Erster Weltkrieg
Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg – In den Ostalpen wurde zwischen dem Ortler und dem Isonzo ein erbitterter Hochgebirgskrieg geführt
Es war am 28. Juni 1914 in Sarajevo, als durch einen bosnischen Fanatiker der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Herzogin Sophie Chotek ermordet wurden. Niemand konnte damals ahnen, dass dieses der Auslöser nicht nur für den Ersten, sondern sich daraus ergebend auch für den Zweiten Weltkrieg war. 31 Jahre unvorstellbares Leid mit über 70 Millionen Toten sollte Europa überziehen, in das schließlich auch andere außereuropäische Staaten hineingezogen wurden.
Bis zum Ersten Weltkrieg galt es noch mehr oder weniger als legitim, wenn Länder ihr Territorium durch Krieg ausdehnen wollten. Kriege hatte es schon immer gegeben und sie waren etwas ganz „Normales“, so verwerflich es aus unserer heutigen Sicht moralisch auch ist. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bei den Nürnberger Prozessen gegen die Nazioberen durch die Amerikaner Angriffskriege für völkerwiderrechtlich erklärt und von da an als verbrecherische Akte angesehen. Leider wurde das Völkerrecht der UNO nach dem 2. Weltkrieg weiterhin in zahlreichen offenen und verdeckten Angriffskriegen gebrochen. Und nicht zuletzt waren daran oft die Länder der NATO beteiligt, allen voran die USA.
Im Mai 1913 wurde in Berlin eine Jahrhunderthochzeit gefeiert, die nicht nur das Volk elektrisierte, sondern zu der sich der gesamte europäische Hochadel traf, der durch Verwandtschaft miteinander verbandelt war. So waren Gastgeber Kaiser Wilhelm II., Englands König Georg V. und der russische Zar Nikolaus II. Cousins. Die Kaisertochter Victoria Luise heiratete Prinz Ernst August von Hannover. Damit fand eine Aussöhnung zwischen den beiden Königshäusern der Hohenzollern und der Welfen statt, war doch Kaiser Wilhelm II. bis 1918 nicht nur Kaiser von Deutschland, sondern auch König von Preußen. 1866 hatten sich bei der Schlacht von Langensalza Preußen und Hannoveraner gegenüber gestanden. Das Hannoversche Königreich wurde anschließend von Preußen annektiert. Der Grund dafür, dass sich die beiden Adelshäuser nicht grün waren. Doch bereits hinter der berauschenden Fassade dieser Hochzeitsfeier war abzusehen, dass ein großer Krieg kaum noch zu vermeiden war.
Die Spannungen der Staaten untereinander hatten sich schon viel früher aufgebaut. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und dem Ausscheiden Bismarcks aus der Politik, der für Stabilität gesorgt hatte, steuerte Europa auf diesen Krieg zu. Viele Gründe führten dazu. So zum Beispiel ging es den Deutschen und den Franzosen um Elsass Lothringen. Deutschland rüstete gewaltig auf, fühlte es sich doch hinter England und Frankreich in der zweiten Reihe, da diese die koloniale Welt mehr oder weniger unter sich aufgeteilt hatten. Russland und Frankreich waren Bündnispartner, die Deutschland von zwei Seiten bedrängten. Und diese fühlten sich wiederum von Deutschlands gigantischer Aufrüstung bedroht. Russland und Österreich-Ungarn wollten sich zum Balkan hin ausdehnen. England, einst die größte Weltmacht überhaupt, war das erstarkte Deutschland ein Dorn im Auge und hätte gern dass Königreich Hannover, mit dem es von 1714 bis 1837 durch eine Personalunion verbunden war, da das Königshaus Hannover in diesem Zeitraum die englischen Könige stellte, wieder auferstehen lassen. Und es gab von nicht wenigen Seiten tatsächlich auch so etwas wie eine Sehnsucht nach einem Krieg, war doch ein solcher immer mit Patriotismus, Heldentum, Ritterlichkeit, Ehre, Treue bis in den Tod und Sterben für das Vaterland verbunden. Kriege wurden damals in romantisch verklärter Weise dargestellt, und das nicht nur vom „einfachen“ Volk, das in dieser Richtung schon in jungen Jahren in der Schule erzogen wurde, sondern auch von intellektueller Seite aus Wissenschaft, Kunst und Kultur, und auch von den Studentenvereinigungen.
