Der ehemalige Astronaut Thomas Reiter berichtet von himmlischen Sphären - Im Literarischen Salon der Leibniz Universität im Rahmen des „November der Wissenschaft“
Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr Zweitausendund… Wer kennt nicht diese Anfangszeilen aus der US-Fernsehserie Raumschiff Enterprise. Doch nicht erst seitdem fasziniert viele Menschen das Weltall. Die Weite dieses überall und irgendwo gekrümmten Raumes. Die riesige Anzahl von Galaxien mit ihren zig Milliarden Sternen und erst recht Planeten. Die ungeheuren Geschwindigkeiten. Und das noch nicht entdeckte Leben, das irgendwo dort draußen vermutlich millionenfach und mehr existieren wird. Das alles und noch viel mehr fasziniert den Menschen seit jeher, ist aufregend, spannend und will erforscht werden. Und natürlich ist es besonders interessant aus erster Hand etwas darüber zu erfahren, von Menschen, die selbst dort draußen außerhalb der Erdatmosphäre waren und darüber berichten können.
Das war am Montagabend im „Literarischen Salon“ der Leibniz Universität im Rahmen des „November der Wissenschaft“ möglich. Dort war Europas erfahrenster Astronaut, der jetzige ESA-Koordinator der ISS, Thomas Reiter, zu Gast. Reiter war Mitte der neunziger Jahre 179 Tage auf der russischen Weltraumstation Mir im All, und ein Jahrzehnt später 166 Tage auf der Internationalen Raumstation. Dabei hat er sich bei beiden Missionen zusammen bei Reparaturarbeiten sieben Stunden lang außerhalb der sicheren Umgebung der Raumstationen im freien Weltall aufgehalten. Wobei von sicher nicht wirklich die Rede sein kann. Wir kennen das vom Film Gravity, der so unrealistisch nicht ist, gibt es doch inzwischen im Orbit jede Menge Weltraumschrott.
Reiter antwortet auf die Fragen des Interviewers ausführlich. Es gibt ja so viel zu erzählen, und das könnte sicher eine Menge Abende füllen. Zum Beispiel darüber, wie sich bei Langzeitaufenthalten im All die Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper auswirkt, auf Knochen und Blutkreislauf. Wie man sich durch Training körperlich fit hält, und wie aufwändig es ist, jeden Morgen und Abend die Fitnessgeräte aufzubauen und sich nach den schweißtreibenden Aktionen hinterher zu „duschen“. Wie man mit den Kameraden, die irgendwie zur Familie geworden sind, in solch beengten Verhältnissen monatelang auskommen kann. Und wie das erst bei Marsflügen sein wird, die über zweieinhalb Jahre dauern werden. Dass man bei Notfällen auf der Raumstation innerhalb von drei Stunden zur Erde zurückkehren könnte, es vom Mond aber mehrere Tage dauern würde. Dass man von einem erstmal gestarteten Marsflug nicht umkehren könnte, egal was auch passieren würde, müsste man doch das Zeitfenster für den Rückflug abwarten, das sich erst zwei Jahre nach dem Start wieder öffnet. Und Reiter ist der Meinung, dass die Chancen gut sind, in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten zu klären, ob es auf dem Mars einmal Leben gegeben hat.
Banaler wirds mit der Nahrungsaufnahme an Bord. Wie es denn schmeckt und wie es zubereitet wird? Reiter anwortet diplomatisch, dass man wegen eines guten Essens nicht ins All fliegen würde. Interessanter ist es, wenn es um die Forschungsaufgaben geht. Technische, medizinische und biologische Versuche werden gemacht und Reiter erläutert, welchen Nutzen sie für die gesamte Menschheit haben. Und die sind alles andere als unerheblich und betreffen unser Alltagsleben, ohne dass wir davon etwas merken.
Natürlich spricht Moderator Sven Otte auch die ganz großen Themen an: Was die Raumfahrt für immense Kosten verursacht und ob das denn ethisch vertretbar sei? Reicht es denn nicht, wenn Roboter auf den Mars geschickt werden? Aber der Mensch steigt auf den Mount Everest weil er da ist und fliegt zu anderen Himmelkörpern weil er neugierig ist und weil es sie gibt. Ähnlich einem Kolumbus, der nicht wusste, was sich hinter den Weiten des Ozeans verbirgt. So einfach erklärt es Reiter nicht. Aber im Kern trifft es doch zu. Wollte man erst auf der Erde alles in Ordnung bringen was im Argen liegt, hört man zwischen den Zeilen, dann würde man wohl nie andere Welten erkunden können. Beides muss, da sind sich wohl die meisten im vollbesetzten Saal einig, parallel geschehen.
