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Hannover-Bothfeld: Eine Ortsgruppe löst sich nach über 100 Jahren auf und kaum einer merkt es

  • Vorderseite der ersten Fahne mit Angabe des Gründungsjahres "1910"
  • hochgeladen von Bernd Sperlich

Im Jahr 2010 feierte die Ortsgruppe „Klein-Buchholz.Bothfeld.Lahe“ des Vereins „Heimatbund Niedersachsen e. V.“, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, 100-jähriges Bestehen. Heute, wir schreiben das Jahr 2012, existiert die Gruppierung de facto nicht mehr. Vorsitzende Rosemarie Suttkus beantragte zum 31. Dezember 2011 beim Mutterverein „Heimatbund Niedersachsen e. V.“, nach einem vorausgegangenen Mitgliederbeschluss, die Auflösung. Eine Bilanz für das Geschäftsjahr 2011 erfolgte fristgemäß. Das Restguthaben wurde überwiesen.
Heimatbund-Vorsitzender Heinz-Siegfried Strelow „erbeutete“ aus dem Bestand der Ortsgruppe zwei Fahnen, ein Bronzepferd und das Original-Rechnungsbuch der Jahre 1921-1957.
Den Auflösungsbeschluss erklärte Frau Suttkus so: „Durch natürliche Fluktuation verringerte sich die Mitgliederzahl in den letzten Jahren enorm. Neue (jüngere) Mitglieder konnten nicht gewonnen werden. Keiner wollte sich mehr für unsere Ziele einsetzen“.
Tristesse-kein örtliches Presseorgan bzw. Verbraucherblatt berichtete bis dato über das Ende des Heimatvereins. Keine Würdigung des über 100-jährigen Wirkens für die Belange der Bürger in unserer Region. Auch „Heimatland“, Zeitschrift des Heimatbundes Niedersachsen, unterrichtete die Leser noch nicht vom „Aus“ der Ortsgruppe.
Aber gut, dass es Myheimat gibt.
Der Entwurf eines Artikels über die Ortsgruppe „Klein-Buchholz.Bothfeld.Lahe“, der 2009 im Heimatbuch „Von Botvelde 1274 bis Bothfeld 2009“ in kaum veränderter Form erschien, soll noch einmal an die Historie erinnern:

„Der Heimatbund Niedersachsen e.V. wurde im Jahr 1901 mit Sitz in Hannover gegründet.
Das Gründungsjahr der Gruppe Klein-Buchholz-Bothfeld-Lahe im Jahr 1910 verrät deren Originalfahne, die im Besitz der 1. Vorsitzenden Frau Rosemarie Suttkus* ist:
*Aktuelle Anmerkung 25.06.2012: Die Fahne ist jetzt in der Geschäftsstelle des Vereins „Heimatbund Niedersachsen e. V.“, Walsroder Straße 89, 30851 Langenhagen zu sehen.
Auf der Vorderseite ist das weiße Niedersachsen-Ross vor einem kreisförmigen, roten Hintergrund abgebildet. Ein Eichenkranz in hellgrünen Farben und ein mit ‘Gegr. 1910‘. versehenes Wappenschild umrahmen das Ross. Oberhalb dieses niedersächsischen Symbols ist ein nach innen gewölbter, schwarzer Schriftzug ‘Heimatbund Niedersachsen„ eingestickt. Im unteren Bereich ist der nach außen gewölbte, in braun gehaltene Schriftzug
‘Klein-Buchholz Bothfeld Lahe‘ mit den reichlich verschnörkelten Ornamenten eine Reminiszenz an den Jugendstil. An den vier Ecken, eingerahmt von grün-gelben Quadraten, werden in blau unterlegter, schwarzer Schrift die moralischen Leitlinien ‘Für Wahrheit Freiheit Recht‘ in Erinnerung gerufen.
Auf der Fahnen-Rückseite ist mittig wieder etwas typisch Niedersächsisches erkennbar:
Eine mächtige Eiche mit einem dicken, braunen Stamm und weit ausladenden Ästen, auf denen ein grün-gelbes Blätterdach ruht. Der Baum steht auf grünem Untergrund und wird von zwei halbkreisförmigen Eichenblätterzweigen umrahmt, deren Farben braun, gelb und grün sind. Links und rechts davon ist in schwarzer Schrift mit ‘1922‘ das Jahr der Fahnenweihe angegeben. In der oberen Hälfte ist in schwarzer Schrift der Wahlspruch der Niedersachsen zu lesen:
SOLANGE NOCH DIE EICHEN WACHSEN IN ALTER KRAFT UM HOF UND HAUS, SOLANGE STIRBT IN NIEDERSACHSEN DIE ALTE STAMMESART NICHT AUS !
Die umrahmenden Ornamente (Balken und Eichenzweige mit Blättern) weisen dunkelbraune und hellgrüne Farben auf. Die äußere Stofflage besteht aus gealteter Seide. Auch einige Ablösungen sind zu erkennen. An drei Seiten ist die Fahne mit braunen Fransen verziert. Acht Schlaufen ermöglichen die Befestigung an einer Fahnenstange.
Die Fahnenweihe erfolgte im Rahmen eines großen Heimatfestes, das in großen Festzelten am 21. und 22. Mai 1922 im Garten der Gastwirtschaft Wöhlers Gasthaus, Inhaber Fritz Koch (Podbielskistraße), gefeiert wurde.
Inzwischen ist der Heimatbund Klein-Buchholz‡Bothfeld‡Lahe im Besitz einer neuen
Fahne. Viele Elemente wurden von der Vorgängerfahne übernommen. Das Gründungsdatum ist jedoch mit „1922“ (Jahr der Fahnenweihe) angegeben worden! Ein Versehen?