Auf diese Weise kam ein Punkt zum anderen, und es gab sicherlich noch eine Reihe anderer Gründe. Und so war die Bereitschaft zum Kriegführen wohl von verschiedenen Seiten mehr oder weniger vorhanden. Auch wenn die eine oder andere Großmacht einen Krieg vielleicht nicht unbedingt wollte, so hatte sie doch schließlich auch nichts dagegen. Und die Kräfte in der Politik, die gegen einen Krieg waren, wie zum Beispiel in Deutschland die SPD oder auch Serbien selber, das längst eingelenkt hatte, wurden durch politische Intriegen einfach außer Gefecht gesetzt. Und auch wenn noch einige Politiker versuchten den Krieg zu verhindern, so setzte das von der Politik unabhängige Militär, der Generalstab, ihn doch durch, wollte den Krieg unbedingt haben.
Der Krieg hätte also vermieden werden können, wenn man denn gewollt hätte. Doch die Diplomatie versagte vollständig, und die Dummheit, so kann man es heute sagen, siegte auf ganzer Linie. So kam es eben, wie es kommen musste. Und das Attentat von Sarajevo auf das Thronfolger-Ehepaar war nicht die Ursache dafür, sondern eben nur der Auslöser, der vielen gerade recht kam, hätte doch wohl sonst ein anderer Grund konstruiert werden müssen. Und so entbrannte ein Krieg, wohl hauptsächlich durch Deutschlands Kriegstreiberei angefacht, wie ihn die Welt bis dahin nicht gekannt hatte. Selbst die Verantwortlichen dafür hatten sich vorher nicht im Entferntesten vorstellen können, welch ein Inferno, welch ein Grauen sie damit auslösen sollten. Als Kaiser Wilhelm II. einmal einen Frontabschnitt besuchte, soll er erschüttert gesagt haben: „Das habe ich nicht gewollt.“ 17 Millionen Menschen fanden den Tod. Sieben Millionen waren davon Zivilisten. 20 Millionen wurden verwundet. Eine Million Menschen verhungerte. Doch der Krieg ließ nicht nur unzählige am Körper verkrüppelte Menschen zurück, sondern ebenso viele, die durch die schrecklichen Erlebnisse traumatisiert waren, deren Seele nun verkrüppelt war.
Wer das Buch von Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ gelesen hat, in dem er von seinen eigenen Kriegserlebnissen berichtet und in dem er das Leben des einfachen Soldaten im Stellungskrieg an der Westfront beschreibt, der weiß, was die Menschen in diesem Krieg durchmachen mussten. Zum einen waren sie noch Menschen, wie man den gefühlvoll geschriebenen Feldpostbriefen an ihre Mütter und Ehefrauen entnehmen kann. Zum anderen legten sie, gezwungenermaßen, jede Menschlichkeit ab und wurden zu Tieren, zu brutalen Killern. Töten auf grausamste Art. Durch Granaten, durch Maschinengewehre, durch Flammenwerfer, durch Giftgas und im Nahkampf durch das Bajonett, oder wie auch immer. Nur durch das Ablegen der Menschlichkeit funktioniert so etwas. Es ist ein Selbstschutz. Selber töten, oder aber vom Gegner auf ebenso grausame Weise getötet werden. Eine Alternative dazu gab es nicht. Wer bei Vorstößen in den eigenen Schützengraben zurück fliehen wollte, der wurde dort von aufgestellten Wachen erschossen. Das wussten die Soldaten. Für sie gab es nur das auf den Feind Zustürmen und auf das Glück hoffen, dieses Grauen irgendwie zu überleben.
