Wie schnell bewegt sich der Mensch, wenn er zu Hause bequem im Fernsehsessel sitzt?

Raum und Zeit gehören untrennbar zusammen. Sie bilden die Raumzeit, ohne die es uns nicht geben würde. Ein Wunderland ist unser Universum tatsächlich, übersteigt es doch unsere Vorstellungskraft über Größenordnungen, Geschwindigkeiten und Zeitabläufe.
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  • Raum und Zeit gehören untrennbar zusammen. Sie bilden die Raumzeit, ohne die es uns nicht geben würde. Ein Wunderland ist unser Universum tatsächlich, übersteigt es doch unsere Vorstellungskraft über Größenordnungen, Geschwindigkeiten und Zeitabläufe.
  • hochgeladen von Kurt Wolter

„Was soll der Quatsch, was soll diese Frage?“, wird sich vielleicht so mancher denken. Natürlich bewegt er sich nicht, sitzt er doch still da, schaut auf die Mattscheibe und greift vielleicht mal in die vor ihm auf dem Tisch liegende Chipstüte, zum Wein- oder zum Bierglas. Aber wenn man mal genauer darüber nachdenkt, dann kommt man doch zu einem anderen Schluss.

Wie oft hat man sich schon einen schönen Sonnenuntergang angeguckt. Und man hat sich darüber gefreut, wenn der glutrote Ball wie im Zeitlupentempo hinter dem Horizont versank, nur noch ein rötliches Leuchten übrig lassend, bevor es dann langsam dunkel wurde. Das ist immer wieder ein attraktives Naturschauspiel. Doch ist es wirklich die Sonne, die dort versinkt? Natürlich nicht, auch wenn es so aussieht. Denn wir wissen schließlich, dass es die Erde ist, die sich da dreht, nämlich von West nach Ost und die diesen Effekt nur vortäuscht. Und mit ihr bewegen auch wir uns mit, auch wenn wir still im Sessel sitzen. Doch wie schnell eigentlich?

Die Erde dreht sich an einem Tag einmal um ihre eigene Achse, also in 24 Stunden. Das ist ein ordentliches Tempo. Wer zum Beispiel am Äquator wohnt oder wer in Kenia oder Indonesien Urlaub macht, auf den schönen Inseln Borneo oder Sumatra, der bewegt sich, wenn er dort am Strand in der Sonne schmort, mit einer Geschwindigkeit von 40.000 Kilometern am Tag, entspricht das doch dem Erdumfang. Bei uns in Deutschland auf den mittleren Breitengraden ist es natürlich entsprechend weniger, ist doch die Rundumdistanz deutlich kürzer. Es sind etwa 25.000 Kilometer. Doch für unsere Rechnungen bleiben wir jetzt mal am Äquator.

Wer liegt unter hochstehender Sonne auf diesen schönen Tropeneilanden schon 24 Stunden auf seinem Handtuch am Strand? Also stellen wir uns das mal anders vor. Wir nehmen nun kleinere Zeiteinheiten zu Hilfe. In einer Stunde macht das immerhin 1666 Kilometer. (Die Stellen hinter dem Komma lassen wir jetzt einfach mal weg, wollen wir doch nicht pedantisch sein.) In der Minute 28 und in der Sekunde einen knappen halben Kilometer. Genauer gesagt, 463 Meter. Zum Vergleich: Wer zum Beispiel mit seinem Porsche mit Tempo 250 km/h über die Autobahn donnert, der schafft gerade mal 70 Meter. Also sind wir, wenn wir das mal mit anderen Geschwindigkeiten vergleichen, die wir aus dem Alltäglichen kennen, schon ziemlich schnell unterwegs, auch wenn wir keinen einzigen Schritt tun. Doch das ist noch gar nichts. Es geht noch schneller.

Da die Erdachse zur Sonne hin um 23,5 Grad schief steht, eiert unser Globus durch den luftleeren Raum. Das sorgt bei uns für die Jahreszeiten, für Sommer und Winter. Diese Brummkreiselbewegung lassen wir jetzt aber mal außer Acht, auch wenn sie eine zusätzliche Bewegung ergibt. Doch die fällt, auf die Sekunde gesehen, nicht sonderlich ins Gewicht. Also lassen wir sie einfach mal weg. Wer allerdings Spaß an Mathe hat, kann das ja mal ausrechnen.