Doch dann gibt es Situationen im sachlichen Gespräch, die Reiters Augen glänzen lassen wie die eines kleinen Kindes, das vorm leuchtenden Weihnachtsbaum steht. Zum Beispiel wenn er davon berichtet, wie die Erde aus dem All auf den Menschen wirkt. Wie die Kontinente unter ihm vorbeiziehen. Wie besonders die großen Wüsten wie die Sahara mit ihren ganz speziellen Farbschattierungen beeindrucken. Wie die Nord- und Südlichter an den Polen flackern. Wie zart, hauchdünn und verletzlich die Erdatmosphäre scheint, die gleich nach den 16 Sonnenuntergängen jeden Tages am besten zu beobachten ist. Und dass man dort oben mit Abstand zu dieser Lebensoase im schwarzen, luftlehren Raum kaum begreifen kann, warum sich die Menschen dort unten (oder oben) bekriegen und warum sie diesen wunderbaren Planeten aus Profitgründen gefährden und aufs Spiel setzen können. Und wenn er aus dem Raumschiff zur erdabgewandten Seite ins All hineinschaut, dann sieht er dort einen Sternenhimmel, der nicht im Entferntesten mit dem von der Erde aus vergleichbar ist. Kein Funkeln der Sterne durch eine Atmosphäre. Aber eine solche Vielzahl von Himmelkörpern, dass man die Sternenbilder, von denen viele Menschen zumindest einige kennen, den Großen Wagen zum Beispiel oder den Orion, nicht ausmachen kann. Es sind zu viele gleichhelle Sterne, die dort zu sehen sind, als dass man einzelne herausfinden könne. Und dass die Milchstraße dort oben als kräftiges, gleißendes Band ihrem Namen alle Ehre mache.
Doch dann gibt es noch einen Punkt, der sticht selbst aus diesen heraus. Das ist das Verlassen der Raumstation, der "Weltraumspaziergang". Auch wenn im menschenfeindlichen Draußen technische Reparaturen ausgeführt werden müssen und stundenlang konzentriert gearbeitet werden muss, so gelang es ihm doch, das zu genießen, jede einzelne Sekunde. Es sind Gefühle, erzählt er voller Emotionen, die unbeschreiblich großartig, unbeschreiblich intensiv sind. Im wahrsten Sinne des Wortes überirdisch schön. Nur eine Steigerung könnte es dazu geben, so Reiter, nämlich mit den eigenen Füßen auf einem fremden Himmelskörper zu stehen. Und wenn er die Rover-Fahrten der Apollo-Astronauten auf dem Mond im Film sieht, dann läuft es ihm eiskalt den Rücken runter. Als Elfjähriger wurde er 1969 von seinem Vater nachts geweckt, damit er Armstrongs Ausstieg aus der Landfähre Adler in verschwommenen Schwarz-Weiß-Bildern am Fernseher miterleben konnte. Von da an stand sein Berufsziel fest: Er wollte Astronaut werden. Dass er das dann unter vielen Tausenden Bewerbern tatsächlich geschafft hat, ist auch für ihn unglaublich.
Wenn Reiter von allen diesen Dingen erzählt, auch von seinen Kollegen, zum Beispiel dem ersten Deutschen im All, seinem Lehrer und Freund Sigmund Jähn oder Neil Armstrong, der den ersten Fußabdruck eines Menschen auf einem fremden Himmelkörper hinterlassen hat, dann leuchten seine Augen und dann merkt man ihm an, wie ihn das alles emotional packt - auch heute mit Abstand noch. Und irgendwie beneidet man ihn dabei um diese Erfahrungen, die man selber auch gerne machen würde. Doch leider wird das nie funktionieren, und deswegen ist es besonders eindrucksvoll, den spannenden Ausführungen dieses ehemaligen Astronauten zu lauschen, einem von 500 Menschen, die sich außerhalb der Erdatmosphäre befunden haben.
Nachdem Reiter noch einige Publikumsfragen beantwortet hat und nachdem er mit bewundernswerter Geduld viele Fotos hat über sich ergehen lassen müssen, ist der Abend dann nach zweieinhalb Stunden beendet. Auch wenn man vieles von dem Vorgetragenen wusste, so hat man doch nun eine andere Beziehung dazu. Und auf dem Nachhauseweg guckt man unweigerlich zum Himmel hinauf und denkt darüber nach, wie es in Zukunft mit der Raumfahrt weitergehen wird. In vielleicht 20 Jahren werden Menschen auf dem Mars gelandet sein. Werden in ferner Zukunft dann auch die Planeten von Jupiter und Saturn angesteuert werden, auf deren Monden eine Landung ebenfalls möglich wäre? Oder wird ein kleiner Teil der Menschheit in Tausenden Jahren vielleicht unserem heimischen Sonnensystem für immer den Rücken kehren und dort weit draußen neue Kolonien gründen? Vielleicht ist Raumschiff Enterprise nicht so weit weg, wie man heute denkt. Vielleicht ist das aber auch nur Science Fiktion. Nichts ist unmöglich und vieles ist möglich. Doch was wirklich geschehen wird, das steht in den Sternen.
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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