Das alles mussten die Soldaten über sich ergehen lassen, die im August 1914 noch mit Begeisterung und Hurra-Rufen in den Krieg gezogen waren. Von denen es so mancher eher wie einen sportlichen Wettbewerb betrachtete, auch wenn nicht auf Hasen, sondern auf Menschen geschossen wurde. Selbst Jugendliche, die eigentlich noch auf den Schulbänken hätten sitzen müssen, meldeten sich mit Feuereifer freiwillig dazu, eine Uniform tragen zu dürfen. Und sie waren die ersten, die aufgrund ihrer Unerfahrenheit von den Maschinengewehrsalven niedergemäht wurden. Sie alle, die in erster Linie Bürger in Uniformen waren und keine Soldaten, hatten darauf gehofft, Ruhm und Ehre zu erlangen und bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein, wie es der Schlieffen-Plan vorgesehen hatte. Doch viele von ihnen mussten in den Kämpfen ihr Leben lassen, nicht nur in Verdun, das wegen seines massenhaften Abschlachtens zum Sinnbild des Ersten Weltkrieges werden sollte. 340 000 fanden dort den Tod. Menschen wurden zu Menschenmaterial degradiert. Was sich die Kriegsoberen in den Kopf gesetzt hatten, musste durchgeführt werden. Egal was es an Menschenleben auch kostete. Und sei es, wie in Verdun, aus Prestigegründen.
Nicht anders war es in den Alpen am Insonzo. Der Fluss entspringt in den Julischen Alpen, die heute zu Slowenien gehören. Von dort fließt er zum Mittelmeer, in das er am Golf von Triest mündet.
Italien hatte sich zunächst aus dem Krieg herausgehalten. Dabei stand es vor dem Krieg mit Deutschland und Österreich-Ungarn in einem Dreierbündnis. Doch das war aus italienischer Sicht nur auf Verteidigung angelegt. Aber Österreich-Ungarn und dadurch auch Deutschland, hatten einen Offensiv-Krieg begonnen. Zusätzlich hatte die Entente, ursprünglich entstanden durch Großbritannien und Frankreich, zu denen sich dann auch Russland gesellte, den Italienern im Siegesfall Landversprechungen gemacht. Das, und auch weil sie wohl der Meinung waren, dass sie damit den schwächeren Gegner hatten, war für sie Anreiz genug, nun ebenfalls in den Krieg einzugreifen.
Damit hatten die Österreicher nicht gerechnet. So wurde nun in den Ostalpen eine neue Front eröffnet. Von Seiten Österreichs eine Verteidigungsfront, das allerdings seinerseits zum Balkan hin einen Angriffskrieg führte. Die neue Front begann an der Grenze zur Schweiz, am Stilfser Joch am Ortler. Weiter führte sie zum Tomale, durchlief die gesamte Adamello- und Presanella-Gruppe. Weiter durch Judikaren zum Nordende des Gardasees hin. Östlich der Etsch führte sie durch die Dolomiten. So durch die Fleimstaler und die Fassaner Dolomiten. Von dort über Marmolata, Padon, Col di Lana und andere Gipfel über Falzarego, die drei Tofanegipfel, Monte Cristallo, zu den Sextner Dolomiten mit den Drei Zinnen. Weiter über die Karnischen und Julischen Alpen, und von dort, dem Isonzo folgend, zum Golf von Triest hin.
So mancher Alpenurlauber wird in einer dieser Gegenden schöne Ferientage verlebt haben und ist dabei sicher auf Reste aus dem Ersten Weltkrieg gestoßen. Selber bin ich häufig in den Alpen unterwegs, und Vieles habe ich dabei entdeckt, was aus diesem Krieg übriggeblieben ist: Bunker, lange Tunnels, höhlenartige Räume, darin verschimmelt Bretter, Schutzmauern, überall Stacheldraht, verrostete Konservendosen und Klettersteige, die für diesen Krieg angelegt wurden.
Und dabei musste ich dann auch an meinen Großvater Hermann Buchhorn denken, der dort als Goslarer Gebirgsjäger im Einsatz sein musste. Nur mit sehr viel Glück hat er den Krieg überlebt. So wurde einmal seine Unterstandshütte von Granaten vollkommen zerstört, als er ein paar Schritte davon entfernt war. Alle seine Kameraden fanden den Tod. Ein anderes Mal stand er plötzlich allein einem italienischen Soldaten, einem Alpini, gegenüber. Die erste natürliche Reaktion wäre es gewesen, auf den Feind zu schießen. Doch beide taten es nicht. Sie rauchten gemeinsam eine Zigarette, bevor sie zu ihrer Truppe zurückkehrten. Einzig und allein hatte er eine Gasvergiftung bekommen, die er aber überlebt hat. Doch unzählige Soldaten gingen am Gas qualvoll zugrunde. Ihre veräzten, verklebten Lungen rangen in Erstickungsanfällen panisch nach Luft und bekamen sie doch nicht mehr.
