Stadtgespräch oder Lob der Nähe. Lokaljournalismus wichtiger, besser und stärker
Ich bin mir sicher, dass das Thema für viele hier bei myheimat sehr spannend ist:
Hier der Originaltext der Keynote von Bodo Hombach beim 1. Experten-Forum „Meine lokale Welt“ vom Verband deutscher Lokalzeitungen am 3. November 2010 in Frankfurt:
Ein Buchtitel nennt Journalisten die „Souffleure der Mediengesellschaft“. Im Deutschen hat das einen Ruch von „einflüstern, vorsagen, manipulieren“ der öffentlichen Meinung. Das französische „souffler“ bedeutet jedoch „atmen“. Der Journalist ist also ein guter „Atmer“. Er saugt die Umgebungsluft in seine Lunge, er nimmt sie auf in seinen Stoffwechsel und filtert die verbrauchten Anteile heraus. Er atmet mit der Gesellschaft, in der er lebt. Er kennt ihre Gerüche, hat die wichtigen Themen in der Nase und diese im Wind. Die Atemluft der Gesellschaft formt er um in Wörter und Sätze, in Reportagen, Interviews,
Kommentare. – Sie merken es schon…
Mir geht es hier mal nicht um Zahlen und Daten.
Ich will nicht das Klagelied vom Zeitungssterben singen, man weiß ja, wie vital oft gerade das Totgesagte ist. Ich leide nicht an der jungen Generation, die sich im weltweiten Netz verfängt. Ich will auch nicht ein Lamento über treulose Abonnenten und knauserige Inserenten anstimmen. Ich will hier auch nicht den Medienmanager geben, der – unheilbar zuversichtlich – routiniert Redaktionen tröstet oder Leser fängt, indem er ihnen crossmedial und multimedial das Blaue vom Himmel holt.
Was ich stattdessen will? – Den feuchten Finger in die Luft halten und herauskriegen, woher der Wind weht. Aus Richtung…
Stuttgart zum Beispiel.
„Auf de schwäbsche Eisebahne wollt amal a Bäurle fahre…“ – Das waren Zeiten, als es im Ländle noch gemütlich zuging. Jetzt weht dort ein anderer Wind, und die Planer und Entscheider von „Stuttgart 21“ verstehen die Welt nicht mehr. Das war doch ihr Mega-, Super-, Gigaprojekt, das uns alle mit einem Schlag an die Spitze bringen sollte. Und nun zernörgeln pulloverstrickende Ökofreaks, sparsame schwäbische Hausfrauen, brave Bürger, zornige Schüler und fortschrittsungläubige Sitzenbleiber unser aller Zukunft. Denn was wären wir ohne einen unterirdischen Bahnhof in Stuttgart! Alternativlos. Die Nation am Abgrund. Schlusslicht, gestrig, zum Untergang verdammt. Nicht auszudenken.
Gemach, gemach. Wir wollen ganz ruhig bleiben und tapfer sein. Wer sich in Deutschland jüngst noch wirklich Sorgen machen wollte, der hatte ganz andere Gründe. Der dachte an die kaskadenartige Delegitimierung seiner Repräsentanten und Eliten. Reihenweise warfen hochrangige Politiker den Bettel hin. Die Lobbyisten übernahmen und diktierten der Regierung ihre Bedingungen, zum Teil wörtlich in den Gesetzestext. Eine kleine Riege von Bankern und Finanzjongleuren machte mit der Weltwirtschaft den Molli und ließ sich ihre Spielschulden mit Staatsknete begleichen. Sogar die Kirchen erlebten einen rasanten Absturz vom hohen Ross moralischer Tonangebung in eine ihrer tiefsten Vertrauenskrisen seit Menschengedenken.
Die Debatte um Partei- und Politikverdruss kennen wir seit Jahren. Aber eine Delegitimation von Institutionen und Verfahren ist uns Deutschen recht neu.
Vor diesem Panorama ist Stuttgart erst einmal nur Stuttgart. Die Zukunft der Nation wird nicht dort im Schlossgarten entschieden. Die repräsentative Demokratie steht nicht vor dem Aus, und das bundesdeutsche Gemeinwesen hat schon ganz andere Krisen überlebt.
