Unterwegs am Montblanc (Fotos: Kurt und Markus Wolter)
Die Alpen haben diverse landschaftliche Höhepunkte zu bieten. Optisch allen voran natürlich das Matterhorn bei Zermatt, das aus der Nähe betrachtet aber eher ein großer Schotterhaufen ist. Dann bei Grindelwald das fantastische Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau. Der Anblick der gewaltigen Eiger-Nordwand. Der eindrucksvolle Talkessel von Saas Fee mit seiner Aneinanderreihung von Viertausendern, und der mächtige Monte Rosa-Stock, der zweithöchste Alpengipfel. Das sind wohl die Bekanntesten.
Eine Gebirgsgruppe jedoch, die bildet den absoluten Höhepunkt der Alpen. Und natürlich weiß wohl jeder, der sich in diesem Gebirgsmassiv so einigermaßen auskennt, um was es sich dabei handelt. Natürlich ist es das Montblanc-Massiv mit seinen vielen Gipfeln. Graubrauner Granit und weißglänzendes Eis in gewaltigen Dimensionen. Nirgendwo sonst in den Alpen kann man die Erhabenheit und Größe so empfinden wie gerade an diesen Orten. Und nirgendwo sonst in diesem mitteleuropäischen Gebirge ist der Höhenunterschied größer. Von Chamonix am Fuß des Montblanc bis zu dessen Gipfel sind es fast 4000 Meter. Das entspricht ungefähr der Höhendifferenz vom Mount Everest-Basislager bis zu dessen Gipfel. Wenn man allerdings vom Tal von Chamonix oder von der italienischen Seite von Courmayeur oder Entrèves zu den Höhen hinaufschaut, zu den spitzen Felsnadeln und der glänzenden Gipfelkuppe, dann kann man diese Dimensionen nicht im Entferntesten einordnen oder erahnen. Man erfährt sie erst dann, wenn man in das Gebirge eindringt, am Rande eines Eismeeres hinaufwandert, durch den Schnee der hochgelegenen Firnfelder stapft, oder sogar einen der vielen Gipfel erklimmt. Oder auch dann, wenn man mit der Seilbahn zur Felsnadel der Aiguille du Midi hinauffährt und dort aus 3800 Metern Höhe in die Runde und in die Tiefe schaut.
Aber wie überall und wo auch immer auf der Welt in einem Gebirge, ist das Unterwegssein in einem solchen nicht ungefährlich. Leider hält der Montblanc mit seinen benachbarten Gipfeln auch darin einen Rekord. Leider einen sehr traurigen. Wie viele Menschen in diesem Gebirgsteil der Alpen ums Leben gekommen sind, weiß niemand so genau. Aber man schätzt die Zahl auf ungefähr 6000 bis 8000 Tote. Und jedes Jahr wieder kommen etwa 100 dazu. Natürlich ist das eine gewaltige Zahl, die einen erschrecken lässt wenn man bedenkt, dass es am Everest etwa 300 Tote gegeben hat. Aber natürlich liegt es daran, dass dieses Gebiet besonders stark frequentiert wird. An manchen Schönwettertagen im Juli und im August sind bis zu 300 Bergsteiger allein auf dem Bossesgrat Richtung Gipfel unterwegs.
Jeder der in hochalpines Gelände vordringt weiß, dass es gefährlich sein kann. Aber sollte man es deswegen lassen? Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Doch für einen Berginteressierten oder –begeisterten stellt sich diese Frage nicht. Man tut sein Möglichstes, um die Gefahr zu minimieren. Aber man geht trotzdem los und lässt sich von der Berglandschaft verzaubern. Die meisten von uns steigen auch tagtäglich in ihr Auto, obwohl sie wissen, dass jedes Jahr auf deutschen Straßen Tausende Menschen ums Leben kommen. Und außerdem, sein wir mal ehrlich, ist es neben der großartigen Landschaft, der Freude an Bewegung in klarer Luft und der sportlichen Aktivität gerade auch das Wissen darum, dass eine Bergtour nicht ganz ungefährlich ist, was sie besonders reizvoll macht. Adrenalinstöße gehören eben auch dazu. Man erfährt diesen besonderen Kick, den das normale und geregelte Alltagsleben nicht zu bieten hat.
Wie dem nun auch sei. Wir sind viele Male im Hochgebirge unterwegs gewesen. Und einige wenige Male haben wir auch nicht ganz ungefährliche Situationen selbst erlebt oder von Anderen mit ansehen müssen. Wenn etwas passiert, dann geschieht es meistens durch eigenes Verschulden. Durch Unachtsamkeit, durch Unkonzentriertheit. Meistens auf dem Rückweg, weil dann die Kräfte nachlassen. Manchmal aber auch deswegen, weil jemand gerade zufällig zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist. Steinschlag, Eisschlag, ein Spaltensturz oder ein nicht vorhergesagter Wettersturz können zum Beispiel die Ursache sein.
Trotz dieses Wissens wollten wir nun jedoch auch irgendwann einmal den Versuch unternehmen, den Montblanc zu besteigen, ist das doch für jemanden wie uns, die wir nicht Extrembergsteiger sind, neben dem Erklimmen des Matterhorns der absolute Höhepunkt einer Alpengipfelbesteigung. Einmal auf dem Dach der Alpen stehen, von dort oben den Sonnenaufgang betrachten können. Das war unser Traum, und den wollten wir nun in Angriff nehmen.
Es war im Jahr 2005, als wir uns dieses Ziel gesetzt hatten. Wir wollten den Normalweg machen, der klettertechnisch nicht schwierig ist. Aber natürlich muss man auch auf diesem Weg trittsicher und schwindelfrei sein und natürlich alpine Erfahrung haben. Wir wussten auch, dass gerade auf diesem Normalweg die meisten Unfälle geschehen. Hinter der Tete Rousse-Hütte liegt am Fuß des 650 Meter hohen Felsaufschwungs zur Gouter-Hütte das Grand Couloir. Dabei handelt es sich um eine etwa 20 Meter breite Felsrinne, in der häufig Steinschlag abgeht, und die durchquert werden muss. Um auf diesem brisanten Wegabschnitt die Gefahr so klein wie möglich zu halten, hatten wir uns vorgenommen, den Aufstieg mitten in der Nacht zu beginnen, wenn der gefrorene Boden die Felsen festhält und es viel seltener zu Steinschlag kommt. Wir wollten also durch diese hohe Felspassage zur Gouter-Hütte aufsteigen, um von dort in einem Zug weiter zum Gipfel zu steigen. Zwar eine große Tour, doch unserer Meinung nach machbar.
So stiegen wir also an einem schönen Sommertag in St. Gervais in die Zahnradbahn und zuckelten die 12 Kilometer lange Strecke zur Endstation Nid d´Aigle hinauf. Von dort folgte der 800 Meter hohe Anstieg zur Tete Rousse-Hütte, in der wir übernachten wollten.
Bei schönstem Wetter und noch wärmender Abendsonne saßen wir auf den Felsen neben der Hütte, schauten auf die vergletscherten Hänge des Bionassay und auf das Grand Couloir, dass nicht weit entfernt war. Über uns baute sich die mächtige Felswand zur Gouter-Hütte auf. Und immer noch kamen viele Bergsteiger von dort oben herunter und mussten das Couloir durchqueren.