Lange musste mein Großvater danach ins Lazarett, damit sich seine Lungen erholen konnten. Doch da war man erstmal, wenn man nicht gerade lebensbedrohlich verwundet war, vor den Kriegshandlungen in Sicherheit und der ständigen Todesgefahr entronnen. Doch anschließend musste er wieder ins Feld hinaus, und dort erlebte er bei der 12. und entscheidenden Isonzo-Schlacht wohl mit das Schlimmste, was einem Soldat in diesem Krieg widerfahren konnte.
Der Isonzo, der in Slowenien Save genannt wird, entspringt als Pisnica unter den steilen Wänden des Prisank, den ich selber im vorigen Sommer erklettert habe. Von dort plätschert er nach Kranjska Gora hinunter, um von dort seinen Weg zum Mittelmeer zu nehmen. Und dieser Fluss, der Isonzo, wurde neben Verdun der Ort der schlimmsten Kriegsgeschehnisse des Ersten Weltkrieges. 12 Schlachten gab es dort, weswegen dieser Kriegsschauplatz auch das Verdun der Alpen genannt wurde. Bei den Kämpfen gab es etwa eine Million an Verlusten bei Menschen. Diese Zahl beinhaltet die Toten, die auf mehrere Einhunderttausend bis eine halbe Million geschätzt werden und die Verwundeten.
Am Isonzo plante Italien den Durchstoß nach Laibach, dem heutigen Ljubeljana, und von dort weiter nach Wien, Innerösterreich und Ungarn. Diese Front war ebenfalls ein Symbol für das Abschlachten von Menschen. Auf dem Feld, im Niemansland zwischen den Schützengräben beider Seiten, lagen seit Monaten Zehntausende getöteter, verwesender Soldaten. Die Ratten waren zur Stelle, die auch in so manchem Schützengraben zum Problem wurden, und sie waren wohlgenährt. Es gab keine Möglichkeit, die Kameraden aus dem Gefechtsfeld zu räumen. Und die schwerverwundeten, furchtbar verstümmelten beider Seiten dazwischen, schrien auf dem Schlachtfeld so lange, bis der Tod sie erlöste. Niemand konnte ihnen helfen. Krankheiten breiteten sich aus. Typhus, Cholera, Malaria und Ruhr waren die Folge.
Die 12. Isonzo-Schlacht begann mit Unterstützung der Alpenkorps des Deutschen Kaiserreichs. Nach dem Aufmarsch hinter der Isonzo-Front kam es zu Stellungskämpfen und schließlich zum Durchbruch in die Julischen Alpen. Der Hevnik wurde erstürmt. Bald war Italien geschlagen, und der Durchmarsch nach Mailand konnte fast ungehindert erfolgen.
Doch das bekam mein Großvater nicht mehr mit. Er nahm an mehreren Gefechten teil. So an der Schlacht bei Udine, bei der Verfolgung an der Piave oder bei Gebirgskämpfen in den Venezianischen Alpen. Danach wurde er nach Lothringen verlegt und war 1917 bei den Schlachten von Armentieres und Kemmel an der französisch-belgischen Grenze dabei. Das alles musste er über sich ergehen lassen, obwohl er ein Pazifist war. Zu Hause auf Gut Radau konnte er es nicht einmal mit ansehen, wenn ein Schwein geschlachtet wurde. Im Zweiten Weltkrieg versteckte er dann im Keller seines Hauses einen polnischen Zwangsarbeiter und einen französischen Deserteur. In Flandern geriet Hermann Buchhorn später in englische Gefangenschaft. 1919 wurde er entlassen.
Sein Wunsch war es später immer, einmal in die Dolomiten zurückzukehren, um diese wunderbare Landschaft im Frieden kennenzulernen. Doch in der damaligen Zeit war das nicht so einfach. Diese Berge sollte er nie wieder sehen.
