspektive ungewöhnlich, so kann deren Übernahme eine Vervielfältigung oder Bearbeitung darstellen. Das gleiche gilt für die Übernahme stilistischer Elemente wie Licht und Schatten, Kontrastgebung, Bildschärfe, Überschneidungen und Überblendungen, der Wahl des richtigen Moments bei Bewegungsabläufen oder Portraits unter Verwendung von Filtern und besonderen Linsen, der Retusche oder Fotomontagen.
Und wie grenzt man das Ganze jetzt von einander ab? Dazu das Urteil des LG Köln: „Dabei bedarf es zur Beurteilung der Frage, ob eine Bearbeitung oder eine freie Benutzung vorliegt, zunächst der Feststellung des Schutzbereichs des älteren Werkes. Der Schutzbereich wird durch die eigenschöpferischen Elemente und deren Eigentümlichkeitsgrad bestimmt. Dabei kommt es auf eine umfassende Beurteilung aller das Werk prägenden Gestaltungsmerkmale an. Es ist daher zunächst im Einzelnen festzustellen, durch welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Originals bestimmt wird. Maßgebend ist dafür ein Gesamtvergleich mit den vorbekannten Gestaltungen, bei dem vom Gesamteindruck des Originals und der Gestaltungsmerkmale, auf denen dieser beruht, auszugehen ist. Das Ergebnis des Gesamtvergleichs bestimmt zugleich den Grad der Eigentümlichkeit von dem der Schutzumfang abhängt. Je weniger die Individualität auf vorbekannte Gestaltungen zurückgreift, umso höher ist der Grad der Eigentümlichkeit. Sodann ist zu prüfen, ob gerade diese individuellen Züge des älteren Werkes auch in dem jüngeren Werk enthalten sind. Bei diesem vorzunehmenden Vergleich kommt es nur auf die Übereinstimmungen und nicht auf die Verschiedenheiten an. Dem jeweiligen Urheber bzw. Bearbeiter oder Benutzer soll einerseits nicht die für ihn unentbehrliche Möglichkeit genommen werden, Anregungen aus vorbestehendem Werkschaffen zu übernehmen. Andererseits soll er sich aber auch nicht auf diese Weise ein eigenes persönliches Schaffen ersparen. Besitzt das als Vorlage benutzte Werk dagegen nur einen geringen eigenschöpferischen Gehalt, handelt es sich etwa um ein Werk der sog. "kleinen Münze", liegt in der Regel eine freie Benutzung vor, da ein Werk geringer Eigenart eher in dem nachgeschaffenen Werk aufgeht als ein Werk mit besonderer Eigenprägung.“
Das Ergebnis: beide Kontrahenten hatten Ferkel auf dem Sofa fotografiert, beim Kläger war die Couch eben rot, beim Beklagten blau. Das reichte den Richtern nicht als Unterschied. „Das klägerische Originalbild und das korrespondierende Bild der Beklagten stimmen thematisch und inhaltlich überein, indem beide Bilder ein Ferkel zeigen, dass in ungewöhnlicher Weise auf der regelmäßig eher in einem Wohnzimmer zu verortenden Couch "Platz genommen" haben. Ein Ort dessen Zugang Nutztieren in der Realität normalerweise verwehrt ist. Beide Ferkel reagieren auf die Couch und fühlen sich dort offensichtlich wohl. Dabei ist es unerheblich, dass die Farben der beiden Couches von blau zu rot differieren und das Ferkel einmal steht und einmal liegt, denn die kontextuelle Stimmung und Emotion ist auf beiden Bildern nahezu identisch. Gestalterisch ist die Couch auf beiden Bildern im Anschnitt zu sehen und unter freiem Himmel platziert.
Auch das Foto „Rote Couch unter Wasser mit Tauchern“ sahen die Richter vom Landgericht als kopiert an. „Die Grundidee und Umsetzung des klägerischen Originalbildes ist hochgradig ungewöhnlich und eigentümlich, da es im alltäglichen Leben völlig fernliegt, eine Couch auf dem Boden eines mit Wasser gefüllten Swimming-Pools zu platzieren, wofür diese schon aufgrund ihrer äußeren Beschaffenheit aus regelmäßig nicht längerfristig wasserbeständigen Materialien offensichtlich nicht geeignet ist. Taucher in Taucheranzügen mit kompletter Tauchausrüstung auf einer Couch zu platzieren, widerspricht ebenfalls dem typischerweise mit Tauchgängen einhergehenden Duktus. …Die Grundkonstellation sowohl des klägerischen Originals als auch des Bildes der Beklagten ist identisch. Jeweils befinden sich drei Personen in unterschiedlicher Bildhöhe, alle Basiselemente finden sich in beiden Bildern, Unterschiede in Details sind demgegenüber unerheblich, denn beide Bilder vermitteln eine identische Grundstimmung von Aktivität und Gemütlichkeit unter Wasser zugleich. Es besteht somit ein völliger inhaltlicher Gleichlauf hinsichtlich des arrangierten Motivs, eine Couch unter Wasser zu stellen.“
Entsprechend argumentierten die Juristen bei vier weiteren streitigen Aufnahmen. In diesem Zusammenhang setzten sie sich auch mit der Frage der „Doppelschöpfung“ auseinander. Dies meint die völlig unabhängige Entstehung zweier identischer oder im Wesentlichen gleicher Werke, mit anderen Worten, zwei Künstler haben durch Zufall das gleiche Bild erschaffen. So etwas gibt es zwar theoretisch, ist aber schwer zu beweisen. Der Urheber der später veröffentlichten Werke trägt für das Vorliegen einer Doppelschöpfung die volle Beweislast, es sei denn, eine - möglicherweise in das Unterbewußte abgetauchte - Kenntnis von einem älteren Werk ist auszuschließen. Hierzu reicht es zwar unter bestimmten Voraussetzungen aus, dass der Schöpfer des späteren Werkes darlegen und beweisen kann, dass er die nach der Lebenserfahrung zu vermutende Kenntnis des älteren Werkes nicht hatte, heißt es dazu in dem Urteil. Gerade in Zeiten des Internets ist das aber wohl kaum noch zu beweisen.