Ein Rechnungsbuch gibt Auskunft über Vereins-Aktivitäten

Der Heimatverein Klein-Buchholz•Bothfeld•Lahe ist im Besitz eines Rechnungsbuches, das alle Ein- und Ausgaben der Jahre 1921-1957 dokumentiert. Erst seit diesem Zeitraum wissen wir etwas über die Vereinsstrukturen, da das Protokoll von der Gründungsversammlung (1910) verschollen ist. Um einen Eindruck von den Vereinsaktivitäten kurz nach dem
1. Weltkrieg zu vermitteln, soll hier der Geschäftsbericht des Jahres 1923 in Auszügen wiedergegeben werden:
__ Der Mitgliederbestand ist im verflossenen Jahr der gleiche geblieben und zählt heute
148 männliche und 3 weibliche Mitglieder.
__ Ende Januar veranstaltete unser Bund einen geschlossenen Ball beim Mitglied August Noltemeyer. Selbiger vernahm einen sehr guten Verlauf.
__ Einer Einladung des Gesangvereins Langensalza zu seinem 50-jährigen Bestehens leisteten wir Folge, alle übrigen Einladungen lehnten wir in Anbetracht der schlechten Verhältnisse* ab.
__ Anderen Vereinen folgend, gründeten wir im Monat Februar im Anbetracht der schweren Zeit, wo sich jedermann gegenseitige Unterstützung schuldig ist, eine Sterbekasse**, welche ihre segensreichen Wirkungen bereits verschiedenen Mitgliedern zuteil werden lassen konnte.
__ Im Mai feierte unser Mitglied Fritz Koch seine silberne Hochzeit und erhielt ein Diplom (Verleihung einer Urkunde).
__ Zur Einweihung des Kriegerdenkmals*** im September waren wir mit der Fahne dabei und legten einen Kranz nieder.
__ Anlässlich der Trauerfeier unseres verstorbenen Herzogs**** war unser Verein in der Marktkirche und in der Stadthalle mit einer Fahne vertreten.
__ Als Folge der furchtbaren Geldentwertung war es leider nicht möglich irgendwelche Rücklagen zu machen, möge uns das kommende Jahr in dieser Beziehung eine bessere Zeit bringen.
* Gemeint ist die massive Geldentwertung in den Jahren 1922/23, die erst im November des Jahres 1923 gestoppt wurde.
** Im Jahr 1930 zählte die Sterbegeldkasse rund 225 Mitglieder. Versichert waren in der Regel Selbstständige (häufig Gastwirte, Kleinhändler, Bäcker, Schlachter, Meister aus dem Maurer-, Klempner- und Zimmererhandwerk, aber auch „kleinere“ Landwirte mit Nebenerwerb), sowie abhängig Beschäftigte (Beamte, Arbeiter und Angestellte). Nach dem 2. Weltkrieg gab es einen rapiden Mitgliederschwund. Die Folge war, dass im Jahr 1950 die Kasse aufgelöst und die eingezogenen Beiträge ausbezahlt wurden.
*** Denkmal an der Bothfelder Kirche zu Ehren der im 1. Weltkrieg gefallenen Väter und Söhne der Gemeinde Bothfeld.
**** Ernst August, Herzog von Cumberland und zu Braunschweig-Lüneburg, starb am 14. November 1923 in der österreichischen Gemeinde Gmunden.