Und doch kommt mir ein Verdacht:
Spielen die Stuttgarter wirklich verrückt oder vielleicht nur ein ganz anderes Stück? Sind es vielleicht die Planfeststeller, Sachzwängler und erschrockenen Volksvertreter, die da etwas noch nicht kapiert haben? Sind da vielleicht einfach nur brave Leute, die es genauer wissen wollen? Droht nun der Stillstand oder gilt nicht eher das Gegenteil?
– Denn…
Es bewegt sich was in Deutschland,
auf der Straße, in den Leserbriefspalten, im Stadtgespräch. „Jetzt red i!“, sagt der eben noch verdrossene Bürger und meldet sich vernehmlich zu Wort. In den Wahlkabinen bekommen Feudaldemokraten eine Quittung nach der anderen. Auch die Sarrazin-Debatte hat außersarrazin’sche Ursachen, wo sie ein konkretes Unbehagen artikuliert, das die Meinungsführer schon zu lange wegtheoretisieren.
Eine ganze Generation von Politikern hat sich eingebildet, Wahlkämpfe seien nur noch mit Worthülsen, Leerformeln und Redeschaum zu gewinnen. Politik in Deutschland ist argumentationsarm geworden. Eine brennende Frage klar und ehrlich zu beantworten, anstatt sofort auf wolkige Schwurbelei auszuweichen, gilt als Karrierehindernis. Wer nichts sagt, kann hinterher alles widerrufen. Und
wenn alle allgemein und „politisch korrekt“ bleiben, gilt schon der als Extremist, der einfach nur sagt, was ist.
Aber Vorsicht! Von der Hand mit dem ausgestreckten Finger zeigen einige auch auf Redakteure und Journalisten. Eine kleine Dosis Gewissenserforschung kann nicht schaden. Ahnen wir nicht, dass auch uns der Bürger abhanden kommt? Haben wir denn nachgefragt, wenn immer mehr Staat weite Teile der Gesellschaft besetzte, wenn er regelte, was Bürger selber regeln können, wenn er bevormundete, wo Bürger selber den Mund aufmachen können? Mit welchem Recht nennen wir unsere Produkte „Bürgerzeitung“, wenn uns die Bürger davonlaufen? Weil wir Politikern, Wirtschafts-, Gewerkschafts- und Kirchenführern in die Falle gingen. Weil wir ihre Designer-Statements ungeprüft übernommen haben. Weil wir gern mit den Würdenträgern in der ersten Reihe saßen. Weil wir das Volk buchstäblich hinter uns ließen.
Wer vorne sitzt, hört schlecht, was hinter ihm gesprochen wird, und er hört gar nicht, was geflüstert wird. Gehören Journalisten in die erste Reihe? Ich denke nicht. Redaktionen sind eben nicht Gewalt im Staat, sondern Wächter, Kritiker und Enthüller. Ihr Platz ist die Volksversammlung, und zurzeit bekommen sie dort Erstaunliches zu hören.
Die Leute wollen sagen, was ist. Sie wollen mehr Demokratie wagen.
Sie sind die süßen Placebos leid und legen den Finger auf die Wunde:
Fehlende Kommunikation, Hinterzimmer-Demokratie, mangelnde Transparenz, Entfremdung zwischen Zivilgesellschaft und politischem System. Und es gibt ein Wort, das sie nicht mehr akzeptieren: „alternativlos“.
Politiker, die dieses „Unwort des Jahres“ rauf und runter im Munde führen, schaffen sich selber ab. Wenn die kontrollierende Demokratie ihr Selbstbewusstsein an undurchsichtige Machtkomplexe und außerparlamentarische Interessenvertreter verliert, darf sie sich über plötzliche Störenfriede nicht wundern, ob sie nun in Hamburg die Gemeinschaftsschule verhindern, das bayerische Rauchverbot verschärfen, hier den Abriss des Siegburger Rathauses oder dort den Neubau des Kölner Schauspielhauses verhindern. Und wenn sich eine Viertelmillion Bürger der Totalerfassung durch Google entziehen, ist auch das ein lange entbehrtes Signal.