An diesem Abend war der Hang durch die Sonne anscheinend besonders aufgeweicht. Ständig kamen durch die Rinne Steinsalven herabgeschossen, fast ohne Unterlass. Nur ab und zu machten sie eine kurze Pause. Es sah gefährlich aus, wie die Bergsteiger, wenn der Steinschlag kurz aussetzte, durch die Rinne rannten. Nie würden wir diese am Tage durchqueren, das sagten wir uns. Und ich fragte mich schon, wenn denn der erste Mensch mit den polternden Felsen herunterkäme. Dass dieser unschöne Gedanke Realität werden sollte, das konnten wir nicht ahnen.
Wieder kamen Felsen aus großer Höhe herab. Und plötzlich erkannten wir, dass einer davon Arme und Beine hatte. Ein Mensch wurde erkennbar. Zwischen den Felsen überschlug er sich immer und immer wieder. Mehrere hundert Meter konnten wir die Fallstrecke verfolgen. Dann blieb der wohl schon längst tote Körper im unteren Teil der Rinne liegen.
Wir waren geschockt, ebenso wie andere, die vor der Hütte gestanden und den Vorfall beobachtet hatten. Unsere Knie wurden weich. Aus der großen Gefahr war bittere Realität geworden. Zum ersten Mal wurde uns so dramatisch vor Augen geführt, wie gefährlich eine Bergtour sein kann. Und damit stand für uns fest, dass wir diesen Normalweg auf den Montblanc nicht gehen würden, nie gehen würden. Da waren wir uns sofort einig. (Doch das "Nie" galt nur für den Moment. 11 Jahre später sollte Markus diesen Anstieg noch einmal machen, und dann mit Gipfelerfolg.)
Wenig später kam der rote Hubschrauber der Bergwacht, um die Leiche zu bergen. Ein Bergretter seilte sich ab und stieß den toten Bergsteiger an, so dass dieser den Rest der Rinne bis auf den Gletscher hinunterstürzte und damit nicht mehr in ganz so gefährlichem Gelände lag. Dann konnte er geborgen werden. Makabres Alltagsgeschäft für die Bergretter.
Ganz hoch oben im Hang sahen wir eine Gruppe von Bergsteigern als winzige dunkle Punkte bewegungslos verharren. Zu ihnen musste der Abgestürzte wohl gehört haben. Doch auch sie mussten nun, so schwer es für sie auch war, den weiteren Abstieg wagen und dann auch noch das Couloir durchqueren. Am Abend sahen wir sie mit gesenkten Köpfen ankommen.
Die folgende Nacht war schlimm. Sind sonst Hütten meistens überheizt, so lagen wir in dieser mit vielen anderen zitternd auf dem harten Boden der Stube, da natürlich keine Matratzen mehr frei waren. Und die ganze Nacht hörten wir das Weinen einer Frau aus dem Nebenraum.
So kehrten wir also damals um, ohne dem Montblancgipfel wirklich nahe gekommen zu sein. Doch so schlimm dieses Erlebnis für uns auch war. Mit der Zeit verblasst es dann doch, und zwei Jahre später waren wir wieder am Berg.
Dieses Mal hatten wir uns eine andere Besteigungsroute ausgesucht. Wir wollten mit der Seilbahn zur Aiguille du Midi hinauf, um von dort den Gipfel anzugehen. Der Weg führt durch ein weites Schneefeld, die steile Taculflanke hinauf, durch eine weite Firnsenke, die noch steilere Mauditflanke hinauf, wieder abwärts durch eine Senke, und dann die restlichen 400 Höhenmeter zur Kuppe. Insgesamt müssen dabei auf der ganzen Tour mit Gegenanstiegen in durchschnittlich 4000 Metern Höhe und ziemlich dünner Luft 1600 Höhenmeter erklommen werden. Es ist eine lange und teilweise sehr steile Strecke. Doch sie hat einen Vorteil: Da sie nur durch Schnee und Eis führt, gibt es keinen Steinschlag. Die Tour ist zwar wesentlich anspruchsvoller als der Normalweg. Doch sie schien uns ungefährlicher. Aber natürlich gibt es auf dieser Strecke eben andere Gefahren als lose Felsen. ( Im Sommer 2012 kamen genau auf dieser Strecke in der Taculflanke acht Bergsteiger ums Leben. Ein Eisturm war abgebrochen. ) Wir wollten vorsichtig sein. Wir, das sind wieder mein Sohn Markus, der klettertechnisch der Versiertere von uns beiden ist und ich. Viele Bergtouren hatten wir hinter uns. Und diese sollte, wenn sie denn gelingen sollte, die großartigste von allen werden.
Nun beginne ich in Chamonix an der Seilbahnstation mit meinem Bericht, den ich wenige Tage danach in meinem Tourenbuch aufgeschrieben habe.
Aufbruch in eine andere Welt
Gegen 16 Uhr finden wir uns an der Seilbahnstation in Chamonix ein. Diesmal, wie schon vermutet, gibt es keine Riesenschlange, fahren doch um diese Zeit nur noch wenige hinauf. Ein kleiner Teil davon sind Bergsteiger wie wir, die Ähnliches vorhaben. Trotzdem ist die große Kabinenbahn mit etwa 40 Personen aller Nationalitäten gut gefüllt. Deutsche sind, wie überhaupt in dieser Gegend, eher die Ausnahme.
Die Seilbahn fährt mit mächtigem Tempo einer grauen Wolkendecke entgegen. Schon den ganzen Tag über war es im Tal trübe. Doch wir wissen, dass es da oben anders sein soll. Schnell werden die Häuser von Chamonix kleiner. Das Tal mit seinen steilen Hängen liegt bald tief unter uns. Nach nur 12 Minuten Fahrzeit erreichen wir die Zwischenstation bei Plan de Aiguille in 2300 Metern Höhe. Während sich einige der Mitfahrenden auf die im tristen Wetter mattgrünen Hänge verstreuen oder dem Chalet zustreben, warten wir mit den meisten anderen auf die Gipfelbahn. Die Luft ist merklich kühler geworden. Pullover werden übergestreift. Die dicken, leicht durchhängenden Drahtseile der Bahn verschwinden nach 50 Metern im dichten Nebelgrau wie im Nichts. Ich muss an „Die unendliche Geschichte“ denken. Kurz darauf ist die große Gondel da. Nach dem Ausschaukeln können wir einsteigen. Noch einmal geht es nun 1500 Meter hinauf.
Um uns herum nichts als graue Suppe, eben das Nichts. Als ich 1979 zum ersten Mal hier herauf gefahren bin, hatte ich die schönsten Ausblicke auf die Gletscher. Nun gucken wir alle gegen eine scheinbar undurchdringliche Nebelwand. Der Druck auf die Trommelfelle lässt nach. Ich muss schlucken, um einen Ausgleich zu schaffen. Aber so merken wir, dass wir enorm schnell an Höhe gewinnen.
Plötzlich und unerwartet erstaunte Ausrufe aus vielen Kehlen. Wie ein Geschoss hat die Gondel im Bruchteil einer Sekunde die Wolkendecke durchstoßen. Das ging so schnell, dass man im ersten Moment gar nicht weiß wie einem geschieht. Aaahs und Ooohs von allen Seiten. Was wir nun sehen, ist fast unwirklich, wie die Kulisse eines fantastischen Hollywood-Filmes: Knallblauer Himmel über uns, eine watteartige Wolkenschicht unter uns, und aus ihr erheben sich weißglänzende von der Sonne angestrahlte vergletscherte Berggiganten.
