Weihnachten
Eis-Zeit - Wer erinnert sich an den Heiligabend 2002?
Schon Anfang Dezember des Winters 2002/03 wurde es in Hannover bitterkalt. Mitte des Monats konnte sogar der Maschsee freigegeben werden. Das war schon ungewöhnlich, zumal der Winter doch gerade erst begonnen hatte. Eine weiße Weihnacht wie in den beiden Vorjahren sollte es zwar nicht geben, trotzdem war dieser Heiligabend ein besonderer Tag, und nicht nur deswegen, weil es eben der Heiligabend war.
Als ich in Kirchrode am Morgen dieses Tages aus dem Haus trat, um die Zeitung aus dem Kasten zu nehmen, hätte ich mich fast auf den Hosenboden gesetzt. Die Eingangsstufen waren spiegelblank. Doch nicht nur das. Die ganze Welt lag unter einer dicken Eisschicht verborgen. Ob Gehwege, Straßen, Sträucher oder die Äste der Bäume, alles war von einer glänzenden Eisglasur überzogen, einer Märchenlandschaft gleich. Wenn schon kein Schnee, so dachte ich, hatte doch auch das seine winterlichen Reize. Glücklicherweise hatten wir schon am Vortag eingekauft. Doch wie am späten Nachmittag zur Kirche kommen? Denn ein Heiligabend ohne Christgottesdienst war für uns undenkbar. Es wäre kein richtiger Heiligabend gewesen. Nun waren inzwischen die Bürgersteige zwar gestreut worden. Doch genutzt hatte es nichts. Bei Temperaturen um die null Grad und leichtem Regen überzog sich der gefrorene Boden sofort wieder mit einer spiegelblanken Eisschicht.
Manchmal lohnt es sich Dinge aufzubewahren, von denen man meint, dass man sie eigentlich nicht mehr benötigt. Also auf den Boden gestiegen und aus dem untersten Karton die Steighilfen zum Unterschnallen unter die Schuhsolen rausgekramt, die einen früher in noch richtigen Wintern oder auch im Harz gute Dienste geleistet hatten. Mit diesen Gehhilfen und auch mit Teleskopstöckern ausgerüstet, die sonst nur im Alpenurlaub ihren Einsatz finden, wagte sich unsere Familie bei einsetzender Dämmerung in das vereiste Kirchrode hinaus. Die lange Ostfeldstraße hinunter kamen wir gut voran. Bestens ausgerüstet, besser als manche andere, die mit den Unbilden der Natur zu kämpfen hatten und mühsam versuchten auf den Beinen zu bleiben, erreichten wir die Jacobikirche. Zu unserem Erstaunen war sie trotz Allem bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch viele andere Gottesdienstbesucher hatten sich ähnlicher Hilfsmittel bedient, die vor dem Kirchenportal abgelegt wurden.
Nach dem „Oh du fröhliche“ lag Kirchrode auf dem Heimweg still und friedlich vor uns, wie man es nur selten erlebt hat. Kaum ein Auto fuhr, der Straßenbahnverkehr war völlig eingestellt. Während Reisende in ganz Norddeutschland die Heilige Nacht gezwungenermaßen auf Bahnhöfen oder in Zügen verbringen mussten, die wegen vereister Oberleitungen, vereister Weichen oder umgestürzter Bäume mitten auf der Strecke stehenblieben, erreichten wir problemlos unsere gemütliche Weihnachtswohnung. Wie gut hatten wir es da doch.
Zu späterer Stunde zog es uns aber noch einmal aufs Glatteis hinaus, lagen doch unterm Tannenbaum Steigeisen, die eigentlich erst im kommenden Sommer für Gletschertouren in den Alpen gedacht waren. Nun konnten wir mit ihnen, während andere auf der Straße ihre neuen Schlittschuhe ausprobierten, vor der eigenen Haustür über die dicke Eisglasur stapfen. Wer hätte das für möglich gehalten?
(Erschienen ist diese Geschichte am 18. Dezember 2008 auch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.)
PS
Später erfuhren wir in den Nachrichten und durch die Zeitung, wie chaotisch der Heiligabend war. Natürlich wollten viele Menschen verreisen und die Verwandtschaft besuchen, Eltern oder Kinder. Tausende hatten damit wenig Glück und verbrachten den Tag an Orten, mit denen sie nicht gerechnet hatten. So blieben vollbesetzte Züge auf freier Strecke stehen, da entweder die Oberleitung vereist war, weil Bäume, die durch die Eislast umgestürzt waren, die Gleise blockierten, oder weil die Weichen trotz Heizung eingefroren waren. Manche Reisende mussten so in den Zügen bis zu 16 Stunden ausharren. Andere erreichten zwar noch Bahnhöfe. Doch dann ging es nicht weiter. Anschlusszüge oder eine Weiterfahrt waren nicht möglich. Sie mussten in Hotels oder in Bahnhofshallen übernachten. Auf dem Flughafen in Langenhagen mussten Maschinen nach Hamburg oder Osnabrück umgeleitet werden. Die Straßenbahn konnte in Hannover und Bremen erst wieder am 1. Weihnachtstag mittags in Betrieb genommen werden. Viele Taxis fuhren wegen der Unfallgefahr überhaupt nicht. Auf der Autobahn zwischen Bad Nenndorf und Helmstedt ging gar nichts mehr. Der Verkehr war vollkommen zum Erliegen gekommen. Die Menschen wurden in ihren Autos vom Technischen Hilfswerk mit Decken und Heißgetränken versorgt. In vielen Orten gab es Stromausfall, teilweise den ganzen Tag oder noch länger. In den Krankenhäusern wurden rund um die Uhr Knochenbrüche operiert. Für viele Menschen wird es ein unvergesslicher Heiligabend gewesen sein, denn einen solchen Eisregen hatte es seit Menschengedenken an diesem Tag noch nicht gegeben.
Kurt, das hast du ganz wunderbar geschrieben, dieses Weihnachtsfest werdet ihr sicher
euer Lebtag nicht vergessen!!
In Berlin war es zum Glück nicht so schlimm, der Eisregen hat uns erst nach
Weihnachten erreicht.