Aber etwas anderes hat schon eine große Bedeutung, wenn es um die Geschwindigkeit geht. Das ist ein Jahr. Diese Zeitspanne benötigt die Erde, um unser sonniges Zentralgestirn einmal zu umrunden. Nicht ganz, und deswegen gibt es Schalttage und Schaltsekunden. Doch wir machen unsere Rechnung ja nur über den Daumen, wollen wir doch nicht pedantisch…. Übrigens: Wenn man die Schaltzeit weglässt, ergibt das die Sternzeit. Und die gibt´s tatsächlich, nicht nur auf der Enterprise.
Die Erdumlaufbahn, die nicht ganz einem Kreis entspricht, hat eine Länge von 450 Millionen Kilometern. Die gewaltige Strecke rechnen wir jetzt wieder durch Tage, Stunden, Minuten und Sekunden. Das ergibt gut 14 Kilometer. Diese Strecke legen wir also zusätzlich zur Erddrehung zurück, wenn wir weiterhin in unserem Sessel sitzen geblieben sind, zumindest am Äquator. Stehen wir allerdings auf, um an den Kühlschrank zu gehen, kommt noch etwas dazu. Doch in unserem Fall bleiben wir jetzt einfach mal sitzen.
0,463 + 14 macht also 14,463. Mit knapp 14,5 Kilometern pro Sekunde sind wir nun noch deutlich schneller geworden, um ein Vielfaches sogar. Aber noch längst ist kein Ende der Fahnenstange in Sicht. Es geht noch schneller, viel schneller.

Wer auf dem Lande wohnt, weit weg vom Lichtmüll der Stadt, oder wer mal einen Bergurlaub gemacht hat, der hat vielleicht schon das eine oder andere Mal zum Nachthimmel hinauf geschaut und sich über das hell leuchtende Band der Milchstraße gefreut. Viele Menschen haben das noch nie gesehen, vielleicht aber mal davon gehört. Diese Milchstraße nun, was man mit bloßem Auge nicht erkennen kann, besteht aus viel Vakuum, Gaswolken, Dunkler Materie, Schwarzen Löchern und natürlich aus Sternen. Das sind rund 400 Milliarden, eine Zahl, die eigentlich nicht mehr vorstellbar ist. Das kann unser menschliches Gehirn nicht wirklich fassen - meines jedenfalls nicht. Die Milchstraße ist nun aber nicht ein schmales Band, so wie wir es von der Seite her sehen. In der Draufsicht ist sie eher ein großer runder Wirbel mit mehreren Armen, ähnlich dem eines Hurrikans, den wir von der Wetterkarte vor den Küsten Floridas kennen. Und dieser Wirbel dreht sich. Für eine Umdrehung in diesem Wirbel benötigt unsere Sonne 237 Millionen Jahre. Das klingt von der Geschwindigkeit her erstmal wenig, ist es doch scheinbar langsam. Doch wenn wir das wieder auf unsere Geschwindigkeit pro Sekunde umrechnen, so sind das immerhin 225 Kilometer, und das ist beachtlich. 0,463 + 14 + 225 macht 239,463 Kilometer. Das ist nun 16,5 mal schneller als in der Rechnung zuvor. Und das sind immerhin 14.368 km pro Minute, 862.067 km pro Stunde und 20 Millionen und noch mehr Kilometer an einem einzigen Tag. Die Rechnung für ein Jahr oder sogar ein ganzes Leben, wollen wir uns jetzt mal schenken. Aber es würde ziemlich viel werden. Doch nun geht´s weiter.

Unsere Milchstraße ist nicht allein im All, gibt es doch nach heutigem Wissensstand rund eine Billion davon. In astronomisch gesehen unmittelbarer Nähe haben wir eine Nachbarin, die Andromeda-Galaxie, die etwa doppelt so groß ist wie unsere Milchstraße. Und diese beiden Sterneninseln scheinen sich zu mögen, denn sie rasen mit großer Geschwindigkeit aufeinander zu. Diese Geschwindigkeit beträgt irgendwo um die 110 Kilometer pro Sekunde. In vielleicht drei bis vier Milliarden Jahren werden die beiden zusammenstoßen und sich über einen langen Zeitraum zu einer einzigen Supergalaxie vereinigen. Dieser Crash soll uns aber nicht weiter beunruhigen, denn geben wird es den Menschen dann schon lange nicht mehr. Interessant aber ist für uns, dass dadurch eine weitere Geschwindigkeit ins Spiel kommt.