Schwer beeindruckt betreten wir die Aussichtsplattform der Endstation auf dem Gipfel der Granitnadel in 3800 Metern Höhe. Eine fantastische Eiswildnis zeigt sich nach Südwesten hin. Die steilen, vergletscherten Hänge von Tacul und Maudit, die unseren Aufstieg bilden werden. Darüber erhebt sich die runde Gipfelkuppe des Montblanc. Dass wir dort hinauf wollen, können wir uns in diesem Moment nur schwer vorstellen. Wir sind beeindruckt, obwohl wir diese Szenerie kennen, Markus zumindest von Bildern her. Nach Südosten hin zeigt sich die Grandes Jorasses mit dem Walker-Pfeiler, der Traum vieler Extrembergsteiger weltweit. Neben Eiger-Nordwand und Matterhorn-Nordwand ist das eine der drei großen klassischen Nordwände der Alpen. Wir sind wie erschlagen vom Anblick dieses Panoramas. Dazu nur tiefblauer Himmel über uns mit einigen dünnen Cirruswolken und eine weiß leuchtende Wolkenschicht unter uns. Es ist wie der Blick aus einem Flugzeug.
Doch dann rutscht mir das Herz fast in die Hose. Wir blicken auf den mehr als schmalen Grat, der von der Station in den weißglänzenden Firn dieser Traumlandschaft hinunter führt. Tatsächlich nur über diesen kann man in diese herrliche Bergkulisse gelangen. Die Tourenbeschreibung im Buch habe ich wohl nicht so richtig gelesen. Denn wie ich hinterher feststellen werde, ist dort von einem sehr luftigen Grat die Rede. Zwei Bergsteiger steigen gerade hinunter. Ganz langsam, wie im Zeitlupentempo, setzen sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ich mag kaum hinschauen, wirken sie doch sehr unsicher. Am liebsten würde ich umkehren.
Zwar hatte ich vorgeschlagen, irgendwie auf dieser Station zu schlafen, und wenn es irgendwo in einem Gang gewesen wäre. Doch nun sehen wir ein, dass ein Abstieg über den schmalen Grat in der Finsternis nicht so günstig wäre. Also disponieren wir um und wollen versuchen trotz Wochenendes noch zwei Matratzen auf der nahen Cosmiques-Hütte zu bekommen. Notfalls würden wir auch auf dem Boden übernachten. Das kennen wir ja schon von der Tete Rousse Hütte auf dem Normalweg. Wenn es gar nicht geht, müssten wir eben zur Station zurückkehren.
Wenig später legen wir in einem kühlen, dämmrigen Gang die Steigeisen an. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zurre ich die Schnallen fest. Die dunklen Schutzbrillen aufgesetzt, dann geht es mit Gletscherausrüstung in das gleißende Licht hinaus. Während ich vorsichtig vorausschreite, folgt mir Markus mit wenigen Metern Abstand und dem Sicherungsseil in der Hand. Auch wenn der Grat im ersten Teil vielleicht nur 30 cm breit ist und es zu beiden Seiten tief hinunter geht, so merke ich doch schnell, dass es gar nicht so schlimm ist. Danach wird der Grat breiter, führt aber steil hinab. Tiefe Eisstufen erleichtern das Absteigen, bevor das Gelände harmloser wird, und wir erreichen bald das nur noch leicht geneigte Firnfeld. Das wäre also geschafft. Einmal kräftig durchgeatmet, und dann weiter.
Durch eine weite Senke führt uns die Spur durch den Firn in einem leichten Bogen um die Felsnadel der Aiguille du Midi herum. Wir bewundern den bizarren Granit mit dessen warmen braunen Farben, der so typisch ist für das Montblanc-Massiv und der sich vom tiefen Blau des Himmels so prächtig abhebt. Dort führt eine schöne Route zur Station hinauf. Kletterei bis zum vierten Schwierigkeitsgrad. Wäre auch sehr reizvoll. Nach links auf der weiten ebenen Schneefläche sind einige Kuppelzelte aufgebaut. Hatten wir in der Vorplanung zu diesem Urlaub damit geliebäugelt, dort auch unser Zelt aufzustellen, so waren wir später wieder davon abgekommen, nachdem wir gelesen hatten, dass es zum Schutze der Natur ausdrücklich verboten sei. Doch frage ich mich, was man da kaputt machen soll. Eine plane Fläche im Schnee schaffen, vielleicht noch einen Schutzwall drum herum. Dadurch entstehen keinerlei Naturbelastungen. Wie dem auch sei, nun ist die Hütte unser Ziel.
Nachdem wir 250 Meter abgestiegen sind, geht es wieder hinauf. Knapp einhundert Meter, dann haben wir die Cosmiques Hütte, die auf einer Firnkuppe liegt, erreicht. Die Sicht zu allen Seiten ist grandios. Doch dafür haben wir vorerst nur einen kurzen Blick, müssen wir uns doch zunächst um ein Schlaflager kümmern.
Der Hüttenwirt macht uns ordentlich zur Schnecke, da wir uns vorher nicht telefonisch angemeldet haben. Wir sind ganz klein mit Hut und versprechen, es beim nächsten Mal zu tun. Doch dafür bekommen wir, wieder erwarten, tatsächlich noch zwei Matratzen. Dabei ist es doch Wochenende. Aber der Montblanc wird eben über diese schwierigere Route, vor dessen Gefährlichkeit uns der Wirt noch einmal ausdrücklich warnt, eben nicht so viel bestiegen. Das soll uns nur Recht sein, wenn wir an den endlosen Konvoi über den Dom du Gouter und den Bossesgrat denken.
Während sich die anderen Bergsteiger - vielleicht um die 30 bis 40 an der Zahl - in der Hütte aufhalten oder mal kurz auf die Plattform treten, hält es uns dort nicht. Wir steigen wieder ein Stück ab und gelangen zu einer markanten Felsgruppe, die sich am Rande des Firns schwarz-grau vor dem weiß leuchtenden Wolkenmeer abhebt. Dort lassen wir uns mit unseren Picknicksachen nieder.
Es gibt Eindrücke, die kann man weder in Wort, noch in Bild so wirklich wiedergeben. Einen solchen hatten wir 1999 bei der totalen Sonnenfinsternis. Und nun ist er wieder da, einer dieser magischen Momente, die es so selten im Leben gibt und die das Leben doch so lebenswert machen. Wir sitzen auf dem Fels über tiefem Abgrund und staunen, staunen über eine Szenerie, die so unwirklich schön ist, aber doch Wirklichkeit ist. Zwei-, dreihundert Meter unter uns die weiß leuchtende Wolkenschicht mit ihren Wattebäuschen. Daraus streben die glänzenden, vergletscherten Flanken von Tacul und Maudit empor. Darüber thront majestätisch, wie es sich gehört, der höchste Gipfel Europas (oder ist es doch der Elbrus, die Gelehrten streiten darüber), der Montblanc. Und über allem in den angenehm wärmenden Strahlen der Abendsonne ein tiefblauer Himmel. Dabei muss ich an ein Zitat von Goethe denken, der 1779 in Chamonix war, von dort nach Montenvers hinaufgestiegen war und von dort über das Meer de Glace geblickt hat. Treffender könnte es zu diesen Anblicken nicht sein:
Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das Aug` und die Seele an sich....Wenn sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit der freien Luft mannigfaltig daliegen; da gibt man gern jede Prätension ans Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann...
