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Science Fiction auf MyHeimat: Das Land am Ende der Mauer

  • Eine neue Story, diesmal an der Grenze zwischen SF und Fantasy.
  • hochgeladen von Jens Schade

Es steht ein verlängertes Wochenende bevor. Und weder kann der 1. Mai auf einer politischen Kundgebung noch im Biergarten verbracht werden. Deshalb habe ich nun erneut eine Science Fiction-Story von mir herausgesucht. Denn vor vielen, vielen Jahren gab es mal eine Zeit, in der ich mir dieselbe mit dem Schreiben von SF vertrieb. Vielleicht bietet die Geschichte ja auch für Euch, verehrte Leser, etwas Kurzweil. Damit es nicht langweilig wird, suchte ich ein Thema heraus, dass in den hier früher schon veröffentlichten Erzählungen  so noch nicht aufgetauchte. Auch für mich war es damals ein Experiment. Der Titel der Story lautet:

Das Land am Ende der Mauer

Die Sonne versank im scheinbar unendlichen Meer. Ihre Strahlen färbten das Wasser unnatürlich rot; Licht brach sich an den schwachen Wellen und Reflexe glitzerten wie kleine Sterne. Das Wasser schwappte leicht ein Stückchen am metallenen Deich, konnte Aich jedoch nicht erreichen, der auf dem blanken schmalen Weg hockte und mit den Rücken gegen die schwarze Metallmauer lehnte, die etwa anderthalb Meter hoch, auf der Deichkrone verlief. Der Deich mit der Mauer verschwand links und rechts am Horizont und zerteilte die See in zwei Hälften.

Aich war müde. Seine Füße schmerzten. Zwei Tage war er schon auf dem schmalen Pfad zwischen der Mauer und dem Meer unterwegs. Aich hoffte, dass er tatsächlich morgen wieder Land erreichte. Das Volk der Uitori, in deren Dorf er die letzten Wochen gelebt hatte, erzählte, dass drei Tagesmärsche durch das Meer wieder Festland kommen werde. Der Große Mutter der Uitori warnte ihn auch: Jenseits des Meeres würden böse Geister nur darauf warten, ihn zu fressen. Doch vor Geistern hatte Aich keine Angst. Er glaubte nur an eine einzige Legende. An das Land am Ende der Mauer, dort wo jeder glücklich wird.

Der Mann, der sich Aich nannte, packte seine letzten Vorräte aus dem Beutel. Heißhungrig verzerrte er sie. Wenn er nicht bald das Geisterland erreichte, würde er irgendwann versuchen müssen, mit seinem Speer Fische zu fangen. Aber Aich kannte sich mit den Meerestieren nicht aus. Die Uitori sagten, einige der Wasserbewohner seien giftig. So wollte er lieber vorerst hungern.

Der Wind wurde kühler, als die rote Sonne am Horizont verschwand. Aich wickelte die wollene Decke um seinen Körper. Sein alter grauer Rock hielt die nasse Kälte nicht mehr zurück. Aich war jetzt ungefähr 32 Sommer alt. Genau konnte er es nicht sagen. Aich zählte fünf Sommer, als sein Großvater, damals Häuptling de Stammes der Karras, ihm zum ersten Mal vom Land am Ende der Mauer erzählte.

Die schwarze Metallmauer, etwa zehn Fuß hoch, durchschnitt das Stammesgebiet der Karras. Niemand wußte, wo die Mauer begann und wo sie endete. Sie kam aus Richtung der untergehenden Monde und verschwand dort am Horizont, wo die beiden Monde der Welt ihren Aufstieg in den Zenit begannen. Auch sein Großvater konnte nicht sagen, wer diese Mauer einst gebaut hatte. In alten Geschichten, die an den Feuern des Stammes erzählt wurden, heißt es, die Anlage habe es schon gegeben, bevor die Menschen mit fliegenden Schiffen auf diese Welt kamen und das Land besiedelten. Auf der anderen Seite des Walles gab es keinen Unterschied zu dem Land diesseits. In regelmäßigen Abständen hatte Aichs Volk hölzerne Leitern aufgestellt und ermöglichten so den Verkehr zwischen den beiden Gebieten links und rechts der Mauer. Aich hätte gern ein Schwert aus dem anscheinend unzerstörbaren Metall besessen, aus dem die Mauer wohl geschmiedet war. Denn das schwarze Material war weitaus besser als das Eisen, was die Karras in ihren kleinen Steinöfen aus dem aus der Erde herausgeklaubten Eisenstein herausschmolzen.