Mein anderer Großvater, Otto Wolter, hatte seine 12jährige Soldatenlaufbahn längst beendet. Doch als das „Menschenmaterial“ knapp wurde, wurde auch er nach zweijähriger Kriegsdauer als Reservist eingezogen. Über seinen Einsatz im Krieg hat er kurz und sachlich geschrieben:
Am 21.11.1916 wurde ich zum Landwehrinfanterieregiment 84 nach Hadersleben zum Kriegsdienst eingezogen. Am 15.1.1917 kam ich zum Reserveinfanterieregiment 620 nach Ottenbüttel bei Itzehoh. Am 8.4.1917 rückte ich ins Feld und kam zum Reserveinfanterieregiment 84, 5. Kompanie. Im Mai 1917 die Stellungskämpfe bei Cheriese bei Arras mitgemacht. Im Juni Ruhequartier in Wehrewick. Im Juli die Stellungskämpfe im Wytscheltebogen mitgemacht. Am 3. August zwei Uhr nachts durch drei Maschinengewehschüsse durch den linken Oberschenkel verwundet. Vom 3. bis 18.8.1917 im Feldlazarett gelegen. Vom 18. bis 31.8.1917 Lazarettzug nach Deutschland. Vom 24.8. bis 24.10.1917 Lazarett Wolfsanger bei Kassel. Vom 25.10. bis 6.3.1918 Lazarett Fürstenhof in Blankenburg. (Die Verletzung muss also schwer gewesen sein, war er doch über sieben Monate im Lazarett.) Am 7.3. zum Ersatzbataillon Reserveinfanterieregiment 84 nach Lübeck entlassen. Vom 21.6. bis 9.10.1918 Rekruten ausgebildet in Euthien. Vom 10. bis 16.101918. beurlaubt nach der lieben Heimat. Am 16.10.1918 zum zweiten Mal ins Feld gerückt zum Landwehrinfanterieregiment 31. Gott befohlen und auf Wiedersehen, Vater.
Am 21.12.1918 aber Kämpfe bei Flabas, nördlich Verdun, westlich der Maß.
Doch dann neigte sich dieser mörderische Krieg dem Ende entgegen. Und schließlich schrieb Otto Wolter in kurzen Zeilen: Am 11.11.1918 elfeinviertel Uhr mittags kam der Befehl, dass von elfdreiviertel Uhr Waffenstillstand sei. Vom 12.11. ab Räumung des besetzten Gebietes und Rückmarsch durch Luxemburg über Trier und den Hunsrück Richtung Oppenheim. Am 4.12.1918. bei Nierstein den Rhein überschritten, und am 12.12.1918 von Höchst nach Blankenburg entlassen.
Aber auch nach dem Krieg war die Zeit in Deutschland alles andere als einfach.
Dazu möchte ich meine Urgroßmutter Clara Voss sprechen lassen, die jedes Jahr zu Weihnachten kurze Sätze zu Papier gebracht hat:
1918 / Welch traurige Zeiten, unser innig geliebter Otto (Sohn) starb am 30. April für das Vaterland, liegt in Frankreich begraben. Kaiser und Fürsten abgesetzt, unser Kaiser weilt in Holland. Gott sei Dank sind Ludwig (Sohn) und Otto, der Schwiegersohn (mein Großvater) zurückgekehrt. Das liebe Clärchen (Tochter und Ordenschwester die die Verwundeten betreute) ist in Stromberg am linken Rheinufer. Von dort aus konnte sie den Kanonendonner hören, hat auch den traurigen Rückzug gesehen. Auch das liebe Minchen (Tochter) hat lange Verwundete gepflegt. Sie ist unseres Alters Stütze und wird auch uns pflegen, bis uns der Herr abruft.
1919 / Beim Abnehmen des Weihnachtsbaumes am 30. Januar 1919. Die Zeiten sind in wirtschaftlicher Beziehung schwerer geworden. Lebensmittel beinahe nicht zu bezahlen. Otto (mein Großvater, der nun Zollbeamter bei Riebe an der dänischen Grenze war) ist zum 1. Februar nach Magdeburg versetzt, weil das Land dänisch geworden ist.
1920 / Sind immer noch schwere Zeiten. Die vielen Feinde möchten unser Vaterland ganz vernichten. Doch über allen steht ein stärkerer. Er will alle durch die Not näher zu sich ziehen, weil auch in unserem Vaterland viel Gottlosigkeit war.