Lange sitzen wir da, lassen uns die Brötchen mit leckerem Käse schmecken, steigen mal von einem Felsen zum anderen, oder auch mal über den nahen Firnkamm mit Blick auf das Hochplateau und die Grandes Jorasses. Natürlich kann Markus auch das Klettern an dem rauen Granit nicht sein lassen. Es ist einfach schön, dieses feste Gestein auf der Handfläche zu spüren.
So nach und nach tauchen im Nordwesten so einige wenige Gipfel aus dem Wolkenmeer empor. Welche mögen es sein? Wir wissen es nicht oder können nur Vermutungen anstellen. Auch versuchen wir die Entfernung zu dem Wolkenbergen am Horizont zu schätzen. Wie weit mögen sie entfernt sein? 200, 300 Kilometer, oder sogar noch weiter? Zumindest irgendwo in dieser Größenordnung muss es sein.
Ich habe nicht die geringste Lust in die Hütte zu gehen und würde mir am liebsten noch den Sonnenuntergang über dem Wolkenmeer anschauen. Doch nach halb neun beziehen wir dann doch unser Nachtlager. Schließlich ist um ein Uhr wecken angesagt. Eine große und anstrengende Tour erwartet uns. Wie groß sind wohl die Chancen, das Dach der Alpen diesmal zu erreichen? Morgen werden wir es erfahren.
An den Flanken des Montblanc
Natürlich habe ich unruhig geschlafen. Das macht auch die dünne Luft in 3600 Metern Höhe. Der Flachland-Organismus ist darauf, trotz relativ guter Akklimatisation im Vorfeld durch die anderen Touren, nicht ausreichend eingestellt. Die Umstände sind Stress für ihn, und er wird selbst im Ruhezustand wesentlich mehr gefordert.
Nach einem guten Frühstück treten wir gegen halb zwei startfertig vor die Hütte. Die Nachtluft ist nicht wie erwartet kalt, sondern angenehm frisch und hat wohl nur wenige Minusgrade. Der halbe Mond bescheint die fahle Berglandschaft und taucht sie in ein leicht bläuliches Licht. Die uns umgebenen Gipfel wirken völlig anders als am Tage. Dass sie über 1000 Meter hoch sind, kann man sich kaum vorstellen. Nur die helleren Sterne blinken zunächst, bis sich die Augen nach einer Weile auf die Lichtverhältnisse einstellen und immer mehr von ihnen am Firmament sichtbar werden.
Ein leichter Abstieg führt uns in eine weite Senke hinunter. Kaum ein Wort fällt. Nur das Notwendigste, da wir außerdem am Seil auch zu weit auseinander gehen. Doch um diese Nachtzeit ist man auch nicht zu längeren Gesprächen aufgelegt, ist doch der Körper noch auf Ruhezustand eingestellt. Bald jedoch wird er gefordert. Wir erreichen die hoch aufragende Flanke des Mont Tacul. 500 Höhenmeter müssen wir bis zu seiner Schulter erklimmen, und das bei einem durchschnittlichen Steigungswinkel von 40 Grad. Das ist schon eine steile Angelegenheit. Auch hier frage ich mich schon beim Aufstieg, wie wir da später wieder runterkommen werden. Doch größere Gedanken mache ich mir darüber dann doch nicht, hat es doch auf unseren bisherigen Touren immer irgendwie geklappt und war auch immer einfacher als vorher angenommen.
Wir werden sogleich richtig gefordert. Der Firn ist zwar hart gefroren und eine Spur ist vorhanden. Doch die Höhe macht sich bemerkbar. Der Puls beschleunigt, um den erhöhten Sauerstoffbedarf aufzubringen. Deswegen ab und zu ein kurzer Stopp zum Durchatmen und zur Frequenzberuhigung.
Wir gewinnen schnell an Höhe. Auch wenn das Gelände steil ist, so stellt es doch keine Probleme dar. Fast keine Spalten, keine Bergschründe. Nach zwei Stunden Stapferei erreichen wir die Schulter, ein erstes Etappenziel. Zwei Müsliriegel reingestopft, auch wenn kein Appetit da ist. Ein Schluck aus der Flasche, und weiter geht`s. Zunächst leicht hinunter durch eine weit geschwungene Mulde. Ein kalter Wind fegt von Norden herüber. Ich ziehe mich wärmer an, noch zusätzlich eine Fließjacke unter. Ein slowenisches Ehepaar hat uns bei der Pause überholt und steigt voraus. Es geht wieder sanft bergauf, wird jedoch bald steiler. Die 300 Meter hohe Flanke des Mont Maudit baut sich vor uns auf. Doch dann ist mit dem Weitersteigen vorerst Schluss. Wo geht es weiter? Die Spur endet unter haushohen Eisblöcken. Zwar hatten wir von weitem schon hoch droben die winzigen Lichter tanzender Kopflampen entdeckt. Doch das hilft uns nun nicht weiter. Zwei Nachfolgende probieren es über die steilen Schneefelder nach links. Doch dort gibt es verdeckte Spalten, wie wir selber feststellen. Es ist uns zu gefährlich. Wir stehen etwas ratlos da, gucken hier und gucken da. Bald darauf erscheint ein Bergführer mit einem Ehepaar aus Sachsen. Auch er probiert einiges aus, wobei er unseren Blicken entschwindet, um danach hoch über unseren Köpfen im Eisgewirr wieder zum Vorschein zu kommen. Schließlich erscheinen zwei weitere größere Seilschaften mit Bergführern auf der Bildfläche. Sie kennen anscheinend den richtigen Weg und gehen zielstrebig voraus. Nach einigen Metern folgt eine sehr schmale, stark ausgesetzte Stelle, die um die Eisblöcke herum führt. Tief müssen wir uns beim Passieren unter ein Eisdach ducken und dabei sehr vorsichtig sein. Dann folgen wir in der einsetzenden Morgendämmerung den beiden Seilschaften. Zunächst bis auf einen Absatz. Dort legen die Vorsteigenden eine Rast ein. Wir steigen indessen an ihnen vorbei.
Das Gewirr der Blöcke haben wir hinter uns gelassen. Im 45-Grad-Winkel strebt die Bergflanke in weiten Schneefeldern steil empor. Für Autofahrer zur Verdeutlichung: das entspricht einem Steigungswinkel von 100 Prozent. Da noch keine Spur vorhanden ist, wählen wir zunächst einen direkten Weg. Später gehen wir kräftesparender im kurzen Zickzack. Es ist jedoch anstrengend, da wir häufig tiefer einsinken. Aber wir gewinnen auf diese Weise schnell an Höhe. Bald jedoch überholen uns zur Rechten die beiden Seilschaften. Die Bergführer wählen mit ihrer Erfahrung eben den leichtmöglichsten Aufstieg. Wir queren am steilen Hang zu ihnen hinüber und folgen in ihrer Spur.
Inzwischen ist es längst hell geworden. Unbeirrt stapfen wir unter einem dunkelblauen Himmel durch den knirschenden Schnee. Nur einige dünne Zirruswolken in großer Höhe oder ausfransende Kondensstreifen von Flugzeugen sorgen für Abwechslung am Himmel. Sonst ist er makellos. Was haben wir dieses Mal für ein Glück mit dem Wetter, besser könnte es nicht sein. Nur manchmal sind wir einem frischen Wind ausgesetzt. Doch dagegen können wir uns schützen.