Aich glaubte nicht an die Legende mit den fliegenden Schiffen, die den Himmel befahren konnten. Noch nie hatte er eines dieser Fahrzeuge gesehen. Die Karras und die Menschen der anderen Stämme bauten nur Ochsenkarren und kleine boote für den See, und die konnten nicht fliegen. Daher schien eine andere Geschichte wahr zu sein, die ihm einst sein Großvater berichtet hatte. Vor undenklichen Zeiten sollten auf der Welt zwei Könige geherrscht haben. Der eine, Matuma geheißen, war böse. Der andere, Karras mit Namen, Stammvater seines Stammes, war gütig und großherzig. Karras errichtete mit Hilfe der Götter, die hinter der Sonne wohnen, die Mauer, um sein Volk vor Matuma zu schützen. Die Barriere brauchte nur zehn Fuß hoch zu sein, denn die Götter statteten das Werk mit einem Zauber aus. Jeder feindliche Krieger, der die Metallkrone überstieg, wurde von einem Blitz getroffen und starb. Matuma und seine bösen Krieger sind schon lange tot, doch die Mauer blieb als ewige Erinnerung an den Kampf gegen das Böse, wenn sie auch längst keine feurigen Blitze mehr spuckte. Aber am Ende der Mauer lag noch immer das von den Göttern geliebte Land, wo jeder glücklich wird. So sprach Aichs Großvater und der kleine Junge lauschte fasziniert den Worten des alte Mannes.

Der kleine Junge wuchs heran. Doch Aich konnte das sagenumwobene Land am Ende der Mauer nicht vergessen. Dort, wo die beiden Mondgötter Primur und Sekund am Himmel erschienen, dort irgendwo konnte jeder glücklich werden. Aich wollte glücklich sein. Er wollte nicht nur Felder bestellen, das Vieh hüten oder auf die Jagd gehen.

Mit 18 Sommern nahm Aich eine Gefährtin. Sie schenkte ihm einen Sohn. Er nannte ihn Thorn. Mit 19 Sommer starb sein Großvater; die Versammlung des Stammes wählte seinen Vater zum Häuptling und seine Mutter zur ersten Mutter der Karras. Mit 20 Sommer schien Aich im Traum Karras, der Stammvater. Er sagte: "Nimm Schwert und Bogen, einen Beutel mit Fleisch, einen Beutel mit Heilkräutern und geh in das Land, wo jeder glücklich wird."

Der Stamm lies Aich gehen. "Wen Karras ruft, den darf man nicht aufhalten", sagten die Alten. Aich verließ Gefährtin und Sohn, nahm Schwert und Bogen, warf sich einen Leinenbeutel mit getrocknetem, eingesalzenem Fleisch über die kräftigen Schultern, band einen kleinen Lederbeutel mit Kräutern an seinen Gürtel und ging. Aich ging entlang der Mauer, dort hin, wo die beiden Monde am Himmel erschienen.

Die Sommer vergingen, die Winter kamen und vergingen auch. Der Wandel der Welt unter der roten Sonne und den zwei Monden ließ sich nicht aufhalten. Aich durchstreifte fremde Wälder, wohnte bei unbekannten Stämmen, diente für einen guten Sommer lang den König von Urs, bis er in der Schlacht bei Talman gefangen und nach Laris verkauft wurde. Doch Aich konnte seinem Herrn entfliehen und kehrte zur Mauer zurück. Gute und schlechte Menschen, freundliche und böse Stämme kreuzten seinen Weg entlang des schier unendlichen Metallbandes, dass die Welt zerteilte. In einem Dorf lernte Aich ein Mädchen kennen, das ihm gefiel. Sie gebahr eine Tochter und Aich blieb drei Sommer lang.

Dann nahm Aich Abschied. Das Land am Ende der Mauer lockte wieder. Er marschierte unentwegt, doch die Mauer schien kein Ende zu finden. Und dann kamen die Erinnerungen an das eigene Dorf, an seine Eltern, seine Gefährtin, an seinem Sohn Thorn, an die Freunde, an die Wiesen und Wälder, an den kleinen See nahe dem Hügel. Erst zuckten die Gedanken an zu Hause nur gelegentlich durch seinen Kopf, so als wollten sie auskundschaften, ob er für sie bereit sei. Dann kamen sie immer häufiger, des Nachts im Traum, am Tag beim Wandern, selbst bei der Jagd auf frischen Wild.

Aich kämpfte im Laufe seines Lebens mit fremden Kriegern, räuberischen Nomaden, mit Drachen und Raubtieren. Er bestellte die Felder und hütete das Vieh bei den Stämmen an der Mauer, die ihn aufnahmen. Oft kam ihn jetzt der Gedanke an eine Rückkehr. Doch Aich fand nicht die Kraft, aufzugeben. Und: Kartas hatte ihn schließlich gerufen.

