Tag des offenen Denkmals 14.9.2014: Das Frauen-KZ der Conti in Limmer
Spätsommerliches Wetter ließ die Menschen ihre Wohnungen verlassen, um den Sonnenschein und die Wärme bei einem Spaziergang in der Natur zu genießen. Oder auf dem Entdeckertag ein interessantes Objekt zu finden, eine fröhliche und spannende Vorführung in Hannovers City zu erleben. Der Tag des offenen Denkmals versprach wieder Einblicke in vielfältige Denkmäler, wie dem Kalkringbrennofen in Ahlem, den Aufstieg auf die Siegessäule auf dem Waterloo-Platz mit herrlichem Rundumblick über die Stadt oder den Einblick in die alte jüdische Predigthalle auf dem jüdischen Friedhof.
Einen ganz anderen Einblick boten Führungen über die aufgeschütteten Sandflächen einer Industriebrache in Hannover-Limmer, über die der Wind streicht und Wildblumen, Spitzwegerich, Birkenschösslinge, schmalblättrige Weidenröschen – auch Trümmerblume genannt – und Gras leise hin und her wiegt.
Über diese Fläche ist im wahrsten Sinne des Wortes Gras gewachsen. Und damit auch über seine Geschichte, über die Geschehnisse an diesem Ort: Über das Frauen-KZ auf dem vormaligen Conti-Gelände in Limmer.
Von Juni 1944 bis April 1945 mussten hier etwa 1000 Frauen aus vornehmlich Frankreich, Belgien, Polen und Russland für die Continental AG im Werk Limmer Gasmasken fertigen. Sie waren von der Conti bei der SS für diese Produktion angefordert worden und in einem eigens dafür gebauten Barackenlager auf dem Conti-Gelände hinter Elektrozäunen und unwürdigen Bedingungen untergebracht. Kurz vor der Ankunft der Amerikaner trieb die SS die Frauen auf einem der sogenannten Todesmärsche in das KZ Bergen-Belsen. Nur wenige Frauen, die sich versteckt hielten oder als marschunfähig galten, blieben zurück und wurden kurz darauf von den Amerikanern befreit.
Die Zeit ist drüber hinweg gegangen. Das Gelände wurde von der Conti bebaut, es wurde als Altreifenlager genutzt und schließlich aufgegeben. Dann wurde es verkauft, die Mehrzahl der Werksgebäude abgerissen. Hier soll ein neues Wohnquartier im Stadtteil entstehen. Die sogenannte „Wasserstadt“.
An die Geschichte des ehemaligen Frauen KZs und das Leben und Leid der Frauen erinnert außer einem abseits stehenden und unscheinbaren, grauen Gedenkstein nichts mehr.
Vom Winde verweht. Gras drüber gewachsen.
Damit das nicht so bleibt, hat sich vor mehr als sechs Jahren ein Kreis engagierter Menschen gebildet, mit dem Ziel ein würdiges Mahnmal für diese – fast – vergessenen Frauen zu schaffen. Eben weil viele Menschen heute nicht mehr wissen, dass die Blumen und sonstigen Pflanzen auf diesem „wüsten“ ehemaligen Conti-Gelände den einstigen Schauplatz von Drangsalierung, Folter und Schikane, von Zwangsarbeit unter unwürdigen und unmenschlichen Bedingungen „verdecken“, setzt sich der Arbeitskreis „Ein Mahnmal für das Frauen-KZ in Limmer“ dafür ein, einen würdigen und sichtbaren Ort des Gedenkens zu schaffen, als stetige Erinnerung zu dem was dort geschah – und was nie wieder geschehen darf.
Erstmalig in September 2013 wurde zu diesem Zweck am Tag des offenen und (Thema) UNBEQUEMEN Denkmals vom Arbeitskreis (AK) auf dem Conti-Gelände in den historisch exakten Grenzen das Lager nachgezeichnet, um interessierte Menschen „durch und über“ das Lager führen zu können. Der Erfolg des letzten Jahres, die vielen Menschen, die kamen, um etwas zu sehen, das eigentlich gar nicht mehr sichtbar war, ermutigte den AK, in diesem Jahr das Experiment zu wiederholen und Menschen abermals durch das wieder sichtbar gemachte Konzentrationslager zu führen und etliche der Frauen, die hier „lebten und arbeiteten“ selbst zu Wort kommen zu lassen.
Auch in diesem Jahr wurde mit moderner GPS Technik das Lager auf dem historischen Conti-Gelände eingemessen, sowohl die ehemalige Lagerbegrenzung/Umzäunung als auch die einzelnen Gebäude: Wohnbaracken, Sanitärbaracken, SS-Lagerverwaltungs- und wohnbaracke, Versorgungsbaracke. Holzpfähle und Flatterbänder markierten die Gebäude, Tafeln nannten ihren Zweck. Für den Tag wurden drei Führungen über das Gelände und „durch“ das Lager angeboten. Dr. Sebastian Winter vom AK startete die jeweilige Führung am Info-Pavillon Ecke Sackmannstraße/Stockhardtweg, führte über den Lagerbereich zum ehemaligen Eingangstor des KZ und begann von dort den Gang durch das Lager mit all den notwendigen Erklärungen zum Lager, dem politischen Umfeld und den damaligen örtlichen Gegebenheiten.
Passend zu den einzelnen Stationen kamen die Frauen des KZ „zu Wort“. Anna-Lena Weiss (17 Jahre) und Warja Hoff (87 Jahre – mit Wurzeln im Widerstand) lasen aus den Berichten von Frauen, die das Lager, den Marsch nach Bergen-Belsen und das dortige Lager überstanden und ihre Erfahrungen schriftlich aufgezeichnet hatten.
Die Führungen dauerten länger als geplant, weil etliche Teilnehmer viele Fragen hatten und auch eigene Erfahrungen und Gedanken beisteuerten. Das wurde auch jeweils bei den Schlussworten am Pavillon deutlich. Vielen der Besucher war gänzlich unbekannt, dass es auf dem Conti-Gelände ein KZ mit aus Frankreich, Belgien, Polen, Russland, Ungarn etc. verschleppten Zwangsarbeiterinnen gegeben hatte. Einhellige Meinung: Das darf nicht vergessen werden. Es muss ein würdiges Gedenken auf Dauer geben. Und damit auch einen angemessenen Gedenkort für alle, die heute und in Zukunft leben.
Allen Besuchern blieb unverständlich, dass die Continental AG sich zu diesem Thema nicht erklären will, ja, sich regelrecht verweigert. Einen Zugang zu ihrem Firmenarchiv gestattet sie nicht.
Warum?
Der Arbeitskreis wird sich weiter intensiv um die Gestaltung eines Gedenkortes bemühen und darüber hinaus Informationen und Materialen sammeln, die sich mit diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte befassen. Jedermann, der sich dafür interessiert, ist eingeladen, sich in den AK einzubringen.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage des AK unter
www.kz-Limmer.de
Jürgen B. Hartig
Bürgerreporter:in:Jürgen B. Hartig aus Garbsen |
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