Sie liegen damit im Trend. In den USA verblasst Obamas Stern, weil die Wähler die fernen Entscheidungen Washingtons nicht in ihrer Nähe erklärt bekommen und positiv erleben. Die Franzosen verlieren den Spaß am Glamour ihres Präsidentenpaares, wenn die Vorstädte brennen und ihnen eine Rentenkürzung als Verschiebung des Rentenalters verkauft wird. Auch eine niederländische Studie auf breitester Befragungsbasis von über 80.000 Rückmeldungen brachte…
überraschende Signale,
die zweifellos auch für Deutschland gelten würden, wenn wir fragen würden. Demnach haben 40 Prozent der Bevölkerung wenig bis kein Vertrauen in Europa. Die Klimakatastrophe rangiert nicht unter den 10 größten Sorgen der Leute. Viel mehr ängstigt sie der Schwund des solidarischen Zusammenlebens. Unter den großen Weltproblemen beunruhigt sie der gesellschaftliche Wertezerfall viel heftiger als die Finanz- und Wirtschaftskrise. Nicht die Kriminalität, nicht die finanzielle Unsicherheit, sondern die Verschlechterung der Umgangsformen macht ihnen die größte Sorge. Nicht die globalen und fernen Themen besetzen ihren Alltag, sondern der Verlust der Nähe.
Dieser Befund erlaubt einen interessanten Schluss. Unsere eher von Hiobsbotschaften geprägten Zeitungen und Sendungen kollidieren mit der Wahrnehmung der Leute und verfehlen mit ihren Themen deren ganz anders gewichtete Charts. Unser starrer Blick auf die „Mantelteile“ vernebelt die Erkenntnis, dass die Leser vor allem anderen einen guten Lokal- und Regionalteil ihrer Zeitung wünschen. Sie tun es in jeder neuen Befragung und mit dem Trotz eines ungezogenen Kindes.
Hier sollten Journalisten und Redakteure hellwach werden. Sie sollten in sich gehen und ihre Maßstäbe und Wahrnehmungen überprüfen. Sie sollten vor die Tür treten und sich intensiv umschauen. Die Bürger sind dabei, sich den Nahbereich zurückzuerobern. Wo sind die Journalisten, die diese Chance sehen und ergreifen?
Die Bürger wollen die Politik zurückerobern. Die Politik muss die Bürger gewinnen. Das kann nur vor Ort beginnen. Die Rekonstruktion unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts steht auf der Tagesordnung. Das ist der große Auftrag an den bürgernahen Journalismus vor Ort. Sachlich informieren. Moderieren, Abwägen, aber auch Mobilisieren und Partei ergreifen. Nicht für eine Partei, sondern für Bürgerinteressen.
Dabei wollen die Leser nicht nur Begleitung. Sie suchen auch Orientierung,
denn sie leben in einer Welt mit…
wachsender Unübersichtlichkeit.
Wer heute einigermaßen mithalten will, muss gegenüber allen früheren Epochen ein ungeheures Maß an Informationen verarbeiten, neue Techniken erlernen und Handgriffe üben. Das aktuelle Geschehen erscheint vielen chaotisch. Zwischen Ereignis und medialer Umsetzung lagen früher Wochen, Tage, wenigstens eine Nacht, in der etwas sacken konnte, hinterfragt, eingeordnet, bewertet, bevor es dann am Morgen in der Zeitung stand. Satellit und Internet lassen diesen Abstand gegen Null schrumpfen. Das heißt aber: Die medial vermittelte Wirklichkeit ist inzwischen fast so chaotisch wie die Wirklichkeit selbst.
Hinzu kommen weitere Faktoren: Die vertrauten Schemata, etwa der Parteienlandschaft, zerfallen. Interne Flügelkämpfe tun ein Übriges. Politik besteht oft nur noch darin, dem anderen den Stuhl wegzuziehen. Die Konturen der klassischen Sinnstifter (Familie, Schule, Verein, Religionsgemeinschaft) weichen auf. Lebensstile individualisieren sich bis zur Verstiegenheit. Trends und Moden jagen einander. Die Themen ändern sich rasch. Die Leute haben weniger Zeit und Geduld. Gleichzeitig dehnen sich Großgruppen und Konzerne zu Gebilden von nicht mehr durchschaubarer Komplexität.
Auch hier ist der Lokaljournalist gefragt wie noch nie. Er kann das kommunikative Klima des Stadtgesprächs enorm beeinflussen. Er kann helfen, die Komplexität der Themen herunterzubrechen, ohne sie schrecklich zu vereinfachen. Er kann sie in die Sprache der Leser übersetzen, ihre Auswirkungen auf deren Lebenswirklichkeit beschreiben, er kann Kriterien suchen, Gründe und Argumente. Der lokale Journalist hat die Wirklichkeitskontakte, die anderen fehlen. Seine Wirklichkeitsbegegnung ist sein Wissensschatz. Er muss realitätssüchtig sein, damit die Zeitung wird, was sie sein muss: Verstehensversuch für freie Bürger. Die zunehmende Entrücktheit der Politik darf nicht Entfremdung werden. Das wäre ein Angriff auf die Demokratie.