Ab und zu bleiben wir stehen, atmen tief durch und senken wieder die Pulsfrequenz. Nach zwei weiteren Stunden kommt jedoch ein Moment, da fängt mein Puls an zu rasen. Nicht vor Anstrengung, sondern wegen des Anblicks, der sich uns nun bietet. Fast haben wir die Schulter des Maudit erreicht. Doch die letzten 60 Meter über einem Bergschrund haben es in sich. Aus dem 45-Grad-Hang werden über der Abbruchkante 55 Grad und mehr. Das ist schon sehr steiles Gelände. Doch gefühlt ist es noch wesentlich steiler. Wieder würde ich am liebsten umkehren. Auch wenn wir da hoch kommen, wie sollen wir da jemals wieder runter kommen? Schließlich fällt die Bergflanke unter uns 300 Meter tief ab. Einen Ausrutscher darf man sich da keinesfalls erlauben. Für mich ist das mehr als eine schwindelerregende Angelegenheit. Markus meint, dass wir uns auf dem Rückweg irgendwie abseilen könnten. Teilweise zerstreut er damit meine Bedenken. Also konzentriere ich mich zunächst auf das Hinauf.
Vor uns hat sich ein kleiner Stau gebildet. Nun beobachten wir zunächst andere Seilschaften, wie sie den Aufstieg bewältigen. Doch dann sind, hinter uns folgen schon wieder andere, wir dran. Markus steigt, während ich ihn mit dem Seil sichere, dass ich um meinen bis zur Haue in den Firn gerammten Pickel gelegt habe, sicheren Schrittes etwa 35 Meter bis zu einer Felsgruppe hinauf. Dort hat er festen Stand und kann nun seinerseits mich im Nachstieg sichern. Nach kurzem Steigen löst sich mein mulmiges Gefühl in Luft auf. Mit der rechten Hand die Spitze des Eispickels, manchmal mehrmals bis zum festen Halt in den Schnee oder ins Eis gedroschen. Mit der linken Hand eine einigermaßen verlässliche Abstützfläche gesucht. Die beiden Frontalzacken der Steigeisen in die leichten Einsenkungen des Steilhanges gesetzt. So geht es prima, Schlag für Schlag, Schritt für Schritt. An den Felsen angelangt, steigt Markus erneut die letzten 20 Meter voraus. Nicht lange darauf folge ich ihm, während mich zur Linken eine andere Seilschaft überholt. Ihr Bergführer steigt forschen Schrittes voraus, seine drei Kunden folgen ihm am Seil. Wenn einer von ihnen stürzen sollte, dann würde es für die gesamte Seilschaft sicher keinen Halt mehr geben. Ein anderer Bergführer regt sich sehr darüber auf, sichert er doch selber von festen Standplätzen aus, was natürlich auch das Sinnvollste ist. Doch der andere gibt brüskiert zurück, dass er den Montblanc schließlich schon 80 Mal bestiegen habe.
Kurz darauf stehe ich neben Markus auf dem Firnkamm der leicht ansteigenden Schulter. Wir haben den Col du Mont Maudit erreicht und damit eine Höhe von 4345 Metern. Damit befinden wir uns nun sogar 18 Meter höher als auf dem Gipfel des Nadelhorns, dass wir einige Tage zuvor bestiegen haben. In einer solchen Höhe waren wir an einem Berg zuvor noch nie. Und wir wollen ja noch höher hinauf. Eigentlich, so denken wir, kann uns nun nichts mehr aufhalten. Wir sind nach dieser letzten Anstrengung zwar erschöpft, aber trotzdem guten Mutes.
Nach ein paar weiteren Höhenmetern geht es nach einer Pause in eine weitere langgezogene Senke hinunter. Zunächst zieht sich die schmale Spur an steileren Flanken entlang. Auch hier geht es, wie fast überall während der Aufstiegspassagen, tief hinunter. Dann läuft die schmale Spur in sanftem Gelände aus. Zur Linken wird das Schneefeld begrenzt durch die nach Italien fast eintausend Meter tief abbrechende Brenvaflanke. Die Grenze zwischen Frankreich und Italien zieht sich genau an der Abbruchkante entlang und verläuft schließlich mitten über den Montblancgipfel. In diese Richtung blickend, reihen sich diverse Granitnadeln nebeneinander auf. Tief darunter der Brenva-Gletscher. Schneefahnen fegen über die bizarre Eiskante hinweg und lassen die Kristalle nach Italien hinüberziehen. Nicht nur an ihnen erkennt man den eisigen Wind, dem wir nun ausgesetzt sind. Wir merken ihn zwar nicht am Körper, da wir Funktionskleidung tragen. Aber im Gesicht bekommen wir die Kälte zu spüren. In dieser Höhe hat es schon so einige Minusgrade. Durch die Windgeschwindigkeit ist die gefühlte Temperatur natürlich wesentlich niedriger.
Bei einer kurzen Rast merken wir, dass wir von den Anstrengungen doch schon ziemlich gezeichnet sind. Nicht nur von den physischen, sondern auch von den psychischen, sind doch viele Passagen mit hoher Anspannung verbunden. Noch mal Müsliriegel rausgekramt und einen sparsamen Schluck aus der Flasche genommen. Dann kann es weitergehen.
Vor uns türmt sich die etwa 100 Meter hohe und sehr steile Flanke des Mur de la Cote auf. Dort müssen wir zunächst hinauf. Danach folgt flacheres Gelände, ehe der noch 400 Meter hohe relativ sanfte Gipfelanstieg vor uns liegen wird. Gleich bei den ersten Schritten im Hang merken wir, dass wir kämpfen müssen. Im Zickzack stapfen wir durch den Firn, der uns nun alles abverlangt. Das geht nicht lange so. Wir bleiben im eisigen Wind stehen und ringen nach Luft. Danach wieder zwanzig Schritte. Nächster kurzer Stopp. Nun bekommen wir ernsthafte Probleme. Doch wir steigen weiter. So geht es immer im Wechsel, und so gewinnen wir langsam aber stetig an Höhe. Noch ca. 30 Meter bis zum nächsten Absatz und damit dem flacheren Gelände. Knapp 4400 Meter sind wir jetzt hoch. Noch 400 Meter unter dem Gipfel und einem 30-Grad-Hang bis dorthin. Eigentlich wäre das dann nur noch ein Spaziergang. Vielleicht von ein bis eineinhalb Stunden. Beide atmen wir schwer. Doch dann geht es nicht mehr. Natürlich liegt es an der Höhe. Vielleicht sind wir aber auch dehydriert. Mit dem Tee, den wir in der Nacht beim Frühstücken getrunken haben, kommen wir auf knapp eineinhalb Liter. Der Körper braucht in dieser Höhe auf einer solchen Tour und bei dieser Anstrengung aber theoretisch etwa fünf Liter. Auch das trägt zur Schwächung bei. Dann natürlich der um fast 45 % verringerte Sauerstoffgehalt des Blutes. Auch wenn unser Organismus durch die vorigen Touren mehr rote Blutkörperchen gebildet hat und dadurch mehr Sauerstoff produziert, so reicht dieses an Mehr doch längst nicht aus, den fehlenden Sauerstoffbedarf, der durch die Strapazen entsteht, auszugleichen. Das Herz schlägt während der Gehphasen ununterbrochen schnell, der Puls rast. Es versucht dadurch, den mangelnden Sauerstoff zu kompensieren. Doch da wir unter Flüssigkeitsmangel leiden, ist das Blut dicker geworden und fließt langsamer durch die Adern. Bei manchen Bergsteigern können da schon gefährliche Ödeme auftreten. In schlimmen Fällen kann es auch zu Herzinfarkten kommen. Viele sind auf diese Weise, allerdings meist in noch größeren Höhen, ums Leben gekommen. Merkt man einen bedrohlichen Zustand, so hilft nur ein schneller Abstieg. Dadurch erholt sich der Körper sogleich. Bei mir wirkt sich in diesen Höhen grundsätzlich ein anderes Symptom aus. Nämlich ein leichter Dauerkopfschmerz. Dieser kann aber auch mit dem Flüssigkeitsmangel zusammenhängen.