1921 / Unser Vaterland wird nun auch vom Feinde geknechtet, Schiffe, Gewehre sind uns genommen. Wir müssen um Aufschub der vielen Kriegsschulden bitten, ist aber bis heute noch nicht bewilligt. Die Feinde wollen unsere Steuern, Eisenbahnen, Bergwerke mit Beschlag belegen. Wovon sollen denn unsere Existensmittel beschafft werden? Über all dem steht jedoch unser Gott. Er allein weiß, weshalb wir geknechtet werden. Sicher, dass wir mehr seine Gebote halten sollen.
1922 / Am 13. Oktober ist unser lieber Vater (Ehemann) heimgerufen. Wohl ihm, dass er allem Erdenleid entrückt ist.
Wir haben um unseren Unterhalt zu sorgen, doch verzagen wir nicht. 1/2 Margarine kostet jetzt 1350 Mark, ein 1900 Gramm Brot 840 Mark.
Doch nun sind wir wieder im Jahr 1918, der Krieg war vorbei. 25 Länder waren im Kriegszustand gewesen, und drei Viertel der Weltbevölkerung waren auf irgendeine Art davon betroffen.
Aber so groß die Freude darüber auch war, weil das Grauen nun ein Ende hatte, so konnten sie doch Millionen Menschen aus allen beteiligten Ländern nicht teilen. Sie hatten ihre Söhne, Ehemänner oder Väter verloren. 10 Millionen an der Zahl. Man kann es an den Kriegsdenkmälern sehen, die es in jeder Stadt, in jedem Ort und in jedem Dorf dokumentieren. Auf diesen sind die Namen der Gefallenen und die der Vermissten, die irgendwo vorschollen und nie wieder aufgetaucht sind, in den Stein graviert. 20 Millionen weitere wurden verwundet. Eine Million sind verhungert. Und auch sieben Millionen Zivilisten, die irgendwo in der Nähe der Fronten oder in den Weiten Russlands ihr Zuhause hatten, wurden, wie auch immer, getötet.
Während der Krieg Deutschland kaum berührte, wurden in Frankreich ganze Landstriche verwüstet. So wurden viele Dörfer dem Erdboden geichgemacht, eine halbe Million Häuser zerstört. Und das 800 km lange Gebiet dieser Front, die vom Ärmelkanal bis zur schweizer Grenze verlief, von zig Millionen von Granaten zerschossen, war zu einer öden Wüstenei geworden, war doch der Mutterboden in tieferen Schichten des Erdreichs verschwunden. Dort wuchs kein Grashalm mehr. Auch die Natur war verwundet und vergiftet. Erst heute kann an vielen ehemaligen Frontabschnitten wieder aufgeforstet werden. Doch die Narben in der Landschaft blieben erhalten. Sie bieten auch jetzt noch ein eindrucksvolles Zeugnis von dem gigantischen Beschuss.
Wie schwierig die Situationen für die traumatisierten Soldaten war, in einen normalen Alltag zurückzufiden, habe ich bereits angesprochen. Wir kennen es auch aus Büchern und Filmen, die diese Probleme beschreiben. Ein solches Grauen kann an keinem Menschen wirkungslos vorübergehen. Wer gesehen hat wie seine Kameraden gefallen sind, ihre zerrissenen und verwesenden Körper vor Augen hatte, ihre gräßlichen, qualvollen Todesschreie, die oft nicht enden wollten, vernommen hat, ihrem Sterben zusehen musste, ohne helfen zu können, wer die Leichenteile in den Bäumen gesehen hat, die durch die Explosinen hinaufgeschleudert wurden. Und derjenige, der natürlich auch selber getötet, gemordet hat. Weil er keine Wahl hatte, weil er es musste. Wer das alles im grausamen Stellungkrieg zwischen den Schützengräben beider Seiten erlebt hat, der konnte diese furchtbaren Bilder wohl kaum jemals loswerden. Jeder hatte seine eigene Art, damit fertig zu werden. Die einen hatten diese Bilder zeitlebens in Tag- und Nachtträumen vor Augen. Andere versuchten sie in die hintersten Winkel ihres Gehirnes zu verdrängen, aus ihrem Leben zu verbannen. Und wiederum andere wurden nie damit fertig.