Ich erkenne ein drittes Arbeitsfeld, und fast habe ich das Gefühl, mich zu steigern: Ein wohlverstandener Lokaljournalismus begleitet nicht nur und hilft bei der Orientierung in einer unübersichtlichen Welt, er weckt, vermehrt und fördert durch seine Arbeit den lokalen Sektor überhaupt. Er hat eine aktive Rolle beim…
Ausbau oder Wiederaufbau des kommunalen Handlungsspielraumes. Der erkennbar gewachsenen Bereitschaft zur Bürgerinitiative bei den Ausgeschlafenen steht eine breite Gruppe gegenüber, die sich noch eher lethargisch verhält. Deren „kommunalpolitische Muskeln“ sind quasi atrophiert, durch die schleichende Entpolitisierung des Nahweltbereichs, durch eine fast schon rituelle Schmerzvermeidung, d.h. Verzicht lokaler Politiker auf lebendige Kontroversen um wichtige Konzepte. Gefördert gewiss auch durch die fiskalische Aushöhlung der Handlungsfähigkeit kommunaler Parlamente. Die Ohne-mich-Fraktion verteidigt ihre Interessen nur noch an der Wohnzimmertür
und nicht an der vorderen Linie von Marktplatz und Rathaus.
Das war schon einmal anders. Nach dem Krieg begann der Wiederaufbau des politischen Lebens nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Die kommunalen Selbstverwaltungen organisierten die Lebensmittelversorgung und den notwendigen Wohnraum. Sogar der Produktionsbereich wurde unter Mithilfe ihrer Organe in Gang gesetzt. Später erst entstanden die Strukturen der Länder und viel später die des Staates. Diese beeilten sich dann, die Kommunalverwaltung zum Ausführungsorgan ihrer Politik herunterzustufen. Am kurzen Zügel fiskalischer Unterernährung konnten die Gemeinden bald nur noch große Löcher durch kleine stopfen. Ihre Planung beschränkte sich darauf, die Risiken und Nebenwirkungen sozialer Entscheidungen der Landes- oder Bundespolitik nachträglich abzufedern oder im Sinne der Bundesparteien gesundzubeten.
Ich zitiere aus einem vergilbten Fischer-Bändchen von 1971: „Die kommunalen Aufgaben entwickelten sich im Gegensatz zu dem objektiven Interesse des einzelnen Bürgers: Er kann auf Entscheidungen, die ihn selbst betreffen, nicht mehr Einfluss nehmen. Die Voraussetzungen für eine echte kommunale Demokratie sind deshalb heute nicht vorhanden. Wird der Entscheidungsspielraum immer geringer, so sinkt auch das Interesse, an den Entscheidungen mitzuwirken.
Es ist immer riskant, nach 40 Jahren etwas zu zitieren, an dem man mitformuliert hat. Es könnte bedeuten, dass man nichts dazu gelernt hat. Es kann aber auch bedeuten, dass das von damals immer noch gilt.
Wer also bereit ist, einen Prozess zu fördern und zu begleiten, der den Nahbereich wieder nach vorne bringt, ist modern wie schon lange nicht mehr.
Einige Kommunen haben mediale Verfahren entdeckt, um verschleppte Probleme oder strittige Fragen ins breite Stadtgespräch zu bringen. So erweitert sich das Meinungsspektrum. Der Verlauf der Debatte wird nachvollziehbar. Mit jedem Zuwachs an Transparenz gewinnt das Verfahren an Legitimität. In einer Demokratie wächst Macht durch Überzeugung. Am Ende stehen endlich die Sachfragen im Vordergrund und nicht das beleidigte Selbstwertgefühl der Verwaltung, das sich vor „denen da unten“ behaupten müsste.
„Kein Missverständnis:“, schrieb Reinhard Mohr jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „Demokratie heißt Kompromiss, aber vor ihm steht die offene Auseinandersetzung, der Widerstreit der Argumente, vor allem aber die Freiheit, ohne Angst seine Meinung sagen zu dürfen, laut und deutlich, gern auch scharf, pointiert, polemisch und sarkastisch. Die Möglichkeit, zu irren, eingeschlossen.“ Diesen Raum müssen lokale Medien bieten. Das Netz erweitert das zum „Markt- und Debattenplatz“.