Neben diesen beiden gewaltigen Sterneninseln gibt es in dem Galaxienhaufen, zu denen sie gehören, der so genannten Lokalen Gruppe, etwa 100 bis 200 weitere. Und durch die Krümmungen des Raumes, die sie durch ihre Anwesenheit gegenseitig zueinander erzeugen und die wir als Schwerkraft bezeichnen, die in Wirklichkeit aber gar keine Kraft ist, werden sie in komplizierte Bahnen gezwungen, die sie mit großer Geschwindigkeit durchlaufen. Oft um die 1000 Kilometer pro Sekunde.

Diese Lokale Gruppe gehört nun wiederum mit anderen Galaxienhaufen zum großen Virgo-Supergalaxienhaufen. Die Dimensionen werden also immer größer, und man wundert sich darüber, dass das alles und noch viel mehr in einen einzigen Raum passt. Aber der ist auch ziemlich groß, unwahrscheinlich groß. Heute etwa 20 Billionen Kubiklichtjahre.

Und alle Galaxienhaufen bewegen sich mit großen Geschwindigkeiten. Die einen hierhin, die anderen dorthin und insgesamt alle voneinander weg. Das Letztgenannte bedeutet, dass das Weltall expandiert, sich ausdehnt und ausdünnt, und auch das in unserer Nähe mit einer Geschwindigkeit von etwa 74 Kilometern pro Sekunde. Das passiert aber umso schneller, je weiter der Raum von uns entfernt ist, so dass zum Rande unseres beobachtbaren Universums sogar die Lichtgeschwindigkeit überschritten wird. Das hat zur Folge, dass Galaxien aus unserem Blickfeld verschwinden, da uns deren Licht nicht mehr erreichen kann. Man kann sich das so vorstellen wie bei einem Hefeteig, bei dem sich die Rosinen, je weiter sie von dessen Mitte entfernt sind, auch immer weiter und schneller voneinander entfernen. Bei der Ausdehnung des Raumes gibt es demnach keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Und auch beim Urknall wurde die Lichtgeschwindigkeit durch die Ausdehnung des Raumes schon um das Zigfache überschritten.

Alle diese Geschwindigkeiten summieren sich nun. Und bei allen diesen Bewegungen verliert man dann doch irgendwie den Überblick. Aber das soll uns eigentlich auch egal sein, ist es doch nur mal interessant darüber nachzudenken, mit welch hohen Geschwindigkeiten wir überhaupt unterwegs sind, allein schon ohne die Raumausdehnung, die wir mal außen vorlassen wollen, Hunderte oder vielleicht sogar über 1000 Kilometer in einer einzigen Sekunde. Und das auch, wenn wir nur in unserem Fernsehsessel sitzen oder am Strand liegen, ohne einen einzigen Schritt zu tun. Wir spüren überhaupt nichts davon, würden es auch nicht spüren, wenn wir mit fast Lichtgeschwindigkeit (knapp 300.000 km pro Sekunde) unterwegs wären. Auch die Astronauten auf der Internationalen Raumstation spüren es nicht, obwohl sie am Tag immerhin 16mal die Erde umkreisen und dabei zusätzlich die eineinhalbfache Distanz Erde/Mond zurücklegen. Am eigenen Körper spüren können wir dagegen Geschwindigkeit nur durch die Reibung an der Atmosphäre, oder bei Beschleunigung oder beim Abbremsen. Merken können wir es aber immerhin an der Bewegung der Gestirne über den Himmel, an Sonne, Mond, Planeten und Sternen.

Und nach diesen für uns eigentlich unnützen Gedankengängen, betrachten wir unsere schönen Himmelnachbarn nun mal mit etwas anderen Augen, aus anderem Blickwinkel.
Und wenn uns beim nächsten Mal auf der Autobahn ein Porsche überholt, dann wissen wir doch, wie unbedeutend langsam er zu den wirklichen Geschwindigkeiten unserer Welt unterwegs ist. Alles ist eben relativ, und das hat uns schon vor gut einem Jahrhundert ein Beamter des Schweizer Patentamts in Bern vorgerechnet.

Siehe auch: Unglaubliches aus der Welt des ganz Großen und des ganz Kleinen

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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