Wer nun am Ersten Weltkrieg die Schuld trägt, darüber sind sich die Historiker bis heute nicht ganz einig. Aber es steht wohl außer Zweifel, dass Deutschland die treibende Kraft war, wollte es doch durch Gebietsausdehnung eine Weltmacht werden. Deutschland setzte Österreich unter Druck, auf dem Balkan einen Angriffskrieg zu eröffnen. Das wiederum legimitierte Deutschland aus deutscher Sicht dazu, in den Krieg einzugreifen. Und es waren wohl die am Anfang geschilderten Spannungen, die Sucht des Mannes nach Ruhm und Ehre, die aus einer Zeit stammt, als noch mit Säbel Mann gegen Mann gekämpft wurde (was nicht weniger mörderisch war) und wohl auch die militärische Stärke eines Landes, dem es damals mehr oder weniger zugebilligt wurde, sein Territorium zu vergrößern, wie und auf welche Art auch immer. Schon immer hatte der Stärkere die Macht. So war das 18. Jahrhundert das der Franzosen und das 19. Jahrhundert das der Engländer. Nun sollte ein Jahrhundert der Deutschen kommen.
Doch die deutsche Politik und erst recht das deutsche Militär haben sich bei ihrem Vorhaben alles andere als geschickt angestellt. Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass dieser Krieg von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Durch den unausgegorenen Schlieffen-Plan, der das neutrale Belgien mit einbezog, hatte man plötzlich neben den Russen und Franzosen die starken Engländer gegen sich. Als dann noch der U-Boot-Krieg angezettelt wurde, rief das die noch wesentlich stärkeren Amerikaner auf den Plan. Und nachdem Russland durch die Revolution kein Gegner mehr war, wurde es versäumt, die dort versammelten Kräfte, die weiterhin im Osten für eine spätere deutsche Besiedlung Land in Beschlag nehmen sollten, an die Westfront zu stellen, einen Einfrontenkrieg zu führen. Damit wurde auch die letzte Chance vertan, einen besseren Ausgang des Krieges zu erreichen. So summierten sich die Fehler.
Doch fast alles das,ich wiederhole es noch einmal, was damals geschah und was aus heutiger Sicht verbrecherisch ist, war es damals eben nicht. Davor und bis hin zum Ersten Weltkrieg hatte die Welt ein völlig anderes Verständnis von Kriegen, erachtete sie als legitim.
Sicher hatte Deutschland den größten Anteil an den folgenschweren Geschehnissen. An kriegerischen Geschehnissen, die die Welt bis dahin nicht gekannt hatte. Und die Entwicklung der Technik sorgte damals nicht nur für vereinfachte und bessere Lebensverhältnisse, sondern auch für immer ausgefeiltere Waffensysteme. Sie katapultierte den Krieg in eine neue Dimension. Menschen kämpften mit Maschinen gegen Maschinen, die von anderen Menschen bedient wurden. Der Krieg wurde sozusagen indrustrialisiert, und er wurde zu einer gigantischen Materialschlacht. Das war neu, und daraus entstand ein ungeheures Gemetzel. Und dass sich aus diesen Geschehnissen im nächsten Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, nur 26 Jahre später, ein noch größeres Leid entwickeln sollte, das konnte zum Ende dieses Ersten Weltkrieges niemand ahnen.
Siehe auch:
- Vor 100 Jahren endete der 1. Weltkrieg - historische Fotos, in Russland aufgenommen, zeigen einen Krieg einer neuen Dimension
- Vor 66 Jahren endete der 2. Weltkrieg - Was erinnert heute in Hannover noch daran. Eine Spurensuche.
Ein wirklich beachtenswerter Beitrag.
Der "Opa am Isonzo" war zu meiner Kinderzeit immer so ein Spruch, den heute wohl keiner mehr kennt. Die Geschichte dahinter war uns damals meist unbekannt. In Kortrijk in Belgien habe ich jüngst auch etwas mehr von Deutschen Besatzern während der letzten beiden großen grausamen Kriege erfahren.
Man darf und soll immer daran erinnern.