Trotz politisch veränderter Lage änderten sich die Aktivitäten des örtlichen Heimatbundes in den 30er-Jahren kaum. Geselliges Zusammensein stand weiterhin im Vordergrund.
Zum festen Bestandteil des Veranstaltungskalenders gehörten Stiftungsfest im Februar oder März (oft zusammengelegt mit einer Fastnachtsveranstaltung), Sommerfest, diverse Heimatabende und das Wurstessen im November. Ein jährlicher Ausflug in die nähere oder weitere Umgebung Hannovers stand auch immer auf dem Programm.
Die Mitgliederbetreuung nahm einen breiten Raum ein. Bei Hochzeitsjubiläen verteilte man fleißig Geschenke und Diplome. Beerdigungen wurden immer sehr feierlich begangen. Wilhelm Kämpfer aus der Kurze-Kamp-Straße war für die Kranzbeschickung zuständig. Eine mehrköpfige Musikkapelle, flankiert von einem Fahnenträger, intonierte dabei Choräle.
Nur selten wurde der Heimatbund politisch aktiv. Wohl auf Druck bzw. Anordnung der NSDAP-Ortsgruppe Bothfeld, Gernsstraße 21, taucht im Rechnungsbuch des Jahres 1935 die Ausgabeposition „Beitrag für Judenschilder = 4 Mark 50 Pfennig“ auf. Vermutlich war es ein Rechnungsbeitrag für die Informationstafeln der Nationalsozialisten: „Die Juden sind unser Unglück-Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter“. Leider konnte nicht ermittelt werden (kein lebender Zeitzeuge erinnert sich), wo in Bothfeld und Klein-Buchholz/Lahe diese so genannten „Stürmer-Kästen“ standen.

Von der Neugründung nach dem 2. Weltkrieg bis heute

Die alte Heimatbund-Gruppe gab es nicht mehr. Eine Neugründung erfolgte am
17. April 1948. Im Jahr 1957 hatte der Verein Klein-Buchholz•Bothfeld•Lahe bereits wieder über 100 Mitglieder. In den 50er-Jahren trafen sich die Mitglieder häufig bei Karl Halberstadt im „Bothfelder Garten“. Später dann bei Herta Ertmer in der Gastwirtschaft
„ Försterchristl“, Rauschenplatstraße 23.
Diese Gruppe pflegt heute an erster Stelle das gesellige Zusammensein. Bei Treffen und Feiern leben die alten Zeiten („Kannst Du Dich erinnern?“) noch einmal auf.
Zweimal im Jahr werden bei einer Tagesfahrt interessante Ausflugsziele Norddeutschlands angesteuert. Obligatorisch ist das Wurstessen im November und die Weihnachtsfeier bei Rahlfs. Anläßlich des Volkstrauertages wird am Ehrenmal an der Bothfelder Kirche „Fahne gezeigt“. Die Kosten für den niederzulegenden Kranz teilt man sich mit den anderen Bothfelder Vereinen.
Bei schweren Krankheiten und Geburtstagen wird ein Besuchsdienst angeboten“.

  • Vorderseite der ersten Fahne mit Angabe des Gründungsjahres "1910"
  • hochgeladen von Bernd Sperlich
  • Bild 1 / 3
  • Rückseite der Originalfahne mit dem Jahr der Fahnenweihe "1922"
  • hochgeladen von Bernd Sperlich
  • Bild 2 / 3
  • Gedenkblatt, gewidmet vom "Heimatbund Niedersachsen", Ortsgruppe "Klein-Buchholz.Bothfeld.Lahe
  • hochgeladen von Bernd Sperlich
  • Bild 3 / 3

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5 Kommentare

Die Zeiten ändern sich. Das ist ein blöder Spruch, besonders, wenn es Vereine betrifft, die die 100 hinter sich haben. Das ist aber überall so. Individualisten werden immer weniger, bei Euch, im Sport, wo man auch hinschaut.
Nicht nachtrauern. Die freigewordene Zeit in die Familie (oder eigene Freizeit) einbringen.

Auf facebook wurde gerade eine Gruppe gegründet, in der sich Langenhagener über das "alte" Langenhagen austauschen können. Es ist total spannend, was für Kindheitserinnerungen dort wieder geweckt werden und wer noch Bilder aus den letzten 40 Jahren gefunden hat. Über 800 Mitglieder hat die Gruppe übrigens schon. Wer weiß, ob sich daraus einmal mehr ergeben wird.

Schade, dass es bei euch so ausgegangen ist. Aber Vereine haben es heute wohl wirklich schwerer, Ehrenamtliche zu finden, die sich mit viel Engagement einer Sache verschreiben.

Ja, Kurt, Zeiten ändern sich, man kann sich austauschen in Foren und Netzwerken, zur Lösung von Problemen vor Ort muss ein Verein nicht mehr zwangsläufig gegründet werden, Stammtische in rauchgeschwängerten Klubzimmern haben ausgedient, schade eigentlich, seinem Kontrahenten in bierseliger Stimmung die "Meinung zu geigen" hatte doch 'was.
Katja, wie nennt sich die Gruppe?

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