Nicht nur die Kommunen müssen sich eine neue Chance geben.
Auch bei den Unternehmen
scheint sich der Wind zu drehen. Immer mehr verweisen ausdrücklich auf ihre gesellschaftliche Verantwortung. In empirischen Untersuchungen sprechen 90% der Befragten von ihrem sozialen Engagement. Die WAZ Mediengruppe hat gerade erst eine solche Erhebung durch die Ruhr-Universität Bochum veranlasst. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die „Corporate Social Responsibility“ nichts mit plötzlichen Gefühlswallungen der Reichen und Mächtigen zu tun hat. Sie ist nicht das Festessen zugunsten der Hungernden, sondern ist getragen durch das stärkste Motiv jedes Unternehmens: erfolgreich und profitabel zu sein. Sie dient schlicht und einfach der Realisierung ökonomischer Ziele. Angesichts eines immer homogeneren Produktangebots bei zunehmend gesättigten Märkten kann man die Erkennbarkeit einer Marke nur noch durch eine ethische Dimension ausbauen
und sie so emotional anreichern.
Täusche ich mich, oder bietet sich nicht auch hier der Lokalpresse ein weites Feld? Wäre es nicht ihre Aufgabe, diese spannenden Erzählungen zu beobachten, zu begleiten und in den eigenen Themenkreis aufzunehmen? Die richtigen Antworten muss sie nicht haben, aber die richtigen Fragen könnte sie stellen. Dies alles ist nicht für lau zu haben. Echte Reportagen und kritische
Berichte brauchen Zeit, Kraft und Ausdauer. Sie werden sorgfältig ermittelt und geschrieben, und sie haben deshalb eine ordentliche Halbwertszeit. Schund, Luftblasen und Geschrei drängen sich auf. Eine gute Recherche, eine stichhaltige Enthüllung, eine gründliche Analyse muss man sich besorgen wie ein Wertobjekt. Und so ist eine gute Zeitung auch …
ein hartes Geschäft.
Wer keine Gebühren kassieren kann, muss sich durch Umsatz über Wasser halten. So einfach ist das und so schwer. Die enorme Ausfaltung der elektronischen Medien, ihre grenzenlosen Verbreitungswege und ihr scheinbar kostenloses Angebot stellen alle Klassiker der Branche vor nie gekannte Herausforderungen. Abonnenten sagen „Tschö!“ und Inserenten brechen weg. Da gibt’s nur eins: Besser und stärker werden. Wir müssen Leistung bieten und Qualität. Wir wollen die neuen Entwicklungen heute mitgestalten, um nicht morgen ihre Opfer zu sein. Wir müssen die Kernaufgaben professionell schultern, aber auch findig und pfiffig die Randbereiche erkunden. Wir müssen
täglich eine geliebte Gewohnheit zurücklassen und ein neues Fenster aufstoßen, mindestens eines. Und wir müssen auch sparen.
Aber wie wird man trotz Sparens besser und stärker? Meine Antwort klingt fast zynisch, aber sie lautet: Wir können durch Sparen besser und stärker werden.
Vermeidung von Doppelarbeit, Synergie und Kooperation heißt das Stichwort für die Redaktionen. Für den Verlag heißt es Verschlankung, Effizienz und Modernisierung.
Jede Veränderung der Organisation, der Technik, der internen Kommunikation muss am Ende zum Vorteil der Leser sein. Wenn das nicht gelingt, gehen sie davon, still und leise. Und wir stehen da mit unseren schönen Theorien und Statistiken, mit unseren Blättern oder iPads, und der Letzte macht das Licht aus.
In einem Kriminalroman der schwedischen Autorin Liza Marklund geht es um den Mord bei der Nobelpreis-Feier. Eine Reporterin recherchiert und gerät in eine Reihe von Fallen – auch in der Redaktion. Sie trifft ihren Chefredakteur, der - wie meist in Romanen – eine traurige, zumindest eine lästige Figur ist. In einer schwachen Minute sagt er:
„Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass wir die Seele der Zeitung verloren haben. Dass wir eine Menge Kanäle aufbauen - und vergessen, wofür.“
Ich sag’s ein wenig direkter und frecher, aber es kommt von Herzen:
Bewahre uns, Herr, vor Regen und Wind
Und vor Kollegen, die langweilig sind.
Bürgerreporter:in:Nicolas L. FROMM aus Hamburg |
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