Wie dem nun auch sei, nach achtstündigem Anstieg und etwa zwei Stunden vom Gipfel entfernt, geht es für uns nicht mehr weiter. Auch wenn wir 80 Prozent der Strecke und sämtliches schwieriges Gelände hinter uns gelassen haben und der restliche Aufstieg nur noch eine Wanderung auf dem flacher ansteigenden Gipfelschneefeld wäre, so siegt doch unsere Vernunft. Natürlich hätten wir uns das Stück noch hinaufquälen können. Doch denken wir in diesem Moment auch an den sehr langen und alles andere als einfachen Rückweg. Ihn müssen wir durch Absturzgelände ständig konzentriert gehen können, und das wäre vielleicht nicht der Fall, wenn wir vollkommen ausgepowert wären. Unfälle aus Unachtsamkeit sind dann bei vielen Bergsteigern vorprogrammiert. Die meisten Unfälle geschehen im Abstieg, das wissen wir. Und zwar nicht durch äußere Einflüsse, objektive Gefahren, sondern durch eigenes Fehlverhalten. Also treffen wir die für uns richtige Entscheidung und kehren um.
Enttäuscht sind wir in diesem Moment und auch in den Tagen darauf überhaupt nicht. Gefühlsmäßig haben wir den Montblanc fast bestiegen. Erst später im Nachhinein mit einem gewissen Abstand und aus einer sicheren Umgebung heraus fragt man sich manchmal, ob man es nicht doch hätte versuchen sollen. Aber wenn man sich direkt in einer solchen Situation befindet, sieht doch alles ganz anders aus. Die soeben aufgeführten Gründe sprechen außerdem eine deutliche Sprache: Sicherheit hat vor allem Vorrang.
Selbst der kleinere Anstieg zur Schulter des Maudit fällt uns nun schwer. Natürlich ist das auch Psychologie. Die Motivation, einen Gipfel zu bezwingen, fehlt jetzt. Angespannt sind wir trotzdem, erreichen wir doch bald die steilste Stelle des Abstieges. Der Blick nach unten ist atemberaubend. 60 Meter steilstes Gelände aus Eis, Schnee und etwas Gestein unter der Oberfläche bis zur weiterführenden ausgetretenen Pfadspur. Einen Ausrutscher kann man sich nicht erlauben. Ich bewundere dabei einen einzelnen Bergsteiger, der vorsichtig rückwärts und ohne jede Sicherung absteigt. Er hat meinen vollen Respekt. Ich würde mir das nicht zutrauen.
Markus braucht nicht lange überlegen, dann hat er den passenden Einfall. Aus dem Eis an der Abbruchkante hauen wir mit unseren Pickeln eine Art Block heraus. Darum können wir das Seil legen und uns zunächst zu der 20 Meter tiefer befindlichen Felsgruppe abseilen. Ein anderer Einzelgänger fragt uns, ob er das Seil mitbenutzen dürfe. Natürlich ist das selbstverständlich. Zu dritt finden wir uns nacheinander unten an den Felsen ein. Für den weiteren Abstieg in dieser heiklen Passage reicht das doppelt gelegte Sechzig-Meter-Seil nicht aus. Aber auch das ist kein Problem. Markus steigt dieses im unteren Bereich noch steiler werdende Stück sicher ab und sichert mich anschließend von dort. Leicht seitwärts über mir steigt ein anderer Bergsteiger herab. Wegen einer Unachtsamkeit verliert er den Halt und fällt ein Stück. Sein Gesichtsausdruck ist leicht panisch. Doch das Seil strafft sich, der Bergführer oben hat alles im Griff.
Auf dem Absatz unter dem Bergschrund atmen wir tief durch, war doch das mit Abstand die schwierigste Stelle der ganzen Tour. Aber nach wie vor müssen wir konzentriert gehen.
Die Maudit-Flanke hinunter. Leichter Anstieg. Pause auf der Schulter des Tacul. Dort setzen wir uns zum ersten Mal hin und gönnen uns in aller Ruhe eine Viertelstunde. Seit etwa 12 Stunden sind wir inzwischen unterwegs. Nun wird es auch höchste Eisenbahn, dass wir uns mit Sonnenmilch dick einkremen. Haben wir es in diesem Urlaub bisher immer rechtzeitig und häufig getan, so haben wir es wegen der ständigen Anspannung an diesem Tag vernachlässigt. Erst jetzt bemerken wir, dass wir uns die Gesichter verbrannt haben.
Die Anstrengungen lassen nicht nach. Es geht zwar die Tacul-Flanke tief hinunter. Doch der Schnee ist durch die jetzt hochstehende Sonne aufgeweicht und sulzig. Selbst in der Spur brechen wir häufig durch und manchmal auch tiefer ein. Der Weg zieht sich in die Länge. Erst auf dem Rückweg, wenn man erschöpft ist, wird einem bewusst, wie lang so ein Weg doch ist. Im Aufstieg nimmt man es, zumal ein Großteil in der Dunkelheit stattfindet, nicht wahr.
Als wir den Wandfuß und damit das weite Plateau des Col du Midi erreichen, machen wir drei Kreuze. Aber auch die restlichen zwei Kilometer in der leicht geschwungenen Weite werden strapaziös. Der Schnee ist tief und anstrengend. Endlich erreichen wir den Granit der Aiguille du Midi. Der Hochblick zur Seilbahnstation lässt uns erschauern: dort müssen wir noch hinauf. Ein 260-Meter-Anstieg im immer steiler werdenden weichen Firngelände. Das klingt nicht unbedingt viel. Doch nach einer solchen Tour geht es an die Substanz. Die letzten Kräfte müssen mobilisiert werden. Immer wieder bleiben wir stehen und gönnen uns eine Verschnaufpause, und die Seilbahnstation will nicht näher rücken.
Hinter uns tauchen Engländer auf. Wir wollen sie vorbeilassen. Doch sie meinen, dass wir genau das richtige Tempo einschlagen würden. Während uns zwei Seilschaften überholen, schleichen wir unter den sengenden Strahlen der Sonne dahin.
Mit viel Mühe, die schon zur Tortur ausartet, erreichen wir den Rücken unterhalb der Station. Noch 30 Höhenmeter. Die haben es noch einmal in sich, handelt es sich doch um den schmalen, luftigen Grat, der mir bei der Ankunft Sorgen bereitet hatte. Während ich noch meinen Rucksack klar mache, ist Markus schon nach oben unterwegs. In Windeseile hat er, an einigen Absteigenden vorbei, die Passage hinter sich gebracht. Allein durch den Anblick des Grates wird so viel Adrenalin ins Gehirn gepumpt, das alle Müdigkeit und Erschöpfung wie weggeblasen ist. Der Körper mobilisiert neue, ungeahnte Reserven.