Bei den restlichen sechs Fotos hingegen sahen die Richter keine Verletzung des Urheberrechts des Klägers, trotz einer Couch im Bild. Wenn der Beklagte sich an den Bildern orientiert haben sollte, dann war es eine zulässige freie Bearbeitung im Sinn des § 24 Urheberrechtsgesetz. An zwei Beispielen soll auch hier exemplarisch die Argumentation des Gerichts wiedergegeben werden.
Die Ballerina auf der Couch war danach nicht kopiert. Dazu ist im Urteil zu lesen: „Das klägerische Originalbild zeigt eine auf Rücken- und Armlehne der roten Couch balancierende Ballerina im roten Kostüm. Auf der Couch sitzt zudem eine Dame mittleren Alters in gewöhnlicher Kleidung. Auf der gegenüberliegenden Seite der Couch ist ein gerahmtes Portraitfoto positioniert. Die Couch steht in einer offenen Säulenhalle, der Aula Carolina in Aachen. Im Hintergrund sind zwei weitere Ballerinas positioniert, eine davon auf Zehenspitzen, die andere springend mit weit ausladendem Schritt. Das angegriffene Bild der Beklagten zeigt demgegenüber eine weiß gekleidete Ballerina die eine blaue Couch in einer Garten- und Teichlandschaft unmittelbar zu überspringen scheint. Die springende Position entspricht zwar der Figur im hinteren Bereich des klägerischen Bildes, die Positionierung im Bild ist indes eine völlig andere. Während die Ballerina im Bild der Beklagten eindeutig blickfangmäßig im Mittelpunkt steht und zentral durch das Bild zu "schweben" scheint, sind die Tänzerinnen auf dem klägerischen Bild deutlich zurückhaltender und weit weniger raumgreifend in unterschiedlichen Distanzen zur Couch angeordnet. Die sitzende Person und das Portraitfoto finden in dem angegriffenen Bild überhaupt keine Entsprechung. Während die räumliche Umgebung des klägerischen Bildes tatsächlich als Bühne für eine Tanzvorführung dienen könnte, setzt die Bildvariante der Beklagten die Couch und die springende Tänzerin in einen völlig anderen, naturbezogenen Kontext, wodurch sowohl der optische als auch der stimmungshafte Aussagegehalt sich fundamental unterscheiden.“
Und auch beim Bild „Asiate mit Couch“ sahen die Richter nicht viele Gemeinsamkeiten: „Das klägerische Originalbild zeigt ein Kind mit asiatisch anmutenden Gesichtszügen, das auf der Sitzfläche einer in einer offenen Säulenhalle, der Aula Carolina in Aachen, aufgestellten Couch steht. Auf der anderen Seite der Couch steht ein gerahmtes Portraitfoto. Das Kind trägt einen dunklen japanischen Kimono und ein hölzernes Samuraischwert. Das angegriffene Bild der Beklagten weist damit nur wenige Gemeinsamkeiten auf. Auf dem Bild der Beklagten ist das Sofa in einer Wohnung mit asiatischen Einrichtungsgegenständen aufgestellt. Dort kniet ein erwachsener Tai-Chi-Meister aus Bonn auf dem Boden vor der Couch in einer Kampfpose. Stimmung und möglicher Aussagegehalt der beiden Bilder weichen ebenso deutlich voneinander ab, wie Perspektive, Bildaufteilung, Lichtführung und Hintergrund.“
Puh... interessant... aber auch furchtbar...
Beim Lesen dachte ich, es sei sicher effektiver, würde man über sowas gar keine Gerichte entscheiden lassen... Milliarden Menschen haben Billionen Einfälle... und viele gleichen sich... viel zu viel Aufwand, das immer so zu prüfen und zu bewerten...
Die "Erstfotografen" sollten ihre Idee halt vorstellen, vermarkten und dann besser ihre Energie in neue Ideen stecken, als in Rechtskämpfe... die "Zweitfotografen" werden da sicher meistens nur noch "Reste" abschöpfen können... ;)