Nun war er mitten im Meer und noch immer lag das Land, wo jeder glücklich wird in weiter Ferne. Der neue Tag graute. Ein steifer eisiger Wind kam auf. Regen prasselte aus den tiefen Wolken und weckte Aich. Unausgeschlafen begann er seine steifen Glieder zu recken. Die Decke und die Kleidung waren naß. Wassertropfen rannen aus seinem Haar und Bart um die Wette. Aich rollte die Decke zusammen, verrichtete seine Notdurft und begann die Wanderschaft aufs Neue. Das Meer quirlte und schäumte, tobte einige Fuß tief unter ihm, wo der Deich das Meer erreichte. Aich ahnte, dass er noch lange gehen mußte, bis er das Ziel erreichen würde.

Aich gelangte sicher über das Meer zum Geisterland. Geister fand er nicht. Die Sommer und Winter wechselten sich. Seine Haare wurden erst grau, dann weiß. Nur sein Bart blieb schwarz. Das Gehen wurde immer beschwerlicher. Aich kam nur noch langsam voran. Er lehnte sich gegen die Mauer und atmete schwer. Im nächsten Dorf würde er länger rasten, falls man ihm Gastfreundschaft gewährte.

Drei anstrengende Schritte, dann fiel er erschöpft zu Boden. Aich war zu müde, um aufzustehen. Im Gras liegend, halb bewußtlos, so fanden ihn einige Stammeskrieger. Man hob ihn auf eine aus zwei Hölzern und einem Tuch zusammengebundenen Trage und brachte Aich in das Dorf. In einer Hütte wurde ihm ein Lager bereitet, Frauen flößten ihm heißen Kräutertee ein.

Der Häuptling des Stammes trat an Aich heran, als Zeichen seiner Würde ein bunt gewebtes Wolltuch über den Leib geschlungen. "Sei willkommen, alter Mann", sagte er und kniete neben Aich nieder. "Wie geht es Dir?"

"Ich danke Euch", antwortete Aich. "Ich bin unterwegs zum Land am Ende der Mauer. Dorthin, wo die Monde aufgehen."

Ein weiter Weg, alter Mann", sagte der Häuptling. "Mein Vater ging denselben Weg vor vielen Sommern. Niemand hörte mehr etwa von ihm. Vielleicht ist er inzwischen bei dem großen Karras und sitzt zu seiner Linken an der Tafel der Helden."

"Karras? Wer bist Du, dass Du den großen Karras kennst?", fragte Aich erstaunt.

"Ich bin Thorn, Häuptling der Karras, Sprecher der Menschen vom See Talung-Na und der Menschen von den Weiden entlang des großen braunen Flusses."

"Wie ist das möglich? Ich ging doch immer in Richtung der aufgehenden Monde und habe mich nie zurück gewandt."

"Du kamst aus Richtung der untergehenden Monde, dort wo Primur und Sekund am Horizont verschwinden", bestätigte Thorn.

Aich richtete sich auf, tastete mit seiner Hand nach der Hand des Häuptlings. "Die Mauer hat mich zurückgeführt", flüsterte er. "Ich bin in dem Land, wo ich hingehöre. Ich bin glücklich, Thorn, hörst Du, ich habe das Land gefunden, in dem man glücklich wird."

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Mit dieser Geschichte wagte ich mich in den Bereich des Fantasy-Genres vor. Aber die Erzählung weist doch noch deutliche Science-Fiction-Elemente auf. Die Handlung spielt nicht einfach in einem ominösen Land wie etwa "Mittelerde", sondern auf einer Welt, die eindeutig nicht die Erde ist. Sie besitzt zwei Monde und die Menschen kamen mit fliegenden Schiffen (= Raumschiffen) dorthin, wenn sie auch die Technik vergessen haben. Und es gibt ein unerklärliches Bauwerk einer fremden Zivilisation auf dieser Welt - die Mauer.

Reine Fantasy-Erzählungen haben mir nie so richtig zugesagt. Fantasy gefiel mir nur, wenn sie über einen Science-Fiction-Hintergrund verfügte. Ich denke da an die "Dragon"-Serie aus den frühen 70er Jahren, die von Perry-Rhodan-Autoren verfasst wurde und natürlich  an die berühmten Darkover-Romane der Queen of Fantasy, Marion Zimmer Bradley. Aber mit diesen Autoren will ich mich nun keineswegs messen. Ich nenne sie nur als Beispiel für eine Literaturgattung, deren Lektüre mir Spaß macht. Und das sollen Erzählungen und Romane ja: dem Leser Spaß machen, wenn er zum Buche greift.

Wenn Euch / Ihnen diese Geschichte gefallen hat: ich habe schon früher ein paar Erzählungen aus dem SF-Bereich hier auf MyHeimat ins Netz gestellt. Einfach den jetzt folgenden Link anklicken und Ihr seid / Sie sind bei der nächsten Story:

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2 Kommentare

Da fällt mir spontan das Lied von Karel Gott ein.
Einmal um die ganze Welt.
Schade das seine zweite Frau und die Tochter keinen Namen haben.
Eine Mauer bauen um das eigene Volk zu schützen oder um es zu hindern wegzulaufen?
Kommt mir bekannt vor.

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