Abwartend lasse ich noch zwei Seilschaften herunterkommen – es wirkt aus der Entfernung so, als käme man ohne Gefahr nicht aneinander vorbei. Es machen sich oben zwar schon wieder Bergsteiger startklar. Doch ich kann nicht ewig warten und steige dann auch einfach drauflos. Auf den steilen, hohen Eisstufen kommen wir jedoch problemlos aneinander vorbei. Nur das letzte Stück, der extrem schmale Grat, kann nur in einer Richtung passiert werden.
Wie erleichtert sind wir, als wir im dämmrigen, zugigen Gang der Seilbahnstation die Steigeisen ablegen. Eine Last fällt von uns ab. Wir fühlen uns wie befreit. Wir lassen uns auf eine nahe Bank sinken. Endlich sitzen. Die gesamte Montur abgelegt und chaotisch in den Rucksack gestopft. Eigentlich hätten wir nun noch ein wenig Zeit, um auf die Aussichtsplattform zu treten oder uns die große Station, die wohl so einiges zu bieten hat, anzuschauen. Doch so erschöpft wie wir sind, steht uns danach jetzt nicht mehr der Sinn. Wir wollen nur noch runter.
Hätten wir den Gipfel des Montblanc tatsächlich erreicht, so hätten wir die letzte Seilbahn längst nicht mehr geschafft. Dann wäre uns nur noch eine lange und ungemütliche Übernachtung auf der Station geblieben. Andererseits hätten wir das gern in Kauf genommen. Für ein Traumziel kann man locker ein bequemes Schlafen opfern. Doch auch heute noch sind wir der Meinung, dass wir alles richtig gemacht haben. Das wurde auch bestätigt, als wir am darauf folgenden Dienstag, wieder zu Hause, in der Zeitung lasen, dass genau an diesem Tag drei deutsche Bergsteiger am Montblanc abgestürzt und ums Leben gekommen waren.
Diese Tour war für uns ein großartiges Bergerlebnis. Es waren intensivste und sehr starke Eindrücke. Und auch wenn wir den Gipfel nicht erreicht haben, so sind wir doch ein wenig stolz auf unsere Leistung. In 15 Stunden, von denen wir nur 10 Minuten gesessen haben und meist im schwierigen Gelände unterwegs waren, haben wir mit Gegenanstiegen 2800 Höhenmeter in Auf- und Abstieg überwunden. Dabei haben wir uns in einer durchschnittlichen Höhe von 4000 Metern bewegt, in der einem die dünne Luft und die beschriebenen Verhältnisse alles abverlangen. Auch wenn der Gipfel gefehlt hat, so sind wir mit unserer Leistung doch ganz zufrieden.
Zur Folge hat diese Tour auch, dass unser Traumberg, der Montblanc, für uns nun kein Traumberg mehr ist. Natürlich würden wir gern mal auf seinem Gipfel stehen, und vielleicht wird es irgendwann auch klappen. Doch durch diese Tour ist er für uns so etwas wie entzaubert. Er ist nicht mehr der unnahbare, uneinnehmbare Gigant. Er ist zu einem fast „normalen“ Viertausender geworden, wenn auch höher und schwieriger als die anderen, die wir bisher bestiegen haben.
Nach etwas Warterei an den beiden Bahnstationen, sind wir gegen 18 Uhr wieder unten in Chamonix. Ein Blick hinauf lässt uns kaum glauben, dass wir in dem Gelände dort hoch oben noch vor kurzem unterwegs gewesen sind. Wir werden wiederkommen, da sind wir sicher.
Ein neuer Versuch
Natürlich konnten wir die „Schmach“ nicht auf uns sitzen lassen. Zwei Jahre später waren wir wieder in Chamonix. Wir waren guten Mutes, dass es nun klappen würde, obwohl man das vorher natürlich nie weiß. Wir wollten dieselbe Tour wieder probieren. Diesmal hatten wir uns eine andere Taktik ausgedacht. Da die Strecke für die Höhe sehr lang ist, wollten wir sie auf zwei Tage aufteilen. Wir wollten am Nachmittag die Flanke des Mont Tacul bis zu dessen Schulter ersteigen, dort oben in 4000 Metern Höhe biwakieren, und dann in der Nacht die restlichen 800 Meter über die Flanke des Mont Maudit und den Gipfelhang erklimmen. Zum Sonnenaufgang wollten wir oben sein.
Das Wetter zu dieser Zeit war etwas wechselhaft. Am Starttag sollte es jedoch schon recht gut werden. Für den Nachmittag sollte noch ein leichter Regenschauer oder leichter Schneefall möglich sein. Für den nächsten Tag wurde ideales Bergwetter vorhergesagt. Also sagten wir uns, dass uns dieser leichte Niederschlag, wenn er denn überhaupt kommen würde, im Aufstieg nicht groß stören sollte. Den würden wir schon irgendwie überstehen. Und oben am Übernachtungsplatz in der weiten Senke wäre es dann sowieso egal. Dann könnten wir uns in unsere Biwaksäcke verkriechen. Der Plan war nicht schlecht. Doch wir waren etwa eine Viertelstunde zu spät dran. Und das wirkte sich so aus, dass alles scheitern sollte.
Zunächst hatten wir noch einen blauen Himmel über uns. Wir passierten das weite Firnfeld unter der Aguille du Midi und stiegen in die Taculflanke ein. Wir fühlten uns fit, es lief wunderbar. Nach den ersten 300 Höhenmetern jedoch bildeten sich zunächst am Horizont dramatische Wolkengebilde. Zunächst beachteten wir sie kaum. Doch ehe wir uns versahen, waren diese ganz schnell über uns. 100 Meter an Höhe fehlten uns noch bis zum sicheren Gelände. Aber bis dahin sollten wir nicht mehr kommen. Gerade als wir auf einem sehr steilen Firnhang waren, öffnete der Himmel seine Schleusen. Es fing an zu hageln, und wie. Riesige Körner, fast so groß wie Kirschen, prasselten auf uns runter, die auf den Schulter schmerzten. Die Köpfe waren ja durch die Helme geschützt. Im Nu war die in den Hang getretene Spur verschwunden. Was nun tun? Wieder die 400 Meter absteigen, oder die restlichen 100 Meter hinauf? Natürlich entschlossen wir uns für das Letztere. Doch das sollte ein Problem werden. Die Hagelschicht wurde sofort dick, so dass es kaum noch gelang, die Steigeisen durch sie hindurch in den festeren Firnhang zu treten. Und dann rutschte uns der ganze Hang, gebildet von Millionen von kugelrunden Eiskörnern, entgegen. Es war so, als wenn er von oben herab auf uns zufließen würde. Und da nun auch noch ein Blitz zuckte und ein mächtiger Donnerschlag durch die weite Berglandschaft hallte, wurde es uns so richtig ungemütlich. So schnell wie möglich mussten wir aus dieser Situation raus.
Nur mit viel Mühe und äußerster Kraftanstrengung gelang es uns an Höhe zu gewinnen. Wir mussten alles geben, was an Kraft in uns steckte. Ein Stück über uns erkannten wir den Bergschrund. Er sollte unser Ziel sein. Dort würden wir flacheres Gelände vorfinden, bevor es noch steiler wurde. Wir kämpften. Der Puls raste, und wir rangen nach Luft. Doch dann erreichten wir nach 50 Metern die Stelle, wo wir auf flachem Gelände stehen konnten, wenn auch wir parallel zum Hang nur einen schmalen Sims hatten. Zur Linken fiel der Hang 450 Meter tief zum Plateau hin ab. Nach rechts ging es in die Spalte einer Gletscherhöhle hinunter. Erst ein paar Meter diagonal, dann senkrecht.
Wieder die Überlegung, was nun zu tun sei. Die letzten 50 Meter bis oben waren noch steiler und waren bei diesen Verhältnissen überhaupt nicht zu schaffen. Also mussten wir uns an diesem Ort irgendwie einrichten, vermutlich für die Nacht. So stiegen wir ganz vorsichtig zwei, drei Meter auf dem Hang zur Rechten Richtung Gletscherhöhle hinunter und fingen an, uns dort in den Firn mit den Eispickeln eine ebene Fläche zu hacken. Es war eine mühsame Arbeit. Eine Stunde benötigten wir, bis jeder von uns für sich eine etwa zwei Meter lange und 50 Zentimeter breite einigermaßen plane und waagerechte Fläche in den harten Firn gepickelt hatte. Es ist schon anstrengend, sich in dieser dünnen Luft nur wenig zu bewegen. Doch nach dieser Stunde Schwerstarbeit waren wir dann völlig erschöpft. Aber wir hatten einen Schlafplatz für die Nacht, und nur das zählte im Moment.
Es ist allerdings nicht einfach, sich auf solch einer kleinen Fläche einen Biwakplatz einzurichten. Alles aus dem Rucksack gekramt. Den Biwaksack ausgebreitet, die Matratze aufgeblasen und reingelegt und dann die Schlafsäcke. Und das alles mit dem Versuch, dass so wenig Schnee wie möglich eindringt. Dann die Steigeisen runter, die vereisten Klamotten ausgezogen, die Stiefel, das Klettergeschirr. Alles ist in einer solchen Situation bei Minustemperaturen und Schneetreiben alles andere als einfach und sehr kompliziert. Doch schließlich lagen wir drinnen und hatten alles in unserem Biwaksack verstaut. Vorsichtshalber seilten wir uns noch an, damit wir nachts im Schlaf nicht aus Versehen in die tiefe Höhle runterrutschen konnten.
So lagen wir also nun da. Ausgesetzt und auf kleiner Fläche, aber doch nicht ganz ungemütlich. Einziger Nachteil waren, auch als der Hagel aufgehört hatte, die kleinen Schneelawinen, die immer wieder von oben herabkamen und Schnee durch die Öffnung des Biwaksacks, die man ja zum Atmen nun mal braucht, hereinbrachten. Aber es war auszuhalten. Und da wir total erschöpft waren, schliefen wir auch schnell ein, und sogar relativ gut. Nur das ungute Gefühl beschäftigte uns, auch im Halbschlaf, dass wir nicht wussten, wie es weitergehen sollte. Und den Gipfel hatten wir sowieso abgeschrieben. Wir wollten nur noch heile wieder runterkommen.
Doch gegen drei Uhr in der Nacht stiegen dann zwei Seilschaften an uns vorbei. Also musste sich die lose Hagelschicht verfestigt haben. Mühsam machten wir uns dann auch startklar. Doch nun wollten wir nicht mehr runter, sondern doch wieder Richtung Gipfel steigen.
Die letzten 50 Meter bis zur Hochfläche waren noch steiler als der Hang unter uns. Und da wir ziemlich fertig waren, forderten sie uns noch einmal so richtig. Doch dann hatten wir das leichte Gelände erreicht, die weite Senke, die sich zur Mauditflanke hinzieht.
Als wir am tiefsten Punkt der Senke waren und der zunächst sanfte Anstieg begann, merkte ich schon, dass es mir an Kraft fehlte. Die sehr steile Mauditflanke, die wir zwei Jahre zuvor prima gemacht hatten, würde ich nun nicht mehr schaffen, geschweige denn einen Gipfelangriff. Das wurde mir nun klar. Also blieb uns nichts anderes übrig, als wieder aufzugeben. Die ganze Aktion des Vorabends und auch eben das letzte Steilstück hatten ihren Tribut gefordert.
Zumindest eines machten wir nun noch. Wir bestiegen den Mont Tacul, zu dessen felsigen Gipfel uns in dieser Eiswüste nur noch 200 Höhenmeter und keine große Entfernung fehlten. Immerhin noch ein kleiner Erfolg.
Und von dort oben sahen wir einen Sonnenaufgang, wie wir ihn bis dahin in den Alpen noch nicht erlebt hatten. Aus einem dramatisch anzusehenden Wolkenmeer schauten nur die höchsten Alpengipfel heraus. Natürlich das Matterhorn, das Weißhorn, der Dom und die anderen Gipfel der Mischabelgruppe, und noch einige andere. Und das alles in orangerotes Morgenlicht getaucht. Es waren atemberaubende Anblicke. Sie entschädigten etwas.
So endete nun auch unser dritter Versuch einer Montblanc-Besteigung mit einem frühzeitigen Abbruch. Dieses Mal waren wir allerdings, auch wenn es so richtig abenteuerlich war und so eine Erfahrung nicht verkehrt ist, sehr enttäuscht. 100 Höhenmeter und vielleicht 20 Minuten hatten uns von der wahrscheinlichen Besteigung getrennt. Wären wir nur etwas früher dran gewesen, hätten wir die sichere Hochfläche erreicht, hätte uns das Unwetter nichts ausgemacht und wir hätten den Gipfel bei guten Bedingungen vermutlich erreicht. Doch so ist das eben bei großen Bergtouren. Nie kann man im Vorhinein gewiss sein, ob man sie auch zu Ende bringen wird. Gehört haben wir auch schon von Anderen, die es erst beim siebten Versuch geschafft haben. Natürlich klappt es bei vielen auch beim ersten Versuch. Und wenn man mit einem Bergführer unterwegs ist, ist die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges natürlich auch wesentlich größer. Doch ist eben auch der Weg das Ziel, nicht nur der Gipfel. Und ohne einen sachkundigen Führer, der die Besteigung schon 80 mal gemacht hat, ist so eine Tour doch ein viel größeres Abenteuer, ganz abgesehen von der Freiheit, die man ohne einen solchen dann auch hat. Man kann sich hinterher sagen, dass man es auch wirklich aus eigener Kraft geschafft hat, und das ist ein sehr gutes Gefühl.
Natürlich werden wir es auch noch ein viertes Mal versuchen. Vielleicht wird es dann klappen. Und wenn nicht, so wäre das auch kein Beinbruch. Es macht einfach viel Freude Touren zu planen, in den Bergen unterwegs zu sein und Erlebnisse zu haben, die extrem intensiv sind. Das kann wohl jeder Bergfreund nachvollziehen, egal ob es sich um eine Wanderung in schönster Landschaft handelt, oder um eine anspruchsvollere Tour. Für jeden ist das Passende dabei und jeder hat wohl seine Freude daran und wird deswegen immer wieder in die Berge gehen.
Nachbemerkung: Selber habe ich den Gipfel dann nicht mehr geschafft, war ich doch in meinem höheren Alter zu dieser Quälerei nicht mehr motiviert. Markus stand hingegen einige Jahre später auf dem höchsten Punkt der Alpen.
Siehe auch:
Bei Saas Fee im Wallis reihen sich die Berggiganten aneinander
Eine Überschreitung des Piz Palü
Biwakeren am Mer de Glace - Unterwegs am drittgrößten Alpengletscher
Traumlandschaft Montblanc-Gebiet - Eine Grattour an der Aig. Verte
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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